HomeDie Horen1797 - Stück 7II. Briefe von Amanda und Eduard. [Sophie Mereau]

II. Briefe von Amanda und Eduard. [Sophie Mereau]

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Fortsetzung.

Vierter Brief.

Eduard an Barton.

Nicht immer, mein Barton, fühle ich mich so glücklich, als an dem Tag, wo ich Dir zulezt schrieb. Eine Unruhe überfällt mich zuweilen und treibt mich rastlos umher. Die muntern Freuden des Lebens rauschen dann an mir vorüber und ihr wehender Fittig wekt die Sehnsucht meines Herzens nicht. Und doch ist die jugendliche Glut der Gefühle nicht im mindesten erloschen; vielmehr umfasse ich die Gegenstände stärker, inniger, aber ich umfasse seltner, weniger. Das Gewöhnliche reizt mich nicht mehr; ich strebe nach Ungewöhnlichem, nach Höherm. Ich sehne mich nach einem hellern Aufblik in die Thätigkeit des Lebens, und das verworrene Gemählde menschlicher Wünsche und Handlungen wirkt in gewissen Augenbliken dumpf und drükend auf meinen Geist. Treffe ich auf meinem Weg eine blos einseitig gelehrten Mann, dem eile ich wohl kalt und stolz vorüber, finde ich aber einen, mit interessantem Gesicht, wo Leidenschaften geherrscht, aber nicht gewüstet haben, der den freien Schwung der Unterhaltung nicht mit seinen Ideen gewaltsam bändigen will, aber ihn geschikt, und wie wir es gerne mögen, zu lenken weis, so fühl’ ich mich sanft zu ihm hingezogen und möcht’ ihn bitten: „o du! der du die geheimen Irrgänge des Herzens beobachtetest und selbst durchwandeltest, ihre Erscheinungen auf dem großen Gemählde des thätigen Lebens wahrzunehmen und zu unterscheiden weißt, o schließe dienen innern Reichthum vor mir auf und befriedige meine brennende Sehnsucht!“ – Giebt es etwas süsseres, mein Freund, als der großen Harmonie zu lauschen, die aus dem Strom des Lebens hervorquillt, und mit geläutertem Sinn die schönen Töne zu vernehmen, die im freien Spiel der Herzen erklingen? und wird es nicht dem, der dies vermag, dann auch gelingen, die bunten Gaukeleien des Zufalls nach Gefallen zu ordnen und den verworrenen Stoff in eine bestimmte Form zu zwingen? Mit schöpferischer Hand drükt er der todten Natur Spuren eines denkenden Wesens ein, und die ewigen Zweke des Lebens gehen in Stunden heiliger Begeisterung faßlich und rein vor seiner Seele vorüber.

Meine liebste Hofnung ist auf die Zeit gerichtet, wo mein Vater seine, mir zum Theil noch unbekannten Pläne mit mir ausführen will, auf die Zeit, wo mich vielleicht eine andre Hemisphäre aufnehmen und mit ihren Wundern beglüken wird. Diese Idee, die du mich freilich nur hast ahnen lassen, ist meine Geliebte, die mich durch ihr wunderbares Halbdunkel unaufhörlich reizt und an sich zieht; und ich bitte dich, mein Barton, wenn du etwas zur Annäherung meines Ziels beitragen kannst, so thue es und mache deinen Freund so bald als möglich glüklich.

Ich weihe dir noch die lezten Augenblike dieses Tags. Morgen reise ich auf das Landgut des Herrn von B*** wo er eine trefliche Sammlung physikalischer Instrumente aufbewahrt, und wo ich mir für meine Wißbegier, die jetzt vorzüglich auf Naturwissenschaft gerichtet ist, eine reichliche Erndte verspreche.

