An Ihre Durchlaucht, die Herzogin Amalia von Sachsen-Weimar.
Ich hatte die Ehre in meinem letzten Schreiben Ew. Durchlaucht zu melden, daß ich in dem Gefolge des Prinzen August von England eine kleine Herbstreise in die angrenzenden Berglande machen würde. Da dieß nun zu meiner grossen Zufriedenheit bewerkstelliget worden, theile ich Ihnen jetzt alles Wesentliche meiner Beobachtungen mit; und wenn ich mir bey einigen Stellen umständlicher und gelehrter zu seyn erlaube, als es in einem Aufsatze, der an eine Dame gerichtet ist, schicklich seyn möchte, so weiß ich, daß ich in allem, was Italien und die Monumente alter Grösse in diesem Lande betrift, auf den lebhaftesten Antheil bey E. D. rechnen darf. Diese kleine Reise erinnerte mich wieder lebhaft an die angenehmen Herbstreisen, welche ich vor einigen Jahren im Gefolge Ew. Durchlaucht durch die schönen Gegenden La Cava und Vietri, von Neapel nach den stolzen Tempeln von Paestum machte. Die Wege aber machen bey diesen beyden Reisen einen wesentlichen Unterschied: die Unwegsamkeit unserer letzteren an mehreren Stellen geht über alle Vorstellung: die engen und steilen Pässe der Schweiz, der Bergrücken der Apenninen in Kalabrien sind weniger mühsam und abschreckend.
Diese elenden Wege sind um so auffallender, da sie die schönsten und fruchtbarsten Gegenden, wo täglicher Verkehr nöthig ist, miteinandner verbinden, und man beynahe immer den Linien folget, wo die Alten ihre bekanntesten und frühsten Heerstrassen durchführten, wovon man noch an manchen Stellen Substructionen und alte Brücken findet. Auch wäre es nicht schwer, diese Strassen mit wenigen Unkosten wieder herzustellen: die Materialien liegen da, und die Linien nach allen Tiefen und Höhen sind auf den Spuren der alten Heerstrassen auf’s richtigste gezogen. Man dürfte weder Pässe sprengen, abgraben, ausfüllen, unterbauen, noch Materialien von weitem herschleppen. Der Verkehr wird jetzt unendlich erschwert; Vieh und Menschen gehen dabey zu Grunde, der Transport ist langsam und kostbar. Eine Reise in diese Gegenden, welche für den Neugierigen bey Herstellung der Strassen eine Spatzierfahrt wäre, läßt sich jetzt nicht ohne viele Anstalten, Mühe und Duldung machen. Wirthshäuser giebt es in vielen Orten gar nicht, und in andern nur solche, wo man weder Essen, Betten noch Futter für die Pferde vorfindet. Desto gastfreyer aber sind die Einwohner gegen Fremde, und wir fanden, wiewohl unsere Gesellschaft aus sechzehn Personen, mit eben so viel Pferden, bestand, überall gute Aufnahme.
Den 10ten Oktober ritten wir von Grotta ferrata aus. Wir nahmen die Seitenstrasse über Frascati nach Tivoli. Vor Mitte Wegs kamen wir bey dem alten Gabii vorbey, wo der Mahler Hamilton vor zwey Jahren die wichtigen Entdeckungen mehrerer Statüen, Büsten und Innschriften machte, welche die Lage dieses Orts ausser Zweifel setzten. Der Prinz Borghese, welchem als Grundherr ein Drittel von dem Gefundenen zukam, kaufte alles an sich, und die Monumente sind bereits in einem besondern Gebäude seines Gartens unweit dem berühmten Pallaste, unter dem Namen Museum Gabinum aufgestellt. Das Ganze macht eine schöne Reihe interessanter Monumente.
Die Ruinnen, aus welchen man sie herausgrub, waren so zerfallen, daß sich nichts bestimmtes über das ehemalige Gebäude angeben läßt; doch ist die Vermuthung nicht ungegründet, daß es die Stelle des Gabinischen Forum’s war. Jetzt sieht man nichts mehr erhalten, als die Cella des uralten Tempels der Juno Gabina, der auf einer unmerklichen Anhöhe, wahrscheinlich ausser den Mauern der alten Stadt, über dem See Pantano liegt. Dieser kleine See ist, gleich den grössern von Albano, Nemi, Bracciano, Vico, Bolsena, und vielen andern um Neapel, der eingestürzte Krater eines ehemaligen Vulkans.
Der Tempel ist von dem gewöhnlichen Vulkanischen Tuffe (Saxum Gabinum des Vitruv) erbaut. Dieser Stein unterscheidet sich von dem graulichten Tuffe, Peperino, durch seine röthliche Farbe. Die Quaderstücke sind ohne allen Mörtel, und mit kaum sichtbaren Fugen auf einander gelegt. Es fehlet der Cella nichts als die Decke. Sie macht ein länglichtes Viereck, und hatte Hallen von freystehenden Säulen an der Fronte und den beyden Seiten. Das Eigene dieses Tempels ist, daß die Hinterseite ohne Halle ist, und die Mauer der Cella an beyden Seiten so stark vortritt, daß die Breite der Säulengänge dadurch geschlossen wird. Wahrscheinlich geschah dieß, weil eben die Hinterseite gegen Norden, und der Tempel erhöht liegt, um die in den Hallen Anwesenden vor der scharfen Tramontana zu schützen. Von den Säulen sind nur wenige Fragmente übrig: sie waren von dem nämlichen Tuffe, und kannelirt; ob die Bauart dorisch oder toskanisch war, läßt sich nicht mehr bestimmen. Deutlich sind dabey noch die Spuren der Mauren und des Säulenganges, welche einen grossen Vorhof im Viereck um den Tempel einschlossen.
Vor der Fronte des Tempels am Abhange des Hügels zeigen sich die in Tuffstein eingehauenen Sitze des ehmaligen Theaters; auch von der Bühne sind einige Reste noch zu sehen. Die Zuschauer hatten die schönen tuskulanischen Hügel mit dem Berge Algidus im Gesicht. Ich bemerke dieses, weil ich beynahe bey allen Theatern der Alten, deren ich über zwanzig auszählen könnte, die Beobachtung machte, daß sie zur Anlage ihrer Theater, wo es nur immer thunlich war, Anhöhen mit schönen Aussichten gegen die Mittagsseite wählten.
Die Stadt Gabii lag zwölf Meilen von Rom an der Via Labicana, und unweit davon passirt man noch eine im guten Stand erhaltene Brücke von sieben Bogen, jetzt Ponte della Nona genannt. Die Pfeiler sind von Quadern, die mittlern ziemlich hoch, aber mit schmalen Bogen, weil die Brücke nur über einen tiefen Graben mit wenig Wasser, und folglich mehr zur Verbindung der beyden gegenüberstehenden Anhöhen erbaut ist. Diese Stadt war älter als Rom, wenn, wie Dionysius von Halicarnaß und Plutarch uns erzählen, Romulus und Remus allda erzogen sind. Sie wetteiferte noch mit Rom um die Herrschaft in den Zeiten des Tarquinius Superbus. Dieser König belagerte sie vergeblich, und brachte sie dann erst verrätherischer Weise durch seinen Sohn Sextus an sich. Nach dem Verlust der Freyheit scheinet die Stadt in gänzlichen Verfall gekommen zu seyn. Indessen zeigen uns die Borghesischen Monumente, daß sie unter den Kaisern wieder zu einem ansehnlichen Orte angewachsen seyn mußte. Die Statuen und Büsten dieser Sammlung stellen gröstentheils Bildnisse der julischen, flavischen, antoninischen und severischen Familien vor. Die Sculptur ist durchgehends gut, und auszeichnend schön sind die Büsten des Marcus Agrippa, Tiberius, Germanicus, Domitius Corbulo, Sept. Severus und des Geta. Visconti hat die interessanteste der gefundenen Innschriften bereits in dem 4ten Bande des Museo Pio-Clementino bekannt gemacht.
Der Neffe des Papstes, Cardinal Braschi-Onesti, der seither unweit dem Tempel der Juno eine neue Grube unternahm, fand eine jugendliche Diana, welche wegen der Sonderbarkeit ihrer Hauptkrone, die ganz von Rehböckchen zusammengesetzt ist, wegen ihrer leichtwandelnden Stellung, und ihrer guten Arbeit unter die seltenen Monumente zu zählen ist.
