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Iphigenie in Aulis – Vierter Akt. Dritter Auftritt.

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Der alte Sklave zu den Vorigen.

Sklave
(in der Thür des Gezeltes).
Halt, Aeacide! Göttinsohn, mit dir
Und auch mit Dieser hier hab‘ ich zu reden.

Achilles.
Wer reißt die Pforten auf und ruft – Er ruft
Wie außer sich.

Sklave.
Ein Knecht. Ein armer Name,
Der mir den Dünkel wohl vergehen läßt,
Mich –

Achilles.
Wessen Knecht? Er ist nicht mein, der Mensch.
Ich habe nichts gemein mit Agamemnon.

Sklave.
Der Hauses Knecht, vor dem ich stehe. Tyndar,
(auf Klytämnestra zeigend)
Ihr Vater, hat mich drein gestiftet.

Achilles.
Nun!
Wir stehn und warten. Sprich, was dich bewog,
Mich aufzuhalten.

Sklave.
Ist kein Zeuge weiter
Vor diesen Thoren? Seid ihr ganz allein?

Klytämnestra.
So gut als ganz allein. Sprich dreist – Erst aber
Verlaß das Königszelt und komm hervor.

Sklave (kommt heraus).
Jetzt, Glück und meine Vorsicht, helft mir Die
Erretten, die ich gern erretten möchte!

Achilles.
Er spricht von etwas, das noch kommen soll,
Und von Bedeutung scheint mir seine Rede.

Klytämnestra.
Verschieb’s nicht länger, ich beschwöre dich,
Mir, was ich wissen soll, zu offenbaren.

Sklave.
Ist dir bekannt, was für ein Mann ich bin,
Und wie ergeben ich dir stets gewesen,
Dir und den Deinigen?

Klytämnestra.
Ich weiß, du bist
Ein alter Diener schon von meinem Hause.

Sklave.
Daß ich ein Theil des Heirathsgutes war,
Das du dem König zugebracht – ist dir
Das noch erinnerlich?

Klytämnestra.
Recht gut. Nach Argos
Bracht‘ ich dich mit, wo du mir stets gedient.

Sklave.
So ist’s. Drum war ich dir auch jederzeit
Getreuer zugethan, als ihm.

Klytämnestra.
Zur Sache.
Heraus mit dem, was du zu sagen hast.

Sklave.
Der Vater will – mit eigner Hand will er –
– Das Kind ermorden, das du ihm geboren.

Klytämnestra.
Was? Wie? – Entsetzlich! Mensch, du bist von Sinnen.

Sklave.
Den weißen Nacken der Bejammernswerthen
Will er mit mörderischem Eisen schlagen.

Klytämnestra.
Ich Unglückseligste! – Rast mein Gemahl?

Sklave.
Sehr bei sich selbst ist er – Nur gegen dich
Und gegen deine Tochter mag er rasen.

Klytämnestra.
Warum? Welch böser Dämon gibt’s ihm ein?

Sklave.
Ein Götterspruch, der nur um diesen Preis,
Wie Kalchas will, den Griechen freie Fahrt
Versichert.

Klytämnestra.
Fahrt! Wohin? – Beweinenswerthe Mutter!
Beweinenswürdigeres Kind, das in
Dem Vater seinen Henker finden soll!

Sklave.
Die Fahrt nach Ilion, Helenen heim
Zu holen.

Klytämnestra.
Helene wiederkehre,
Stirbt Iphigenie?

Sklave.
Du weißt’s. Dianen
Will Agamemnon sie zum Opfer schlachten.

Klytämnestra.
Und diese vorgegebene Vermählung,
Die mich von Argos rief – wozu denn die?

Sklave.
Daß du so minder säumtest, sie zu bringen,
Im Wahn, sie ihrer Hochzeit zuzuführen.

Klytämnestra.
O Kind, zum Tode kamest du! Wir kamen
Zum Tode!

Sklave.
Ja, bejammernswürdig, schrecklich
Ist euer Schicksal. Schreckliches begann
Der König.

