Charkaterisierung von Hedwig – Tell’s Frau, Zeichnung von Friedrich Pecht

Hedwig - Tell's Frau, Charakter aus dem Schiller-Drama Wilhelm Tell, Zeichnung von Friedrich Pecht

Hedwig – Tell’s Frau, Charakter aus dem Schiller-Drama Wilhelm Tell, Zeichnung von Friedrich Pecht, 1859

Charakterisierung von hedwig, Tells Frau

aus der „Schiller-Galerie“, 1859



Ohne Zweifel ist der „Tell“ dasjenige der Schiller’schen Stücke, das dem “Wallenstein“ am ehesten den Rang streitig machen kann; steht es ihm in der geschlossenen Komposition nach, so hat dagegen vielleicht keins so mächtig und erhebend auf die Zeitgenossen gewirkt, als dieser erhabenste Schwanengesang unsers Dichters. Diese Höhe dankt es aber nicht zum wenigsten der wunderbaren Wahrheit des Lokaltons, mit dem er sein Gemälde auszustatten gewusst hat, die ihm einen ganz eigentümlichen Reiz verleiht, der umso mehr zu bewundern ist, als Schiller bekanntlich nie in der Schweiz war, weder Gegend noch Volk aus eigener Anschauung kannte. — Aber nicht nur ist die landschaftliche Szenerie mit einer unübertrefflichen Treue geschildert, sondern auch die ganze Denk- und Empfindungsweise des frommen und kräftigen, männlich stolzen Gebirgsvolks ist mit merkwürdiger Sicherheit getroffen, und ebenso hat Schiller den schlichten Ton desselben mit großer Geschicklichkeit der Pracht seiner Sprache zu vermählen gewusst, sodass uns viele Stellen des Stücks. anmuten wie ein Gesang des Homer, wo denn freilich noch die weitere Ähnlichkeit auffällt, dass der Stoff des „Tell“ nicht minder als dieser schon als ein Erzeugnis der echtesten von allen, der Volkspoesie, vorlag und bei beiden der Dichter nur noch die künstlerische Form dazu zutun hatte, sodass wir den „Tell“ neben den „Nibelungen“ und dem „Faust“ als das dritte unserer großen nationalen Gedichte betrachten dürfen.

In dieser Natürlichkeit von Ton und Haltung mit am allergelungensten von allen Figuren des Stücks ist Hedwig, Tells Frau, die unsere Aufmerksamkeit zwar nur in drei kurzen Szenen in Anspruch nimmt, aber doch uns hier schon in jedem Stück die Denkungsart der echten Bäuerin zeigt. Höhere, aufs Allgemeine gerichtete Ideen, wie sie der mehr zum Heroischen, Unternehmenden neigende Charakter der feiner gebildeten Frau des Stauffacher hegt, liegen ihr fern, ihre Welt ist ganz allein in ihrem Hause, in ihrem Mann und ihren Kindern. Für diese besitzt sie aber eine um so rührendere Liebeskraft, die sich wie bei so vielen sanftern weiblichen Geschöpfen besonders immer in ewiger Furcht um sie äußert: eine Form die Zärtlichkeit zu verstecken, deren ungekünstelter und naiver Ausdruck uns tief bewegt, wenn der Tell ihr sagt, dass ihn die Natur nicht zum Hirten gemacht habe, und sie dann seines Jägerhandwerks gedenkend, in die Worte ausbricht:

Und an die Angst der Hausfrau denkst du nicht,
Die sich indessen, deiner wartend, härmt.
Denn mich erfüllt’s mit Grausen, was die Knechte
Von euern Wagefahrten sich erzählen.
Bei jedem Abschied zittert mir das Herz,
Dass du mir nimmer werdest wiederkehren.

Wenn sie der Künstler daher so dargestellt hat, wie sie den Gatten erwartet und ihm nachsinnt, so hat er ihr diese Stellung gegeben, weil sie die ihren Charakter am meisten bezeichnende Passivität und Innerlichkeit am entschiedensten auszusprechen schien. Zu den derben kräftigen Formen der Hausfrau, die überall selbst zugreift und von früh bis spät an der Arbeit ist, war hier der schier kindliche sinnende Ausdruck eines Gesichts zuzugesellen, das Sanftmut und tiefe starke Empfindung zugleich ausspräche, die sich aber für den geliebten Mann, die teuern Kleinen zur höchsten Leidenschaft zu steigern doch vermag. Am liebenswürdigsten ist sie vielleicht, wie sie, immer in Angst um ihn, sein mutiges Wagen für andere, die ihn nichts angehen, nicht versteht, und doch der Stolz auf ihn überall durchblickt, wenn sie ihm verwirft:

Sie werden dich hinstellen, wo Gefahr ist;
Das schwerste wird dein Antheil sein, wie immer. …
Den Unterwaldner hast du auch im Sturme
Ueber den See geschafft. — Ein Wunder war’s,
Dass ihr entkommen. — Dachtest du denn gar nicht
An Kind und Weib? …
Zu Schiffen in dem wüt‘gen See! Das heisst
Nicht Gott vertrauen! Das heisst Gott versuchen …
Ja, du bist gut und hülfreich, dienest allen,
Und wenn du selbst in Noth kommst, hilft dir keiner.