In Tivoli schliefen wir; und da die Merkwürdigkeiten dieses Ortes uns allen bekannt waren, besuchten wir des andern Morgens bloß die Villa des Mäcenas, weil man, in der Absicht, diese Ruinen zu einer Stückgießerey einzurichten, vielen Schutt aufgegraben hatte, und eine interessante Parthie dieses weitläufigen Gebäudes bis auf seinen alten Plan entdeckt worden war. Man sieht jetzt, daß der obere Hof, unter dessen Wölbung die Heerstraße durchgieng, zu einem Wasserbehälter diente. Die Halbsäulen dorischer Ordnung stehen ohne Basis auf dem einfach fortlaufenden Sokel. Der Theil, welcher die Sommerhalle gegen Norden mit den anstoßenden Sälen der Bibliothek machte, ist für seine jetzige Bestimmung mit weniger Veränderung wieder ausgemauert und die Gewölbe ergänzt worden. Die mahlerische Ansicht hat freilich dadurch verloren. Friedrich Gmelin machte zuvor noch ein paar interessante Zeichnungen hievon, welche er seitdem sehr schön in Kupfer gestochen hat.
Gegen Mittag betraten wir die Via Valeria. Diese Heerstraße fieng von Tivoli an, und führte durch das Land der Marsen bis nach Carsinium, der Hauptstadt der Peligner. Bis an den Fucinischen See giengen wir auf derselben fort. Wir genossen einen der schönsten Herbsttage; der Himmel war heiter, die Strasse gut; denn da sie weiterhin nach Subiaco führet, ward sie bey Gelegenheit einer Reise, welche der Papst vor einigen Jahren dahin unternahm, um die daselbst von ihm erbaute reiche Kirche einzuweihen, mit vielen Kosten hergestellt. Das Thal des Teverone, welches sich in ansehnlicher Breite zwischen den Gebürgen hinziehet, ist wohlbebaut und reich an mannigfaltig schönen Aussichten. Jedoch hatte es für uns nicht mehr den Reiz der Neuheit, weil wir im verflossenen Frühjahr von Tivoli eine Excursion bis Subiaco gemacht hatten, wo wir zugleich alle merkwürdigen Stellen besuchten, welche an dieser Straße liegen. Acht Meilen von Tivoli ab liegt Vicovaro, das alte Varie; Substructionen von großen Quadern sind die einzigen Reste davon. Die Villa des Horaz in dem Sabinerlande liegt von da vier Meilen abwärts im Gebirge. Obwohl nichts mehr davon übrig ist, als die Reste eines Fußbodens von gewöhnlichem Mosaik; so läßt sich doch die Lage nicht verkennen. Die Stellen in seinen Schriften, welche sich auf die Gegend beziehen, sind getreu nach der Natur gemahlt. Ein Ziegenhirt, der uns unter den Weinstöcken das alte Mosaik aufwühlte, versicherte uns: Horaz hätte, wie er, die Ziegen hier gehütet, und weil er im Geruch der Heiligkeit gestorben sey, so besuchten jetzt die frommen Engländer am meisten diesen Ort, und nähmen immer einige Steinchen von dem Fußboden seiner Einsiedeley als Reliquien mit.
An der Straße liegt weiterhin San Cosimato, ein Franziskaner-Kloster, auf einem Felsen, durch welchen der Kanal der Aqua Claudia durchgehauen ward. Der heil. Benedict wählte die Höhlen dieses Felsens, und den zerfallenen Aquäduct zum ersten einsamen und ungestörten Aufenthalt seines heiligen einsiedlerischen Lebens: von da verkroch er sich in die hohen Felsengebirge über Subiaco, wo jetzt noch seine Brüder über der heiligen Höhle – Sacro Speco – zwey ansehnliche Klöster haben. Eines führet den Namen von seiner Schwester Scolastica. Endlich zog er auf das hohe Gebirge über dem alten Casinium, wo er seinen frommen Lebenswandel beschloß.
Ein paar elende Wirthshäuser sind das einzige, was man weiterhin an der Landstrasse antrift. Die benachbarten Ortschaften sind rechts und links, theils der guten Luft, theils der Sicherheit wegen, auf nakten Felsenhöhen erbaut. Die Bewohner steigen täglich mit vieler Mühe in die Ebenen herab, um ihre Felder zu bestellen. Dergleichen Lagen von kleinen Städten und Ortschaften, welche in Unteritalien und Sicilien fast allgemein sind, erschweren dem Landmanne seine Arbeit sehr. Außerdem daß er durch die Entfernung seiner Wohnung von den Feldern so viele Zeit verliehrt, bleibt ihm gegen die brennende Sonne kaum ein Baum zum Obdach; warme Speise bekommt er den ganzen Tag nicht, öfters nicht einmal einen frischen Trunk Wasser, und des Abends von Hitze, Hunger und Durst mehr als von der Arbeit selbst erschöpft, muß er nicht selten drey bis vier Meilen einen unwegsamen Felsen hinanklettern, um ein wenig Speise und ein dürftiges Lager zu finden. Ein solcher Anblick verbittert nicht selten die angenehmen Wanderungen durch die so interessanten Gegenden.
Zwölf Meilen disseits Subiaco verliessen wir die gute Strasse und das schöne Thal. Wir schlugen uns links in die Berge hinein, und nach ein paar Meilen stellte sich in der Höhe der mahlerische Ort Arsoli dem Anblick dar. Er gehört der Familie Massimi, das schöngelegene Schloß war uns zur Nachtherberge bestimmt. Da die Gegend reitzend ist, und man in dieser Höhe einer frischen Luft genießt, so pflegt der Besitzer daselbst einen Theil des Sommers zuzubringen: daher das Innere des Schlosses auch besser und wohnlicher aussieht, als sonst italienische Landhäuser zu seyn pflegen.
Arsoli zählt dreitausend Einwohner, und ist das Carseoli der Alten, eine Stadt der Äquier und schon in frühern Zeiten eine Colonie der Römer. Es scheint ehedem sehr beträchtlich gewesen zu seyn, denn etwa 4 Meilen davon liegt ein Örtchen, Cavee di Carsoli genannt, wohin sich das Gebiet dieser Colonie erstreckt zu haben scheinet, und auch die zerstreuten Landgebäude.
Mit Anbruch des Tages waren wir zu Pferde, und eine Meile höher in dem Gebirge kamen wir auf eine weite Ebene mit Äckern und Wiesen, eine völlig deutsche Gegend, welche sich bis an das genannte Cavee die Carsoli erstreckt. Das Grün war von dem starken Nachtthau ganz weiß, ein Zeichen, daß wir uns schon bis in die Region eines deutschen Herbstmorgens erhoben hatten. Carsoli macht die Grenzscheide zwischen dem päpstlichen und neapolitanischen Staate, oder wie sie da sagen: qui si entra nel regno; und wir können hinzusetzen: qui principiarono le nostre pene. Der Weg – immer die alte Via Valeria – fängt hier an, sich an der Seite eines hohen ganz nakten Felsengebirges fortzuwinden, das über zwölf Meilen bis Tagliacozzo fortgeht. Das Steigen ist zwar allmählig, und die Straße breit; aber es scheint, daß seit Valerius sich niemand wieder die Mühe genommen habe, die abgerollten Felsenstücke wegzuwälzen, noch die von den Wasserströmen gemachten Löcher und Tiefungen auszufüllen. Jeder Schritt ist für Pferd und Mann gefährlich; die vielen kleinen Steine, welche zwischen den größern los liegen, und durch Zeit und Regen gleich Kieseln abgerundet sind, lassen die Pferde keinen festen Fuß setzen. In der Mitte und auf der höchsten Endhöhe des Weges liegen zwey elende Örtchen, das erste Colle, das andere Rocca di Cerro genannt. An ein paar Stellen, wo sich der Weg der stärkern Ravinen wegen einbiegt, sieht man noch starke Substructionen der alten Via.
Konradin von Schwaben, nachdem er Rom verlassen, drang durch dieses Gebirge mit seiner Armee, in sein, von Karl von Anjou usurpirtes, Reich ein; und wenn seit dieser Zeit die König von Neapel es sich zur Maxime machten, ihr Reich vor fremden Einfall disseits zu sichern, so bleibt freilich ein solcher Weg die beste Vormauer. Von Rocca die Cerro geht der Weg plötzlich abwärts, und wir freuten uns nicht wenig, mit gesunden Gliedern zu einem frugalen Mittagsmal in Tagliacozzo angekommen zu seyn. Dieser Ort hat zwölftausend Einwohner, ist weitläufig aber schlecht gebaut. Nicht weit davon entspringt der Fluß Salto, welcher unter einer Berghöhle hervorkommt und durch die palentinischen Gefilde wegläuft. In diesen Gefilden ist es, wo das berühmte Gefecht, welches unter den Namen La Battaglia di Tagliacozzo bekannt ist, vorfiel, und wovon die beiden jungen Männer, Konradin von Schwaben und Friedrich von Österreich das Opfer wurden. Die eigentliche Stelle der Schlacht ist zwar noch neun Meilen von Tagliacozzo entfernt, und wird jetzt noch durch die Ruinen einer Kirche und Klosters bezeichnet, welche der Sieger unter dem Namen la Madonna della Vittoria zum Andenken erbauen ließ.
