HomeDie Horen1796 - Stück 8III. Briefe auf einer Reise nach dem Gotthardt. [Johann Wolfgang von Goethe]

III. Briefe auf einer Reise nach dem Gotthardt. [Johann Wolfgang von Goethe]

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Genf, den 27sten Octobr.

Die grosse Bergkette, die von Basel bis Genf die Schweiz von Frankreich scheidet, wird, wie Ihnen bekannt, der Jura genannt; die größten Höhen davon ziehen sich über Lausanne bis ohngefähr über Rolle und Nion. Auf diesem höchsten Rücken ist ein merkwürdiges Thal von der Natur eingegraben, (ich möchte sagen eingeschwemmt, da auf allen diese Kalkhöhen die Wirkungen der uralten Gewässer sichtbar sind,) das la vallée de Joux genannt wird, welcher Nahme, da Joux in der Landsprache einen Felsen oder Berg bedeutet, deutsch das Bergthal hiesse. Eh ich zur Beschreibung unsrer Reise fortgehe, will ich mit wenigem die Lage davon geographisch angeben. Seine Länge streicht, wie das Gebürg selbst, ziemlich von Mittag gegen Mitternacht, und wird an jener Seite von den Septmoncels und an dieser von der Dent de vaulion, welche nach der Dole der höchste Gipfel des Jura ist, begränzt und hat, nach der Sage des Landes neun kleine, nach unsrer ungefähren Reiserechnung aber sechs starke Stunden. Der Berg, der es die Länge hin an der Morgenseite einschließt und auch von dem flachen Land herauf sichtbar ist, heißt le noir Mont. Gegen Abend streicht der Risou hin und verliert sich allmählig gegen die Franche comté. Frankreich und Bern theilen sich ziemlich gleich in dieses Thal, so daß jenes die obere schlechte Hälfte und dieses die untere bessere besitzt, welche leztere eigentlich la vallée du lac de Joux genannt wird. Ganz oben in dem Thal, gegen den Fuß der Sept moncels liegt der Lac des rousses, der keinen sichtlichen einzelnen Ursprung hat, sondern sich aus quelligtem Boden und den überall auslaufenden Brunnen sammlet; aus demselben fließt die Orbe, durchstreicht das ganze französische und einen grossen Theil des Berner Gebiets, bis sie wieder unten gegen den Dent de vaulion sich zum Lac de Joux bildet, der seitwärts in einen kleinen See abfällt, woraus das Wasser endlich sich unter der Erde verlieret. Die Breite des Thals ist verschieden, oben beim Lac de rousses etwa eine halbe Stunde, alsdenn verringert sich’s und läuft wieder unten auseinander, wo etwa die gröste Breite anderthalb Stunden wird. So viel zum bessern Verständniß des folgenden, wobei ich Sie einen Blick auf die Charte zu thun bitte; ob ich sie gleich alle, was diese Gegend betrifft, unrichtig gefunden habe.

Den 24sten Octobr. ritten wir, in Begleitung eines Hauptmanns und Oberforstmeisters dieser Gegenden erstlich Mont, einen kleinen zerstreuten Ort, der eigentlicher eine Kette von Reb und Landhäusern genennt werden mag, durch die Weinberge hinan. Das Wetter war sehr hell, wir hatten, wenn wir uns umkehrten, die Aussicht auf den Genfersee, die Savoier und Wallis Gebürge, konnten Lausanne erkennen und durch einen leichten Nebel auch die Gegend von Genf. Der Mont blanc, der über alle Gebürge des Faucigni ragt, kam immer mehr hervor. Die Sonne ging klar unter, es war so ein grosser Anblick, daß ein menschlich Auge nicht dazu hinreicht. Der fast volle Mond kam herauf und wir immer höher. Durch Fichtenwälder stiegen wir weiter den Jura hinauf, und sahen den See im Dufft und den Wiederschein des Monds darin. Es wurde immer heller. Der Weg ist eine wohlgemachte Chaussee, nur angelegt, um das Holz aus dem Gebürg bequemer in das Land herunter zu bringen. Wir waren wohl drei Stunden gestiegen, als es sachte wieder hinab zu gehen anfieng. Wir glaubten unter uns einen grossen See zu erblicken, indem ein tiefer Nebel das ganze Thal, was wir übersehen konnten, ausfüllte. Wir kamen ihm endlich näher, sahen einen weissen Bogen, den der Mond darinn bildete und wurden bald ganz vom Nebel eingewickelt. Die Begleitung des Hauptmanns verschaffte uns Quartier in einem Hause, wo man sonst nicht Fremde aufzunehmen pflegt. Es unterschied sich in der innern Bauart von gewöhnlichen Gebäuden in nichts, als daß der grosse Raum mitten inne zugleich Küche, Versammlungsplatz, Vorsaal ist, und man von da in die Zimmer gleicher Erde und auch die Treppe hinauf geht. Auf der einen Seite war an dem Boden auf steinerne Platten das Feuer angezündet, davon ein weiter Schornstein, mit Brettern dauerhaft und sauber ausgeschlagen, den Rauch aufnahm. In der Ecke waren die Thüren zu den Backöfen, der ganze Fußboden übrigens gedielet, bis auf ein kleines Ekgen am Fenster um den Spühlstein, das gepflastert war; übrigens rings herum, auch in der Höhe über den Balken eine Menge Hausrath und Geräthschaften in schöner Ordnung angebracht, alles nicht unreinlich gehalten. Den 25sten Morgens war helles kaltes Wetter, die Wiesen bereift, hier und da zogen leichte Nebel, wir konnten den untern Theil des Thals ziemlich übersehen, unser Haus lag am Fuß des östlichen Noir mont’s. Gegen Achte ritten wir ab, und um der Sonne gleich zu geniessen, an der Abendseite hin. Der Theil des Thals, an dem wir hinritten, besteht in abgetheilten Wiesen, die gegen den See zu etwas sumpfiger werden. Die Orbe fließt in der Mitte durch. Die Einwohner haben sich theils in einzelnen Häusern an der Seite angebaut, theils sind sie in Dörfern näher zusammen geruckt, die einfachen Namen von ihrer Lage führen. Das erste, wodurch wir kamen, war le Sentier. Wir sahen von weitem die Dent de vaulion über einem Nebel, der auf dem See stand, hervorsehen, das Thal ward breiter, wir kamen hinter einen Felsgrath, der uns den See verdekte, durch ein ander Dorf le Lieu genannt, die Nebel stiegen und fielen wechselweise vor der Sonne. Hier nahe bei ist ein kleiner See, der keinen Zu- und Abfluß zu haben scheint. Das Wetter klärte sich völlig auf und wir kamen gegen den Fuß der Dent de vaulion, und trafen hier an das nördliche Ende des grossen Sees, der, indem er sich westwärts wendet, in den kleinen durch einen Damm unter einer Brücke weg seinen Ausfluß hat. Das Dorf drüber heißt le Pont. Die Lage des kleinen Sees ist wie in einem eigenen kleinen Thal, was man niedlich sagen kann. An dem westlichen Ende ist eine merkwürdige Mühle in einer Felsklufft angebracht, die ehemals der kleine See ausfüllte, nunmehr ist er abgedämmt und die Mühle in die Tiefe gebaut, das Wasser läuft durch Schleussen auf die Räder, es stürzt sich von da in Felsrizen, wo es eingeschluckt wird und erst eine Stunde von da in Valorbe hervorkommt, wo es den Namen des Orbeflusses führet. Diese Abzüge, (entonnoirs) müssen rein gehalten werden, sonst würde das Wasser steigen, die Klufft wieder ausfüllen und über die Mühle weggehen, wie es schon mehr geschehen ist; sie waren stark in der Arbeit begriffen, den morschen Kalkfelsen, theils wegzuschaffen, theils zu befestigen. Wir ritten zurück über die Brücke nach Pont, nahmen eine Wegweiser auf la Dent. Im Aufsteigen sahen wir nunmehr den grossen See völlig hinter uns. Ostwärts ist der noir Mont seine Gränze, hinter dem der kahle Gipfel der Dole hervorkommt, westwärts hielt ihn der Felsrücken, der gegen den See ganz nakt ist, zusammen. Die Sonne schien heiß, es war zwischen eilf und Mittag. Nach und nach übersahen wir das ganze Thal, könnten in der Ferne den Lac des Rousses erkennen, und weiter her bis zu unsern Füssen, die Gegend, durch die wir gekommen waren, und den Weg, der uns rückwärts noch überblieb. Im Aufsteigen wurde von der grossen Streke Landes und den Herrschaften, die man oben unterscheiden konnte, gesprochen, und in solchen Gedanken betraten wir den Gipfel; allein uns war ein ander Schauspiel zubereitet. Nur die hohen Gebürgketten waren unter einem klaren und heitern Himmel sichtbar, alle niedren Gegenden mit einem weissen wolkigten Nebelmeer überdeckt, das sich von Genf bis nordwärts an den Horizont erstreckte und in der Sonne glänzte. Daraus stieg ostwärts die ganze reine Reihe aller Schnee- und Eisgebürge, ohne Unterscheid von Namen der Völker und Fürsten, die sie zu besitzen glauben, nur Einem grossen Herrn und dem Blick der Sonne unterworfen, der sie schön röthete. Der Mont blanc gegen uns über schien der höchste, die Eisgebürge des Wallis und des Oberlandes folgten, zulezt schlossen niedere Berge des Cantons Bern. Gegen Abend war an einem Platze das Nebelmeer unbegränzt, zur linken in der weitsten Ferne zeigten sich sodann die Gebürge von Solothurn, näher die von Neuchatel, gleich vor uns einige niedere Gipfel des Jura, unter uns lagen einige Häuser von Vaulion, dahin der Zahn gehört, und daher er den Namen hat. Gegen Abend schließt die Franche Comté mit flachstreichenden waldigten Bergen den ganzen Horizont, wovon ein einziger ganz in der Ferne gegen nordwest sich unterschied. Grad ab war ein schöner Anblick. Hier ist die Spitze, die diesem Gipfel den Namen eines Zahns giebt, er geht steil und eher etwas einwärts hinunter, in der Tiefe schließt sich ein kleines Fichtenthal mit schönen Grasplätzen an ihn an; gleich drüber legt das Thal Valorbe, wo man die Orbe aus dem Felsen kommen sieht und rückwärts zum kleinen See ihren unterirrdischen Lauf in Gedanken verfolgen kann. Ungern schieden wir ab. Einige Stunden länger, indem der Nebel um diese Zeit sich zu zerstreuen pflegt, hätten uns das tiefere Land mit dem See entdecken lassen, so aber mußte, damit der Genuß vollkommen werde, noch etwas zu wünschen übrig bleiben. Abwärts hatten wir unser ganzes Thal in aller Klarheit vor uns, stiegen bei Pont zu Pferde, ritten an der Ostseite den See hinauf, kamen durch l’Abbaye de Joux, welches jetzo ein Dorf ist, ehmals aber ein Sitz der Geistlichen war, denen das ganze Thal zugehörte. Gegen viere langten wir in unserm Wirthshaus an, und fanden ein Essen, wovon uns die Wirthinn versicherte, daß es um Mittag gut gewesen sey, aber auch übergar treflich schmecke.