Von einem weiten Spaziergang bin ich heute mehr unruhig als ermüdet zurükgekommen. Ein neues Leben regt sich durch die Natur. Die Wiese hat das matte Wintergrün abgestreift, die lezten dürren Blätter begraben sich leise in dem rauschenden Strom. Ein neues Gebilde schießt hervor, ein frisches Grün breitet sich über den Grund, die Bäume schwellen von junger Lebenskraft. Meine Sehnsucht lokte mich auf die Höhen und ich drang durch die reine Luft hinauf. Mit welcher Lust erblikte ich unter mir den Raum immer mehr an Ausdehnung und Mannigfaltigkeit gewinnen, und ich dünkte mich an Freunde und Einsichten reicher, jemehr die Fläche immer gewaltiger anwuchs! So immer höher zu steigen, dachte ich, und in heiliger Einsamkeit die ganze Erde ihren einfachen Gesezen gemäß, dahin wandeln zu sehen, dann den unersättlichen Durst zu befriedigen und den Sonnen und Sternen ihre ewigen Geheimnisse abzulauschen! – Ach! daß es einen Punkt giebt, wo alles sich in Nebel hüllt, wo der Blik des menschlichen Auges, wie des menschlichen Geistes traurig an der Gränze haftet, die eine unbegreifliche Macht seiner durstigen Neugier vorschob! – Hier, wo sonst alles den Zwek erreicht, zu dem seine innren Kräfte es bestimmen, wo alles in friedlicher Nothwendigkeit die beschriebene Bahn durchläuft, wo für jedes Bedürfniß des sichern Instinkts gesorgt ist, was soll dieser freie unauslöschliche Durst, der die Bahn des Nothwendigen verläßt und lieber, ewig unbefriedigt, vor der geheimnißvollen lezten Ursache alles Lebens, aller Bewegung stehen bleibt, ehe er mit den Wirkungen zufrieden, ruhig den kurzen Traum des Lebens genießt? – Und doch, mein Barton, wäre der ewige Streit über unser eignes Wesen entschieden, der geheimnißvolle Schleier der Natur zerrissen, so wäre ein Stillstand aller Thätigkeit, alles Trebens in uns. Ewig müssen wir suchen, indeß ein jeder das große Geheimniß unsres Wesens und unsrer Hofnungen unerkannt und ahndungsvoll in seinem eignen Busen trägt.

Fünfter Brief.

Amanda an Julien.

Dies kleine fröhliche Städtchen gefällt mir mit jedem Tage mehr. Das ruhige Leben, das ich hier führe, läßt mich meinen Träumen ungestört nachhängen und mildert manches traurige Bild, das sich mir, als ich im Geräusche lebte, oft ungerufen mit schreienden Farben und bitterm Kontrast darstellte. Die sanfte Luft, die mir entgegenströmt, das Reizende der Gegend, die lieblichen Frühlingsdüfte, die aus tausend blühenden Pflanzen und Gesträuchen mir entgegenquellen – alles das bewegt mich im Innersten, und das Bewegte ordnet sich allmählig zu einem sanften, harmonischen Ganzen. Könnte ich nur diese Sehnsucht nach einem verwandten Wesen, nach jener, vielleicht nur erträumten Seelenharmonie, die mich jetzt lebhafter als je ergreift, könnte ich nur diese vergessen, so würde ich ganz glüklich seyn. Ich seh’ es ein, daß ich so vieles habe, was die Wünsche andrer Menschen reizt. In der Blüthe der Jahre, in der vollen Kraft der Gesundheit gewährte mir ein günstiges Schiksal machen fröhlichen Genuß, manche schöne Beziehung des Lebens, die so viele unter ewigen Wünschen, unter Sorgen und Gram nur spät, und oft nie erreichen. Ich habe alle Mittel das Leben zu geniessen, warum fehlt mir doch oft der Sinn dafür? Warum flegen alle meine Gedanken dem Einen nach, was mir fehlt, da mich das Mannigfaltige, was ich besize, genug beschäftigen könnte? – Ja, ich will allein seyn, meine Julie! – ist es denn so unmöglich, daß ein Weib sich selbst genug seyn kann? – sind unsre Herzen durchaus dazu geschaffen, in einem einzigen Gefühl die ganze Welt zu genießen, und warum sollten wir dies Gefühl nicht über die ganze Welt verbreiten können? – Wenn ich die Liebe, die ich ungetheilt in meinem Herzen verschließe, auf die ganze Welt übertrage, wenn ich einzeln und zerstreut die schönen Blumen breche, die das Schiksal nun einmal nicht für mich in einen Straus zusammenband, werde ich da nicht glüklich seyn?