Es war unweit dem jetzigen Orte Scurcula, am Flusse Salto, wo die beyden Heere aufeinander stießen. König Karl von Anjou, der durch den unglücklichen Ausgang eines einzigen Treffens sich und sein Reich verlohren hielt, wagte es nicht mit offener und voller Macht gegen den muthigen Prätendenten vorzurücken. Nach dem Rath eines französischen Kreuzfahrers Erardus, der ihm mit der wenigen Mannschaft, welche er noch von den heiligen Landen mitgebracht hatte, beystehen wollte, vertheilte der König sein Heer. Der größere Theil davon unter dem Befehl des königlichen Marschalls Valerianus, welcher gleich dem Könige, um die Feinde zu täuschen, als wenn es der König selbst wäre, auf’s prachtvollste armirt war, sollte den Angriff der Deutschen aufhalten, indem Karl sich selbst mit der kleinern Abtheilung hinter dem nahen Berge Maleanus versteckt hielt.
Der Kampf war anfänglich hartnäkig, aber der Muth der Deutschen, belebt durch das Beyspiel ihrer tapfern Anführer, im Angesicht eines verhaßten Kronräubers, den sie in Valerianus stattlicher Rüstung zu erkennen wähnten, warf alles nieder, und das Schlachtschwert ruhte nicht biß sie das feindliche Heer in voller Flucht sahen, und in der Person des Marschalls den König selbst getödtet zu haben glaubten. Der König stand auf dem Berge, sah die Niederlage der seinigen, sah sie in flüchtigen Haufen an der andern Seite des Malleanus hinziehen. Sein gesunkener Muth fieng wieder an aufzuleben, als er wahrnahm, daß sich die Überwinder der Plünderung des Lagers überließen, sich sorglos wegen der brennenden Hitze ihrer schweren Bewafnung entledigten, sich mit Speise erfrischten, und in großer Menge im Salto badeten. Jetzt brach der König mit der frischen Mannschaft aus dem Hinterhalt hervor, indem zugleich von der Höhe des Berges den Fliehenden auf der andern Seite das Zeichen sich wieder zu sammeln, und den neuen Angriff zu wagen, gegeben ward. Die Chroniker kommen überein, das dieses zweyte Treffen ohne Widerstand erfochten ward. Die Reihen der Deutschen konnten sich nicht mehr sammeln. Unordnung, Flucht, und Tod waren allgemein. Die beyden jungen Anführer Konradin und Friedrich flohen ohne Bedeckung. Es ist bekannt, wie sie kümmerlich, in elende Kleidung gehüllt, über die Gebirge weg nach Astura an dem mittländischen See im Kirchenstaate ankamen. Ein Fischer sollte sie an die toskanischen Ufer bringen; aber ohne Geld wurden sie durch den Verkauf eines kostbaren Ringes von einem der Familie Franziscani erkannt, in der Fischerhütte ergriffen, und dem Könige ausgeliefert. Sie schmachteten ein ganzes Jahr zu Neapel im Gefängnisse, als ihnen nach einem förmlichen Prozesse das Todesurtheil angekündiget und vollzogen ward.
Da ich auf der Stelle die Lage, wo der merkwürdige Vorgang sich zutrug, so anschaulich vor meinen Augen hatte, kann ich nicht leugnen, daß ein patriotisches Gefühl mich das harte Schicksal, welches den tapfern Stamm der Hohenstaufen in dem letzten Sprössling betraf, beklagen machte. Die Päpste und die Guelfen – nach Jahrhunderten sey es gesagt mit dem Feinde eines Guelfen, mit dem ich die Reise machte, und einer Guelfin, an welche ich dieses schreibe – riefen über ihn bis zu seiner gänzlichen Vertilgung immer neue Feinde; Konradin fiel der Letzte!
Wenn ich mich recht erinnere, so hatte ich die Ehre, mit Ew. Durchlaucht die Statue der Mutter dieses unglücklichen Sohnes in dem Klostergange der Karmeliter in Neapel zu sehen: das einzige noch übrige Monument. Die Kapelle auf dem Platze, wo die Jünglinge hingerichtet worden, ist vor ungefähr acht Jahren auf Befehl des jetzigen Königs weggeräumt worden, um den Markt zu vergrössern. Die Statue ist stehend, die Krone auf dem Haupte; ihr Unterkleid ist gleich der Tunica unserer heutigen Nonnen, mit dem kaiserlichen Mantel darüber, welcher durch eine Agraffe über die Brust zusammenhängt; in der Rechten hält sie den Szepter, und in der linken den Geldbeutel. Wie die darunter gesetzte Innschrift sagt, kam die Unglückliche zu spät, um das Leben ihres Sohnes zu erkaufen. Sie erbaute also die Kapelle auf der Stelle der Hinrichtung beyder Jünglinge; die übrige Summe schenkte sie den Möchen, damit sie fortdauernd ihrer armen Seelen im Messopfer gedenken möchten. Die Mönche liessen diese Statue ihrer kaiserlichen Wohlthäterin aus Dankbarkeit errichten. Das Monument bleibt nicht allein interessant für die Geschichte, sondern auch für die Kunst, welche sich von jener Zeit an wieder allmählig erhob.
Den nehmlichen Abend trafen wir in Avezzano ein: der Prälat Mattei kam uns auf einige Meilen mit zwey Wagen entgegen, und da wir über dreyßig Meilen den abscheulichsten Weg zu Pferde gemacht hatten, so war uns das Fuhrwerk für den übrigen Theil des Weges nicht unwillkommen.
Avezzano liegt in der Ebene, eine Meile von dem Fucinischen See, und zwey von dem berühmten Ablauf des Kaisers Claudius. Wir hielten uns vier Tage allda auf, wo wir in dem väterlichen Hause des Prälaten Mattei auf das gastfreundlichste bewirthet wurden. Natürlich war des andern Morgens der erste Gang nach dem Emissar. Bevor ich aber davon rede, will ich das merkwürdigste der alten Stadt Alba hier berühren.
Dieser Ort heißt jetzt noch Albi; er ist zwey Meilen von Avezzano und drey von dem See entfernt. Seine Lage auf einem Hügel, der sich auf der Höhe wieder in drey kleinere theilt, ist eine der schönsten, die ich je sah. Diese Stadt war nebst Marruvium, das heutige Morrea, der Hauptort der Marsen: man unterschied sie von Alba Longa, zwischen dem heutigen See Albano und Monte Cavi an der Stelle, wo jetzt Palazzuolo liegt, dadurch, daß man die Einwohner von diesen Albaner, (Albani) und von jenen Albenser (Albenses) nannte: Auch hatte sie zum Unterschied den Namen Alba fucentis wegen der nahen Lage am fucinischen See. Da der Ort sehr fest war, so schickten die Römer frühzeitig Kolonisten dahin, um die tapfern Marsen im Zaume zu halten. In der Folge diente diese Festung, als Staatsgefängniß für drey Könige. Syphar von Numidien, Persues von Macedonien und Bituitus, König der Averner wurden dahin geschickt, wo sie, wie Vellejus von Perseus sagt, in libera custodia lebten: sie schmachteten nicht im Kerker; der Ort ward ihnen zur Verwahrung ihrer Personen angewiesen. Auch erzählt uns Val. Maximus , daß, wie Perseus starb, der Senat einen Quästor dahin sandte, um ihm ein öffentliches Leichenbegängniß zu halten, damit die königliche Asche nicht ungeehrt ruhen möchte.
Ein zerfallenes Schloß der Familie Colonna mit einigen Bauernhäusern auf einem der drey Hügel macht das ganze heutige Albi aus. In der Kirche sieht man eine Verkündigung der Maria, ein vorzügliches Gemälde von Cavalier d’Arpino. An dem zweyten Hügel sind noch ansehnliche Überbleibsel der alten Festungsmauern von sehr grossen Quadern zu sehen. Auf dem dritten steht ein Minoritenkloster: ihre Kirche war ein antiker Gerichtshof (Basilica). Die Mauern bestehen aus grossen Quadern; im Innern machet die Tribuna den Hauptaltar, und zwey Reihen Säulen bilden die drey Schiffe, die äusere Halle fehlet. An einer Seite nimmt man am Abhange des Hügels die deutlichen Spuren eines Amphitheaters wahr; und auf der mittäglichen Seite des Abhanges eines Theaters. Die Aussicht von dieser Stelle ist besonders schön: das Auge umfaßt in einem Blick den fucinischen See, die grünen palentinischen Gefilde und die nahen und fernen Felsengebirge. Nordwärts von Alba erhebt sich, einer Pyramide gleich, der hohe Velino, dessen Haupt beynahe immer mit Schnee bedeckt ist. Man sieht ihn von Rom über andere Gebirge hin, und ausser dem Grau Sasso d’Italia ist er der höchste Berg in den Appeninnen beyder Abbrazzo.
Ablaß des Fucinischen Sees durch den Kaiser Claudius.