Wie ich eben erwähnte, soll ehedem das Thal Mönchen gehört haben, die es dann wieder vereinzelt, und zu Zeiten der Reformation mit den übrigen ausgetrieben worden; jetzo gehört es zum Canton Bern und sind die Gebürge umher die Holzkammer von dem Pais de vaud. Die meisten Hölzer sind Privatbesitzungen, werden unter Aufsicht geschlagen und so ins Land gefahren. Auch werden hier die Dauben zu fichtenen Fässern geschnitten, Eimer, Bottige und allerlei hölzerne Gefässe verfertiget. Die Leute sind gut gebildet und gesittet, neben dem Holzverkauf treiben sie die Viehzucht, sie haben kleines Vieh und machen gute Käse, sie sind geschäftig und ein Erdschollen ist ihnen viel werth. Wir fanden einen, der die wenige aus einem Gräbgen aufgeworfene Erde mit Pferd und Karren in einige Vertiefungen eben der Wiese führte, die Steine legen sie sorgfältig zusammen und bringen sie auf kleine Haufen. Es sind viele Steinschleifer hier, die für Genfer und andere Kaufleute arbeiten, womit auch die Frauen und Kinder sich beschäftigen. Die Häuser sind dauerhaft und sauber gebaut, die Form und Einrichtung nach dem Bedürfniß der Gegend und der Bewohner, vor jedem Hause läuft ein Brunnen und durchaus spürt man Fleiß, Rührigkeit und Wohlstand. Über alles aber muß man die schönen Wege preisen, für die, in diesen entfernten Gegenden, der Stand Bern, wie durch den ganzen übrigen Canton sorgt. Es geht eine Chaussee um das ganze Thal herum, nicht übermässig breit, aber wohl unterhalten, so daß die Einwohner mit der grösten Bequemlichkeit ihr Gewerbe treiben, mit kleinen Pferden und leichten Wagen fortkommen können. Die Luft ist sehr rein und gesund.

Den 26sten ward beim Frühstück überlegt, welchen Weg man zurück nehmen wolle? Da wir hörten, daß die Dole, der höchste Gipfel des Jura nicht weit von dem obern Ende des Thals läge, da das Wetter sich auf das herrlichste anließ und wir hoffen konnten, was uns gestern noch gefehlt, heute vom Glück zu erlangen, so wurde dahin zugehen beschlossen. Wir pakten einem Boten Lebensmittel auf, und ritten gegen achte ab. Unser Weg ging nun durch den obern Theil des Thals in dem Schatten des noir Monts hin. Es war sehr kalt, hatte gereift und gefroren, wir hatten noch eine Stunde im Bernischen zu reiten, durch einen kleinen Fichtenwald rückten wir ins französische Gebiet ein. Hier veränderte sich der Schauplatz sehr. Was wir zuerst bemerkten, waren die schlechten Wege. Der Boden ist sehr steinig, überall liegen grosse Haufen zusammengelesen, wird ist er eines Theils sehr morastig und quelligt, die Waldungen umher sind sehr ruiniret, den Häusern und Einwohnern sieht man, ich will nicht sagen Mangel, aber doch bald ein sehr enges Bedürfniß an, sie gehören fast als Leibeigne an die Canonicos von St. Claude, sie sind an die Erde gebunden, viele Abgaben liegen auf ihnen. Doch ist auch dieser Theil des Thales sehr angebaut, sie nähren sich mühsam und lieben doch ihr Vaterland sehr, stehlen gelegentlich den Bernern Holz und verkaufen’s wieder in’s Land. Der erste Sprengel heißt le Bois d’amont, durch den wir in das Kirchspiel des Rousses kamen, wo wir den kleinen Lac des Rousses und les sept Moncels, sieben kleine, verschieden gestaltete und verbundene Hügel, die mittägige Gränze des Thales, vor uns sahen. Wir kamen bald auf die neue Strasse, die aus dem Pais de vaud nach Paris führt, wir folgten ihr eine Weile abwärts, und waren nunmehr von unserm Thale geschieden, der kahle Gipfel der Dole lag vor uns, wir stiegen ab, um zu Fusse den Berg zu ersteigen.

Es war gegen Mittag, die Sonne schien heiß, aber es wechselte ein kühler Mittagswind. Wenn wir, auszuruhen, ums umsahen, hatten wir les sept Moncels hinter uns, wir sahen noch einen Theil des Lac des Rousses und um ihn die zerstreuten Häuser des Kirchspiels, der noir Mont deckte uns das übrige ganze Thal, höher sahen wir wieder ungefähr die gestrige Aussicht in die Franche comté, und näher bey uns, gegen Mittag, die letzten Berge und Thäler des Jura. Sorgfältig hüteten wir uns, nicht durch eine Bug der Hügel uns nach der Gegend umzusehen, um derentwillen wir eigentlich herauf stiegen. Ich war in einiger Sorge wegen des Nebels, doch zog ich aus der Gestalt des obern Himmels einige gute Vorbedeutungen. Wir betraten endlich den obern Gipfel, und sahen mit größtem Vergnügen uns heute gegönnt, was uns gestern versagt war. Das ganze Pais de vaud und de Gex lag wie eine Flurkarte unter uns, alle Besitzungen mit grünen Zäunen abgeschnitten, wie die Beete eines Parterrs. Wir waren so hoch, daß die Höhen und Vertiefungen des vordern Landes gar nicht erschienen. Dörfer, Städtgen, Landhäuser, Weinberge und höher herauf, wo Wald und Alpen angehen, Sennhütten, meist weiß und hell angestrichen, leuchteten gegen die Sonne; vom See hatte sich der Nebel schon zurücke gezogen, wir sahen den nächsten Theil an unsrer Küste deutlich, den sogenannten kleinen See, wo sich der grosse verenget und gegen Genf zugeht, dem wir gegenüber waren, ganz, und gegen über klärte sich das Land auf, das ihn einschließt. Über alles aber behauptete der Anblick über die Eis- und Schneeberge seine Rechte. Wir setzten uns vor der kühlen Luft in Schutz hinter Felsen, liessen uns von der Sonne bescheinen, das Essen und Trinken schmeckte treflich. Wir sahen dem Nebel zu, der sich nach und nach verzog, jeder entdeckte etwas, oder glaubte was zu entdecken, wir sahen nach und nach Lausanne mit allen Gartenhäusern umher, Vevay und das Schloß von Chillon ganz deutlich, das Gebürg, das uns den Eingang vom Wallis verdeckte, bis in den See, von da, an der Savoyer Küste, Evian, Ripaille, Tonon, Dörfgen und Häusgen zwischen inne, Genf kam endlich rechts auch aus dem Nebel, aber weiter gegen Mittag, gegen den Mont Credo und Mont vuache, wo das Fort l’ecluse inne liegt, zog er sich gar nicht weg. Wendeten wir uns wieder links, so lag das ganze Land von Lausanne bis Solothurn in leichtem Duft, die näheren Berge und Höhen, auch alles, was weiße Häuser hatten, konnten wir erkennen, man zeigte uns das Schloß Chanvan blinken, das vom Neuburgersee links liegt, woraus wir seine Lage muthmaßen, ihn aber in dem blauen Duft nicht erkennen konnten. Es sind keine Worte für die Größe und Schöne dieses Anblicks, man ist sich im Augenblick selbst kaum bewußt, daß man sieht, man ruft sich nur gern die Namen und alten Gestalten der bekannten Städte und Orte zurück und freut sich in einer taumlenden Erkenntniß, daß das eben die weißen Punkte sind, die man vor sich hat.

Und immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebürge das Aug’ und die Seele an sich. Die Sonne wendete sich mehr gegen Abend und erleuchtete ihre größere Flächen gegen uns zu. Schon was für schwarze Felsrücken, Zähne, Thürme und Mauern in vielfachen Reihen von dem See auf vor ihnen aufsteigen! wilde, ungeheure, undurchdringliche Vorhöfe bilden! wann sie dann erst selbst in der Reinheit und Klarheit in der freien Luft mannichfaltig da liegen, man giebt da gern jeden Anspruch an’s Unendliche auf, da man nicht einmal mit dem Endlichen im Anschauen und Gedanken fertig werden kann.

Vor uns sahen wir ein fruchtbar bewohntes Land, der Boden, worauf wir stunden, ein hohes, kahles Gebürge, trägt noch Gras, Futter für Thiere, von denen der Mensch Nutzen zieht, das kann sich der einbildische Herr der Welt noch zueignen; aber jene sind wie eine heilige Reihe von Jungfrauen, die der Geist des Himmels in unzugänglichen Gegenden, vor unsern Augen, für sich allein in ewiger Reinheit aufbewahrt. Wir bleiben und reizten einander wechselweise, Städte, Berge und Gegenden bald mit bloßem Auge, bald mit dem Teleskop, zu entdecken und gingen nicht eher abwärts, als biß die Sonne im Weichen den Nebel seinen Abendhauch über den See breiten ließ. Wir kamen mit SonnenUntergang auf die Ruinen des Fort de St. Sergues. Auch näher am Thal, waren unsre Augen nur auf die Eisgebirge gegenüber gerichtet. Die lezten, links im Oberland, schienen in einem leichten Feuerdampf aufzuschmelzen, die nächsten standen noch mit wohl bestimmten rothen Seiten gegen uns, nach und nach wurden jene weiß, grün, graulich. Es sah fast ängstlich aus. Wie ein gewaltiger Körper von außen gegen das Herz zu abstirbt, so erblaßten alle langsam gegen den Mont blanc zu, dessen weiter Busen noch immer roth herüber glänzte und auch zuletzt uns noch einen röthlichen Schein zu behalten schien, wie man den Tod des Geliebten nicht gleich bekennen, und den Augenblick, wo der Puls zu schlagen aufhört, nicht abschneiden will. Auch nun gingen wir ungern weg, die Pferde fanden wir in St. Sergues, und daß nichts fehle, stieg der Mond auf und leuchtete uns nach Nion, wo unter Weges unsere gespannten Sinnen sich wieder lieblich falteten, wieder freundlich wurden und mit frischer Lust aus den Fenstern des Wirthshauses den breitschwimmenden Wiederglanz des Monds im ganz reinen See genießen konnten.

Cluse in Savoyen, den 3ten Nov.

Auf der ganzen Reise ward so viel von der Merkwürdigkeit der Savoyer Eisgebürge gesprochen und wie wir nach Genf kamen, hörten wir, daß es immer mehr Mode würde, sie zu sehen, daß *** eine sonderliche Lust bekam, seinen Weg dahin zu nehmen, von Genf aus über Cluse und Saleuche in’s Thal Chamounis zu gehen, die Wunder zu betrachten, dann über Valorsine und Trient nach Mattinach in’s Wallis zu fallen. Der Weg, den die meisten Reisenden nehmen, schien wegen der Jahrszeit etwas bedenklich. Der Herr de Saussure wurde deswegen auf seinem Landgute gesucht und um Rath gefragt. Er versicherte, daß man ohne Bedenken den Weg machen könnte, es liege auf den mittlern Bergen noch kein Schnee und wenn wir in der Folge auf’s Wetter und auf den guten Rath der Landleute achten wollten, der niemals fehl schlüge, so könnten wir mit aller Sicherheit die Reise unternehmen.