Ich habe, seit ich mich in dieser Stimmung zu bestärken suche, schon viel frohe Momente gehabt. Kaum sind es einige Wochen, seit ich hier bin, und dennoch seh’ ich mich bereits mit einer Innigkeit geliebt, die mir nichts mehr zu wünschen übrig läßt. Mein Liebhaber ist ein wunderliches Geschöpf, das jeden Eindruk willig von mir annimmt und sich ganz davon beherrschen läßt, ohne sich nur im geringsten darum zu bekümmern, ob er mich dagegen wieder beherrscht, und ohne dabei von seiner Originalität zu verlieren, der, ob er gleich das sinnlichste Wesen von der Welt ist, bei stundenlangem Alleinseyn, auch das Auge der Eifersucht selbst nicht zum Argwohn reizen würde, der mich ungestört meinen Launen nachhängen läßt, und mich nie um meine Geheimnisse fragt. – Willst du diesen seltnen Liebhaber, ohne Herrschsucht, ohne Zudringlichkeit und Anmaßung näher kennen lernen, so sage ich dir, daß ein kleiner sechs oder siebenjähriger Knabe ist, der meiner Wirthin angehört. Das Kind hat etwas so edles, bedeutendes in seinem Wesen, daß ich ihn unbeschreiblich anziehend finde. In den ersten Tagen meines Hierseyns traf ich ihn meist auf der Flur des Hauses, wo er mit einem bunten, zahmen Täubchen spielte, das er immer mit sich herum trug und ganz besonders zu lieben schien. Lange konnte ich ihm keine Rede abgewinnen, und nur dadurch, daß ich seinem geliebten Täubchen alle Tage eine Hand voll Körner brachte und weiter gar nicht auf ihn zu achten schien, erwarb ich mir sein Zutrauen. Seitdem bringt er den größten Theil des Tages bei mir zu, und die Hofnung etwas zur Verschönerung seines innern und äusern Lebens beitragen zu können, ist mir unbeschreiblich süß. Ach! daß Albret diese Freuden nicht theilen kann! wie unglüklich ist das Herz, das sich so unschuldigen Gefühlen nicht zu überlassen wagt! Albret sah den Kleinen auf meinem Zimmer, und sein liebenswürdiges und sonderbares Wesen schien ihn unwiderstehlich anzuziehen. Er rief ihn zu sich, betrachtete ihn aufmerksam, spielte mit ihm – ja er war, wie ich ihn noch nie gesehen. Aber bald gefiel dem veränderlichen Knabensinn das Spiel nicht mehr, er ward ungedultig, und als ihn Albret durch sein Zureden und durch mancherlei Einwendungen noch mehr aufgebracht hatte, sagte er mit stolzem Ton: du kannst nur gehen, ich will dich nicht mehr. Wie stark diese kindische Unart auf Albrecht wirkte, beschreibe ich dir kaum. Ich sah mit Erstaunen, wie seine gewohnte Fassung ihn, einige Momente lang, ganz verließ, wie sein Auge sich dunkle zusammenzog und eine schnelle Röthe auf seine Wangen flog, und ich eilte, den Knaben zu entfernen, ehe noch sein ganzer Unwille über ihn ausbrach. Ist diese schnell zu reizende Bitterkeit das Werk der Natur, oder ist sie das Symptom eines von Schiksal grausam behandelten Herzens? – O daß ich dies lezte glauben dürfte, wie gern wollte ich theilen, was auf diesem Herzen lastet! – aber umsonst suche ich mich in sein Vertrauen einzustehlen. Er verschmäht die Hülfe, die ich ihm freilich nur noch durch Blik und Geberde anzubieten wage!

Ich habe lange am Fenster gestanden, meine Liebe, um den Mond aufgehen zu sehen, und von der lauen Luft umspielt, meine Blike träumend in die nächtliche Gegend hin ergossen. Wie mild doch jede Naturscene die Seele zu stimmen und über das harte Gemählde des Menschenlebens ein weiches, geistiges Colorit zu hauchen vermag! Über den Berg erhob sich ein wankender Schein, der sich immer weiter und weiter verbreitete. Das tiefe Schweigen der Lüfte, die feierlicher Erwartung in der Natur, der wachsende Schimmer des Himmels, alles verkündigte die nahende Erscheinung einer Gottheit. – Sie stieg herauf, in Glanz gehüllt, die Beherrscherin der Nacht und ein silbernes Licht strömte aus ihrem Auge über die Erde hin. Mit dem fluthenden Schimmer wallte eine Unruhe in mein Herz. Waren es Ahndungen oder Erinnerungen, die meinen Blik in ein schattiges, mit wankenden Gestalten erfülltes Halbdunkel hinabzogen? In Träumen aufgelöst und von dem langen Wiegenlied der Grillen in tiefe Selbstvergessenheit gesungen, stand ich lange da, und sah dem ewigen Tanz der Wolken um unsern Erdkreis zu, bis endlich ein heller, kalter Strahl von Besonnenheit durch mein Innres zukte, und mich wieder zur Gegenwart zurükbrachte. Lange hatte ich diese Art von Schwärmerei nicht empfunden, und hielt sie beinah ganz für mich verlohren. Ich habe, so jung ich auch bin, zu viel erfahren, zu viel mit Menschen gelebt, zu viel beobachtet, um auf das Entzüken dieser jugendlichen Begeistrung noch oft hoffen zu dürfen. Aber wer wollte nicht wünschen, daß es möglich wäre, in diesem Blüthenraum der Jugend, wo die Zukunft noch wie ein Feenland vor uns liegt und ein ewiges Morgenroth der Hofnung unsre Aussicht bekränzt, das ganze flüchtige Leben wegträumen zu können? Warum treibt der scharfe hauch der Zeit uns so schnell aus diesen Blumenthälern hinweg, wohin kein Weg zurükführt?

