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Phädra (Racine) – Erster Aufzug. Erster Auftritt.

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Hippolyt.
Wenn ich sie hasste, würd’ ich sie nicht fliehn.

Theramen.
Herr, wag’ ich’s, deine Flucht mir zu erklären?
Wärst du vielleicht der strenge Hippolyt
Nicht mehr, der stolze Feind der schönen Liebe,
Der mutige Verächter eines Jochs,
Dem Theseus sich so oft, so gern gebeugt?
So lang von dir verachet, hätte Venus
Des Vaters Ehre nun an dir gerächet?
Sie hätt’ in eine Reihe sich gestellt
Mit andern, dich gezwungen ihr zu opfern?
– Du liebtest, Herr?

Hippolyt.
Freund, welche Rede wagst du?
Du, der mein Innres kennt, seitdem ich atme,
Verlangst, dass ich den edlen Stolz verleugne,
Den dieses freie Herz von je bekannt?
Nicht an der Brust der Amazone nur,
Dich mich geboren, schöpft’ ich diesen Stolz.
Ich selbst, sobald ich meiner mir bewusst,
Bestärkte mich in diesem edeln Triebe.
Du wart der Freund, der Führer meiner Jugend;
Oft sprachst du mir von meines Vaters Taten;
Du weißt, wie ich dir lauschte, wie mein herz
Bei seinen edlen Waffentaten schlug –
Wenn du den kühnen Helden mir beschriebst,
Wie er der Welt den Herkules ersetzte,
Mit Ungeheuern kämpfte, Räuber strafte,
Wie er den Sinnis, den Prokurstes schlug,
Dem Periphetes seine Keul’ entrang,
Den Kerkyon besiegte, mit dem Blut
Des Minotaurus Kreta’s Boden färbte.
Doch wenn du auf das minder Rühmliche
Zu reden kamst, die leichten Liebeschwüre,
Die oft gelobte und gebrochne Treu –
Wenn du die spart’sche Helena mir nanntest,
Den Ihrigen entrissen – Periböa
In ihrem Schmerz zu Salamin verlassen –
Und alle die Betrognen ohne Zahl,
Die seinen schwüren allzu leicht geglaubt,
Bis auf den Namen selbst von ihm vergessen –
Ariadne*, die dem tauben Felsenufer
Sein Unrecht klagt, und Phädra, ihre Schwester,
Wie sie, geraubt, doch glücklicher als sie –
Du weißt, wie peinlich mir bei der Erzählung
Zu Mute war, wie gern ich sie verkürzte!
Wie hätt’ ich nicht gewünscht, so schönem Leben
Die minder würd’ge Hälfte zu ersparen!
Und sollte selbst mich jetzt gebunden sehn,
So tief herunter ließ ein Gott mich sinken!
Mich, den noch kein erlegter Feind verherrlicht,
Der sich durch keine Heldentugend noch
Das Recht erkaufte, schwach zu sein, wie Theseus!
Und sollte dieses stolze Herz empfinden,
Musst’ es Aricia sein, die mich besiegte?
Vergaß ich ganz in meinem trunknen Wahn
Das Hindernis, das uns auf ewig trennt?
Verwirft sie nicht mein Vater? Wehrt mir nicht
Ein streng Gesetz, das feindlich denkende
Geschlecht der Pallantiden fortzupflanzen?
Auf ewig soll’s mit ihr vernichtet sein,
In Aufsicht soll sie bleiben bis zum Grab,
Und nie soll ihr die Fackel Hymens lodern!
Und böt’ ich meinem Vater solchen Trotz,
Mit ihrer Hand ihr Recht mir anzufreien?
Zu solcher Raserei riss mich die Jugend –

Theramen (ihm ins Wort fallend).
Ach Herr, wenn deine Stunde kam, so fragt
Kein Gott nach unsern Gründen! Theseus selbst
Schärft deinen Blick, da er ihn schließen will;
Das Herz empört sich gegen Zwang, und selbst
Sein Hass gießt neuen Reiz um die Geliebte.
Warum auch schreckt dich eine keusche Liebe,
Und wenn sie glücklich macht, missgönnst du dir’s?
Besiege doch die scheue Furcht! Kann man
Sich auf der Bahn des Herkules verirren?
Wie stolze Herzen hat nicht Venus schon
Bezähmt! Du selbst, der ihre Macht bestreitet,
Wo wärst du, hätt’ Antiope* dem Trieb
Der Göttin immer siegend widerstanden,
Der Liebe keusche Flamme nie gefühlt!
Doch, Herr, wozu mit großen Worten prunken?
Gesteh’s, du bist der Vorige nicht mehr!
Schon lang sieht man dich seltener als sonst
Stolz und unbändig deinen Wagen lenken,
Und, in der edeln Kunst Neptuns geübt,
Das wilde Jagdross an den Zaum gewöhnen.
Viel seltener erklinget Forst und Wald
Von unserm Jagdruf – ein verborgner Gram
Senkt deiner Blicke feur’ge Kraft zur Erde.
Ja, ja, du leibst, du glühst von Liebe, dich
Verzehrt ein Feuer, Herr, das du verheimlichst.
Gesteh’s, du liebst Aricien!

Hippolyt.
Ich reise
Und suche meinen Vater, Theramen!

Theramen.
Herr, siehst du Phädra nicht, bevor du gehst?

Hippolyt.
Das ist mein Vorsatz. Bring’ ihr diese Nachricht!
Gehen wir zu ihr, weil es die Pflicht so will.
– Doch sieht, was für ein neues Missgeschick
Bekümmert ihre zärtliche Oenone?

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