Früh am Tage verliesen wir Genf in einem leichten Cabriolet, mit vier Rädern und fuhren den hohen Schneegebürgen, die wir vor Augen hatten, entgegen. Vom Genfersee laufen die vordern Bergketten gegen einander, biß Bonneville; hinter dieser Stadt schließt sich das Thal, obgleich noch sehr breit an, die Arve fließt sachte durch, die Mittagseite ist sehr angebaut und durchaus der Boden benutzt. Wir hatten seit früh etwas Regen befürchtet, aber die Wolken verließen nach und nach die Berge und theilten sich in Schäfgen, die uns schon mehr gute Zeichen waren. Die Luft war so warm, wie Anfangs September, noch viele Bäuem grün, die meisten braungelb, wenige ganz kahl, die Saat hochgrün, die Berge im Abendroth rosenfarb in’s Violette, und diese Farben auf großen, schönen, gefälligen Formen der Landschaft. Gegen fünfe kamen wir nach Cluse, wo das Thal sich schließet und nur einen Ausgang läßt, wo die Arve aus dem Gebürge kommt und wir Morgen hineingehen. Wir stiegen auf einen Berg und sahen unter uns die Stadt an einem Fels gegen über mit der einen Seite angelehnt, die andere mehr in die Fläche des Thals hingebaut, das wir mit vergnügten Bliken durchliefen und, auf abgestürzten Granitstücken sitzend, die Ankunft der Nacht, mit ruhigen und mannichfaltigen Gesprächen, erwarteten. Gegen sieben, als wir hinabstiegen, war es noch nicht kühler, als es im Sommer um neun Uhr zu seyn pflegt. In einem schlechten Wirthshaus, bey muntern und willigen Leuten, an deren Patois man sich erlustigt, erschlafen wir nun den morgenden Tag, vor dessen Anbruch wir schon unsern Stab weiter setzen wollen.

Salenche, den 4ten Nov. Mittags.

Biß ein schlechtes Mittagessen von sehr willigen Händen wird bereitet seyn, will ich versuchen, das Merkwürdigste von heute früh aufzuschreiben. Mit Tages Anbruch gingen wir zu Fuße von Cluse ab, den Weg nach Balme. Angenehm frisch war’s im Thal, das letzte Mondsviertel ging vor der Sonne hell auf und erfreute uns, weil man es selten so zu sehen gewohnt ist; leichte, einzelne Nebel stiegen aus den Felsritzen aufwärts, als wenn die Morgenluft junge Geister aufweckte, die Lust fühlten, ihre Brust der Sonne entgegen zu tragen und sie an ihren Blicken zu vergolden. Der obere Himmel war ganz rein, nur hie und da strichen durchleuchtete Wolkenstreifen. Balme ist ein elendes Dorf, unfern vom Weg, wo sich eine Felsschlucht wendet. Wir verlangten von den Leuten, daß sie uns zur Höle führen sollten, von der der Ort seinen Ruhm hat. Da sahen sich die Leute unter einander an und sagten einer zum andern: Nehm’ du die Leiter, ich will den Strick nehmen, kommt ihr Herrn nur mit! Diese wunderbare Einladung machte uns lachen, indem wir ihnen folgten. Der Stieg ging durch abgestürzte Kalkfelsenstücke erst hinauf, die durch die Zeit vor der steilen Felswand aufgestufet worden und mit Hasel- und Buchenbüschen durchwachsen sind. Auf ihnen kommt man endlich an die Schicht der Felswand, wo man mühseelig und leidig auf der Leiter und Felsstufen, mit Hülfe übergebogener Nußbäum-Äste, und dran befestigter Stricke hinaufklettern muß; dann steht man frölich in einem Portal, das in dem Felsen eingewittert ist, übersieht das Thal und das Dorf unter sich. Wir bereiteten uns zum Eingang in die Höle, zündeten Lichter an und luden eine Pistole, die wir losschießen wollten. Die Höle ist ein langer Gang, meist ebenes Bodens, auf Einer Schicht, bald zu ein bald zu zwei Menschen breit, bald über Mannshöhe, dann wieder zum bücken und auch zum durchkriechen. Gegen die Mitte steigt eine Kluft aufwärts und bildet einen spizigen Dom. In einer Eke schiebt eine Kluft abwärts, wo wir immer gelassen siebzehn bis neunzehn gezählt haben, eh’ ein Stein, mit verschiedentlich wiederschallenden Sprüngen, endlich in die Tiefe kam. An den Wänden sintert ein Tropfstein, doch ist sie an den wenigsten Orten feucht, und es bilden sich lange nicht die reichen wunderbaren Figuren, wie in der Baumanns-Höle. Wir drangen so weit vor, als es die Wasser zuließen, schossen im Herausgehen die Pistole los, davon die Höle von einem starken dumpfen Klang erschüttert wurde und um uns wie eine Glocke summte. Wir brauchten eine starke Viertelstunde wieder herauszugehen, machten uns die Felsen wieder hinunter, fanden unsere Wagen und fuhren weiter. Wir sahen einen schönen Wasserfall auf Staubbachs Art, er war weder sehr hoch noch sehr reich, doch weil die Felsen um ihn, wie eine runde Nische bilden, in der er herabstürtzt, sehr interessant. Bei hohem Sonnenschein kamen wir hier an, nicht hungrig genug, das Mittagessen, das aus einem aufgewärmten Fisch, Kuhfleisch und hartem Brod bestehet, gut zu finden. Von hier geht weiter in’s Gebürg kein Fuhrweg für eine so stattliche Reisekutsche, wie wir haben, diese geht nach Genf zurück und ich nehme Abschied von Ihnen, um den Weg weiter fortzusetzen. Ein Maulesel mit dem Gepäck wird uns auf dem Fuß folgen.

Chamouni, den 4ten Nov. Abends gegen 9.

Nur daß ich mit diesem Blatt Ihnen um so viel näher rücken kann, nehme ich die Feder, sonst wäre es besser meine Geister ruhen zu lassen. Wir ließen Salenche in einem schönen, ofnen Thale hinter uns, der Himmel hatte sich während unsrer Mittagrast, mit weißen Schäfgen überzogen, von denen ich hier eine besondre Anmerkung machen muß: Wir haben sie so schön und noch schöner, an einem heitern Tag, von den Berner Eisbergen aufsteigen sehen, auch hier schien es uns wieder so, als wenn die Sonne die leiseste Ausdünstungen von den höchsten Schneegebürgen, gegen sich aufzöge und diese ganz feine Dünste von einer leichten Luft, wie eine Schaumwolle, durch die Atmosphäre gekämmt würden. Ich erinnere mich nie in den höchsten Sommertagen, bey uns, wo dergleichen ähnliche Lufterscheinungen vorfallen, etwas so durchsichtiges, leicht gewobenes gesehen zu haben. Schon sahen wir die Schneegebürge, von denen sie aufsteigen, vor uns, das Thal fing an zu stocken, die Arve schoß aus einer Felskluft hervor, wir musten einen Berg hinan, und wanden uns, die Schneegebürge rechts vor uns, immer höher. Abwechselnde Berge, alte Fichtenwälder zeigten sich uns rechts, theils in der Tiefe, theils uns gleich. Links über uns waren die Gipfel des Bergs kahl und spitzig. Wir fühlten, daß wir einem stärkern und mächtigern Satz von Bergen immer näher rückten. Wir kamen über ein breites trocknes Bette von Kieseln und Steinen, das die Wasserfluthen die Länge des Berges hinab zerreissen und wieder füllen, von da in ein sehr angenehmes, rundgeschloßnes, flaches Thal, worinn das Dörfgen Serves liegt, wo dann der Weg, um einige sehr bunte Felsen, wieder gegen die Arve sich ziehet. Wenn man über sie weg ist, steigt man einen Berg hinan, die Massen werden hier immer größer, die Natur hat hier, mit sachter Hand, das Ungeheure zu berieten angefangen. Es wurde dunkler, wir kamen dem Thale Chamouni näher und endlich darein. Nur die großen Massen waren uns sichtbar, die Sterne gingen nach einander auf und wir bemerkten über den Gipfeln der Berge, rechts vor uns, ein Licht, das wir nicht erklären konnten. Hell, ohne Glanz wie die Milchstraße, doch dichter, fast wie die Plejaden, nur größer, unterhielte es lang unsre Aufmerksamkeit, biß es endlich, da wir unsern Standpunkt änderten, wie eine Piramide, von einem innern, geheimnißvollen Lichte durchzogen, das dem Schein eines Johanniswurms am besten verglichen werden kann, über den Gipfeln aller Berge hervorragte und uns gewiss machte, daß es der Gipfel des Mont blanc’s war. Es war die Schönheit dieses Anblicks ganz außerordentlich, denn, da er mit den Sternen, die um ihn herum stunden, zwar nicht in gleich raschem Licht, doch in einer breitern, zusammenhängendern Masse leuchtete, so schien er den Augen zu einer höhern Sphäre zu gehören und man hatte Müh’, in Gedanken seine Wurzeln wieder an die Erde zu befestigen. Vor ihm sahen wir eine Reihe von Schneegebürgen, dämmernder auf den Rücken von schwarzen Fichtenbergen liegen und ungeheure Gletscher zwischen den schwarzen Wäldern herunter in’s Thal steigen. Meine Beschreibung fängt an unordentlich und ängstlich zu werden, auch brauchte es eigentlich immer zwei Menschen, einen der’s sähe und einen der’s beschriebe. Wir sind hier in dem mittelsten Dorfe des Thals, le Prieure genannt, wohl logieret, in einem Hause, das eine Wittwe den vielen Fremden zu Ehren, vor einigen Jahren erbauen ließ. Wir sitzen am Camine und lassen uns den Muskatellerwein, aus der Vallée d’aost besser schmecken, als die Fastenspeisen, die uns aufgetischt werden.

Den 5ten Nov. Abends.

Es ist immer eine Resolution als wie wenn man in’s kalte Wasser soll, ehe ich die Feder nehmen mag, zu schreiben. Hier hätt’ ich nun grade Lust, Sie auf die Beschreibung der Savoyschen Eisgebürge, die Bourit, ein passionirter Kletterer, herausgegeben hat, zu verweisen. Erfrischt durch einige Gläser guten Wein und den Gedanken, daß diese Blätter eher als die Reisenden und Bourit’s Buch bey Ihnen ankommen werden, will ich mein möglichstes thun. Das Thal Chamouni, in dem wir uns befinden, liegt sehr hoch in den Gebürgen, es ist etwa sechs biß sieben Stunden lang und gehet ziemlich von Mittag gegen Mitternacht; der Charakter, der mir es vor andern auszeichnet, ist, daß es in seiner Mitte fast gar keine Fläche hat, sondern das Erdreich, wie eine Mulde, sich gleich von der Arve aus gegen die höchsten Gebürge anschmiegt. Der Mont blanc und die Gebürge, die von ihm herabsteigen, die Eismassen, die diese ungeheure Klüfte ausfüllen, machen die östliche Wand aus, an der die ganze Länge des Thals hin sieben Gletscher, einer größer als der andre herunterkommen. Unsere führer, die wir gedingt hatten, das Eismeer zu sehen, kamen bey Zeiten. Der eine ist ein rüstiger junger Bursche, der andre schon älter und sich klug dünkender, der mit allen gelehrten fremden Verkehr gehabt hat, von der Beschaffenheit der Eisberge sehr wohl unterrichtet und ein sehr tüchtiger Mann ist. Er versicherte uns, daß seit acht und zwanzig Jahren, so lang führ’ er Fremde auf die Gebürge, er zum erstenmal so spät im Jahr, nach Allerheiligen, jemand hinaufbringe, und doch versicherte er, daß wir alles eben so gut wie im August sehen sollten. Wir stiegen mit Speise und Wein gerüstet den Mont Anvert hinan, wo uns der Anblick des Eismeers überraschte. Ich würde es, um die Backen nicht so voll zu nehmen, eigentlich das Eisthal oder den Eisstrom nennen. Denn die ungeheuren Massen von Eis, dringen au seinem tiefen Thal, von oben anzusehn, in ziemlicher Ebne hervor. Grad hinten endigt ein spitzer Berg, wo von beyden Seiten Eisflüsse sich in den Hauptstrom ergießen. Es lag noch nicht der mindeste Schnee auf der zakigten Fläche und die blauen Spalten glänzten gar schön hervor. Das Wetter fing nach und nach an sich zu überziehen und ich sahe wogige graue Wolken, die Schnee anzudeuten schienen, wie ich sie niemals gesehen. In der Gegend, wo wir stunden, ist die kleine von Steinen zusammengelegte Hütte für das Bedürfniß der Reisenden, zum Scherz das Schloß von Mont Anvert genannt. Monsieur Blaire, ein Engländer, der sich zu Genf aufhält, hat eine geräumigere, an einem schicklichern Ort, etwas weiter hinauf, erbauen lassen, wo man am Feuer sitzend, zu einem Fenster hinaus, das ganze Eisthal übersehen kann. Die Gipfel der Felsen gegen über und auch in die Tiefe des Thals hin, sind sehr spizig ausgezakt; es kommt daher, weil sie aus einer Gesteinart zusammengesetzt sind, deren Schichten fast ganz perpendikular in die Erde einschießen; wittert eine leichtere aus, so bleibt die andere Spitze in die Luft stehen, solche Zacken werden Nadeln genennet und die Aiguille du dru ist eine solche hohe merkwürdige Spitze, grade dem Monat anvert gegen über. Wir wollen nunmehro auch das Eismeer betreten, und diese ungeheure Massen auf sich selbst beschauen. Wir stiegen den Berg hinunter und machten einige hundert Schritte auf den wogigen Cristallklippen herum. Es ist ein ganz treflicher Anblick, wenn man, auf dem Eise selbst stehend, den oberwärts sich herabdrängenden und durch seltsame Spalten geschiedenen Massen entgegen sieht, doch wollt’ es uns nicht länger auf diesem schlüpfrigen Boden gefallen, wir waren weder mit Fußeisen, noch mit beschlagenen Schuhen gerüstet, vielmehr waren unsere Absätze durch den langen Marsch abgerundet und geglättet, wir machten uns also wieder zu den Hütten hinauf und nach einigem Ausruhen zur Abreise fertig. Wir stiegen den Berg hinab und kamen an den Ort, wo der Eisstrom stufenweis biß hinunter in’s Thal dringt und traten in die Höle, in die er sein Wasser ausgießt. Sie ist weit, tief, von dem schönsten Blau, und es steht sich sichrer im Grund als vorn an der Mündung, weil an ihr sich immer große Stücke Eis schmelzend ablösen. Wir nahmen unsern Weg nach dem Wirthshause zu, bey der Wohnung zweier Blondins vorbei: Kinder von zwölf biß vierzehn Jahren, die sehr weiße Haut, weiße, doch schroffe Haare, rothe und bewegliche Augen wie die Kaninchen haben.