Wenn ich in die Zeiten zurükgehe, wo sich die Schale der Thierheit zuerst von mir abzustreifen begann, und meinem kleinen kindischen Herzen bei seinen einsamen Freunde oft so wehmüthig wohl war. Die Fähigkeit zu allen süssen und traurigen Empfindungen lag da noch unentwikelt in mir, und das ungeduldige Streben nach Enwiklung war es, was mich mit so wunderbarem Schauer ergriff, wenn im Lenz die jungen zarten Sprossen, wie leichtes grünes Bewölk um den Baum unter meinem Fenster schwammen, oder im Herbst bei hohen sternenhellen Himmel die Lüfte mit Geisterstimmen durch welke Büsche rauschten. Bei der stillen Beschauung eines jugendlich sprossenden Zweigs, einer einfach ländlichen Gegen empfand ich damals noch ungetheilt, alles was ich beim Anblik der schönsten Gegenden des Erdbodens, der rührendsten Naturerscheinungen jemals zu empfinden fähig war. Das Bild trat neu und ungetrübt vor die jugendliche Phantasie und der lebendige Eindruk ergoß sich mit sanfter Gewalt durch alle Saiten des erwachenden Gefühls. Deshalb umfaßte ich die kleine Welt, die um mich war, mit einer Innigkeit und Stärke, die niemals Worte finden konnte, weil ich es noch mit der ganzen ungebrauchten Kraft alle mögliche Eindrüke aufzufassen, that, und dahin wird und kann es niemals mit uns kommen. Das Sehnen nach Jugendgefühlen ist ewig vergebens! der Stoff ist nun entwikelt, die Empfindung hat Worte – vieles, was ich sonst dunkel träumte, begreif ich jetzt. Die liebliche Magie der Unerfahrenheit, die sonst Ursprung und Ende einer süssen Empfindung, wie mit einer Wolke überwebte, daß sie auf einmal dastand in ihrer Fülle, unbegreiflich und mächtig wie das Erschienen einer Gottheit, ist nicht mehr. Die Begeisterung verlischt mit der Neuheit, ich schaue heller in mein Herz und verfolge den leisen Gang fremder Eindrüke, die das zarte Seitengewebe desselben bewegen.

Wie ich bei dieser Überzeugung noch jener dunklen Sehnsucht nach Seelenharmonie und Liebe nachzuhängen vermag, fragst du, meine Julie? – Woher es auch kömmt, ich weiß es nicht, aber ich fühle, daß dies Bild ewig, wie ein verlohrnes Paradies, vor meiner Seele schweben wird. Wenn ich jetzt die Briefe von Julie und St. Preux, diese seltne, voll entfaltete Blüthe des menschlichen Gefühls lese, sie nicht lese, nein! sie empfinde, wenn sie mich mit einer Theilnahme, einer Begeistrung erfüllen, die keine kalte Beschauung zulässt, dann weine ich oft süsse Thränen, und oft durchwallt mich ein wunderbarer Schauer. So könnte ich auch lieben, denke ich, und seufze über das Geschik, das mir Alles gab, ausser dem Einen und in dem Einen mir alles versagte!

Sechster Brief.

Amanda an Julien.