Klytämnestra.
Weh mir, weh! Ich bin verloren.
Ich kann nicht mehr. Ich halte meine Thränen
Nicht mehr.

Sklave.
Ein armer, armer Trost sind Thränen
Für eine Mutter, der die Tochter stirbt!

Klytämnestra.
Sprich aber: Woher weißt du das? Durch wen?

Sklave.
Ein zweiter Brief ward mir an dich gegeben.

Klytämnestra.
Mich abzumahnen oder anzutreiben,
Daß ich die Tochter dem Verderben brächte?

Sklave.
Dir abzurathen, daß du sie nicht brächtest.
Der Herr war Vater wiederum geworden.

Klytämnestra.
Unglücklicher! Warum mir diesen Brief
Nicht überliefern?

Sklave.
Menelaus fing
Ihn auf. Ihm dankst du Alles, was du leidest. (Er geht ab.)

Klytämnestra (wendet sich an Achilles).
Sohn Peleus‘! Sohn der Thetis! Hörst du es?

Achilles.
Bejammernswerthe Mutter! – – Aber mich
Hat man nicht ungestraft mißbraucht.

Klytämnestra.
Mit dir
Vermählen sie mein Kind, um es zu würgen!

Achilles.
Ich bin entrüstet über Agamemnon,
Und nicht so leicht werd‘ ich es hingehn lassen.

Klytämnestra (fällt ihm zu Füßen).
Und ich erröthe nicht, mich vor dir nieder
Zu werfen, ich, die Sterbliche, vor dir,
Den eine Himmlische gebar. Weg, eitler Stolz!
Kann sich die Mutter für ihr Kind entehren?
O, Sohn der Göttin! hab‘ Erbarmen mit
Der Mutter, mit der Unglückseligen Erbarmen,
Die deiner Gattin Namen schon getragen!
Mit Unrecht trug sie ihn. Doch hab‘ ich sie
Als deine Braut hieher geführt, dir hab‘ ich
Mit Blumen sie geschmücket – Ach, ein Opfer
Hab‘ ich geschmückt, ein Opfer hergeführt!
O, das wär‘ schändlich, wenn du sie verließest.
War sie durch Hymens Bande gleich die Deine
Noch nicht –du wardst als der geliebteste
Gemahl der Unglücksel’gen schon gepriesen.
Bei dieser Wange, dieser Rechte, bei
Dem Leben deiner Mutter sei beschworen.
Verlaß uns nicht! Dein Name ist’s, der uns
Ins Elend stürzt – drum rette du uns wieder!
Dein Knie, o Sohn der Göttin! ist der einz’ge
Altar, zu dem ich Aermste fliehen kann.
Hier lächelt mir kein Freund. Du hast gehört,
Was Agamemnon Gräßliches beschlossen!
Da steh‘ ich unter rohem Volk – ein Weib,
Und unter wilden, meisterlosen Banden,
Zu jedem Bubenstück bereit – auch brav,
Gewiß, recht brav und werth, sobald sie mögen!
Versichre du uns deines Schutzes, und
Gerettet sind wir – Ohne dich verloren.

Chor.
Gewaltsam ist der Zwang des Bluts! Mit Qual
Gebiert das Weib und quält sich fürs Geborne!

Achilles.
Mein großes Herz kam deinem Wunsch entgegen.
Es weiß zu trauern mit dem Gram und sich
Des Glücks zu freuen mit Enthaltsamkeit.

Chor.
Die Klugheit sich zur Führerin zu wählen,
Das ist es, was den Weisen macht.

