Charakterisierung der Bertha von Bruneck, Zeichnung von Friedrich Pecht

Bertha von Bruneck, Charakter aus dem Schiller-Drama Wilhelm Tell, Zeichnung von Friedrich Pecht

Bertha von Bruneck, Charakter aus dem Schiller-Drama Wilhelm Tell, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charkterisierung der Bertha von Bruneck

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Die frische, kräftige Gestalt der reichen Erbin, deren Liebesepisode mit Rudenz im „Tell“ schon mancherlei kritische Anfechtungen erlitten hat, scheint uns denn doch nicht so ganz überflüssig im Stück zu stehen, als man bisweilen hat behaupten wollen. Wenn Rudenz uns ganz unerlässlich vorkommt, als der Repräsentant jenes Teils des Adels, welcher sich, verblendet vom Glanz der Herrschaft, der fremden Unterjochung angeschlossen hatte, so ist das ein nur gar zu wahr erfundener Zug, der zu allen Zeiten und bei den Deutschen ganz insbesondere vorgekommen ist, den sie in der Wirtschaft des kurz nachher auftauchenden westfälischen Hofs und anderwärts für die Ehre unserer Nation leider viel zu unmittelbar vor Augen hatten. Wie Rudenz zu Attinghausen sagt: „Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause“, und ihm sein Ohm die ganze Leere der Gründe, die zu solchem Abfall treiben, treffend schildernd, erwidert:

Ja, leider bist du’s! Leider ist die Heimat
Zur Fremde dir geworden! Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,
Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau
Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern;
Den Landmann blickst du mit Verachtung an
Und schämst dich seiner traulichen Begrüssung. . . .
Dich allein rührt nicht
Der allgemeine Schmerz — dich siehet man,
Abtrünnig von den Deinen, auf der Seite
Des Landesfeindes stehen, unsrer Noth
Hohnsprechend, nach der leichten Freude jagen
Und buhlen um die Fürstengunst, indess
Dein Vaterland von schwerer Geisel blutet —

so lässt sich die Beziehung dieser Schilderungen auf das, was der Dichter selber noch teilweise mit ansah, so wenig als die noch so vieler andern im „Tell“ schwerlich verkennen.

So armselig die Gründe sind, welche Rudenz angibt für sein frivoles und treuloses Tun:

Ja, ich verberg‘ es nicht — in tiefer Seele
Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns
Den Bauernadel schalten. . .
Vergebens widerstreben wir dem König.
Die Welt gehört ihm: wollen wir allein
Uns eigensinnig steifen und verstecken,
Die Länderkette ihm zu unterbrechen,
Die er gewaltig rings um uns gezogen? —

so sind sie doch nicht minder in der Regel die bestimmenden gewesen, auch in unserer Periode, man hörte sie in der Napoleonischen Zeit von allen Anhängern des Rheinbundes mit größter Schamlosigkeit vorbringen und es half lange Zeit wenig, dass die echten Konservativen, die Heroengestalten, an denen der deutsche Adel auch damals keineswegs arm war, gleich Attinghausen den Überläufern entgegenhielten:

Nein, wenn wir unser Blut dran setzen sollen,
So sei’s für uns — wohlfeiler kaufen wir
Die Freiheit als die Knechtschaft ein ! …
Ans Vaterland, ans theure, schliess dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen!
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.

Die Jugend, deren beide Richtungen wir in Rudenz und Melchthal repräsentiert sehen, die die neue Zeit heranführt, muss ihre eigenen Bildungsprozesse durchmachen. Bei Rudenz führt er zu einem glücklichen Ende durch die kerngesunde, echte Gesinnung des Fräuleins, die ihn an sich gefesselt, die die Schweizerin in jedem Zug ausspricht, obwohl sie nicht speziell den Waldstätten angehört. Der kühnen Jägerin ganzes Herz schlägt mit jener liebenswürdigen Treue der Frauen für die geliebte Heimat, und was die Gründe des Onkels nicht vermochten, gelingt ihrer zornigen Zärtlichkeit mit leichter Mühe, denn beschämt vor einem geliebten Weib zu stehen, erträgt kein Mann, der noch einen Funken von Ehre hat. Er kann aber durch falsche Schlussfolgerungen, irrige Systeme verführt werden, während die Frau den ersten großen Forderungen der Natur immer nahe bleibt, immer leichter zu ihnen zurückkehrt. Wenn sie dem Irregeleiteten daher mit der vernichtenden Kraft der Wahrheit bei seinen Liebesbeteuerungen das einfache Dilemma entgegenhält:

