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Phädra (Racine) – Dritter Aufzug. Dritter Auftritt.

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Phädra. Oenone.

Oenone.
Ersticken musst du jeglichen Gedanken
An deine Liebe jetzt, Gebieterin!
Sei wieder ganz du selbst! Ruf’ deine Tugend
Zurück! Der König, den man tot geglaubt,
Er wird sogleich vor deinen Augen stehn.
Theseus ist angelangt! Theseus ist hier!
Entgegen stürzt ihm alles Volk – Ich ging,
Wie du befahlst, den Hippolyt zu suchen
Als tausend Stimmen plötzlich himmelan –

Phädra.
Mein Gatte lebt, Oenone! Mir genug!
Ich habe eine Leidenschaft gestanden,
Die ihn beschimpft. Er lebt. Es braucht nichts weiter.

Oenone.
Wie, Königin?

Phädra.
Ich sagte dir’s vorher,
Du aber hörtest nicht; mit deinen Tränen
Besiegtest du mein richtiges Gefühl.
Noch heute früh starb ich der Tränen wert;
Ich folgte deinem Rat, und ehrlos sterb’ ich.

Oenone.
Du stirbst?

Phädra.
Ihr Götter! Was hab’ ich getan!
Mein Gemahl wird kommen und sein Sohn mit ihm.
Ich werd’ ihn sehn, wie er ins Aug’ mich fasst,
Der furchtbar Vertraute meiner Schuld,
Wie er drauf Achtung gibt, mit welcher Stirn
Ich seinen Vater zu empfangen wage!
Das Herz von Seufzern schwer, die er verachtet,
Das Aug’ von Tränen feucht, die er verschmäht!
Und glaubst du wohl, er, so voll Zartgefühl,
So eifersüchtig auf des Vaters Ehre –
Er werde meiner schonen? Den Verrat
An seinem Vater, seinem König, dulden?
Wird er auch seinem Abscheu gegen mich
Gebieten können? Ja, und schwieg’ er auch!
Oenone, ich weiß meine Schuld, und nicht
Die Kecke bin ich, die, sich im Verbrechen
In sanfte Ruh’ einwiegend, aller Scham
Mit eherner Stirne, nie errötend, trotzte.
Mein Unrecht kenn’ ich, es steht ganz vor mir.
Schon seh’ ich diese Mauern, diese Bogen
Sprache bekommen, und, mich anzuklagen
Bereit, des Gatten Ankunft nur erwarten,
Furchtbares Zeugnis gegen mich zu geben!
– Nein, lass mich sterben! Diesen Schrecknissen
Entziehe mich der Tod – er schreckt mich nicht!
Mich schreckt der Name nur, den ich verlasse,
Ein grässlich Erbteil meinen armen Kindern!
Die Abkunft von dem Zeus erhebt ihr Herz!
Der Mutter Schuld wird schwer auf ihnen lasten.
Oenone, mit Entsetzen denk’ ich es:
Erröten werden sie, wenn man mich nennt,
Und wagen’s nicht, die Augen aufzuschlagen.

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