Die tiefe Nacht, die im Thale liegt, lädt mich zeitig zu Bette und ich habe kaum noch so viel Munterkeit Ihnen und sagen, daß wir einen jungen zahmen Steinbock gesehen haben, der sich unter den Ziegen ausnimmt, wie der natürliche Sohn eines großen Herrn, dessen Erziehung in der Stille einer bürgerlichen Familie aufgetragen ist.

Chamouni den 6 Nov. Frühl.

Zufrieden mit dem, was uns die Jahrzeit hier zu sehen erlaubte, sind wir reisefertig noch heute in’s Wallis durchzudringen. Das ganze Thal ist über und über biß an die Hälfte der Berge mit Nebel bedeckt, wir müssen erwarten, was Sonne und Wind zu unserm Vortheil thun werden. Unser Führer schlägt uns einen Weg über den Col de balme vor. Ein hoher Berg, der an der nördlichen Seite des Thals gegen Wallis zu liegt und auf dem wir, wenn wir glücklich sind, das Thal Chamouni, mit seinen meisten Merkwürdigkeiten, noch auf einmal von seiner Höhe übersehen können. Indem ich dieses schreibe, zeigt sich an dem Himmel eine herrliche Erscheinung: die Nebel, die sich bewegen und die sich an einigen Orten brechen, lassen, wie durch Tagelöcher den blauen Himmel sehen und die Gipfel der Berge, die oben, über unsrer Dunstdecke, von der Morgensonne beschienen werden. Auch ohne die Hofnung eines schönen Tags, ist dieser Anblick dem Aug’ eine rechte Weide. Erst jetzo hat man einiges Maas für die Höhe der Berge. Erst in einer ziemlichen Höhe vom Thal auf, streichen die Nebel an dem Berg hin, hohe Wolken stiegen von da auf und alsdann sieht man noch über ihnen die Gipfel in der Verklärung schimmern. Es wird Zeit! Ich nehme zugleich von diesem geliebter Thal und von Ihnen Abschied.

Martinach im Wallis, d. 6ten Nov. Abends.

Glücklich sind wir herüber gekommen und so wäre auch dieses Abentheuer bestanden. Die Freude über unser gutes Schicksal wird mir noch eine halbe Stunde die Feder lebendig erhalten.

Unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, zogen wir frühe gegen Neune von Prieuré aus. Die Wolken wechselten, daß die Gipfel der Berge bald erschienen, bald verschwanden, bald die Sonne streifweis in’s Thal dringen konnte, bald die Gegend wieder verdeckt wurde. Wir gingen das Thal hinauf, den Ausguß des Eisthals vorbey, ferner den Glacier d’argentiere hin, der höchste von allen, dessen oberster Gipfel uns aber von Wolken bedeckt war. In der Gegend wurde Rath gehalten, ob wir den Steig über den Col de balme unternehmen und den Weg über Valorsine verlassen wollten. Der Anschein war nicht der vortheilhafteste, doch da hier nichts zu verlieren und viel zu gewinnen war, traten wir unsern Weg kek gegen die dunkle Nebel- und Wolkenregion an. Als wir gegen den Glacier du tour kamen, rissen sich die Wolken auseinander und wir sahen auch diesen schönen Gletscher in völligem Lichte. Wir setzten uns nieder, tranken eine Flasche Wein aus und aßen etwas weniges. Wir stiegen nunmehro immer den Quellen der Arve auf rauern Matten entgegen und kamen dem Nebelkreis immer näher, biß er uns endlich völlig aufnahm. Wir stiegen eine Weile geduldig fort, als es auf einmal wieder über unsern Häuptern helle zu werden anfing und wir aufschritten. Kurze Zeit dauerte es, so traten wir aus den Wolken heraus, sahen sie in ihrer ganzen Last, unter uns auf dem Thale liegen und konnten die Berge, die es rechts und links einschließen, außer dem Gipfel des Mont blanc, der mit Wolken bedeckt war, sehen, deuten und mit Namen nennen. Wir sahen einige Gletscher von ihren Höhen biß zu der Wolkentiefe herabsteigen, von andern sahen wir nur die Plätze, indem uns die Eismassen durch die Berge verdeckt wurden. Über die ganze Wolkenfläche sahen wir, außer dem mittägigen Ende des Thales, ferne Berge im Sonnenschein. Was soll ich Ihnen die Namen von den Gipfeln, Spitzen, Nadeln, Eis- und Schneemassen vorerzählen, die Ihnen doch kein Bild weder vom Ganzen noch vom Einzelnen in die Seele bringen? Merkwürdiger ist’s, wie die Geister der Luft sich unter uns zu streiten schienen. Kaum hatten wir eine Weile gestanden und uns an der großen Aussicht ergözt, so schien eine feindselige Gährung in dem Nebel zu entstehen, der auf einmal aufwärts strich und uns aufs neue einzuwickeln drohte. Wir stiegen stärker den Berg hinan, ihm nochmals zu entgehn, allein er überflügelte uns und hüllte uns ein. Wir stiegen immer frisch aufwärts und bald kam uns ein Gegenwind vom Berge selbst zu Hülfe, der durch den Sattel, welcher zwey Gipfel verbindet, hereinstrich, und den Nebel wieder in’s Thal zurücktrieb. Dieser wundersame Streit wiederhohlte sich öfters und wir langten endlich glücklich auf dem Col de balme an. Es war ein seltsamer, eigener Anblick: der höchste Himmel über den Gipfeln der Berge war überzogen, unter uns sahen wir durch den manchmal zerrissenen Nebel in’s ganze Thal Chamouni und zwischen diesen beyden Wolkenschichten waren die Gipfel der Berge alle sichtbar. Auf der Ostseite waren wir von schroffen Gebürgen eingeschlossen, auf der Abendseite sahen wir in ungeheure Thäler, wo doch auf einigen Matten sich menschliche Wohnungen zeigten. Vorwärts lag uns das Wallisthal, wo man mit einem Blick biß Martinach und weiter hinein mannichfaltig über einander geschlungene Berge sehen konnte, von allen Seiten von Gebürgen umschlossen, die sich weiter gegen den Horizont immer zu vermehren und aufzuthürmen schienen, so standen wir auf der Gränze von Savoyen und Wallis. Einige Contrebandiers kamen mit Mauleseln den Berg herauf und erschraken vor uns, da sie an dem Platz jetzo niemand vermutheten. Sie thaten einen Schuß, als ob sie sagen wollten: damit ihr seht, daß sie geladen sind – und es ging einer voraus, um uns zu recognoscieren. Da er unsern Führer erkannte und unsre harmlose Figuren sah, rückten die andern auch näher und wir zogen, mit wechselseitigen Glückwünschen, an einander vorbey. Der Wind ging scharf und es fing ein wenig an, zu schneien. Nunmehro ging es durch einen sehr rauhen und wilden Steig abwärts durch einen alten Fichtenwald, der sich auf Fels-Platten eingewurzelt hatte. Vom Wind übereinander gerissen verfaulten hier die Stämme mit ihren Wurzeln und die zugleich losgebrochne Felsen lagen schroff durch einander. Endlich kamen wir in’s Thal, wo der Trientfluß aus einem Gletscher entspringt, ließen das Dörfgen Trient ganz nahe rechts liegen, und folgten dem Thale durch einen ziemlich unbequemen Weg, biß wir endlich gegen sechse hier in Martinach auf flachem Wallisboden angekommen sind, wo wir uns zu weitern Unternehmungen ausruhen wollen.

Martinach den 6 Nov. 1779. Abends.

Zu Nachts sind wir in ein Land getreten, nach dem unsre Neugier schon lange gespannt ist, noch haben wir nichts als die Gipfel der Berge, die das Thal von beyden Seiten einschließen, in der Abenddämmerung gesehn, wir sind im Wirthshause untergekrochen, sehen zum Fenster hinaus, die Wolken wechseln, es ist uns so heimlich und so wohl, daß wir ein Dach haben, als Kindern, die sich aus Stühlen, Tischblättern und Teppichen eine Hütte am Ofen machen und sich drinnen bereden, es regne und schneie aussen, um angenehme eingebildete Schauer in ihren kleinen Seelen in Bewegung zu bringen. So sind wir in der Herbstnacht in einem fremden unbekannten Land. Aus der Karte wissen wir, daß wir in dem Winkel eines Ellenbogens sitzen, von wo aus der kleinere Theil des Wallis ohngefähr von Mittag gegen Mitternacht die Rhone hinunter sich an den Genfersee anschließt, der andre und längste aber vom Abend gegen Morgen die Rhone hinauf biß an ihren Ursprung, die Furka streicht. Das Wallis selbst zu durchreisen macht uns eine angenehme Aussicht, nur wie wir oben hinauskommen werden, erregt einige Sorge. Zuförderst ist festgesetzt, daß wir um den untern Theil zu sehen, morgen biß St. Maurice gehen, wo ***, der mit den Pferden durch das Pays de Vaud vorausgegangen, eingetroffen seyn wird. Morgen Abend gedenken wir wieder hier zu seyn und übermorgen soll es das Land hinauf.

Den 7ten. St. Maurice gegen Mittag.