Dein Brief hat mich angenehm gerührt. Du schilderst mir deine Lage so ruhig, du bist so harmonisch mit dir und deiner Welt, deine folgsame Phantasie trägt dich nicht über den Kreis der Wirklichkeit hinweg, und haucht nur ein lebendigeres Kolorit über die gemeinen Bilder des Lebens. Wie glüklich bist du, meine Julie! komm zu mir und lehre mich in meiner Lage zu seyn, was du in der Deinigen bist. Dein Anblik wird die stillen Bilder unsrer glüklichen Jugend an Blumenketten der Erinnerung wieder vor meine Seele führen, und meine gespannte Stimmung wohlthätig mildern. – Wenn wir uns allein fühlen, mag sich dann der lieblichste Sonnenschein in goldnen Wellen über die Gegend giessen; ein gleichgültiger Tag nach dem andern vergeht, und die Freude wird Wehmuth für den, der sie nicht theilen kann. Ich bin allein, allein mit der lebendigen Natur, und dieses Gefühl breitet über ihre fröhlichsten Bilder seinen schwermüthigen Schleier. Diese duftenden Lauben wollen ein liebendes Gespräch, diese reizenden Irrgänge wollen eine Bedeutung – dies Herz will nicht allein empfinden, nicht allein geniessen. Ach! vielleicht trennt nur ein blühendes Gebüsch, ein leichter Pfad ihn von mir, der es würdig wäre, diese Gefühle zu theilen! vielleicht wandelt er allein mit dem schönen, unbefriedigten Herzen, erstaunt, die todte Natur so lebendig, und die lebendige Welt so todt zu finden. Er weiß es nicht, daß die, die allein ihn verstehen kann, so nahe bei ihm ist. Er flieht das Glük, das er sucht – ein schadenfrohe Geist führt ihn ewig bei mir vorbey!

Du lächelst über meine Schwärmereien, Julie, aber laß mir diese süssen Täuschungen, sie allein sind mir Bürge, daß ich noch glüklich seyn kann. Glüklich ist der Mensch nur in seinem Gefühl. Er kann zufrieden seyn, mit sich, mit der Welt, durch Vernunft, durch reine Abwägung der Dinge – aber jene göttlichen Momente, wo der süsse Eindruk nur Bilder und keine Begriffe erwekt, wo wir uns rein und unmittelbar mit dem Gegenstand zu vereinigen scheinen, jene Augenblike voll Unendlichkeit, welche die Sprache, das Simbol der beschränkten Menschheit, nicht zu zeichnen vermag – diese liegen nur in unserm Gefühl. Zu lange, o! zu lange habe ich unter den Freuden des Lebens mit kalter Überlegung gewählt, ich möchte nicht mehr wählen, ich möchte hingerissen seyn. Diese Seligkeit, die in dem Tausch der Seelen, in dem Gedanken liegt, die Welt in einem fremden Herzen schöner zu geniessen, diese süsse Trunkenheit der Gefühle, warum versagt sie mir das Schiksal, nur mir allein? – In früher Jugend stand das Bild einer solchen Vereinigung lebhaft vor meiner Seele, Jahre lang schien es verschwunden zu seyn, aber jetzt stellen Einsamkeit, Natur und Rousseau es mir mit neuen Reizen dar. O wie ich seine Liebenden oft um ihre Entzükungen, ihre süssen Qualen beneide! – Soll ich sterben, ohne nur einmal geliebt zu haben? und habe ich mir dies Glük vielleicht nicht selbst entzogen? – Dieser Gedanke, der mir jetzt öftrer vorschwebt, hat wohl etwas trauriges, doch nichts kränkendes für mich. Die Gründe meiner Handlungen konnten irrig seyn, aber unrecht waren sie nicht, und mein Irrthum schadete keinem als mir selbst. Damals als ich mit Albret bekannt wurde, warst du nicht bei mir Julie, und ich irre mich wohl nicht, wenn ich jene Tage für den Zeitpunkt halte, wo du in deinem ganzen Leben den wenigsten Antheil an mir genommen hast. Es war unsre erste Trennung. Du warst hingereißt um mit deinem jungen, kann zum Gatten gewordnen Liebhaber, in euerm neuen Wohnort die ersten süssen Wochen einer bloß aus Liebe geschlossnen Ehe zu verträumen, und natürlich, daß dir da wohl wenig Zeit an deine Freundinn zu denken übrig blieb. Es hat mir, die gerade in diesen Momenten fester an dir hieng, als je, manche Thräne gekostet; desto erfreulicher ist mir jetzt der Gedanke, daß eine Freundschaft, welche dieser Klippe, der gefährlichsten, die weiblicher Freundschaft drohet, zu trozen wußte, auf der ganzen Reise des Lebens keinen Schiffbruch mehr zu besorgen hat.

