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805. An Goethe, 27. März 1801

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Jena, 27. März 1801.

Ich werde Jena nun bald verlassen, zwar mit keinen großen Thaten und Werken beladen, aber doch auch nicht ohne alle Frucht; es ist doch immer so viel geschehen als ich in eben so vieler Zeit zu Weimar würde ausgerichtet haben. Ich habe also zwar nichts in der Lotterie gewonnen, habe aber doch im Ganzen meinen Einsatz wieder.

Auch von der hiesigen Welt habe ich, wie es mir immer geht, weniger profitirt, als ich geglaubt hatte; einige Gespräche mit Schelling und Niethammern waren alles. Erst vor einigen Tagen habe ich Schelling den Krieg gemacht wegen einer Behauptung in seiner Transscendental-Philosophie, daß »in der Natur von dem Bewußtlosen angefangen werde um es zum Bewußten zu erheben, in der Kunst hingegen man vom Bewußtsein ausgehe zum Bewußtlosen.« Ihm ist zwar hier nur um den Gegensatz zwischen dem Natur- und dem Kunstproduct zu thun, und in so fern hat er ganz recht. Ich fürchte aber, daß diese Herren Idealisten ihrer Ideen wegen allzuwenig Notiz von der Erfahrung nehmen, und in der Erfahrung fängt auch der Dichter nur mit dem Bewußtlosen an, ja er hat sich glücklich zu schätzen, wenn er durch das klarste Bewußtsein seiner Operationen nur so weit kommt, um die erste dunkle Totalidee seines Werks in der vollendeten Arbeit ungeschwächt wieder zu finden. Ohne eine solche dunkle, aber mächtige Totalidee die allem technischen vorhergeht, kann kein poetisches Werk entstehen, und die Poesie, däucht mir, besteht eben darin, jenes Bewußtlose aussprechen und mittheilen zu können, d. h. es in ein Object überzutragen. Der Nichtpoet kann so gut als der Dichter von einer poetischen Idee gerührt sein, aber er kann sie in kein Object legen, er kann sie nicht mit einem Anspruch auf Nothwendigkeit darstellen. Eben so kann der Nichtpoet so gut als der Dichter ein Product mit Bewußtsein und mit Nothwendigkeit hervorbringen, aber ein solches Werk fängt nicht aus dem Bewußtlosen an, und endigt nicht in demselben. Es bleibt nur ein Werk der Besonnenheit. Das Bewußtlose mit dem Besonnenen vereinigt macht den poetischen Künstler aus. Man hat in den letzten Jahren über dem Bestreben der Poesie einen höheren Grad zu geben, ihren Begriff verwirrt. Jeden, der im Stande ist, seinen Einpfindungszustand in ein Object zu legen, so, daß dieses Object mich nöthigt, in jenen Empfindungszustand überzugehen, folglich lebendig auf mich wirkt, heiße ich einen Poeten, einen Macher. Aber nicht jeder Poet ist darum dem Grad nach ein vortrefflicher. Der Grad seiner Vollkommenheit beruht auf dem Reichthum, dem Gehalt, den er in sich hat und folglich außer sich darstellt, und auf dem Grad von Notwendigkeit, die sein Werk ausübt. Je subjectiver sein Empfinden ist, desto zufälliger ist es; die objective Kraft beruht auf dem ideellen. Totalität des Ausdrucks wird von jedem dichterischen Werk gefordert, denn jedes muß Charakter haben, oder es ist nichts; aber der vollkommene Dichter spricht das Ganze der Menschheit aus.

Es leben jetzt mehrere so weit ausgebildete Menschen, die nur das ganz vortreffliche befriedigt, die aber nicht im Stande wären, auch nur etwas gutes hervorzubringen. Sie können nichts machen, ihnen ist der Weg vom Subject zum Object verschlossen; aber eben dieser Schritt macht mir den Poeten.

Eben so gab und giebt es Dichter genug, die etwas gutes und charakteristisches hervorbringen können, aber mit ihrem Product jene hohen Forderungen nicht erreichen, ja nicht einmal an sich selbst machen. Diesen nun, sage ich, fehlt nur der Grad, jenen fehlt aber die Art, und dieß meine ich wird jetzt zu wenig unterschieden. Daher ein unnützer und niemals beizulegender Streit zwischen Beiden, wobei die Kunst nichts gewinnt; denn die Ersten welche sich auf dem vagen Gebiet des Absoluten aufhalten, halten ihren Gegnern immer nur die dunkle Idee des Höchsten entgegen, diese hingegen haben die That für sich, die zwar beschränkt, aber reell ist. Aus der Idee aber kann ohne die That gar nichts werden.

Ich weiß nicht, ob ich mich deutlich genug ausgedrückt habe, ich möchte Ihre Gedanken über diese Materie wissen, welche einem durch den jetzigen Streit in der ästhetischen Welt so nahe gelegt wird.

Von hier aus werde ich Ihnen wohl nicht mehr schreiben, denn ich denke auf den Mittwoch wieder nach Weimar zu kommen; vielleicht sind Sie dann wieder dort, und unsere Mittheilungen können wieder eröffnet werden.

Ich danke für die Portugiesische Reisebeschreibung; sie ist nicht übel geschrieben, doch etwas dürftig und nicht ohne Ansprüche. Der Verfasser scheint mir zu den Verstandesmenschen zu gehören, die im Herzen feindlicher gegen Philosophie und Kunst gesinnt sind, als sie gestehen. Dieß hat zwar bei dieser Reisebeschreibung nicht viel zu sagen, aber es drückt sich doch aus und wird empfunden.

Leben Sie recht wohl und genießen Sie heitere Tage.

Sch.