Der Kanal, den Fucinischen See abzuleiten, ist ohne Zweifel das gröste und interessanteste Werk in seiner Art, das die Römer ausführten, obgleich dieses Volk schon frühzeitig Geist und Muth für grosse und gemeinnützige Unternehmungen zeigte. Der Bau der grossen Kloake in Rom schon unter den Tarquiniern, die Ableitung des Albaner Sees während des Krieges gegen Veji, der Ablaß des Lacus Velinus in den Fluß Nar durch den M. Curius dentatus, welche alle drey sich bis auf unsere Zeiten erhalten haben, sind Monumente aus einem Zeitalter, wo Rom noch mit seinen nächsten Landesbewohnern um die Oberherrschaft zu kämpfen hatte. Das Durchbrechen des Gebirges für eine Heerstrasse am See Averno zwischen Cuma und dem Meerbusen von Baja, und die berühmte Höhle des Pausilippo zwischen Puzzuoli und Neapel müssen als merkwürdige Werke dieser Art auch hieher gezählt werden, obwohl wir nichts gewisses über die Zeit dieser Arbeiten bestimmen können. Aber keines kann mit der Schwierigkeit den Fucinischen See abzuleiten verglichen werden. Die Wasserleitungen, und besonders die beyden höchsten des Kaisers Claudius, die Aqua claudia nämlich, und der Anio novus, welche durch eine Streke von mehr als 60 Meilen theils durch Gebirge gebohrt, theils auf den massivsten Bogengängen bis zur Hauptstadt fortgeleitet wurden, sind vielleicht die einzigen Werke von ähnlicher Grösse und Aufwand. Bey dem Emissar des Claudius sind es aber nicht blos die darauf verwandten Unkosten, welche unser Staunen erregen: interessanter für unsern Verstand ist der Scharfsinn, mit welchem man dieß Unternehmen angriff, um es mit gutem Erfolg, in möglichst kurzer Zeit, und auf das dauerhafteste zu bewerkstelligen.
Der Kanal hat eine Länge von 3500 Schritt: und diese Linie mußte tief unter der Erde durch einen harten Kalkfelsen, den man in Rom Traventino nennet, durchgebrochen werden, 30000 Menschen arbeiteten fortdauernd, eilf Jahre lang ohne Unterlaß daran: und man kann hinzufügen, was Plittius davon sagt: daß es nur denjenigen, welche es gesehen haben, möglich ist, sich einen Begriff davon zu machen, daß aber keine menschliche Sprache eine Beschreibung davon zu geben vermag.
Im vorigen Jahrhundert, als der fleissige Kluver die Gegenden dieses Sees bereiste, war dieser berühmte Ablaß so sehr aus dem Andenken der Einwohner gekommen, daß ihn niemand in der Gegend auf die Spuren desselben führen konnte. Er sah die dem Claudischen Kanal nahe gelegene Höhle, la Pedogna genannt, als den ehemaligen Eingang desselben an.
Phoebonius in seiner Geschichte der Marsen giebt zuerst wieder die ächten Spuren davon an; und Raphael Fabretti, der die Stelle im Jahre 1683 besuchte, war der erste, welcher eine Abhandlung hierüber mit den zur Erklärung nöthigen Rissen bekannt machte. Diese Risse, so wie seine Beschreibung, sind zwar noch in mancher Rücksicht mangelhaft, doch bekommt der Leser dadurch einen ziemlich anschaulichen Begriff von dem Ganzen dieses grossen Werkes, und manches ist darin selbst mit Scharfsinn auseinander gesetzt. In unsern Zeiten stach der Architekt Pranesie auch eine grosse Platte davon, wodurch aber die Risse von Fabretti in nichts wesentlichem verbessert wurden.
Ein jeztlebender würdiger Geistlicher von Avezzano, Herr Canonicus Francesco Lolli beschäftigte sich schon seit mehreren Jahren, um den Bau dieses Canals näher zu kennen. Er kroch in jede Öfnung hinein: an vielen Stellen ließ er auf eigene Kosten nachgraben, und kam in seinen Nachsuchungen so weit, daß er die Wiederherstellung des Kanals nicht für unmöglich hielt, und dem Hofe Vorschläge darüber machte. Der König sandte zu verschiedenenmalen zur nähern Untersuchung Bauverständige dahin ab, welche aber sowohl über die Möglichkeit der Wiederherstellunh als über die zu verwendenden Kosten sehr verschiedener Meinung blieben. Endlich brachte es der Geistliche, unterstützt durch das Ansehen des englischen Gesandten, Ritters Hamilton, doch so weit, daß im Jahre 1791 wirklich der Anfang zur Ausgrabung gemacht wurde. Ungefähr ein Jahr dauerte die Arbeit fort, als die unglücklichen Zeitläufte den Hof nöthigten, dieselben fürs erste einzustellen.
Antonio Lolli, in der Abwesenheit seines Bruders, des Canonicus, begleitete uns an alle aufgegrabenen Stellen. Dieß setzte uns in den Stand, uns einen deutlichen und zusammenhängenden Begriff von diesem grossen Werke zu verschaffen. Die Zeichnungen, welche diese Beschreibung begleiten, sind von denjenigen des Francesco Lolli – mit ein paar nicht unwichtigen Veränderungen copirt.
Um einen deutlichen Begriff von der Art dieses grossen Unternehmens zu geben, wird es nöthig seyn, zuvor etwas näheres von der Lage des Sees selbst zu sagen. Der wirkliche Umfang desselben beträgt in seinem gewöhnlichen Zustande dreyßig bis fünf und dreyßig Meilen, und es scheint, daß auch in ältern Zeiten dieß sein natürlicher Umfang gewesen sey. Er ist von allen Seiten von einem hohen Kettengebirge eingeschlossen; nur nordwärts bey Avezzano zeiget sich eine schöne Pläne, etwa drey Meilen in der Breite gegen die Campi Pallentini, zwischen dem Berge Malleanus und den Anhöhen von Alba. In der Entfernung von fünf Meilen vom See fließt der Fluß Salto durch die palentinischen Gefilde. Anstatt aber seinen Lauf südwärts nach dem See zu nehmen, wie man nach dem Augenschein glauben sollte, wendet er sich plötzlich nordwärts nach dem Flusse Velino zu: ein Beweis, daß er mehr Fall dorthin hat, und daß die scheinbare Fläche und wahrscheinlich auch der See höher liegen müsse, als das Bette von dem Flusse Salto. Indessen ist mir nicht bekannt, daß man sie in neuern Zeiten nivellirt hätte.
Zwischen dem hohen Gebirge und dem See sind beynahe im ganzen Umfang desselben kleine Vorhügel und schiefablaufende Ebenen von einem sehr fruchtbaren Boden. Daher die vielen auf den kleinen Anhöhen erbauten Städte einen sehr lebhaften und mahlerischen Anblik geben. Celano, wovon der See jezt seinen Nahmen hat, Peschina, S. Benedetto, Trafacco, Paderno und Avezzano sind die vornehmsten dieser Orte. Das hohe Kalkgebirge zeigt ganz umher seine nackte Rücken, oder seine schroffen, weißgraulichen zakigten Spitzen. An den tiefern Abhängen, und in den Spalten fängt erst eine stärkere Vegetation von Gesträuchen und Bäumen an. Im Sommer werden die Heerden sowohl von Hornvieh, als Schaafen und Ziegen aus den niedern Meeresgegenden auf diese Gebirge geführt. Wenn nemlich die Vegetation in den Ebenen von Apulien und der Campagna von Rom durch die große Hitze erstirbt, so ziehen die Hirten von allen Seiten in die Gebirge beyder Abruzzo, und Millionen von Schaafen mit anderm Vieh lesen allda die sparsamen, aber vortreflichen Kräuter zwischen den schroffen Steinen hervor. Im Oktober ziehen sie wieder in die mildern Meeresgegenden zurück.
Der See hat keine regelmäßige sichtbare Vermehrung, außer dem Flusse Pitonius von Plinius, und jezt La Pedogea genannt. Aber auch dieser vertrocknet in den Sommermonaten nicht selten. Die unregelmäßigen Zuflüsse geschehen zur Zeit des Regens, und dann vorzüglich im Frühjahr, wann der Schnee auf den hohen Gebirgen schmilzt.
Der einzige sichtbare Abfluß des Sees ist unweit des Claudischen Ablasses eine natürliche Höhle bey S. Vincenzo, auch la Pedogna genannt, weil der Fluß, nachdem er den See durchzogen hat, sich allda verliert. Plinius bemerket dieses schon und glaubet, daß alsdann das Wasser unter einer Bergkette von mehrern Meilen wegfließe, und bey Subiaco wieder zum Vorschein komme; wo es in eine künstliche Leitung aufgenommen, unter dem Namen der Aqua marcia nach Rom geleitet werde. Neuere Schriftsteller haben dieß dem Plinius nachgeschrieben; allein Fabretti hat bereits diesen Irrthum gründlich widerlegt.