Ich blieb allein, und bemerkte zum erstenmal nicht ohne Befremdung, daß unsre Denkungsart zwar harmonisch, aber nichts weniger als gleichförmig sey. Ich dachte mir dich als unaussprechlich glüklich, und ich grämte mich recht sehr, daß ich es auf deinem Weg nicht seyn und nie werden zu können glaubte. Ich hielt dich für besser, weil du glüklicher warst, und glaubte fast, ich verdiene von dir vergessen zu seyn. Unser Freund, der treue Brenda, besuchte mich oft, und suchte mich über deine Abwesenheit zu trösten, aber das, was eigentlich meinen Gram ausmachte, verstand er nie. Er lebte ganz für mich, und auch ich liebte ihn, wie ich glaubte; vielleicht auch nur, weil du es mir gesagt hattest. Aber diese Liebe füllte mein Herz nicht so sehr aus, daß darinnen nicht tausend Phantasien noch Raum gefunden hätten. Es war mir so süß, wenn ich an die Zukunft dachte, wie Kinder bei halbgeschlossnen Augen, eine Menge rosiger, goldner, verworrner Gestalten zu sehn. Ich konnte mir das Leben unmöglich wie einen geraden, offnen Weg denken, wo man schon beim Eintritt das Ende übersehen kann; vielmehr liebte ich mir einen verschlungenen, seltsamen Pfad voll romantischer Stellen und wechselnden Lichts zu träumen. Brenda, das wußte ich, war für diese Ideen nicht gestimmt; sie betrübten ihn sogar, und verursachten manches Mißverständniß zwischen uns. Demohngeachtet blieb er der einzige, an den sich meine jugendliche Neigung band.

Damals kam Albret in unsre Stadt. Sein erster Anblik machte einen tiefen, obgleich nicht angenehmen Eindruk auf mich. Ob er gleich nicht mehr jung war, so verdiente er doch mit Recht ein schöner Mann genannt zu werden, aber in seinen Zügen lag etwas verödetes und gewaltsames, das allen den heitern fröhlichen Bildern, die ich mir vom Lieben gemacht hatte, Hohn zu sprechen schien. Mein Vater hatte viel Geschäfte für ihn zu besorgen, er sagte, daß er ihn schon ehedem auf seinen Reisen an verschiedenen Orten kennen gelernt hätte, und schien von seiner Denkungsart eine grosse Meinung, wie von seinem Reichthum zu haben. Ich sah ihn oft, und lernte ihn jedoch nie kennen; denn er hatte in seinem Wesen etwas so willkührliches, entfernendes und planmäßiges, daß es nicht möglich war, etwas anders von ihm, als daß er unergründlich sey, zu wissen. Indessen übte die Reife seiner Urtheile und sein, bei allen Fällen bewiesner, wirklich erhabener Gleichmuth über meinen Verstand eine stille Gewalt aus, und ich konnte mich nicht enthalten in meinen Meinungen über die Liebe, Ehe und Lebensgenuß unvermerkt etwas von den seinigen anzunehmen. Das Geheimnißvolle seines Wesens nahm in meiner Phantasie bald die Gestalt der Größe an; und was vielleicht nur blosse Neugier war, kam mir bisweilen als ein achtungsvolles Interesse vor. Einst kam mein Vater mit einem auffallend bewegten Gesicht zu mir. Er sagte mir, daß Albret mich zur Gattinn begehrte, und dieß schien ihm für die Tochter eines nur mäßig bemittelten Mannes, wie er, ein so ganz unerwartetes Glük, daß er bei der Denkungsart, die er mir immer eigen zu machen gesucht hatte, Einwendungen von meiner Seite kaum für möglich hielt. Er frohlockte, mich nun bald an meinem rechten Ort zu sehn, und verließ mich, damit ich mich, wie er sagte, ohne Zwang freuen könne. War es, daß ich den guten Alten noch nie in einer solchen Rührung gesehen hatte, was mich so erschütterte, oder die Menge der neuen verworrenen Bilder, die gewaltsam an mein Herz strömten, genug ich war in einer fremden nie gefühlten Bewegung. Aber gewiss ist es, daß keine Freude sich in diese Stimmung mischte, vielmehr schien ein dunkles, trauriges Gefühl mich zurük zu ziehen. Diese Regung glaubte ich jedoch bekämpfen zu müssen – und Julie, hierinn that ich mir Unrecht. Warum unterdrükte ich dieß unschuldige Gefühl, gerade da, wo ich seinen leisesten Eingebungen hätte folgen sollen; warum bemühte ich mich kalten Verstandesregeln zu folgen, die so wenig für mein Alter passten? – Wenn es schön, sein Herz zu besiegen, so ist es wohl schöner, seinem Herzen zu folgen, und dennoch gut zu handeln.