Achilles.
Es kommen Fälle vor im Menschenleben,
Wo’s Weisheit ist, nicht allzuweise sein;
Es kommen andre, wo nichts schöner kleidet,
Als Mäßigung. Geraden Sinn schöpft‘ ich
In Chirons Schule, des Vortrefflichen.
Wo sie Gerechtes mir befehlen, finden
Gehorsam die Atriden mich; die Stirne
Von Erz, wo sie Unbilliges gebieten.
Frei kam ich her, frei will ich Troja sehn
Und den Achiverkrieg, was an mir ist,
Mit meines Armes Heldenthaten zieren.
Du jammerst mich. Zuviel erleidest du
Von dem Gemahl, von Menschen deines Blutes.
Was diesem jungen Arme möglich ist,
Erwart’s von mir! – Er soll dein Kind nicht schlachten.
An eine Jungfrau, die man mein genannt,
Soll kein Atride Mörderhände legen.
Es soll ihm nicht so hingehn, meines Namens
Zu seinem Mord mißbraucht zu haben!
Mein Name, der kein Eisen aufgehoben,
Mein Name wär‘ der Mörder deiner Tochter,
Und er, der Vater hätte sie erschlagen.
Doch theilen würd‘ ich seines Mordes Fluch,
Wenn meine Hochzeit auch den Vorwand nur
Gegeben hätte, so unwürdig, so
Unmenschlich, ungeheuer, unerhört,
Die unschuldsvolle Jungfrau zu mißhandeln.
Der Griechen letzter müßt‘ ich sein, der Menschen
Verächtlichster, ja hassenswerther selbst
Als Menelaus müßt‘ ich sein. [Fußnote] Mir hätte
Nicht Thetis, der Erinen eine hätte
Das Leben mir gegeben, wenn ich mich
Des Königs Mordbegier zum Werkzeug borgte.
Nein, bei des Meerbewohners Haupt, beim Vater
Der Göttlichen, die mich zur Welt geboren!
Er soll sie nicht berühren – nicht ihr Kleid
Mit seines Fingers Spitze nur berühren.
Eh dies geschiehet, decke ewige
Vergessenheit mein Phthia, mein Geburtsland,
Wenn der Atriden Stammplatz, Sipylus,
Im Ohr der Nachwelt unvergänglich lebet.
Es mag der Seher Kalchas das Geräthe
Zum Opfer nur zurücketragen – Seher?
Was heißt ein Seher? – Der auf gutes Glück
Für eine Wahrheit zehen Lügen sagt.
Geräth es? Gut. Wo nicht, ihm geht es hin.
Es gibt der Jungfraun Tausende, die mich
Zum Gatten möchten – davon ist auch jetzt
Die Rede nicht; beschimpft hat mich der König.
In meinen Willen hätt‘ er’s stellen sollen,
Ob mir’s gefiele, um sein Kind zu frein.
Gern und mit Freuden würde Klytämnestra
In dieses Bündniß eingewilligt haben.
Und hätte Griechenland aus meinen Händen
Alsdann zum Opfer sie verlangt, ich würde
Sie meinen Kriegsgenossen, würde sie
Dem Wohl der Griechen nicht verweigert haben.
So aber gelt‘ ich nichts vor den Atriden,
Nichts, wo was Großes soll verhandelt werden.
Doch dürfte, eh wir Ilion noch sehn,
Dies Schwert von Blut und Menschenmorde triefen,
Wenn man’s versuchte, mir sie zu entreißen.
Sei du getrost! Ein Gott erschien ich dir.
Ich bin kein Gott; dir aber will ich’s werden.

Chor.
An dieser Sprache kennt man dich, Achill,
Und die Erhabene, die dich geboren.