Da nun dem See durch seine eingeschlossene Lage, ausser der Höhle Pedogna aller sichtbarer Einfluß mangelt, so ist die Folge, daß in den Jahren, wo ungewöhnlich viel Regen oder Schnee fällt, das Wasser in die Pläne austritt, und die benachbarten Felder und Weingärten öfters Jahrelang unnutzbar macht. Hier ist zwar nicht der Fall, wie es öfters bey reissenden Flüssen geschieht, daß die Überschwemmung hohen Sand und Steine niedersetzt, in welchem Falle Jahre erfodert werden, um solche Felder wieder zu befruchten. Die Erde kann hier nicht benutzt werden, weil das Wasser sich solange in der überschwemmten Ausdehnung erhält. Weder Anlauf, noch Ablauf geschehen bei eintretenden Fällen plötzlich, sondern allmählig, so daß die Einwohner beobachtet haben wollen, daß der See alle sieben Jahre allmählig wachse und in eben demselben Verhältniße abnehme. Vor zehn Jahren dehnte sich die Überschwemmung sehr weit aus, und drey Jahre lang erlitten die Einwohner einen solchen Verlust, daß bis jetzt die damals überschwemmten Felder noch steuerfrey sind, obwohl man sie bey dem Zurüktreten des Wassers sogleich wieder bebauen konnte. Beinahe alle Frühjahre wächst er durch das Schmelzen des Schnees etwas an, aber da dieß nur augenblicklich ist, so bewirket es keinen beträchtlichen Nachtheil.
Dem Gesagten zufolge scheint es, daß die schädlichen und anhaltenden Überschwemmungen nicht wesentlich von dem Regen und Schneewasser der Gebirge herrühren, weil für diese der natürliche Abfluß, die Pedogna nämlich, immer hinreichend seyn möchte. Man ist also gezwungen anzunehmen, daß entweder der See durch Eröfnung unterirdischer Quellen eine ungewöhnlich starke Vermehrung erhalte, die dann wieder versiegen; oder aber daß die gewöhnlichen sichtbaren und unsichtbaren Abflüsse verstopft werden. Plinius bemerket von vielen Flüssen, welche ihren Lauf durch Seen nehmen, so wie der Pitonius durch den Lacus Fucinus, daß sie nur soviel Wasser mit sich fortführten, als sie hinein brächten. Dieß ist auch richtig, in so fern das Wasser des Flusses der einzig ein dem Kessel des Sees überfließende Theil ist. Aber wird der ungewöhnliche Zufluß durch Regen und Schnee nicht eben so gut den Rand des Kessels übersteigen, und folglich da ablaufen, wo der natürliche Ausgang sich zeiget? Die Beobachtung des Plinius ist nur Täuschung für das Auge, weil, wenn einmal der Druck des Stromes seine Fortbewegung in dem See nach einer gewissen Linie genommen hat, man gewöhnlich die Masse Wassers in so bestimmten Grenzen fortziehen sieht, als wie in einem Bette von festen Ufern. Der Abgang des von andern Seiten zufliessenden Wassers ist allmählig und daher unscheinbar. Ein See kann nur in so fern Überschwemmungen verursachen, als die Kanäle zu enge werden, so viel Wasser auszugiessen, als hineinfließt, oder aber die gewöhnlichen Ausgänge müssen verstopft werden. Der eine, oder andere Fall muß eintreten, wenn der Fucinische See sich über seine gewöhnlichen Grenzen verbreitet.
Schon zu Strabo’s Zeiten war man dieser Meinung. „Man erzählt, sagt er, daß der See (Fucinus) zuweilen bis an die Berge hinaustrete, und dann sich wieder zurückziehe; so daß die Felder, welche vom Seewasser überschwemmt waren, wieder troken und urbar werden: sey es, daß die Quellen, welche in der Tiefe des Sees sind, sich anderswo Öfnungen machen, und dann wieder in den See zurückfliessen; oder aber daß die Quellen ganz versiegen und erst nach einiger Zeit sich wieder zeigen.“
Es wäre zu wünschen, daß Physiker, welche in der Gegend des Sees leben, Beobachtungen durch eine Reihe von Jahren sammelten. Auf solche Weise würde es nicht schwer seyn, auf die zuverlässigen Spuren dieser seltenen Naturerscheinung zu kommen. Man hat, so wie ich höre, gewisse Seen in der Schweiz, von denen man eine periodische Anfüllung und Ablauf kennet, sehr glücklich durch den Heber erklärt. Es ist auch mehr als wahrscheinlich, daß es eine ähnliche Bewandtniß mit dem Über- und Abfliessen des Fucinischen Sees, bis auf die gewöhnlichen Grenzen nämlich, habe.
Wie stark die Überschwemmungen in ältern Zeiten anwuchsen, sehen wir aus Julius Obsequens, der uns meldet, daß in dem Consulat des M. Ämilius und des C. Hostilius Mancinus, 138 Jahre vor unserer Zeitrechnung, der Fucinische See alles auf fünftausend Schritte umher unter Wasser setzte.
Es ist daher wahrscheinlich, daß bey einem Volke, wie die Römer, welches den Ackerbau als sein vornehmstes Geschäft trieb, und schon in frühern Zeiten der Republik zeigte, daß es Kenntnisse und Muth für große und nützliche Werke hatte, der Gedanke frühe reif werden mußte, durch eine künstliche Ableitung nicht nur fernern Überschwemmungen zuvorzukommen, sondern selbst den ganzen See auszutrocknen, wodurch so viel vortrefliches Land zum Anbaue gewonnen würde. Allein der Überschlag der Unkosten, verglichen mit dem spätern Nutzen, mochte wohl die Unternehmung nie zur Reife kommen lassen.
Der erste, welcher dieses große Werk mit Ernst anzugreifen dachte, war Julius Cäsar, aber sein frühzeitiger Tod kam seiner Unternehmung zuvor. Die Marsen liessen nachher nie ab, mit wiederhohlten Vorstellungen und Bitten einzukommen. Einige wollten sogar das Werk auf eigene Unkosten versuchen, wenn ihnen die ausgetrokneten Ländereyen als Eigenthum überlassen würden. Diese Gesuche wurden aber unter den ersten Kaisern immer verweigert. Claudius endlich, der zur Verewigung seines Namens keine Unkosten scheuete, und daher lieber große, als nothwendige und viele Werke ausführte, übernahm die Ableitung des Sees auf eigene Unkosten.
Wie ward das Unternehmen dann angegriffen? und welchen Erfolg hatte es? Beyde Fragen sind verwickelt; und in Rücksicht der letztern besonders scheinet in den Aussagen der alten Schriftsteller mehr als ein Widerspruch obzuwalten. Wir wollen zuerst diesen Punkt zu erläutern suchen, und dann zur Beschreibung der Ableitung selbst fortschreiten.
Zuerst kommt uns eine Stelle Dion’s vor, welche sagt: „Claudius wollte den fucinischen See, welcher im Marser Lande ist, in den Tiber ableiten; theils weil die Gegend um den See vortreflich zum Anbaue ist, theils daß der Fluß dadurch schiffbarer gemacht würde: aber die Ausgaben waren unnütz.“
Viele haben geglaubt, daß man anstatt Tiber, Liris lesen müßte, und der Text durch die Abschreiber verdorben sey. Die Gründe sind: erstlich weil nicht nur alle andern Schriftsteller den Liris kennen, sondern wirklich der Augenschein des existirenden Kanals es beweiset: zweytens weil wegen der großen Entfernung des Sees von dem Tiber, und der Kette von hohen Gebirgen, welche dazwischen liegen, ein solches Unternehmen ganz unthunlich würde gewesen seyn.
Allein Fabretti hat bereits die Unveränderlichkeit des Textes von Dion gerettet, und dargethan, wie der See wirklich in den Tiber hätte können geleitet werden, und wie natürlich Claudius darauf verfallen konnte, es zu bewerkstelligen.