Es liegt nicht in dem Geist des Zeitalters, sagte ich zu mir selbst, als ich, um mich zu sammeln, und ganz ungestört meine Lage überdenken zu können, in die verborgenste Laube unsers Gartens geflüchtet war, daß Liebe eine eheliche Verbindung schließt. Wie selten ist es auch bei der abhängigen Lage des Weibes, daß von ihrer Seite eine auf reine Harmonie gegründete, von allen eigennüzigen Gründen entfernte Neigung gedacht werden kann! und wenn, wie Erfahrung und Nachdenken lehren, jede Liebe vergänglich ist, ist es nicht gleichviel, ob sie unter Sättigung versiegt, oder von Trennung gewaltsam vernichtet wird? – Ich bin mir bewußt, viel Bedürfnisse und Wünsche zu haben, die ein freies, nicht von ängstlichen Sorgen bekümmertes Leben verlangen, und jene Freiheit, wodurch wir in den Stand gesezt werden, den Dingen außer uns, je mehr und mehr, eine selbstbeliebige Form zu geben, und sie zu unsern Zweken zu gebrauchen, wird am leichtesten durch Reichthum erreicht. Auf diese Art, Julie, suchte ich mein Herz zum Schweigen zu bringen, und der Vernunft mit meiner ersten Liebe, – wenn ich das Liebe nennen kann, was sich bekämpfen läßt, – ein Opfer zu bringen. Mein Vater frohlokte über diese Handlung und war über diese Früchte seiner Erziehung entzükt. Albert drang auf die Vollziehung unsrer Verbindung mit einem Eifer, den ich für Liebe nahm, und bat, daß wir darauf sogleich auf seine bei Florenz gelegnen Güter abreisen möchten. Die allen meinen Wünschen zuvorkommende Artigkeit meines Mannes trösteten mich anfangs über seinen Mangel an Herzlichkeit, denn ich nur allzu bald fühlte, ich rechnet darauf, ihm durch mein Betragen sein Zutrauen abzugewinnen, und ich schmeichelte mir sogar mit der – nur einem unerfahrnen Herzen verzeihlichen Hofnung, daß es mir gelingen werde, an ihm, dem längst gebildeten noch manches zu ändern. Erst dann, als ich wahrgenommen, daß er mich zu wenig achtete, um seine Geheimnisse mit mir zu theilen, und mich oft als Mittel zu mir unbekannten Zweken brauchte, hat sich dieser Wahn und zugleich die Hofnung auf eheliches Glük bei mir verlohren. Wir waren kaum verbunden, als mein Vater gefährlich krank war, und daß ich Ursache hatte Albrets Betrübniß mehr dem Verdruß, unsre Reise verzögert zu sehen, als dem Antheil an seinem alten Freund, zuzuschreiben, schärfte meinen Schmerz unbeschreiblich.

Er starb, der zärtlichste und geliebteste der Väter, der in der liebenden Brust seiner Tochter, ein stilles, aber unvergängliches Denkmal seiner Güte und seiner Zärtlichkeit zurückgelassen hat. Nur mit Mühe konnte ich Albrets Einwilligung zu einer Reise zu dir erlangen, und nur daß er selbst sich gezwungen sah, unterdessen einige nothwendige Geschäfte abzuthun, bestimmte ihn endlich dazu. Da kam ich zu dir, meine Julie, mit allen meinen Leiden, meinen Sorgen, meinem Wahn und meinen Hofnungen. Unsre Herzen waren sich nicht fremd geworden; deine heitre Stimmung theilte sich mir unvermerkt wieder mit, und meine ruhige, phantasielose Vorstellungsweise half mir an meiner Lage manche neue angenehme Seite entdecken. Aber ich gestehe dir auch, Julie, daß ich dich gleichwohl oft beneidete, wenn ich dich traulich in den Armen deines Mannes fand, den du nur aus Liebe wähltest. Ich mußte eure Thorheiten belachen, ich schalt dich oft wegen deines Mangels an Selbstständigkeit, aber ich fand dich doch glüklich. Selbst in euern Zänkereien, die immer die Folgen einer allzugrossen Vertraulichkeit waren, weil ihr euch einander ganz so zeigtet, wie ihr waret, lag etwas, was mir gefiel. Die Erinnerung an eure Liebe vereinigte euch bald von neuem, und die stille Harmonie eurer Herzen hielt das Band fest, das Leichtsinn und Veränderlichkeit umsonst zu zerreissen drohten. Vielleicht verschönerte sich dem Glük in meiner Phantasie, aber ich gestehe dir’s, ich bin oft traurig hinweggegangen, und fühlte es nur allzu lebhaft, daß Harmonie sich nicht erkünsteln läßt.

