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Iphigenie in Aulis – Erster Akt. Erster Auftritt.

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Agamemnon.
Der alte Sklave.

Agamemnon (ruft in das Zelt).
Hervor aus diesem Zelte, Greis!

Sklave (indem er herauskommt).
Hier bin ich.
Was sinnst du Neues, König Agamemnon?

Agamemnon.
Du wirst es hören, komm.

Sklave.
Ich bin bereit.
Mein Alter flieht der Schlummer, und noch frisch
Sind meine Augen.

Agamemnon.
Das Gestirn dort oben –
Wie heißt’s?

Sklave.
Du meinst den Sirius, der nächst
Dem Siebensterne der Pleiaden rollt?
Noch schwebt er mitten in dem Himmel.

Agamemnon.
Auch
Läßt noch kein Vogel sich vernehmen, kein
Geräusch des Meeres und der Winde. Stumm liegt alles
Um den Euripus her.

Sklave.
Und doch verlässest
Du dein Gezelt, da überall noch Ruhe
In Aulis herrscht, und auch die Wachen sich
Nicht rühren? König Agamemnon, komm.
Laß uns hineingehn.

Agamemnon.
Ich beneide dich,
Und jeden Sterblichen beneid‘ ich, der
Ein unbekanntes, unberühmtes Leben
Frei von Gefahren lebt. Weit weniger
Beneid‘ ich Den, den hohe Würden krönen.

Sklave.
Doch sind es diese, die das Leben zieren.

Agamemnon.
Zweideut’ge Zier! Verrätherische Hoheit!
Dem Wunsche süß, doch schmerzhaft dem Besitzer!
Jetzt ist im Dienst der Götter was versehn,
Das uns das Leben wüste macht; jetzt ist’s
Der Meinungen verhaßtes Mancherlei,
Die Menge, die es uns verbittert.

Sklave.
Von dir, o Herr, dem Hochgewaltigen,
Hör‘ ich das ungern. Hat denn Atreus nur
Zu thränenlosen Freuden dich gezeugt?
O, Agamemnon! Sterblicher, wie wir,
Bist du mit Lust und Leiden ausgestattet.
Du magst es anders wollen – also wollen es
Die Himmlischen. Schon diese ganze Nacht
Seh‘ ich der Lampe Licht von dir genährt,
Den Brief, den du in Händen hast, zu schreiben.
Du löschest das Geschriebne wieder aus,
Jetzt siegelst du den Brief, und gleich darauf
Eröffnest du ihn wieder, wirfst die Lampe
Zu Boden, und aus deinen Augen bricht
Ein Thränenstrom. Wie wenig fehlt, daß dich
Nicht Herzensangst der Sinne gar beraubt!
Was drückt dich, Herr? O, sage mir’s! Was ist
So Außerordentliches dir begegnet?
Komm, sage mir’s. Du sagst es einem guten,
Getreuen Mann, den Tyndar deiner Gattin
Im Heirathsgut mit übermacht, den er
Der Braut zum sichern Wächter mitgegeben.