Wir haben oben bey der Angabe der Lage des Sees bemerkt, daß er ganz umher mit hohen Bergen umschlossen sey, und nur gegen die Palentinischen Gefilde eine freye Pläne vor sich habe, in welcher in einer Entfernung von fünf Meilen der Salto fließt. Dieser Fluß ergießt sich nordwärts in den Velinio. Der den berühmten Wasserfall unweit Terni in die Nera machet, und diese endlich verliert sich in den Tiber. Hätte man also den See durch die genannte Strecke von fünf Meilen in den Salto geleitet, so wäre der See wirklich mit dem Tiber verbunden worden. Auch ist mehr als eine Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß Claudius von Anfang versuchte, den Kanal vom See nach dem Salto zu graben zu lassen. Erstlich: da der Salto nicht südwärts nach dem See – da doch eine offene Pläne dazwischen liegt – sondern nordwärts nach dem Velino fließet, so ist es klar, daß der Fluß niedriger, als der See selbst liegt. Zweytens war von dieser Seite kein Gebirge zu durchstechen, wie von jeder andern Seite der Fall seyn mußte. Drittens fügt Dion in der angeführten Stelle ausdrücklich hinzu, daß die Ausgaben vergeblich gewesen seyen: – daß aber dieser Schriftsteller solches nicht von dem nachherigen Kanal, nach dem Liris zu, meinen könne, wird hernach aus den Zeugnissen anderer Autoren, und Dion’s selbst erhellen. Man bemerke für jetzt nur, daß Dion ein Chroniker ist, der seine Geschichte nach den Jahren erzählt. Nun findet sich genannte Stelle im zweyten Jahre der Regierung des Claudius, das auch nach andern Schriftstellern das Jahr war, wo dieser Kaiser das große Werk den See abzuleiten unternahm. Der Kanal gegen den Liris hingegen ist erst im zwölften Jahre seiner Regierung vollendet worden. Dion wollte also hier nicht von dem letztern reden, sondern von den unausgeführten frühern nach dem Fluße Salto.
Noch mehr: obwohl der Text Dion’s, da er von den letzten RegierungsJahren des Claudius spricht, sehr verstümmelt ist, und seine Ausleger ihn wenig zu ergänzen wußten; so findet sich doch ein zweytes Fragment, das sich ganz deutlich auf die Ableitung des Fucinischen See bezieht: nämlich wo er von dem berühmten Wassergefechte erzählt, welches der Kaiser auf diesem See nach der Vollendung dieses großen Werkes, und am Tage des wirklichen Ablasses gab. Ja eine dritte Stelle dieses Autors wird uns noch weiteres Aufschlüsse bestätigen helfen. Anstatt also obgenannte Stelle Dion*s zum Nachtheile des großen Werkes, als wenn es gänzlich misslungen wäre, auszulegen, müssen wir ihm vielmehr Dank wissen, daß er uns von einer Particularität, diese Ableitung betreffend, unterrichtete, wovon alle übrigen Schriftsteller geschwiegen haben.
Wie konnte man aber in so aufgeklärten Zeiten, wie diejenigen des Kaisers Claudius waren, eine solche Arbeit unternehmen, ohne vorher die thunliche Weise zu ihrer Vollführung kennen gelernt zu haben? Die Antwort ist allerdings schwer, wenn man den Römern nicht die gröbste Unwissenheit in diesem Kenntnißfache Schuld geben will. Indessen konnten die Ursachen, von dem ersten angefangenen Kanal abzustehen, und den zweyten zu unternehmen, vielfach seyn.
1) Hatte man anfänglich die Absicht vielleicht nicht, den See ganz, sondern nur einen Theil davon auszutrocknen und fernern Überschwemmungen zuvorzukommen.
2) Fand man vielleicht das Erdreich in den Palentinischen Gefilden für einen festen und dauerhaften Kanal zu locker; und folglich hätte man zuviel mauern und unterbauen müssen.
3) Fieng man vielleicht an zu fürchten, daß durch die Vermehrung der Masse Wassers, welche der Salto, und der Velino, die Nera, und der Tiber dadurch empfangen würden, überall großer Schaden durch Überschwemmungen möchte verursachet werden, und man daher was von einer Seite durch die Austrocknung des Sees an urbarem Lande gewonnen würde, von einer andern Seite wieder verlieren könnte. Diese Ursache scheinet um so gegründeter, da wir im Tacitus lesen, daß schon zu den Zeiten des Tiberius der Vorschlag gemacht worden, ob es nicht thunlich wäre, um den Überschwemmungen des Tibers Einhalt zu thun, den Flüssen und Seen, durch welche er anschwillt, eine andere Richtung zu geben. In einem besondern Anhang werde ich eine trefliche Anstalt die Hinderung der Überschwemmungen der Nera und des Tibers betreffend, beschreiben, welche vielleicht die Folge von dem damals gethanen Vorschlage war.
4) Weil der Fluß Liris wirklich viel niedriger als der Salto lieget, und man also auch den glücklichen Ausgang einer gänzlichen Austrocknung weniger bezweifeln konnte. Dabey war jener Fluß nur drey tausend fünfhundert Schritte vom See entfernt, da hingegen die Linie des Kanals nach dem Salto ungleich länger war. Vielleicht zeigte auch eine genauere und allseitige Nivellirung des Sees, daß die unter dem Wasser liegende Fläche ihre Neigung mehr gegen die Seite des nachherigen Kanals, als nach dem Salto zu, haben mochte. Dieses scheinet um so gegründeter, da wirklich unweit dem LirisKanal die Höhle Pedogna ist, welche den einzigen natürlichen Ausfluß bildet. – Überhaupt hat man sich keineswegs zu verwundern, wenn bey einer Unternehmung, wo so viele Dinge in Calcul genommen werden mußten, auch die in dieser Materie so aufgeklärten Zeiten eines Claudius erst durch Versuche den rechten Weg kennen lernten, ein Werk von dieser Art zu vollführen.
Da der erste Versuch, den See in den Salto, und dadurch in den Tiber abzuleiten, vergeblich war, wurde mit unausgesetztem Eifer die Arbeit, den Kanal nach dem Fluß Liris zu durchbrechen, unternommen. Die Schriftsteller kommen überein, daß derselbe in dem zwölften RegierungsJahre des Claudius vollendet war; nachdem dreyssigtausend Menschen beständig eilf Jahre lang ohne Unterlaß daran gearbeitet hatten. Zu der Arbeit dieser eilf Jahre muß auch der angefangene Kanal nach dem Salto gerechnet werden, weil das Unternehmen im zweyten Jahre des Claudius anfieng. Tacitus, Sucton, und Dion reden von dem berühmten Seegefechte, welches der Kaiser an dem zum Ablaß bestimmten Tage auf dem See gab, damit er vermittelst dieses Spieles eine ungewöhnlich starke Volksmenge dahin ziehen möchte, um Zeugen von der Vollendung dieses großen Werkes zu seyn.
Dieses Schaugefechte ist so einzig in der Geschichte der Menschheit, daß es nicht uninteressant seyn wird, genannte Schriftsteller mit ihren eigenen Worten hierüber sprechen zu lassen.