Diese mit dir verlebte Zeit hatte mir jedoch dazu verholfen, daß ich die Reise nach Florenz nun mit neuem Muth und neuer Lebenslust antreten konnte. Der Schmerz über den Verlust meines Vaters war gemildert. Meine alten Träume, meine alten Wünsche kehrten zurük, und die Phantasie stellten meinem wieder auflebenden, süß ahnenden Herzen in die Ferne manch’ reizendes Gemählde hin. Noch erinnere ich mich mit unbeschreiblichem Vergnügen der ersten Tage unsrer Reise. Der Herbst hatte seinen vollen Farbenschimmer über die Gegend verbreitet. Kleine Büschgen wallten wie goldne Locken die Hügel hinab. Weisse Gewebe flogen über den Boden, und der Himmel war in zarte Düfte gehüllt. Wir fuhren über gelblichte Wiesen, die Herbstluft wehte freundlich, nie in meinem Leben bin ich noch so heiter gewesen, als da, habe mich nie so voll Freiheit, Jugend und Hofnung gefühlt, nie der Tage, die mich erwarteten, mit soviel Freude und Zuversicht gedacht. An den Gedanken, die weite Welt zu sehn, knüpfte sich alles, was Jugend, Phantasie, Hang zum Vergnügen und Verlangen nach reifern Begriffen, nur neues, wunderbares, liebliches und belehrendes hervorzubringen vermochten.

Leider bleib es nicht immer so. Ich dachte oft an dich, meine süsse Freundinn, und nie hab ich dich so sehr vermißt, nie hat mir ein theilnehmendes Herz so sehr gefehlt, als wenn wir durch die schönsten Gegenden kamen, und Albret bei allem kalt blieb und meine Entzückungen belächelte, wie man das Erstaunen eines Kindes belächelt. Immer schien sein Sinn mit Ungeduld in die Zukunft zu streben; die meiste Zeit war er still und in sich gekehrt, und nie gieng ihm die Reise schnell genug. Ich tröstete mich jedoch, so gut ich konnte, und gewiss habe ich seitdem frohe, sehr frohe Momente gehabt. Viel Wünsche, viel jugendliche Bilder sind mir erfüllt worden, meinem Sinn für die Schönheiten der Natur und Kunst war es vergönnt, sich mit den höchsten Genüssen zu nähren – ich war oft glüklich, nur mein Herz war nie hingerissen, nie berauscht! Und Julie, sollte ich vielleicht diesen Träumen gar nicht einmal nachhängen? – aber warum erinnert mich denn alles daran, daß Liebe die glüklichste Zeit des Lebens ist, warum muß ich allenthalben sehn, wie sie die niedrigsten Beschäftigungen veredelt und der Dürftigkeit und Abgeschiedenheit selbst ein zauberisches höheres Ansehen leiht? – Meine Fenster gehen in einen Garten, den ein Gärtner mit ein paar jungen Töchtern bewohnt. Die Welt wird wohl nie ihren Namen nennen, niemand als die nächsten Nachbarn kennen sie, ihr Anzug, ihre Beschäftigungen verrathen ihren Mangel, ihre Niedrigkeit, aber die Liebe hat sich ihrer angenommen. Bei frühem Morgen, wenn noch alles schläft, schleicht die Eine von ihnen an die Planke, und öfnet leise die Thüre. Unruhig geht sie auf und ab, und fährt bei jedem Geräusch zusammen, das der frische Morgenwind an der halboffnen Thüre macht. Bald erscheint ein junger, wohlgebildeter Mann, sie hüpft ihm entgegen – sie sind so jugendlich, so glüklich! Ich gestehe dir, daß ich ihre frohen Unterhaltungen schon oft mit höchstem Interesse belauscht habe – doch durch die Jalousie, damit mein Anblik ihre Freude nicht stöhrte.

(Die Fortsetzung folgt.)

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