Ist das nicht echt hausfraulich gedacht? Der weiblichen Natur wird alles Allgemeine nur begreiflich, wenn sie sich es persönlich zu machen vermag, die Liebe erst macht ihr die Aufopferung verständlich und so sieht sie dieselbe auch bloß bei ihrem Mann, während ihr die andern neben ihm egoistisch und beschränkt vorkommen. Wenn die Furcht die Lust am Wagnis nicht begreift, so hat sie dagegen desto schärfere Augen für die Gefahr. Mit welchem Scharfsinn errät sie den Zorn des Landvogts, als ihr Tell erzählt, wie ihm derselbe im Gebirge begegnet sei und sich vor ihm gefürchtet habe:

Er hat vor dir gezittert? — Wehe dir!
Dass du ihn schwach gesehn, vergibt er nie.

Ganz Frauenart ist es auch, dass sie wohl sich erlaubt, über den geliebten Mann zu schmähen, sein Tun zu schelten:

Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind …
O, hätt‘ er eines Vaters Herz, eh’ er’s
Gethan‚ er wäre tausendmal gestorben …
Und lebt’ ich achtzig Jahr — ich seh’ den Knaben ewig
Gebunden stehn‚ den Vater auf ihn zielen,
Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.

und doch, sowie ihr jemand den Mangel an Mitgefühl für ihn vorwirft, rasend auffahrt und mit vernichtendem Hohn dem Baumgarten und den andern entgegenwirft:

Hast du nur Thränen für des Freundes Unglück?
— Wo waret ihr, da man den Trefflichen
In Bande schlug? Wo war da, eure Hülf? …
Hat der Tell
Auch so an euch gehandelt?

Jetzt erst kommt sie ganz zum Bewusstsein ihres Verlustes und Schmerzes, die Leidenschaft macht sie beredt und schärft ihr den Blick, während sie eben noch über ihn gescholten, zeigt sie fortfahrend auf einmal, dass sie wohl weiß, was sie und alle an ihm hatten:

Was könnt ihr schaffen ohne ihn‘? — Solang
Der Tell noch frei war, ja, da war noch Hoffnung,
Da hatte noch die Unschuld einen Freund,
Da hatte einen Helfer der Verfolgte,
Euch alle rettete der Tell — ihr alle
Zusammen könnt nicht seine Fesseln lösen!

Aber lange, todesbange Tage müssen noch vergehen, bis die Ketten gesprengt sind; hat sie ‚erst die Nachricht von seiner Tat mit schaudernder Furcht erfüllt, die sich erst in Hoffen und Freude allmählich auflösen konnte, als sie sah, wie die Tat des Tell das Signal zur Befreiung des ganzen Landes geworden, wie der, den sie als flüchtigen Mörder anfangs verfolgt glauben musste, jetzt als Erretter des Vaterlandes zu ihr zurückkehren soll, welchen Kreislauf erschütterndster Empfindungen hatte da die Arme zu durchlaufen! Wie hinreißend wird uns dieses Wiedersehen geschildert, wenn die von Schmerz und Freude gleich gehobene Frau den Kindern den Vater erst ankündigt:

Heut’ kommt der Vater. Kinder, liebe Kinder!
Er lebt, ist frei, und wir sind frei und alles!
Und euer Vater ist’s, der’s Land gerettet.

dann gegen Walti, der sein Teil des Ruhms in Anspruch nimmt, in die Worte ausbricht:

Ja, du bist mir wieder
Gegeben! Zweimal hab ich dich geboren!
Zweimal litt ich den Mutterschmerz um dich!
Es ist vorbei — ich hab euch beide, beide!
Und heute kommt der liebe Vater wieder!

dann ihr aber, da sie den geliebten Mann kommen hört, die Stimme versagt, die Knie Wanken und sie sich zitternd an der Thür festhalten muss, vor Entzücken ihm nur weinend in die Arme sinken kann!

Wer sollte hier, bei der Darstellung dieses schönen echt menschlichen Verhältnisses nicht ahnen, um wieviel enger und beseligender das Band ist, das glückliche Gatten umschlingt, als das, welches bloß Liebende verbindet?