Heute früh gingen wir in der Dämmerung von Martinach weg, ein frischer Nordwind ward mit dem Tage lebendig, wir kamen an einem alten Schlosse vorbei, das auf der Eke steht, wo die beiden Arme des Wallis ein Y machen. Das Thal ist eng und wird auf beiden Seiten von mannichfaltigen Bergen beschlossen, die wieder zusammen ihren eigenen erhaben lieblichen Charakter haben. Wir kamen dahin, wo der Trientstrom um enge und grade Felsenwände herum in das Thal dringt, daß man zweifelhaft ist, ob er nicht unter den Felsen hervorkomme. Gleich dabei steht die alte vorm Jahr durch den Fluß beschädigte Brücke, unfern welcher ungeheure Felsstücke vor kurzer Zeit vom Gebürge herab die Landstraße verschüttet haben; diese Gruppe zusammen würde ein außerordentlich schönes Bild machen. Nicht weit davon hat man eine neue hölzerne Brücke gebaut, und ein ander Stück Landstraße eingeleitet. Wir wußten, daß wir uns dem berühmten Wasserfall des Pisse vache näherten und wünschten einen Sonnenblick, wozu uns die wechselnden Wolken einige Hofnung machten. An dem Wege betrachteten wir die vielen Granit- und Gestellsteinstücke, die bey ihrer Verschiedenheit doch alle eines Ursprungs zu seyn schienen. Endlich traten wir vor den Wasserfall, der seinen Ruhm vor vielen andern verdient. In ziemlicher Höhe schießt aus einer engen Felskluft ein starker Bach flammend herunter, in ein Becken wo er in Staub und Schaum sich weit und breit im Wind herum treibt. Die Sonne trat hervor und machte den Anblick doppelt lebendig. Unten im Wasserstaube hat man einen Regenbogen hin und wieder, wie man geht, ganz nahe vor sich. Tritt man weiter hinauf, so sieht man noch eine schönere Erscheinung. Die luftigen schäumenden Wellen des obern Strals, wenn sie gischend und flüchtig die Linien berühren, wo in unsern Augen der Regenbogen entstehet, färben sich flammend, ohne daß die aneinander hängende Gestalt eines Bogens erscheine, und so ist an dem Platze immer eine wechselnde feurige Bewegung. Wir kletterten dran herum, setzten uns dabey nieder und wünschten ganze Tage und gute Stunden des Lebens dabey zubringen zu können. Auch hier wieder, wie so oft auf dieser Reise, fühlten wir, daß große Gegenstände im Vorübergehen gar nicht empfunden und genossen werden können. Wir kamen in ein Dorf, wo lustige Soldaten waren, und tranken daselbst neuen Wein, den man uns gestern auch schon vorgesetzt hatte. Er sieht aus wie Seifenwasser, doch mag ich ihn lieber trinken als ihren sauren jährigen und zweijährigen; wenn man durstig ist, bekommt alles wohl. Wir sahen St. Maurice von weitem, wie es just an einem Platze liegt, wo das Thal sich zu einem Passe zusammen drückt. Links über der Stadt sahen wir an einer Felsenwand eine kleine Kirche mit einer Einsiedelei angeflickt, wo wir noch hinauf zu steigen denken. Wenn ich jemanden einen Weg in’s Wallis rathen sollte, so wär’ es dieser, vom Genfersee die Rhone herauf. Ich bin auf dem Weg nach Bex zu über die grosse Brücke gegangen, wo man gleich in’s Berner Gebiet eintritt, die Rhone fließt dort hinunter und das Thal wird nach dem See zu etwas weiter. Wie ich mich umkehrte, sah ich die Felsen sich bey St. Maurice zusammendrücken und über die Rhone, die unten durchrauscht, in einem hohen Bogen eine schmale leichte Brücke kühn hinüber gesprengt. Die mannichfaltigen Erker und Thürme eines Schlosses schliessen drüben gleich an und mit einem einzigen Thore ist der Eingang in’s Wallis gesperrt.

Gegen Neun.

Wir sind tief in die Nacht geritten und der Herweg hat uns länger geschienen als der Hinweg, wo wir von einem Gegenstand zu dem andern gelockt worden sind; auch habe ich alle Beschreibungen und Reflexionen vor heute herzlich satt, doch will ich zwey schöne noch geschwind in der Erinnerung festehalten. An der Pisse vache kamen wir in tiefer Dämmrung wieder vorbei. Die Berge, das Thal und selbst der Himmel waren dunkel und dämmernd. Graulich und mit stillem Rauschen sah man den herabschiessenden Strom von allen andern Gegenständen sich unterscheiden, man bemerkte fast gar keine Bewegung. Es war immer dunkler geworden. Auf einmal sahen wir den Gipfel einer sehr hohen Klippe völlig wie geschmolzen Erz im Ofen glühen und rothen Dampf davon aufsteigen. Dieses sonderbare Phänomen würkte die Abendsonne, die den Schnee und den davon aufsteigenden Nebel erleuchtete.

Sion, den 8ten Novbr.

Wir haben heute früh einen Fehlritt gethan und uns wenigstens um drei Stunden versäumet. Wir ritten vor Tag von Martinach weg, um bey Zeiten in Sion zu seyn; das Wetter war ausserordentlich schön, nur daß die Sonne wegen ihres niedern Standes von den Bergen gehindert war, den Weg den wir ritten zu bescheinen. Der Anblick des wunderschönen Wallisthals machte manchen guten und muntern Gedanken rege. Wir waren schon drei Stunden die Landstrasse hinan, die Rhone uns linker Hand, geritten, wir sahen Sion vor uns liegen und freuten uns auf das bald zu veranstaltende Mittagessen, als wir die Brücke, die wir zu passiren hatten, abgetragen fanden. Es blieb uns nach Angabe der Leute, die dabei beschäftigt waren, nichts übrig, als entweder einen kleinen Felspfad der an den Felsen hingieng zu wählen, oder eine Stunde wieder zurück zu reiten und alsdenn über einige andere Brücken der Rhone zu gehen, wir wählten das letzte und liessen uns von keinem üblen Humor anfechten, sondern schrieben diesen Unfall wieder auf Rechnung eines guten Geistes, der uns bey der schönsten Tageszeit durch ein so interessantes Land spatzieren führen wollte. Die Rhone macht überhaupt in diesem engen Lande böse Händel. Wir musten, um zu den andern Brücken zu kommen, über anderthalb Stunden durch die sandigen Fleke reiten, die sie durch Überschwemmungen sehr oft zu verändern pflegt, und die nur zu Erlen und Weidengebüschen zu benutzen sind. Endlich kamen wir an die Brücken, die sehr bös, schwankend, lang und von falschen Knüppeln zusammengesetzt sind. Wir musten einzeln unsere Pferde, nicht ohne Sorge, drüber führen. Nun ging es an der linken Seite des Wallis wieder nach Sion zu. So unangenehm und steinig der Weg war, den wir zu reiten hatten, so angenehm waren die noch ziemlich grünen Reblauben, die ihn bedeckten; die Einwohner, denen jedes Flekgen Erdreich kostbar ist, pflanzen ihre Weinstöcke gleich an die Mauren, die ihre Güter von dem Wege scheiden, sie wachsen zu ausserordentlicher Dicke und werden vermittelst Pfälen und Latten über den Weg gezogen, so daß es fast eine an einander hangende Laube ist. In dem untern Theile war meistens Wieswachs, doch fanden wir auch, da wir uns Sion näherten, einigen Feldbau; gegen diese Stadt zu wird die Gegend durch wechselnde Hügel ausserordentlich mannichfaltig und man wünschte eine längere Zeit des Aufenthalts hier geniessen zu können. Doch unterbricht die Hässlichkeit der Städte und der Menschen die angenehmen Empfindungen, die die Landschaft erregt, gar sehr, die scheußlichen Kröpfe haben mich ganz und gar üblen Humors gemacht. Unsern Pferden dürfen wir wohl heute nichts mehr zumuthen und denken deßwegen zu Fusse nach Seyters zu gehen, das Wirthshaus ist hier abscheulich und die Stadt hat ein widriges schwarzes Ansehn.

Leukerbaad den 9ten am Fuß des Gemmiberges.

In einem kleinen bretternen Haus, wo wir gar freundlich aufgenommen worden sind, sitzen wir in einer schmalen und niedrigen Stube, und ich will sehen, wie viel von unserer heutigen sehr interessanten Tour durch Worte mitzutheilen ist. Von Seyters steigen wir früh drey Stunden lang einen Berg herauf, nachdem wir vorher grosse Verwüstungen der Bergwasser unterwegs angetroffen hatten. Es reißt ein solcher schnell entstehender Strom auf Stunden weit alles zusammen, überführt mit Steinen und Kies Felder, Wiesen und Gärten, die denn nach und nach kümmerlich, wenn es allenfalls noch möglich ist, von den Leuten wieder hergestellt und nach ein paar Generationen vielleicht wieder verschüttet werden. Wir hatten bisher noch meist das offene Wallisthal rechts neben und gehabt, als sich auf einmal ein schöner Anblick in’s Gebürg vor uns aufthat.

Ich muß, um anschaulicher zu machen, was ich beschreiben will, etwas von der geographischen Lage der Gegend, wo wir uns befinden, sagen. Wir waren nun schon drei Stunden aufwärts in das ungeheure Gebürge gestiegen, das Wallis von Bern trennet. Es ist eben der Stok von Bergen, der in einemfort vom Genfersee bis auf den Gotthardt läuft und auf dem sich, in dem Berner Gebiet, die grossen Eis- und Schnee-Massen eingenistet haben. Hier sind oben und unten bloß relatife Worte des Augenblicks. Ich sage, unter mir auf einer Fläche liegt ein Dorf und eben diese Fläche liegt vielleicht wieder an einem Abgrund, der viel höher ist, als mein Verhältniß zu ihr.

