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Iphigenie in Aulis – Zweiter Akt. Zweiter Auftritt.

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Agamemnon zu den Vorigen.

Agamemnon.
Wer lärmt so vor den Thoren?
Was für ein unanständig Schrei’n?

Sklave.
Mich, Herr,
Nicht diesen mußt du hören.

Agamemnon (zu Menelaus).
Nicht, was schiltst
Du diesen Mann und zerrst ihn so gewaltsam
Herum?

Menelaus.
Erst sieh mir ins Gesicht; antworten
Werd‘ ich nachher.

Agamemnon.
Ich – ein Sohn Atreus‘ – soll
Etwa die Augen vor dir niederschlagen?

Menelaus.
Siehst du dies Blatt, das ein verdammliches
Geheimniß birgt?

Agamemnon.
Gib es zurück, dann sprich!

Menelaus.
Nicht eher, bis das ganze Heer erfahren,
Wovon es handelt.

Agamemnon.
Was? du unterfingst dich,
Das Siegel zu erbrechen? zu erfahren,
Was nicht bestimmt war, dir bekannt zu werden?

Menelaus.
Und, dich noch schmerzlichen zu kränken, sieh,
Da deckt‘ ich Ränke auf, die du im Stillen
Verübtest.

Agamemnon.
Eine Frechheit ohne Gleichen!
Wo – o ihr Götter! – wo kam dieser Brief
In deine Hände?

Menelaus.
Wo ich deine Tochter
Von Argos endlich kommen sehen wollte.

Agamemnon.
Wer hat zu meinem Hüter dich bestellt?
Ist das nicht frech?

Menelaus.
Ich übernahm es, weil’s
Mir so gefiel, denn deiner Knechte bin
Ich keiner!

Agamemnon.
Unerhörte Dreistigkeit!
Bin ich nicht Herr mehr meines Hauses?

Menelaus.
Höre,
Sohn Atreus‘! Festen Sinnes bist du nicht!
Heut willst du dieses, gestern war es jen’s,
Und etwas anders ist es morgen.

Agamemnon.
Scharfklug,
Das bist du! Unter vielen schlimmen Dingen ist
Das schlimmste eine scharfe Zunge.

Menelaus.
Ein schlimmres ist ein wankelmüth’ger Sinn;
Denn der ist ungerecht und undurchschaulich
Den Freunden. Den Beweis will ich gleich führen.
Laß nicht, weil jetzt der Zorn dich übermeistert,
Die Wahrheit dir zuwider sein. Groß Lob
Erwarte nicht. Ist jene Zeit dir noch
Erinnerlich, da du der Griechen Führer
In den Trojanerkrieg zu heißen branntest?
Sehr ernstlich wünschtest du, was du in schlauer
Gleichgültigkeit zu bergen dich bemühtest.
Wie demuthsvoll, wie kleinlaut warst du da!
Wie wurden alle Hände da gedrücket!
Da hatte, wer es nur verlangte, war’s
Auch nicht verlangte, freien Zugang, freies
Und offnes Ohr bei Atreus‘ Sohn! Da standen
Geöffnet allen Griechen deine Thore.
So kauftest du mit schmeichlerischem Wesen
Den hohen Rang, zu dem man dich erhoben.
Was war dein Dank? Des Wunsches kaum gewährt,
Sieht man dich plötzlich dein Betragen ändern.
Der Freunde wird nicht mehr gedacht; schwer hält’s,
Nur vor dein Angesicht zu kommen; selten
Erblickt man dich vor deines Hauses Thoren.
Die alte Denkart tauscht kein Ehrenmann
Auf einem höhern Posten. Mehr als je,
Hebt ihn das Glück, denkt seiner alten Freunde
Der Ehrenmann, denn nun erst kann er ihnen
Vergangne Dienste kräftiglich vergelten.
Sieh, damit fingst du’s an! Das war’s, was mich
Zuerst von dir verdroß! Du kommst nach Aulis,
Das Heer der Danaer mit dir. Der Zorn
Der Himmlischen verweigert uns die Winde.
Gleich bist du weg. Der Streich schlägt dich zu Boden.
Es dringt in dich der Griechen Ungeduld,
Der Schiffe müß’ge Last zurückgesandt,
In Aulis länger unnütz nicht zu rasten.
Wie kläglich stand es da um deine Feldherrnschaft!
Was für ein Leiden, keine tausend Schiffe
Mehr zu befehligen, auf Troja’s Feldern
Nicht mehr der Griechen Schaaren auszubreiten!
Da kam man zu dem Bruder. »Was zu thun?
Wo Mittel finden, daß die süße Herrschaft
Und die erworbne Herrlichkeit mir blieb‘?«
Es kündigt eine günst’ge Fahrt den Schiffen
Der Seher Kalchas aus dem Opfer an,
Wenn du dein Kind Dianen schlachtetest.
Wie fiel dir plötzlich da die Last vom Herzen!
Gleich, gleich bist du’s zufrieden sie zu geben.
Aus freiem Antrieb, ohne Zwang (daß man
Dich zwang, kannst du nicht sagen) sendest du
Der Königin Befehl, dir ungesäumt
Zum hochzeitlichen Band mit Peleus‘ Sohn
(So gabst du vor) die Tochter herzusenden.
Nun hast du plötzlich eines andern dich
Besonnen, sendest heimlich widersprechenden
Befehl nach Argos; nun und nimmermehr
Willst du zum Mörder werden an dem Kinde.
Doch ist die Luft, die jetzo dich umgibt,
Die nämliche, die deinen ersten Schwur
Vernommen. Doch so treiben es die Menschen!
Zu hohen Würden sieht man Tausende
Aus freier Wahl sich drängen, in vermessnen
Entwürfen schwindelnd sich versteigen; doch
Bald legt den Wahn des Haufens Flattersinn,
Und ihres Unvermögens stiller Wink
Bringt schimpflich sie zum Widerruf. Nur um
Die Griechen thut mir’s leid, voll Hoffnung schon,
Vor Troja hohen Heldenruhm zu ernten,
Jetzt deinetwegen, deiner Tochter wegen,
Das Hohngelächter niedriger Barbaren!
Nein! eines Heeres Führung, eines Staates
Verwaltung sollte Reichthum nie vergeben –
Kopf macht den Herrn. Es sei der Erste, Beste
Der Einsichtsvolle! Er soll König sein.