Dürft Ihr von Liebe reden und von Treue, .
Der treulos wird an seinen nächsten Pflichten. …
Mich denkt Ihr auf der Seite des Verraths
Zu finden? Eher wollt’ ich meine Hand
Dem Gessler selbst, dem Unterdrucker schenken,
Als dem naturvergessnen Sohn der Schweiz,
Der sich zu seinem Werkzeug machen kann! . …
Gibt’s schönre Pflichten für ein edles Herz
Als ein Vertheidiger der Unschuld sein,
Das Recht der Unterdrückten zu beschirmen? …
Ihr aber, den Natur und Ritterpflicht
Ihm zum geborenen Beschützer gaben,
Und der’s verlässt, der treulos übertritt
Zum Feind „und Ketten schmiedet seinem Land,
Ihr seid’s, der mich verletzt und kränkt —

so ist die Logik ihrer Gründe derart, dass ihr kaum ein Jünglingsgemüt widerstehen kann. Der gerade edle Sinn des Mädchens zerreißt wie ein Spinnengewebe die schwächlichen Gründe, die er ihr entgegenhält, wenn er einwendet, wie so viele es auch zur Napoleonischen Zeit ähnlich sagten:

Will ich ‘denn nicht das Beste meines Volks?
Ihm unter Oestreichs mächt‘gem Scepter nicht
Den Frieden —?

Bertha ist eine echte, frische Alpenrose, sie ziert sich nicht mit dem Bekenntnis ihrer Neigung, sie wirft es dreist in die Waagschale, um den Jüngling hinüberzuziehen:

Rudenz.
Bertha! Ihr hasst mich, Ihr verachtet mich!

Bertha.
Thät’ ich’s, mir wäre besser. — Aber den
Verachtet sehen und verachtungswerth,
Den man gern lieben möchte! —

Und dass sie ihn wirklich liebt, dafür bürgt uns die Ungeduld, mit der sie es erträgt, ihn verachten zu sollen. Nichts aber wirkt zwingender für uns, als wenn man eine gute Meinung von unserm Charakter ausspricht, wenn man die Voraussetzung sehen lasst, dass wir etwas Schlechtes zu tun nicht im Stande sind. Selten werden wir dann noch wagen zu widerstehen, sie nicht zu rechtfertigen. Wenn ihm Bertha daher weiter sagt:

Nein, nein! Das Edle ist nicht ganz erstickt
In Euch! Es schlummert nur, ich will es wecken —

so ist ihr Sieg entschieden; denn welcher Liebende vermochte es, der Geliebten gegenüber eine Gelegenheit zu versäumen, sich edel zu zeigen?
Eine von Natur kühne Frau wird herrschsüchtig, mischt sich in die Geschäfte des Mannes nur dann, sobald sie sieht, dass er seiner Pflicht fehle und schwach wird; sie tritt. aber umso lieber augenblicklich in ihre Sphäre zurück, sobald er seiner Pflicht genügt, Mut und Entschlossenheit zeigt. Dann erscheint bald nur wieder das liebende Weib, das bloß um sein Wohl besorgt ist. Haben wir also Bertha in der ersten Scene ihn mit stolzem Hohn übergießen sehen, ist sie nicht nur als kernhafte, derbe, deutsche Maid, sondern auch als ein Glied der heimischen Opposition erschienen, so lässt sie das alles fallen, als der Geliebte, zu seiner Pflicht zurückkehrend, mit furchtloser Entschiedenheit dem Landvogt entgegentritt:

Ich hab’ still geschwiegen
Zu allen schweren Thaten, die ich sah. …
Doch langer schweigen wär’ Verrath zugleich
An meinem Vaterland und an dem Kaiser. …
Das Beste aller glaubt’ ich zu befördern,
Da ich des Kaisers Macht befestigte —
Die Binde fällt von meinen Augen —

da denkt sie nur noch an ihn und sucht ihn zurückzuhalten; die Heldenjungfrau verschwindet, weicht dem liebenden Weib, das schließlich am Herzen des durch sie zu seinem Volk zurückgeführten Geliebten seine neue Heimat findet.