Wir sahen, als wir um eine Ecke herum kamen und bey einem Heiligenstok ausruhten, unter uns am Ende einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund hergieng, das Dorf Inden mit einer weissen Kirche ganz am Hange des Felsens in der Mitte der Landschaft liegen. Über der Schlucht drüben gingen wieder Matten und Tannenwälder aufwärts, gleich hinter dem Dorfe stieg eine grosse Kluft von Felsen in die Höhe, die Berge von der linken Seite schlossen sich bis zu uns an, die von der rechten setzten auch ihre Rücken weiter fort, so daß das Dörfgen mit seiner weissen Kirche gleichsam wie im Brennpunkt von so viel zusammenlaufenden Felsen und Klüften da stand. Der Weg nach Inden ist in die steile Felswand gehauen, die dieses Amphitheater von der linken Seite, im Hingehen gerechnet, einschließt. Es ist dieses kein gefährlicher Weg, aber er sieht fürchterlich aus. Er geht auf den Lagen einer schroffen Felswand hinunter, an der rechten Seite mit einer geringen Blanke von dem Abgrunde gesondert; ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinabstieg, faßte sein Thier bey gefährlichen Passagen beym Schweife, um ihm einige Hülfe zu geben, wenn es gar zu steil vor sich hinunter in den Felsen hinein mußte. Endlich kamen wir in Inden an, und da unser Bote wohl bekannt war, so fiel es uns leicht, von einer willigen Frau ein gut Glas rothen Wein und Brod zu erhalten, da sie eigentlich in dieser Gegend keine Wirthshäuser haben. Nun gieng es die hohe Schlucht hinter Inden hinauf, wo wir denn bald den so schrecklich beschriebenen Gemmiberg vor uns sahen und das Leukerbaad an seinem Fuß zwischen andern hohen, unwegsamen und mit Schnee bedeckten Gebürgen gleichsam wie in einer holen Hand liegen fanden. Es war gegen drei, als wir ankamen, unser Führer schaffte uns bald Quartier. Es ist kein Gasthof hier, aber alle Einwohner sind so ziemlich wegen der vielen Badegäste, die hieher kommen, eingerichtet, unsere Wirthin liegt seit gestern in den Wochen, und ihr Mann macht mit einer alten Mutter und der Magd ganz artig die Ehre des Hauses. Wir bestellten etwas zu essen und liessen uns die warmen Quellen zeigen, die an verschiedenen Orten sehr stark aus der Erde hervorkommen und reinlich eingefaßt sind. Ausser dem Dorfe, gegen das Gebürge zu, sollen noch einige stärkere seyn. Dieses Wasser hat nicht den mindesten schweflichten Geruch, setzt wo es quillt und wo es durchfließt, nicht den mindesten Oker oder sonst etwas mineralisches oder irrdisches an, sondern läßt wie ein anderes reines Wasser keine Spur zurück. Es ist, wenn es aus der Erde kommt, sehr heiß und wegen seiner guten Kräfte berühmt. Wir hatten noch Zeit zu einem Spatziergang gegen den Fuß des Gemmi, der uns ganz nah zu liegen schien. Ich muß hier wieder bemerken, was schon so oft vorgekommen ist, daß wenn man mit Gebürgen umschlossen ist, einem alle Gegenstände so ausserordentlich nahe scheinen. Wir hatten eine starke Stunde über herunter gestürzte Felsstücke und dazwischen geschwemmten Kies hinaufzusteigen, bis wir an dem Fuß des ungeheuren Gemmiberges, wo der Weg an steilen Klippen aufwärts gehet, uns befanden. Es ist dieß die Passage ins Berner Gebiet, wo alle Kranken sich in Sänften müssen herunter tragen lassen. Hieß uns die Jahrszeit nicht eilen, so würde wahrscheinlicher Weise morgen ein Versuch gemacht werden, diesen so merkwürdigen Berg zu besteigen, so aber werden wir uns mit der blossen Ansicht vor dießmal begnügen müssen. Wie wir zurückgiengen sahen wir dem Gebräude der Wolken zu, das in der jetzigen Jahrszeit in diesen Gegenden äusserst interessant ist. Das schöne Wetter hat uns bisher ganz vergessen machen, daß wir November haben, es ist auch, wie man uns im Bernischen voraussagte, hier der Herbst sehr gefällig. Die frühen Abende und bald Schnee verkündigende Wolken erinnern uns aber doch manchmal, daß wir tief in der Jahrszeit sind. Das wunderbare Wehen, das sie heute Abend verführten, war ausserordentlich schön. Als wir vom Fuß des Gemmiberges zurück kamen, sahen wir, aus der Schlucht von Inden herauf, leichte Nebelwolken sich mit grosser Schnelligkeit bewegen. Sie wechselten bald rückwärts bald vorwärts und kamen endlich aufsteigend dem Leukerbaad so nah, daß wir wohl sahen, wir mußten unsre Schritte verdoppeln, um bey hereinbrechender Nacht nicht in Wolken eingewickelt zu werden. Wir kamen auch glücklich zu Hause an, und während ich das schreibe, legen sich wirklich die Wolken ganz ernstlich in einen kleinen artigen Schnee auseinander. Es ist dieses der erste, den wir haben, und wenn wir auf unsere gestrige warme Reise von Martinach nach Sion, auf die noch ziemlich belaubten Rebegeländer zurückdenken, eine sehr schnelle Abwechslung.

Ich bin an die Thüre getreten, ich habe dem Wesen der Wolken eine Weile zugesehen, das über alle Beschreibungen schön ist. Eigentlich ist es noch nicht Nacht, aber sie verhüllen abwechselnd den Himmel und machen dunkel. Aus den tiefen Felsschluchten steigen sie herauf, bis sie an die höchsten Gipfel der Berge reichen; von diesen angezogen scheinen sie sich zu verdicken und von der Kälte gepakt in Gestalt des Schnees niederzufallen. Es ist eine unaussprechliche Einsamkeit hier oben, in so grosser Höhe doch noch wie in einem Brunnen zu seyn, wo man nur vorwärts durch die Abgründe einen Fußpfad hinaus vermuthet. Die Wolken, die sich hier in diesem Sacke stossen, die ungeheuren Felsen bald zudecken und in eine undurchdringliche öde Dämmrung verschlingen, bald wieder einzelne Theile davon als Gespenster sehen lassen, geben dem Zustand ein trauriges Leben. Man ist voller Ahnung bey diesen Wirkungen der Natur. Die Wolken, eine dem Menschen von Jugend auf so merkwürdige Lufterscheinung, ist man in dem platten Lande doch nur als etwas fremdes, überirdisches anzusehen gewohnt. Man betrachtet sie nur als Gäste, als Strichvögel, die unter einem andern Himmel gebohren, von dieser oder jener Gegend bey uns augenblicklich vorbeygezogen kommen, als prächtige Tepiche, womit die Götter ihre Herrlichkeit vor unsern Augen verschliessen. Hier aber ist man von ihnen selbst wie sie sich erzeugen eingehüllt, und die ewige innerliche Kraft der Natur fühlt man sich ahnungsvoll durch jede Nerve bewegen.

Auf die Nebel, die bei uns eben diese Wirkung hervorbringen, giebt man weniger Acht, auch weil sie uns weniger vors Auge gedrängt sind, ist ihre Wirthschaft schwerer zu beobachten. Bey allen diesen Gegenständen wünscht man nur länger sich verweilen und an solchen Orten mehrere Tage zubringen zu können, ja wenn man ein Liebhaber von dergleichen Betrachtungen ist, so wird dieser Wunsch immer lebhafter, wenn man bedenkt, daß jede Jahrszeit, Tagszeit und Witterung neue Erscheinungen, an die man gar nicht denkt, hervorbringen muß. Und wie in jedem Menschen, auch selbst dem Gemeinen sonderbare Spuren übrig bleiben, wenn er bey grossen ungewöhnlichen Handlungen etwa einmal gegenwärtig gewesen ist, und er sich von diesem einen Fleke gleichsam gröser fühlt, unermüdlich eben dasselbe erzählend wiederhohlt, und dadurch einen Schatz für sein ganzes Leben gefunden hat, so ist es auch dem Menschen, der solche grosse Gegenstände der Natur gesehen und mit ihnen vertraut geworden ist. Er hat, wenn er diese Eindrücke zu bewahren, sie mit andern Empfindungen und Gedanken, die in ihm entstehen, zu verbinden weiß, gewiss einen Vorrath von Gewürze, womit er den unschmackhaften Theil des Lebens verbessern und seinem ganzen Wesen einen durchziehenden guten Geschmack geben kann. Ich bemerke, daß ich in meinem Schreiben der Menschen wenig erwähne, sie sind auch unter diesen grossen Gegenständen der Natur besonders im Vorbeygehen minder merkwürdig. Ich zweifle nicht, daß man bey längerm Aufenthalt gar interessante und gute Leute finden würde. Eins glaub ich überall zu bemerken, je weiter man von der Landstrasse und dem grössern Gewerbe abkommt, je mehr in den Gebürgen die Menschen beschränkt, abgeschnitten und auf die allerersten Bedürfnisse des Lebens zurückgewiesen sind, je mehr sie sich von einem einfachen langsamen unveränderlichen Erwerbe nähren, desto besser, willfähriger, freundlicher, uneigennütziger, gastfreier bey ihrer Armuth hab’ ich sie gefunden.

Brieg.

Gestern giegen wir mit Tages Anbruch vom Leukerbaad aus, und hatten im frischen Schnee einen schlüpfrigen Weg über die Matten zu machen. Wir kamen bald nach Inden, wo wir dann den steilen Weg, den wir gestern herunter kamen, zur rechten über uns liessen, und auf der Matte nach dem Schluchter, der uns nunmehro links lag, hinabstiegen. Er ist wild und mit Bäumen verwachsen, doch geht ein ganz leidlicher Weg hinunter. Durch diese Felsklüfte hat das Wasser, das vom Leukerbaad kommt, seine Abflüsse ins Wallisthal. Wir sahen in der Höhe an der Seite des Felsen, den wir gestern heruntergekommen waren, eine Wasserleitung gar künstlich eingehauen, wodurch ein Bach in das benachbarte Dorf geleitet wird. Wir mußten nunmehro wieder einen Hügel hinauf und sahen dann bald das offne Wallis und die garstige Stadt Leuk unter uns liegen. Diese Städgen sind meist an die Berge angeflickt, die Dächer mit groben zerrißnen Schindeln unzierlich gedeckt, die durch die Jahrszeit ganz schwarz gefault und vermoost sind. Wie man auch nur hineintritt, so ekelts einem, denn es ist überall unsauber; Mangel und ängstlicher Erwerb dieser privilegirten und freien Bewohner kommt überall zum Vorschein. Wir fanden W*** der die schlimme Nachricht brachte, daß es nunmehro mit den Pferden sehr beschwerlich weiter zu gehen anfienge. Die Ställe werden kleiner und enger, weil sie nur auf Maulesel und Saumrosse eingerichtet sind. Es wurde ein kurzer Entschluß gefaßt, W*** sollte mit den Pferden das Wallis wieder hinunter über Bex, Vevay, Lausanne, Friburg und Bern auf Luzern gehen, wir andern wollten unsern Weg das Wallis hinauf fortsezen, versuchen, wo wir auf den Gotthard hinauf dringen könnten, alsdann durch den Canton Uri, über den vier Waldstädtersee, gleichfalls in Luzern eintreffen. Man findet in dieser Gegend überall Maulthiere, die auf solchen Wegen immer besser sind als Pferde, und zu Fusse zu gehen ist am Ende doch immer das angenehmste. So kamen wir nach Brieg, fanden hier ein ganz artiges Wirthshaus, und, was uns zu grossem Vergnügen dient, in einer geräumigen Stube ein Kamin; wir sitzen am Feuer und machen Rathschläge wegen unserer weiteren Reise. Hier in Brieg geht die gewöhnliche Strasse über den Simplon nach Italien; wenn wir also unsere Gedanken über die Furka auf den Gotthardt zu gehen aufgeben wollten, so gingen wir mit gemietheten Pferden und Maulthieren auf Domo d’osula, Margozzo, führen den Laco majore hinaufwärts, dann auf Belingzone und so weiter den Gotthardt hinauf über Aisolo zu den Capuzinern. Dieser Weg ist den ganzen Winter über gebahnt und mit Pferden bequem zu machen. Doch scheint er unserer Vorstellung, da er in unserm Plane nicht war und uns fünf Tage später als W*** nach Luzern führen würde, nicht reizend. Wir wünschten vielmehr das Wallis bis an sein oberes Ende zu sehn, dahin wir morgen Abend kommen werden, und wenn das Glück gut ist, so sitzen wir Uibermorgen um diese Zeit in Realp in dem Ursner Tahl, welches auf dem Gotthardt nahe bey dessen höchsten Gipfel ist. Sollten wir nicht über die Furka kommen, so bleibt uns immer der Weg hierher unverschlossen, und wir werden alsdann das aus Noth ergreifen, was wir aus Wahl nicht gerne thun. Sie können sich vorstellen, daß ich hier schon wieder die Leute examinirt habe, ob sie glauben, daß die Passage über die Furka offen ist, denn das ist der Gedanke mit dem ich aufstehe, schlafen gehe, mit dem ich den ganzen Tag über beschäftigt bin. Bisher war es einem Marsch zu vergleichen, den man gegen einen Feind richtet, und nun ist’s, als wenn man sich dem Fleke nähert, wo er sich verschanzt hat, und man sich mit ihm herumschlagen muß. Ausser unserm Maulthier sind zwei Pferde auf morgen früh bestellt.