Tacitus sagte: „da um die nämliche Zeit zwischen dem Fucinischen See und dem Flusse Liris ein Kanal durch das Gebirge war gebrochen worden; so ward, damit dieß prachtvolle Werk von vielen gesehen würde, ein Gefechte mit Schiffen auf dem See selbst veranstaltet; so wie Augustus einst ein ähnliches auf einem jenseits des Tibers hiezu gegrabenem Teiche, zwar mit leichtern Schiffen und weniger Streitenden gegeben hatte. Claudius bewaffnete drey und vierrudrige Schiffe mit neunzehntausend Mann. Im ganzen Umfang des Sees ließ er Flösse aufstellen, damit keines der Schiffe entfliehen könnte. Doch ward in der Mitte hinreichend Raum gelassen, damit die Streitenden frey rudern, und die Anführer alle Künste, welche immer in einer wirklichen Seeschlacht üblich sind, zum Angriff aufbieten konnten. Die Prätorianer waren auf den Flössen in Rotten und Schaaren vertheilt, mit vor sich erbauten Festungswerkern, von welchen sie mit Kriegsmaschinen Pfeile, Steine, und brennbare Materialien schleudern konnten. Der ganze innere Umfang des Sees machte den Raum für die bedeckten Schiffe der beyden Flotten. Die Ufer, die Hügel und die Anhöhen der Berge erfülte gleich einem Theater eine zahllose Menge Zuschauer aus den nächsten Municipalstädten, und andere kamen selbst aus der Stadt, theils um das Gefecht zu sehen, theils um den Kaiser den Hof zu machen. Er selbst, mit einer prachtvollen Kriegsrüstung angethan, hielt den Vorsitz, und nicht weit von ihm saß Agrippina in einer Goldgewirkten Chlamis. Obwohl die Streitenden Missethäter waren, so schlugen sie sich doch mit dem Muth tapferer Männer; endlich nach vielem Verwunden ward ihnen das Leben geschenkt.“
Sueton berichtet uns einiges mehr: „Ehe Claudius den See ablassen wollte, stellte er eine Naumachie an. Aber da er auf den Zuruf der zum Kampfe bestimmten: Heil dir, Kaiser! wir zum Tode gehenden grüssen dich! – geantwortet hatte: Auch Euch wünsche ich Heil! – und nach diesen Worten, als wenn die Vergebung erhalten hätten, keiner mehr fechten wollte, stand er eine Weile an, ob er nicht alle durch Feuer und Schwerdt vertilgen sollte. Endlich sprang er von seinem Sitze auf, lief mit ängstlichem Wesen am See umher, und brachte sie endlich theils durch Drohen, theils durch Ermahnen zum Streit. Von den beyden Flotten, welche sich bey diesem Schauspiel schlugen, hieß eine die Rhodische, und die andere die Sizilianische, jede zwölf dreyrudrige Galeeren stark: ein silberner Triton, welcher vermittelst einer Maschine aus der Mitte des Sees sich erhob, gab mit seinem Muschelhorn das Zeichen zur Schlacht.“
Im Dion sehen wir die Bestätigung dessen, was Tacitus und Sueton uns erzählen; „Claudius, berichtet er, wollte auf einem gewissen See ein Gefecht mit Schiffen vorstellen lassen, und umgab denselben zu diesem Zwecke mit einer hölzernen Mauer. Auch errichtete er Gerüste von Holz für das zu diesem Schauspiel von allen Seiten zuströmende Volk. Ein jeder war dabey nach Belieben gekleidet; aber Claudius und Nero erschienen in kriegerischer Rüstung, und Agrippina in einer goldgewirkten Chlamis. Die Streitenden waren zum Tode verdammte Missethäter: beyde Flotten bestunden zusammen aus funfzig Schiffen: eine hieß die Rhodische, die andere die Sizilianische Flotte. Während die Schiffe der beyden Partheyen noch vermischt waren, riefen sie mit folgenden Worten den Claudius an: Heil dir, Kaiser! wir zum Tode gehenden grüssen dich! – Nachher, als sie die Begnadigung nicht erhielten, sondern nichts destoweniger sich zu schlagen befehliget wurden, so kreuzten die in Schlachtordnung gereihten Schiffe nur einander wechselweise vorbey, und wurden nicht eher handgemein, als bis sie, durch Gewalt gezwungen, sich untereinander darnieder machten.“
Dieses grosse und in seiner Art einzige Gefecht gieng dem Ablaß des Sees voran. Tacitus setzet es ganz bestimmt in seinen Annalen in das zwölfte Jahr der Regierung des Claudius. Sueton giebt blos die eilf Jahre an, welche die Arbeit dauerte: da sie aber im zweyten Jahr dieses Kaysers nach Dion anfieng, so kommt sein Ausspruch vollkommen mit Tacitus überein. Das zwölfte Regierungsjahr des Claudius fällt in das Jahr 806 der Stadt Rom, und in das Jahr 53 der christlichen Zeitrechnung. Hier wäre also ein Verstoß, was den Text Dion’s betrift: dieß Gefecht nehmlich stehet unter dem Jahr 803 der Stadt Rom; folglich drey Jahre früher, als die zwey andern Schriftsteller angeben. Allein nächst dem, daß Dion’s Ansehen gegen die ausdrücklichen Worte des Tacitus, und Sueton wenig gelten würde, bedarf es keines grossen Scharfsinnes, um zu sehen, wie sehr der Dionische Text gelitten hat, und mit wie wenig Kritik die Bruchstücke davon sind zusammengestellt worden, anstatt mit Hülfe anderer Schriftsteller gehörig geordnet zu werden. Gleich im Anfange der angeführten Stelle wird anstatt des bestimmten Ortes, wo das Seegefechte vorgieng, blos im Allgemeinen ein gewisser See angegeben, da es doch ausser Zweifel ist, daß Dion von dem nehmlichen Schauspiel spricht, welches Tacitus und Sueton meinen. Jeder wird leicht dabey gewahr, daß in einem Vordersatz des zu Grunde gegangenen Textes von dem Fucinischen See, und dessen Ablaß die Rede war. Kritiker hätten demnach vermittelst genannter Schriftsteller den Text Dion’s verbessern, und die angeführte Stelle in das 12te Jahr des Claudius, anstatt in das 9te reihen sollen. Weiterhin werden wir noch auf eine andere Stelle stossen, woraus die unglückliche Fragmentirung dieses Autors noch mehr erhellet.
Da nun dieses berühmte Schauspiel zu Ende war und dann der Kanal für den Ablauf des Wassers geöfnet wurde, entsteht nun die Frage, in wie fern Claudius seinen Zweck, den See ganz ablaufen zu lassen, erreicht habe? –
Hierüber giebt uns Tacitus wieder die bestimmteste und deutlichste Auskunft, indem er in der oben angezeigten stelle fortfährt: „aber nachdem das Schauspiel zu Ende war, ward der Kanal für den Ablauf des Wassers eröfnet, und dann lag es am Tage, mit welcher Sorglosigkeit man dieses Werk angegriffen, und vollführt hatte; nämlich daß der Kanal für den mittelsten oder tiefsten Theil des Sees nicht niedrig genug gegraben worden war.“
Theils aus diesen Worten des Tacitus, theils aus den obenangezeigten des Dio Cassius , und noch mehr aus einer Stelle des Plinius, welche sagt, daß dieses grosse Werk durch den Haß des Nachfolgers des Claudius nicht wäre fortgesetzt worden , haben viele den Schluß ziehen wollen, daß das Unternehmen ganz misslungen und aller Aufwand vergeblich gewesen sey.
Was die Stelle Dion’s betrift, ist schon oben gezeigt worden, daß sie sich keinesweges auf den Kanal gegen den Liris beziehe, sondern von dem ersten Versuch gegen den Salto zu verstehen sey.
Wie die Stelle des Plinius gemeint sey, werden wir weiterhin bemerken. Tacitus läßt uns keinen Augenblick im Zweifel, indem er fortfährt: „Einige Zeit darauf, nachdem der Kanal tiefer gegraben worden, suchte Claudius aufs neue eine Menge Menschen dahin zu versammeln; indem er auf dem See selbst Gerüste erreichten ließ. Um darauf ein Schauspiel von Fechtern zu geben. Darauf wurde am Ausfluß des Sees ein allgemeines Gastmal ausgesetzt, wobey aber jedermann in grosses Schrecken gerieth: denn das Wasser schoß mit einer solchen Gewalt heran, daß es alles, was in der Nähe war, mit sich fortriß, das Fernere erschütterte, oder durch das Getöse und Krachen jeden in Schrecken versetzte. Hiebey bediente sich Agrippina der Furcht des Kaisers, um den Narcissus, welcher dieses Werk zu besorgen hatte, der Habsucht und des Raubes anzuklagen. Er aber schonte sie auch nicht, und warf derselben ihr weibisches Unvermögen, und ihr herrschsüchtiges Streben nach gar zu grossen Dingen vor.
Aus dieser Stelle erhellet deutlich, daß Claudius den Kanal das zweytemal in gehöriger Tiefe graben ließ, und so den ersten Fehler des Werkes selbst gut machte. Auch brauchet Sueton, wo er von diesem, so wie von andern grossen Werken des Claudius spricht, das Wort Perfecit – er hat es vollbracht, ausgeführt. Auch bedienet sich die Chronik des Cusebius des bestimmten Wortes Exsiccavit – Claudius hat den Fucinischen See ausgetrocknet.
Auch glaube ich nicht, daß sich aus den letztern Worten der Stelle des Tacitus vernünftigerweise muthmasen lasse, als wenn der Kanal selbst bey dem Ablasse des Wassers wäre beschädiget worden. Wahrscheinlich war man bey der Eröfnung der Schleussen nicht vorsichtig genug; das Wasser ward zu schnell in Bewegung gesetzt, so daß der Druck, und die Gewalt desselben auf einmal zu groß wurde. Daher die nahe an dem Ausflusse des Sees errichteten Brücken, oder zu schwach befestigten Flösse, worauf die Fechter gestritten hatten, und auch die Gerüste, von welchen das Volk das Schauspiel sah, und vielleicht auch die nahe am Ufer aufgesetzten Tafeln leicht mochten erschüttert, und zum Theil auch vom Strome mit fortgerissen werden. Dieß – und dieß allein – scheinen die Worte des Tacitus anzuzeigen. Agrippina klagte bey dem furchtsamen und erschrockenen Kaiser den Narcissus auf der Stelle an, als Besorger und Anordner nämlich des Schauspiels und des Gastmals, aber keineswegs folgt aus den Worten, als wenn er Vorsteher und Baumeister des Kanals selbst gewesen sey. Auch wäre es in dem ersten Augenblicke des Getöses und Krachens unmöglich gewesen zu wissen, ob der Kanal selbst gelitten habe. Was mehr als alles diesen Punkt ausser Zweifel setzet, ist die Ansicht des Kanals selbst. Tief unter der Erde durch einen lebendigen Felsen gehauen, konnte er durch keine Macht von Wasser Schaden leiden.