Agamemnon.
Drei Jungfraun hat die Tochter Thestius‘
Dem Tyndareus geboren. Phöbe hieß
Die älteste, die zweite Klytämnestra,
Mein Weib, die jüngste Helena. Es warben
Um Helenas Besitz mit reichen Schätzen
Die Fürsten Griechenlands, und blut’ger Zwist
War von dem Heere der verschmähten Freier
Dem Glücklichen gedroht. Lang zauderte,
Dies fürchtend, bang und ungewiß, der König,
Den Ehgemahl der Tochter zu entscheiden.
Dies Mittel sinnt er endlich aus: es müssen
Die Freier sich mit hohen Schwüren binden,
Trankopfer gießen auf den flammenden
Altar und freundlich sich die Rechte bieten.
Ein fürchterlich Gelübd‘ entreißt er ihnen,
Das Recht des Glücklichen – sei auch, wer wolle,
Der Glückliche – einträchtig zu beschützen.
Krieg und Verheerung in die beste Stadt
Des Griechen oder des Barbaren, der
Von Haus und Bette die Gemahlin ihm
Gewaltsam rauben würde, zu verbreiten.
Als nun gegeben war der Schwur, durch ihn
Der Freier Sinn mit schlauer Kunst gebunden,
Verstattet Tyndareus der Jungfrau, selbst
Den Gatten sich zu wählen, dem der Liebe
Gelinder Hauch das Herz entgegen neigte.
Sie wählt – o hätte nie und nimmermehr
So die Verderbliche gewählt! – sie wählt
Den blonden Menelaus zum Gemahle.
Nicht lang, so läßt in Lacedämons Mauern,
In reichem Kleiderstaate blühend, blitzend
Von Gold, im ganzen Prunke der Barbaren,
Der junge Phrygier sich sehen, der,
Wie das Gerücht verbreitet, zwischen drei
Göttinnen einst der Schöne Preis entschieden,
Gibt Liebe und empfängt und flüchtet nach
Des Ida fernen Triften die Geraubte.
Es ruft der Zorn des Schwerbeleidigten
Der Fürsten alte Schwüre jetzt heraus.
Zum Streite stürzt ganz Griechenland. In Aulis
Versammelt sich mit Schiffen, Rossen, Wagen
Und Schilden schnell ein fürchterlicher Mars.
Mich, des Erzürnten Bruder, wählen sie
Zu ihrem Oberhaupt. Unsel’ges Scepter,
Wärst du in andre Hände nicht gefallen!
Nun liegt das ganze aufgebotne Heer,
Weil ihm die Winde widerstreben, müßig
In Aulis‘ Engen. Unter fürchterlichen
Beängstigungen bringt der Seher Kalchas
Den Götterspruch hervor, daß, wenn die Winde
Sich drehn und Trojas Thürme fallen sollen,
Auf Artemis‘ Altar, der Schützerin
Von Aulis, meine Iphigenia, mein Kind,
Als Opfer bluten müsse; blutete
Sie nicht, dann weder Fahrt, noch Sieg. Sogleich
Erhält Talthybius von mir Befehl,
Mit lautem Heroldsruf das ganze Heer
Der Griechen abzudanken. Nimmermehr
Will ich zur Schlachtbank meine Tochter führen.
Durch seiner Gründe Kraft, und Erd‘ und Himmel
Bewegend, reißt der Bruder endlich doch
Mich hin, das Gräßliche geschehn zu lassen.
Nun schreib‘ ich an die Königin, gebiet‘
Ihr, ungesäumt zur Hochzeit mit Achill
Die Tochter mir nach Aulis herzusenden,
Hoch rühm‘ ich ihr des Bräutigams Verdienst;
Sie rascher anzutreiben, setz‘ ich noch
Hinzu, es weigre sich Achill, mit uns
Nach Ilion zu ziehn, bevor er sie
Als Gattin in sein Pythia heimgesendet.
In dieser fälschlich vorgegebnen Hochzeit
Hab‘ ich des Kindes Opferung der Mutter
Verhüllet. Außer Menelaus, Kalchas
Und mir weiß nur Ulyß um das Geheimniß.
Doch, was ich damals schlimm gemacht, mach‘ ich
In diesem Briefe wieder gut, den du
Im Dunkel dieser Nacht mich öffnen und
Versiegeln hast gesehn – Nimm, und gleich
Damit nach Argos! – Halt – der Königin
Und meinem Hause, weiß ich, warst du stets
Mit Treu‘ und Redlichkeit ergeben. Was
Verborgen ist in dieses Briefes Falten,
Will ich mit Worten dir zu wissen thun. (Er liest.)
»Geborene der Leda, meinem ersten
»Send‘ und dies zweite Schreiben nach« – (Er hält inne.)

Sklave.
Lies weiter!
Verbirg mir ja nichts, Herr, daß meine Worte
Mit dem Geschriebenen gleich lauten.

Agamemnon (fährt fort zu lesen).
Sende
Die Tochter nicht zum wogensichern Aulis,
Euböas Busen. Die Vermählung bleibt
Gelegeneren Tagen aufgehoben.

Sklave.
Und glaubst du, daß der heftige Achill,
Dem du die Gattin wieder nimmst, nicht gegen
Die Königin und dich in wilder Wuth
Ergrimmen werde? Herr, von daher droht
Gefahr – sag‘ an, was hast du hier beschlossen?

Agamemnon.
Unwissend leiht Achill mir seinen Namen;
Verborgen, wie der Götterspruch, ist ihm
Die vorgegebne Hochzeit. Ihm also
Raubt dieses Opfer keine Braut.

Sklave.
O König!
Ein grausenvolles Unternehmen ist’s,
In das du dich verstricket hast. Du lockest
Die Tochter, als des Göttinsohnes Braut,
Ins Lager her, und deine Absicht war
Den Danaern ein Opfer zuzuführen.

Agamemnon.
Ach, meine Sinne hatten mich verlassen! – Götter!
Versunken bin ich in des Jammers Tiefen.
Doch eile, lauf! Nur jetzt vergiß den Greis.

Sklave.
Herr, fliegen will ich.

Agamemnon.
Laß nicht Müdigkeit,
Nicht Schlaf an eines Baches Ufer, nicht
Im Schatten der Gehölze dich verweilen.

Sklave.
Denk besser von mir, König.

Agamemnon.
Gib besonders
Wohl Acht, wo sich die Straßen scheiden, ob
Nicht etwa schon voraus ist zu den Schiffen
Der Wagen, der sie bringen soll. Es ist
Gar etwas Schnelles, wie die Räder laufen.

Sklave.
Sei meiner Wachsamkeit gewiß.

Agamemnon.
Ich halte
Dich nun nicht länger. Eil‘ aus diesen Grenzen –
Und – hörst du – trifft sich’s, daß dir unterwegs
Der Wagen aufstößt, o, so drehe du,
Du selbst, die Rosse rückwärts nach Mycene. (Es ist indessen Tag geworden.)

Sklave.
Wie aber – sprich – wie find‘ ich Glauben bei
Der Jungfrau und der Königin?

Agamemnon.
Nimm nur
Das Siegel wohl in Acht auf diesem Briefe.
Hinweg! Schon färbt die lichte Morgenröthe
Den Himmel weiß, und flammenwerfend steigen
Der Sonne Räder schon herauf – Geh, nimm
Die Last von meiner Seele! (Sklave geht ab.)

Ach, daß keiner
Der Sterblichen sich selig nenne, keiner
Sich glücklich bis ans Ende! – Leidenfrei
Ward keiner noch geboren! (Er geht ab.)