Münster.

Wieder einen glücklichen und angenehmen Tag zurückgelegt. Heute früh, als wir von Brieg bei guter Tageszeit ausritten, sagte uns der Wirth noch auf den Weg: wenn der Berg, so nennen sie hier die Furka, gar zu grimmig wäre, so möchten wir wieder zurückkehren und einen andern Weg suchen. Mit unsern zwei Pferden und einem Maulesel kamen wir nun bald über angenehme Matten, wo das Thal so eng wird, daß es kaum einige Büchsenschüsse breit ist. Es hat daselbst eine schöne Weide, worauf grosse Bäume stehen und Felsstücke, die sich von benachbarten Bergen abgelsöt haben, zerstreut liegen. Das Thal wird immer enger, man wird genöthiget, an den Bergen seitwärts hinaufzusteigen, und hat nunmehr die Rhone in einer schroffen Schlucht immer rechts unter sich. In der Höhe aber breitet sich das Land wieder aus, auf mannichfaltig gebogenen Hügeln sind schöne nahrhafte Matten, liegen hübsche Örter, die mit ihren dunkelbraunen hölzernen Häusern gar wunderlich unter dem Schnee hervorsehen. Wir gingen viel zu Fuß und thaten’s einander wechselseitig zu gefallen. Denn ob man gleich auf den Pferden sicher ist, so sieht es doch immer gefährlich aus, wenn ein andrer, auf so schmalen Pfaden, von so einem schwachen Thiere getragen, an einem schroffen Abgrund, vor einem herreitet. Weil nun kein Vieh auf der Wiese seyn kann, weil die Menschen alle in den Häusern stecken, so sieht eine dergleiche Gegend sehr einsam aus, und der Gedanke, daß man immer enger und enger zwischen ungeheuren Gebürgen eingeschlossen wird, giebt der Imagination graue und unangenehme Bilder, die einen, der nicht recht fest im Sattel sässe, gar leicht herab werfen können. Der Mensch ist niemals ganz Herr von sich selbst, da er die Zukunft nicht weiß, da ihm sogar der nächste Augenblick verborgen ist, so hat er oft, wenn er etwas ungemeines vornimmt, mit unwillkührlichen Empfindungen zu kämpfen, über die man kurz hinterdrein wohl lachen kann, die aber oft in dem Augenblicke der Entscheidung höchst beschwerlich sind. In unserm Mittagsquartier begegnete uns etwas angenehmes. Wir traten bey einer Frau ein, bey der es ganz rechtlich aussah. Ihre Stube war nach hiesiger Landesart ausgetäfelt, die Betten mit Schnitzwerk geziert, die Schränke, Tische und was sonst von kleinen Repositorien an den Wänden und in den Ecken befestigt war, hatte artige Zierrathen von Drechsler- und Schnitzwerk. An den Portraits, die in der Stube hingen, konnte man bald sehen, daß mehrere aus dieser Familie sich dem geistlichen Stand gewidmet hatten. Wir bemerkten auch eine Sammlung nicht eingebundener Bücher über der Thüre, die wir für eine Stiftung eines dieser Herren hielten. Wir nahmen die Legenden der Heiligen herunter und lasen drinn, während daß das Essen vor uns zubereitet wurde. Die Wirthin fragte uns einmahl, als sie in die Stube trat, ob wir auch die Geschichte des H. Alexis gelesen hätten? wir sagten nein, nahmen aber weiters kein Notiz davon und jeder las ins einem Kapitel fort. Als wir uns zu Tische gesetzt hatten, stellte sich sich zu uns und fieng wieder von dem H. Alexis an zu reden; wir fragten, ob es ihr Patron oder der Patron ihres Hauses sey, welches sie verneinte, dabey aber versicherte, daß dieser heilige Mann so viel aus Liebe zu Gott ausgestanden habe, daß ihr seine Geschichte erbärmlicher vorkomme, als wie viele der übrigen. Da sie sah, daß wir gar nicht unterrichtet waren, fing sie uns an zu erzählen. Es sey der heil. Alexis der Sohn vornehmer, reicher und gottesfürchtiger Eltern in Rom gewesen, sey ihnen, die den Armen ausserordentlich viel gutes gethan, in Ausübung guter Werke mit Vergnügen gefolgt, doch habe ihm dieses noch nicht genug gethan, sondern er habe sich in der Stille Gott ganz und gar geweiht, und Christo eine ewige Keuschheit angelobet. Als ihn in der Folge seine Eltern an eine schöne und trefliche Jungfrau verheurathen wollen, habe er zwar sich ihrem Willen nicht widersetzt, die Trauung sei vollzogen worden, erhabe sich aber, anstatt sich zu der Braut in die Kammer zu begeben, auf ein Schiff, das er bereit gefunden, gesetzt, und sey damit nach Asien übergefahren. Er habe daselbst die Gestalt eines schlechten Bettlers angezogen und sey dergestalt unkenntlich geworden, daß ihn auch die Knechte seines Vaters, die man ihm nachgeschickt, nicht erkannt hätten. Er habe sich daselbst an der Thüre der Hauptkirche gewöhnlich aufgehalten, dem Gottesdienst beygewohnt und sich vom geringen Allmosen der Glaubigen genährt. Nach drei oder vier Jahren seyen verschiedene Wunder geschehen, die ein besonderes Wohlgefallen Gottes angezeigt. Der Bischof habe in der Kirche eine Stimme gehört, daß er den frömmsten Mann, dessen Gebet vor Gott am angenehmsten sey, in die Kirche rufen und an seiner Seite den Dienst verrichten sollte. Da dieser hierauf nicht gewußt, wer gemeint sey, habe ihm die Stimme den Bettler angezeigt, den er denn auch zu grossem Erstaunen des Volks herein geholt. Der heil. Alexis betroffen, daß die Aufmerksamkeit der Leute auf ihn rege geworden, habe sich in der Stille davon und auf ein Schiff gemacht, Willens, weiter sich in die Fremde zu begeben. Durch Sturm aber und andere Umstände sey er genöthiget worden, in Italien zu landen. Der heil. Mann habe hierinn einen Wink Gottes gesehen und sich gefreut, eine Gelegenheit zu finden, wo er die Selbstverleugnung im höchsten Grade zeigen könnte. Er seye daher geradezu auf seine Vaterstadt losgegangen, habe sich als ein armer Bettler vor seiner Eltern Hausthüre gestellt, diese, ihn auch dafür haltend, haben ihn nach ihrer frommen Wohlthätigkeit gut aufgenommen und einem Bedienten aufgetragen, ihn mit Quartiere im Schloß und den nöthigen Speisen zu versehen; dieser Bediente, verdrüßlich über die Mühe und unwillig über seiner Herrschaft Wohlthätigkeit, habe diesen anscheinenden Bettler in eine schlechtes Loch unter der Treppe gewiesen und ihm daselbst geringes und sparsames Essen gleich einem Hunde vorgeworfen. Der heil. Mann, anstatt sich dadurch irre machen zu lassen, habe darüber erst Gott recht in seinem Herzen gelobt und nicht allein dieses, was er so leicht ändern können, mit gelassenem Gemüthe getragen, sondern auch die andaurende Betrübniß der Eltern und seiner Gemahlin über die Abwesenheit ihres so geliebten Alexis mit unglaublicher und übermenschlicher Standhaftigkeit ausgehalten. Denn seine vielgeliebte Eltern und seine schöne Gemahlin hat er des Tags wohl hundertmal seinen Namen ausrufen hören, sich nach ihm sehnen und über seine Abwesenheit ein kummervolles Leben verzehren sehen. An dieser Stelle konnte sich die Frau der Thränen nicht mehr enthalten und ihre beiden Mädchen, die sich während der Erzählung an ihren Rock angehängt, sahen unverwandt an der Mutter hinauf. Ich weiß mir keinen erbärmlichern Zustand vorzustellen, sagte sie, und keine grössere Marter, als was dieser heilige Mann bey den Seinigen und aus freiem Willen ausgestanden hat, aber Gott hat ihm seine Beständigkeit aufs herrlichste vergolten und bey seinem Tode die grösten Zeichen der Gnade vor den Augen der Glaubigen gegeben. Denn als dieser heil. Mann, nachdem er einige Jahre in diesem Zustande gelebt, täglich mit gröster Innbrunst dem Gottesdienste beygewohnt, so ist er endlich krank geworden, ohne daß jemand sonderlich auf ihn acht gegeben. Als darnach an einem Morgen der Papst, in Gegenwart des Kaisers und des ganzen Adels, selbst hohes Amt gehalten, haben auf einmal die Glocken der ganzen Stadt Rom wie zu einem Todtengeläute zu läuten angefangen, wie nun jedermänniglich darüber staunet, so ist dem Papste eine Offenbarung geschehen, daß dieses Wunder den Tod des heiligsten Mannes in der ganzen Stadt anzeige, der in dem Hause des Patricii ** so eben verschieden sey. Der Vater des Alexis fiel auf Befragen selbst auf den Bettler. Er ging nach Hause und fand ihn unter der Treppe wirklich todt. In den zusammengefalteten Händen hatte der heil. Mann ein Papier stecken, welches ihm der Alte, wiewohl vergebens, herauszuziehen suchte. Er brachte diese Nachricht dem Kaiser und Papst in die Kirche zurück, die alsdenn mit dem Hofe und der Clerisei sich aufmachten, um selbst den heil. Leichnam zu besuchen. Als sie angelangt, nahm der heil. Vater ohne Mühe das Papier dem Leichnam aus den Händen, überreichte es dem Kaiser, der es sogleich von seinem Canzler vorlesen ließ. Es enthielt dieses Papier die bisherige Geschichte dieses Heiligen. Da hätte man nun erst den übergrossen Jammer der Eltern und der Gemahlin sehen sollen, die ihren theuren Sohn und Gatten so nahe bey sich gehabt und ihm nichts zu Gute thun können, und nunmehro erst erfuhren, wie übel er behandelt worden. Sie fielen über den Körper her, klagten so wehmüthig, daß niemand von allen Umstehenden sich des Weinens enthalten konnte. Auch waren unter der Menge Volks, die sich nach und nach zudrängten, viele Kranke, die zu dem heiligen Körper gelassen und durch dessen Berührung gesund worden. Die Erzählerinn versicherte nochmals, indem sie ihre Augen trocknete, daß sie keine erbärmlichere Geschichte niemals gehört habe und mir kam selbst ein so großes Verlagen zu weinen an, daß ich Mühe hatte es zu verbergen und zu unterdrücken. Nach dem Essen suchte ich im Pater Cochem die Legende selbst auf und fand, daß sie den ganzen reinen menschlichen Faden der Geschichte behalten, und alle abgeschmakte Anwendungen dieses Schriftstellers rein vergessen hatte.

