Aricia. Ismene. Hippolyt.
Hippolyt.
Eh’ ich von dannen gehe, Königin,
Künd’ ich das Los dir an, das dich erwartet.
Mein Vater starb. Ach, nur zu wahr erklärte sich
Mein ahnend Herz sein langes Außenbleiben.
Den edlen Kämpfer konnte nur der Tod
So lange Zeit dem Aug der Welt verbergen.
Die Götter endlich haben über ihn
Entschieden, den Gefährten und den Freund,
Den Waffenfreund des herrlichen Aleid.
Dein Hass, ich darf es hoffen, Königin,
Auch gegen Feindes Tugenden gerecht,
Gönnt ihm den Nachruhm gern, den er verdient.
Eins tröstet mich in meinem tiefen Leid,
Ich kann dich einem harten Joch entreißen;
Den schweren Bann, der auf dir lag, vernicht’ ich;
Du kannst fortan frei schalten mit dir selbst,
Und in Trözen, das mir zum Los gefallen,
Auf mich ererbt von Pittheus, meinem Ahn*,
Das mich bereits als König anerkannt,
Lass’ ich dich frei – und freier noch als mich.
Aricia.
Herr, mäß’ge diesen Edelmut, der mich
Beschämt. Mehr, als du denkst, erschwerst du mir
Die Fesseln, die du von mir nimmst, wenn du
So große Gunst an der Gefangnen übst.
Hippolyt.
Athen ist noch im Streit, wer herrschen soll;
Es spricht von dir, nennt mich, und Phädra’s Sohn!
Aricia.
Von mir?
Hippolyt.
Ich weiß und will mir’s nicht verbergen,
Dass mir ein stolz Gesetz entgegensteht.
Die fremde Mutter wird mir vorgeworfen;
Doch hätt’ ich meinen Bruder nur zum Gegner,
Nicht wehren sollte mir’s ein grillenhaft
Gesetz, mein gutes Anrecht zu behaupten.
Ein höheres Recht erkenn’ ich über mir.
Dir tret’ ich ab, vielmehr ich geb’ dir wieder
Den Thron, den deine Väter von Erechtheus,
Der Erde Sohn, dem Mächtigen, ererbt.
Er kam auf Aegeus durch der Kindschaft Recht;
Athen*, durch meinen Vater groß gemacht,
Erkannte freudig diesen Held zum König,
Und in Vergessenheit sank dein Geschlecht.
Athen* ruft dich in seine Mauern wieder;
Genug erlitt es von dem langen Streit,
Genug hinabgetrunken hat die Erde
Des edeln Blutes, das aus ihr entsprang.
Mein Anteil ist Trözene; Kreta bietet
Dem Sohn der Phädra reichlichen Ersatz;
Dir bleibt Athen*! Ich geh’ jetzt, um für dich
Die noch geteilten Stimmen zu vereinen.
Aricia.
Erstaunt, beschämt von allem, was ich höre,
Befürcht’ ich fast, ich fürchte, dass ich träume.
Wach’ ich und ist dies alles Wirklichkeit?
Herr, welche Gottheit gab dir’s in die Seele?
Wie wahr rühmt dich der Ruf durch alle Welt!
Wie weit noch überflügelt ihn die Wahrheit!
Zu meiner Gunst willst du dich selbst berauben?
War es nicht schon genug, mich nicht zu hassen?
Hippolyt.
Ich, Königin, dich hassen! Was man auch
Von meinem Stolz verbreitet, glaubt man denn,
Dass eine Tigermutter mich geboren?
Und welche Wildheit wär’s, welch eingewurzelt
Verstockter Hass, den nicht dein Anblick zähmte!
Konnt’ ich dem holden Zauber widerstehn?
Aricia (unterbricht ihn).
Was sagst du, Herr?
Hippolyt.
Ich bin zu weit gegangen.
Zu mächtig wird es mir – Und weil ich denn
Mein langes Schweigen brach, so will ich enden –
So magst du ein Geheimnis denn vernehmen,
Das diese Brust nicht mehr verschließen kann.
– Ja, Königin, du siehst mich vor dir stehen,
Ein warnend Beispiel tief gefallnen Stolzes.
Ich, der der Liebe trotzig widerstand,
Der ihren Opfern grausam Hohn gesprochen,
Und wenn die andern kämpften mit dem Sturm,
Stets von dem Ufer hoffte zuzusehn,
Durch eine stärkre Macht mir selbst entrissen,
Erfahr’ auch ich nun das gemeine Los.
Ein Augenblick bezwang mein kühnes Herz,
Die freie stolze Seele, sie empfindet.
Sechs Monde trag’ ich schon, gequält, zerrissen
Von Scham und Schmerz, den Pfeil in meinem Herzen.
Umsonst bekämpf’ ich dich, bekämpf’ ich mich;
Dich flieh’ ich, wo du bist; dich find’ ich, wo du fehlst;
Dein Bild folgt mir ins Innerste der Wälder;
Das Licht des Tages und die stille Nacht
Muss mir die Reize deines Bildes malen.
Ach, alles unterwirft mich dir, wie auch
Das stolze Herz dir widerstand – Ich suche
Mich selbst, und finde mich nicht mehr. Zur Last
Ist mir mein Pfeil, mein Wurfspieß und mein Wagen;
Vergessen ganz hab’ ich die Kunst Neptuns;
Mit meinen Seufzern nur erfüll’ ich jetzt
Der Wälder Stille; meine müß’gen Rosse
Vergessen ihres Führers Ruf.
(Nach einer Pause.)
Vielleicht
Schämst du dich deines Werks, da du mich hörst,
Und dich beleidigt meine wilde Liebe?
In welcher rauen Sprache biet’ ich auch
Mein Herz dir an! Wie wenig würdig ist
Der rohe Sklave solcher schönen Bande!
Doch eben darum nimm ihn gütig auf!
Ein neu Gefühl, ein fremdes, sprech’ ich aus,
Und sprech’ ich’s übel, denke, Königin,
Dass du die Erste bist, die mich’s gelehrt.