Noch kommt in Dion eine dritte Stelle vor, welche neue Schwierigkeiten zu häufen scheint, und daher einer nähern Entwickelung bedarf. Sei enthält folgende Worte: „aber nachher, als der Fucinische See eingestürzt war, erhob sich eine heftige Klage gegen den Narcissus. Denn man glaubte, daß er als Vorsteher dieses Werkes viel weniger, als er hoffte, darauf verwendet, und daher mit Fleiß den Zusammensturz desselben verursacht habe, damit seine Räubereyen nicht entdeckt würden.“
Entweder sind diese Worte aus einer Randnote eines Commentators durch einen spätern Abschreiber in den Text eingeschoben worden; oder sie erweisen weiter nichts.
Warum ich jenes argwöhne, ist erstlich die Unbestimmtheit der Worte selbst. Was für einen Begriff soll man aus den Worten schöpfen „der Fucinische See ist eingestürzt?“ – und dann weiter: „er verwendete darauf viel weniger, als er hofte?“ – Weder das eine, noch das andere giebt einen Sinn. Zweytens ist die Stelle von der obigen, worinn Dion das berühmte Seegefechte beschreibt, obwohl in dem nämlichen Kapitel, ganz getreunet, und ohne Verbindung dessen, was vorangehet, noch dessen, was nachkommt, in den Text eingeschaltet. Man sehe selbst die Reimarische Ausgabe dieses Autors hierüber nach.
Sey es aber auch, daß die Worte ja zum Original-Text gehörten, so sind sie nichts anders, als eine Bekräftigung dessen, was Tacitus uns von dem zweyten Schauspiel, der Fechter nämlich, und dem dabey erfolgten Einsturze der hölzernen Gerüste erzählet. Daß der Kanal selbst eine wesentlichen Schaden dabey sollte erlitten haben, läßt sich in keiner Rücksicht aus den Worten Dion’s abnehmen. Diese Stelle erweiset also gegen meine Meinung nichts.
Der einzige Satz, welcher uns noch zweifelhaft machen könnte, ist der angezeigte des Plinius, welcher deutlich sagt, daß dieß Werk durch den Haß des Nachfolgers des Claudius unterlassen, das heißt: nicht fortgesetzt worden sey. Wie konnte Plinius dieses niederschreiben, wenn das Werk ganz durch Claudius vollendet worden wäre?
Hierauf antworte ich: daß der Kanal wohl ganz und gehörig vollendet seyn konnte, ohne daß das ganze Werk, welches Claudius zur Absicht hatte, vollendet war.
Claudius wollte den ganzen See austrocknen, um das dadurch gewonnene Land urbar zu machen. Dieß konnte aber nicht blos dadurch erreicht werden, daß der Hauptkanal des Abflusses gezogen worden war; denn es ist leicht begreiflich, daß das Bett des Sees seine Höhen und Tiefen hatte, und besonders diese gegen die Mitte desselben stärker, als gegen die Ufer zu seyn mußten. Es war also unmöglich, daß alles Wasser des Sees nach dem Kanal laufen konnte, bis nicht in dem vorher mit Wasser bedecktem Bette neue Kanäle gegen den Hauptkanal gegraben würden. Blos vermöge einer solchen Arbeit ist es denkbar, daß man den Ablauf des Wassers aus den tiefern Lagen bewirken konnte. Allein auch diese waren zur Vollendung des Werkes noch nicht hinlänglich. Jetzt mußten noch Kanäle für die regelmäsigen und unregelmäsigen Zuflüsse, welche sich in das Bette des Sees ergiessen, gezogen werden: erstlich für den Fluß Pitonius, und zweytens für die Bergströme, welche nach den Jahreszeiten durch häufigen Regen, oder durch das Schmelzen des Schnees sehr anschwellen, oft reissend werden, und von mehrern Seiten ihren Lauf nach dem See nehmen. Solche Kanäle, welche von mehrern Seiten her das ganze Bett des vormaligen Sees durchkreuzen, und starke Dämme haben mußten, erfoderten allerdings keine geringe Arbeit, und doch waren sie nöthig, wenn die Gewässer sich nicht länger über die Oberfläche des ehemaligen Seebettes ergiessen, und die getrockneten Felder urbar gemacht werden sollten.
Diese Kanäle und Dämme, scheinet es, hat Claudius, welcher die Vollendung des Hauptkanals nicht vielmehr als ein Jahr überlebte, nicht mehr ziehen können; und diese noch zu vollendende Arbeit mag Plinius im Sinne gehabt haben, wenn er sagt: daß dieses Werk von seinem Nachfolger Nero nicht sey fortgesetzt worden.
Unerachtet dessen bleibet uns leicht begreiflich, daß durch die Bemühungen des Claudius so viel gewonnen ward, daß die nachtheiligen Überschwemmungen der schon vorher urbaren Felder um den See nicht mehr statt fanden, und auch ein grosser Theil Landes vom See selbst sogleich zum Anbaue benutzt werden konnte.
Die drey ersten Nachfolger des Nero lebten zu kurz, um zu vermuthen, daß während ihrer Regierung etwas hätte geschehen können. Auch scheinet es, daß weder unter den drey Flaviern, noch unter Nerva die Vollendung des Werkes sey betrieben worden.
Aus einer Innschrift, welche sich in Phoebonius und andern findet, läßt sich vermuthen, daß Trajan der erste war, der die Fortsetzung dieses Werkes beherzigte. Diese Inschrift war zu der Zeit des Phöbonius in Avezzano aufgestellt. Aber Fabretti, welcher sie nicht mehr dort fand, leugnet ihre Existenz geradezu; doch sind seine Gründe keinesweges überzeugend. Die letzten Worte dieser Innschrift sind auf verschiedene Weise ergänzt worden. Indessen ist der Hauptsinn in so weit erkennbar und deutlich, daß nämlich von Trajan ein Theil Landes für den Anbau von dem Fucinischen See gewonnen worden ist. Mit besserm Grunde verwirft Fabretti eine zweyte Innschrift, welche am Eingang des grossen Cuniculus des Emissairs gefunden worden seyn soll, und also lautet: nobilis progenies Aug. hic tumulatus est. Die Ausleger wollten nämlich hiermit darthun, daß Agrippina, als Claudius das zweyte Schauspiel von Fechtern auf dem See gab, schwanger war, und aus Schrecken über den Einsturz der hölzernen Gerüste um das Kind kam, welches dann daselbst begraben worden sey.
Daß Hadrian nach Trajan auf’s neue Hand an dieses Werk legte, sagt uns Spartian ausdrücklich, aber mit folgenden kargen Worten: „Hadrian ließ den fucinischen See ab.“ Wahrscheinlich bestand diese Arbeit in der Fortsetzung dessen, was Claudius und Trajan schon gethan hatten; so daß unter diesem Kaiser das Werk der Austrocknung vermöge der nöthigen Kanäle und Dämme, welche in dem Bette des ehemaligen Sees selbst gezogen wurden, vollkommen zu Stande kam.
Was fernerhin zur Unterhaltung der Kanäle geschah, und wie lange es dauerte, bis der grosse Kanal selbst durch Verstopfung unbrauchbar wurde, und der See sich wieder in seine alten Grenzen verbreitete, ist ganz unbekannt.
Ehe ich nun zur Beschreibung des Hauptkanals selbst schreite, will ich zuvor noch das Resultat vorgesetzter Nachsuchungen in eine kurze Ansicht fassen, und hier wiederholen.
Ich glaube nämlich gefunden zu haben:
1) daß Claudius im zweyten Jahre seiner Regierung den See nach dem Flusse Salto abzuleiten unternahm, aber nach vergeblich verwandten Unkosten davon abließ, und dann
2) die Ableitung nach dem Flusse Liris mit besserm Erfolg unternahm. Im zwölften Jahre seiner Regierung ward er in so weit vollendet, daß der erste Versuch, den See abzulassen, vorgenommen wurde; und es war bey dieser Gelegenheit, daß das berühmte Seegefechte statt fand.
3) Da sich aber hiebey der Fehler zeigte, daß der Kanal für den Ablauf der mittelsten Gewässer nicht tief genug gegraben war; so ward auch diesem Fehler durch eine zweyte Arbeit abgeholfen, und der Kanal in gehöriger Tiefe gegraben. Bey diesem zweyten Ablaß gab Claudius das Fechterspiel, und das öffentliche Gastmal. Die Gewalt des Wassers riß die, in und an dem See errichteten, Brücken und Gerüste ein; allein ohne Beschädigung des Kanals selbst.
4) Nun aber, da die wesentliche Absicht des Kaisers war, das ganze vom See gewonnene Land urbar zu machen, bedurfte es zu diesem Zweck neuer Kanäle und Dämme in dem vorherigen Bette des Sees selbst: Allein diese Arbeit blieb durch den bald erfolgten Tod des Claudius, und durch die Vernachlässigung seines Nachfolgers unvollendet. Auch scheinen die nachfolgenden Kaiser nichts dabey unternommen zu haben, bis
5) Unter Trajan und Hadrian die ganze Austrocknung des Sees durch Ziehung der benöthigten Kanäle und Dämme vollendet ward.
(Die Fortsetzung folgt.)