Klytämnestra.
O Herrlichster! wie stell‘ ich’s an, wie muß
Ich reden, um zu sparsam nicht zu sein
In deinem Preis, und deine Gunst auch nicht
Durch mein ausschweifend Rühmen zu verscherzen?
Zu vieles Loben, weiß ich wohl, macht Dem,
Der edel denkt, den Lober nur zuwider.
Doch schäm‘ ich mich, mit ew’ger Jammerklage,
Mit Leiden, die nur ich empfinde, dich,
Den Glücklichen, den Fremdling, zu ermüden.
Doch, Fremdling oder nicht, wer Leidenden
Beispringen kann, wird auch mit ihnen trauern.
Drum hab‘ mit uns Erbarmen! Unser Schicksal
Verdient Erbarmen. Meine Hoffnung war,
Dich Sohn zu nennen – Ach, sie war vergebens!
Auch schreckt vielleicht dein künftig Ehebette
Mein strebend Kind mit schwarzer Vorbedeutung,
Und du wirst eilen, sie zu fliehn. Doch, nein,
Was du gesagt, war alles wohl gesprochen,
Und willst du nur, so lebt mein Kind. Soll sie
Etwa selbst flehend deine Knie umfassen?
So wenig dies der Jungfrau ziemt, gefällt
Es dir, so mag sie kommen, züchtiglich,
Das Aug mit edler Freiheit aufgeschlagen.
Wo nicht, so laß an ihrer Statt mich der
Gewährung süßes Wort von dir vernehmen.

Achilles.
Die Jungfrau bleibe, wo sie ist. Daß sie
Verschämt ist, bringt ihr Ehre.

Klytämnestra.
Auch verschämt sein
Hat sein gehörig Maß und seine Stunde.

Achilles.
Ich will es nicht. Ich will nicht, daß du sie
Vor meine Augen bringest und wir beide
Boshaftem Tadel preisgegeben werden.
Ein zahlreich Heer, der heimathlichen Sorgen
Entschlagen, trägt sich gar zu gern – das kenn‘ ich –
Mit häm’schen, ehrenrührigen Gerüchten.
Und mögt ihr flehend oder nicht vor mir
Erscheinen, ihr erhaltet weder mehr
Noch minder – denn beschlossen ist’s bei mir,
Kost’s, was es wolle, euer Leid zu enden.
Das laß dir nur genügen. Glaub‘, ich rede ernstlich.
Und sterben mög‘ ich, hab‘ ich deine Hoffnung
Mit eitler Rede nur getäuscht; rett‘ ich
Die Jungfrau – nein, da werd‘ ich leben.

Klytämnestra.
Lebe
Und rette immer Leidende!

Achilles.
Nun höre,
Wie wir’s am besten einzurichten haben.

Klytämnestra.
Laß hören! Dir gehorch‘ ich gern.

Achilles.
Zuvor erst
Muß man es mit dem Vater noch versuchen.

Klytämnestra.
Ach, der ist feig und zittert vor der Menge!

Achilles.
Vernünft’ge Gründe können viel.

Klytämnestra.
Ich hoffe nichts. Doch sprich, was muß ich thun?

Achilles.
Fall ihm zu Füßen, fleh‘ ihn an, daß er
Sein Kind nicht tödte! Bleibt er unerbittlich,
Dann komm zu mir! – Erweichst du ihn, noch besser.
Dann braucht es meines Armes nicht, die Jungfrau
Bleibt leben, ich erhalte mir den Freund;
Auch bei dem Heer vermeid‘ ich Tadel, hab‘ ich
Durch Gründe mehr als durch Gewalt gestritten.
Und so wird Alles glücklich abgethan
Zu deinem und der Freunde Wohlgefallen,
Und meines Armes braucht es nicht.

Klytämnestra.
Du räthst
Verständig. Es geschehe, wie du meinest.
Mißlingt mir’s aber – wo seh‘ ich dich wieder?
Wo find‘ ich Aermste diesen Heldenarm,
Die letzte Stütze noch in meinen Leiden?

Achilles.
Wo’s meiner Gegenwart bedarf, werd‘ ich
Dir nahe sein und dir’s ersparen, vor
Dem Heer der Griechen dich und deine Ahnherrn
Durch Jammer zu erniedrigen. So tief
Herunter müßte Tyndars Blut nicht sinken
– Ein großer Name in der Griechen Land!

Klytämnestra.
Wie dir’s gefällt. Ich unterwerfe mich.
Und, gibt es Götter, Trefflichster, dir muß
Es wohlergehn. Gibt’s keine – warum leid‘ ich? [Fußnote]

(Achilles und Klytämnestra gehen ab.)