Chor.
Zu was für schrecklichen Gezänken kommt’s,
Wenn Streit und Zwist entbrennet zwischen Brüdern!

Agamemnon.
Die Reih‘ ist nun an mir, dich anzuklagen.
Mit kürzern Worten will ich’s thun – ich will’s
Mit sanftern Worten thun, als du dem Bruder
Zu hören gabst. Vergessen darf sich nur
Der schlechte Mensch, der kein Erröthen kennt.
Sag‘ an, was für ein Dämon spricht aus deinem
Entflammten Aug? Was tobest du? Wer that
Dir wehe? Wornach steht dein Sinn? Die Freuden
Des Ehebettes wünschest du zurücke?
Bin ich’s, der dir sie geben kann? Ist’s recht,
Wenn du die Heimgeführte schlecht bewahrtest,
Daß ich Unschuldiger es büßen soll?
Mein Ehrgeiz bringt dich auf? – Wie aber nennst
Du das, Vernunft und Billigkeit verhöhnen,
Um eine schöne Frau im Arm zu haben?
O wahrlich! eines schlechten Mannes Freuden
Sind Freuden, die ihm ähnlich sehn! Weil ich
Ein rasches Wort nach beßrer Ueberlegung
Zurücke nahm, bin ich darum gleich rasend?
Ist’s einer, wer ist’s mehr, als du, der, wieder
Zu haben die Abscheuliche, die ihm
Ein gnäd’ger Gott genommen, keine Mühe
Zu groß und keinen Preis zu theuer achtet?
Um deinetwillen, meinst du, haben Tyndarn
Durch tollen Schwur die Fürsten sich verpflichtet?
Der Hoffnung süße Göttin riß, wie dich,
Die Liebestrunkenen dahin. So führe
Sie denn zum Krieg nach Troja, diese Helfer!
Es kommt ein Tag, schon seh‘ ich ihn, wo euch
Des nichtigen, gewaltsam ausgepreßten
Gelübdes schwer gereuen wird. Ich werde
Nicht Mörder sein an meinen eignen Kindern.
Tret‘ immerhin, wie deine Leidenschaft es heischt,
Gerechtigkeit und Billigkeit mit Füßen,
Der Rächer einer Elenden zu sein.
Doch mit verruchten Mörderhänden gegen
Mein theures Kind, mein eigen Blut zu rasen –
Abscheulich! Nein! Das würde Nacht und Tag
In heißen Thränenfluthen mich verzehren.
Hier meine Meinung, kurz und klar und faßlich:
Wenn du Vernunft nicht hören willst, so werd‘
Ich meine Rechte wissen zu bewahren.

Chor.
Ganz von dem Jetzigen verschieden klang,
Was Agamemnon ehedem verheißen.
Doch welcher Billige verargt es ihm,
Möcht‘ er des eignen Blutes gerne schonen?

Menelaus.
So bin ich denn – ich unglücksel’ger Mann! –
Um alle meine Freunde!

Agamemnon.
Fordre nicht
Der Freunde Untergang – so werden sie
Bereit sein, dir zu dienen.

Menelaus.
Und woran
Erkenn‘ ich, daß ein Vater uns gezeugt?

Agamemnon.
In allem, was du Weises mit mir theilest,
In deinen Rasereien nicht.

Menelaus.
Es macht
Der Freund des Freundes Kummer zu dem seinen.

Agamemnon.
Dring in mich, wenn du Liebes mir erweisest,
Nicht, wenn du Jammer auf mich häufst.

Menelaus.
Du könntest
Doch der Achiver wegen etwas leiden!

Agamemnon.
In den Achivern raset, wie in dir,
Ein schwarzer Gott.

Menelaus.
Auf deinen König stolz,
Verräthst du, Untheilnehmender, den Bruder.
Wohlan! so muß ich andre Mittel suchen,
Und andre Freunde für mich wirken lassen.