Wir gehen fleißig ins Fenster und sehen uns nach der Witterung um, denn wir sind jetzt sehr im Fall, Winde und Wolken anzubeten. Die frühe Nacht und die allgemeine Stille ist das Element, worin das Schreiben recht gut gedeiht, und ich bin überzeugt wenn ich mich nur einige Monate an so einem Orte inn halten könnte und müßte, so würden alle meine angefangenen Arbeiten, die vielleicht jetzt ewig unvollendet bleiben, eins nach dem andern, aus Noth fertig. Wir haben schon verschiedene Leute vorgehabt, und sie nach dem Übergange über die Furka gefragt, aber auch hier können wir nichts bestimmtes erfahren, ob der Berg gleich nur zwei Stunden entfernt ist. Wir müssen uns also darüber beruhigen und morgen mit Anbruche des Tages selbst recognosciren und sehen, wie sich unser Schicksal entscheidet. So gefaßt ich auch sonst bin, so muß ich gestehen, daß mirs höchst verdrüßlich wäre, wenn wir zurückgeschlagen würden. Glückt es, so sind wir Morgen Abend in Realp auf dem Gotthard und übermorgen zu Mittage auf dem Gipfel des Bergs bey den Kapucinern; mislingt’s, so haben wir nur zwei Wege zum Rückzuge offen, wovon keiner sonderlich besser ist als der andre. Durchs ganze Wallis zurück und den bekannten Weg über Bern auf Luzern; oder auf Brieg zurück und erst durch einen großen Umweg auf den Gotthardt! Ich glaube, ich habe Ihnen das in diesen wenigen Blättern schon dreimal gesagt. Freilich ist es für uns von der größten Wichtigkeit. Der Ausgang wird entscheiden, ob unser Muth und Zutrauen daß es gehen müsse, oder die Klugheit einiger Personen die uns diesen Weg mit Gewalt widerrathen wollen, recht behalten wird. So viel ist gewiss, daß beide Klugheit und Muth das Glück über sich erkennen müssen. Nachdem wir vorher nochmals das Wetter examinirt, die Luft kalt, den Himmel heiter und ohne Disposition zu Schnee gesehen haben, legen wir uns nunmehro ruhig zu Bette.

den 12 Nov. Früh 6 Uhr.

Wir sind schon fertig und alles ist eingepackt, um mit TagsAnbruch von hier weg zu gehen. Wir haben zwei Stunden bis Oberwald und von da rechnet man gewöhnlich sechs Stunden auf Realp. Unser Maulthier geht mit der Bagage nach, so weit wir es bringen können.

Realp, den 12 Nov. Abends.

Mit einbrechender Nacht sind wir hier angekommen. Es ist überstanden, und der Knoten der uns den Weg verstrickte, entzwey geschnitten. Eh ich Ihnen sage, wo wir eingekehrt sind, eh ich Ihnen das Wesen unsrer Gastfreunde beschreibe, lassen Sie mich mit Vergnügen den Weg in Gedanken zurück machen, den wir mit Sorgen vor uns sahen und den wir glücklich, doch nicht ohne Beschwerde, zurückgelegt haben. Um sieben gingen wir von Münster weg und sahen das beschneite Amphitheater der hohen Gebürge vor uns zugeschlossen, hielten den Berg, der hinten quer vorsteht, für die Furka, allein wir irrten uns, wie wir nachmals erfuhren, sie war durch Berge, die uns links lagen, und durch hohe Wolken bedeckt. Der Morgenwind blies stark, trieb einige Schneewolken herum und jagte abwechselnd leichtes Gestöber an den Bergen und durch das Thal. Desto stärker trieben aber die Windweben an dem Boden hin und machten uns etliche Mal den Weg verfehlen, ob wir gleich, auf beiden Seiten von Bergen eingeschlossen, Oberwald am Ende doch finden mußten. Nach Neun trafen wir daselbst ein und sprachen in einem Wirthshaus ein, wo sich die Leute nicht wenig wunderten, solche Gestalten in dieser Jahrszeit erscheinen zu sehen. Wir fragten ob der Weg über die Furka noch gangbar wäre? Sie antworteten, daß ihre Leute den grösten Theil des Winters drüber gingen, ob wir aber hinüber kommen würden, das wüßten sie nicht. Wir schickten sogleich nach solchen Führern; es kam ein untersetzter starker Mann, dessen Gestalt ein gutes Zutrauen gab, dem wir unsern Antrag thaten: Wenn er den Weg für uns noch praktikabel hielte, so sollt’ er’s sagen, noch einen oder mehr Kameraden zu sich nehmen und mit uns kommen. Nach einigem Bedenken sagte er’s zu, gieng weg um sich fertig zu machen, und den andern mitzubringen. Wir zahlten indessen unserm Mauleseltreiber seinen Lohn, den wir mit dem Thiere nunmehro nicht weiter brauchen konnten, aßen ein weniges Käs und Brod, tranken ein Glas rothen Wein und waren sehr lustig und wohlgemuth, als unser Führer wieder kam, und noch einen größern und stärker scheinenden Mann, der die Stärke und Tapferkeit eines Rosses zu haben schien, hinter sich hatte. Einer hokte den Mantelsack auf den Rücken, und nun ging der Zug zu fünfen zum Dorfe hinaus, da wir denn in kurzer Zeit den Fuß des Berges, der uns links lag, erreichten und allmählich in die Höhe zu stiegen anfiengen. Zuerst hatten wir noch einen betretenen Fußpfad, der von einer benachbarten Alpe herunterging, bald aber verlohr sich dieser und wir mußten im Schnee den Berg hinaufsteigen. Unsere Führer wandten sich durch die Felsen, um die sich der bekannte Fußpfad schlingt, sehr geschickt herum, obgleich alles überein zugeschneit war. Noch ging der Weg durch einen Fichtenwald, wir hatten die Rhone in einem engen unfruchtbaren Thal unter uns. Nach einer kleinen Weile mußten wir selbst hinab in dieses Thal, kamen über einen kleinen Steg und sahen nunmehr den Rhonegletscher vor uns. Es ist der ungeheuerste, den wir so ganz übersehen haben. Er nimmt den Sattel eines Berges in sehr großer Breite ein, steigt von da ununterbrochen herunter bis wo unten im Thal die Rhone aus ihm herausfließt. An diesem Ausflusse hat er, wie die Leute erzählen, verschiedene Jahre her abgenommen, das will aber gegen die übrige ungeheure Masse gar nichts sagen. Obgleich alles voll Schnee lag, so waren doch die schroffen Eisklippen wo der Wind keinen Schnee so leicht haften läßt, mit ihren vitriolblauen Spalten sichtbar und man konnte deutlich sehen, wo der Gletscher aufhört und der beschneite Felsen anhebt. Wir gingen ganz nahe dran hin, er lag uns linker Hand. Bald kamen wir wieder auf einen leichten Steg über ein kleines Bergwasser, das in einem muldenförmigen unfruchtbaren Thal nach der Rhone zufloß. Vom Geltscher aber rechts und links und vorwärts sieht man nun keinen Baum mehr, alles ist öde und wüste. Keine schroffe und überstehende Felsen, nur lang gedehnte Thäler, sacht geschwungene Berge, die jetzt noch dazu im alles vergleichenden Schnee die einfachen ununterbrochenen Flächen uns entgegen wiesen. Wir stiegen nunmehro links den Berg hinan und sanken in tiefen Schnee. Einer von unsern Führern mußte voran und brach, indem er herzhaft durchschritt, die Bahn, in der wir folgten. Es war seltsam anzusehen, wenn man einen Augenblick seine Aufmerksamkeit von dem Wege ab und auf sich selbst und die Gesellschaft wendete. In der ödesten Gegend der Welt und in einer ungeheuren einförmigen Schnee bedeckten Wüste, wo man rückwärts und vorwärts auf drei Stunden keine lebendige Seele weiß, eine Reihe Menschen zu sehen, deren einer in des andern Fußstapfen tritt und wo in der ganzen glatt überzogenen Weite nichts in die Augen fällt, als die Furche die man gezogen hat. Die Tiefen, aus denen man herkommt, liegen grau und endlos im Nebel hinter einem. Die Wolken wechseln über die blasse Sonne, breitflokigter Schnee stiebt in der Tiefe und zieht über alles einen ewig beweglichen Flor. Ich bin überzeugt, daß einer, über den auf diesem Weg seine Einbildungskraft nur einigermassen Herr würde, ohne anscheinende Gefahr vor Angst und Furcht hier vergehen müßte. Eigentlich ist auch hier keine Gefahr des Sturzes, sondern nur die Lawinnen, wenn der Schnee stärker wird als er jetzo ist und durch seine Last zu rollen anfängt, sind gefährlich. Doch erzählten uns unsere Führer, daß sie den ganzen Winter durch drüber gingen, um Ziegenfelle aus dem Wallis auf den Gotthardt zu tragen, womit ein starker Handel getrieben wird. Sie gehen alsdann, um die Lavinnen zu vermeiden, nicht da wo wir gingen, den Berg allmählig hinauf, sondern bleiben eine Weile unten im breiteren Thal, und stiegen alsdenn den steilen Berg gerade hinauf. Der Weg ist da sicherer, aber auch viel unbequemer. Nach vierthalb Stunden Marsch kamen wir auf dem Sattel der Furka an, beim Kreuz wo sich Wallis und Uri scheiden. Auch hier bekamen wir den doppelten Gipfel der Furka, woher sie ihren Namen hat, nicht zu sehen. Wir hofften nunmehr bequemer hinab zu steigen, allein unsere Führer verkündigten uns einen noch tiefern Schnee, wie wir auch bald fanden. Unser Zug ging wie vorher hinter einander fort, und der vorderste der die Bahn brach, saß oft biß über dem Gürtel drinne. Die Geschicklichkeit der Leute und die Leichtigkeit, womit sie die Sachen traktirten, erhielt auch unsern guten Muth, und ich muß sagen, daß ich für meine Person so glücklich gewesen bin, den Weg ohne große Mühseligkeit zu überstehen, ob ich gleich damit nicht sagen will, daß es ein Spatziergang sey. Es kam ein Lämmergeier mit unglaublicher Schnelle über uns hergeflogen, er war das einzige Lebende, was wir in diesen Wüsten antrafen, und in der Ferne sahen wir die Berge des Ursner Thals im Sonnenschein. Unsere Führer wollten in einer verlaßnen steinernen und zugeschneiten Hirtenhütte einkehren und etwas essen, allein wir trieben sie fort um in der Kälte nicht stille zu stehen. Hier schlingen sich wieder andere Thäler ein, und endlich hatten wir den offenen Anblick in’s Ursner Thal. Wir gingen schärfer und nach vierthalb Stunden Wegs vom Kreuz an sahen wir die zerstreuten Dächer von Realp. Wir hatten unsere Führer schon verschiedentlich gefragt, was für ein Wirthshaus und besonders was für Wein wir in Realp zu erwarten hätten? Die Hofnung, die sie uns gaben, war nicht sonderlich, doch versicherten sie, daß die Kapuziner daselbst, die zwar nicht, wie die auf dem Gotthardt ein Hospitium hätten, dennoch manchmal Fremde aufzunehmen pflegten. Bei diesen würden wir einen guten rothen Wein und beßeres Essen als im Wirthshaus finden. Wir schickten einen deswegen voraus, daß er die Patres disponiren und uns Quartier machen sollte. Wir säumten nicht, ihm nachzugehen und kamen bald nach ihm an, da uns denn ein großer ansehnlicher Pater an der Thüre empfieng. Er hieß uns mit großer Freundlichkeit eintreten und bat noch auf der Schwelle, daß wir mit ihnen vorlieb nehmen möchten, da sie eigentlich, besonders in gegenwärtiger Jahrszeit, nicht eingerichtet wären, solche Gäste zu empfangen. Er führte uns sogleich in eine warme Stube, und war sehr geschäftig uns, indem wir unsre Stiefel auszogen und Wäsche wechselten, zu bedienen. Er bat uns einmal übers andere, wir möchten ja völlig thun, als ob wir zu Hause wären. Wegen des Essens müßten wir, sagt er, in Geduld stehen, indem sie in ihrer langen Fasten begriffen wären, die bis Weynachten dauert. Wir versicherten ihm, daß eine warme Stube, ein Stück Brod und ein Glas Wein unter gegenwärtigen Umständen alle unsere Wünsche erfülle. Er reichte uns das verlangte und wir hatten uns kaum ein wenig erholt als er uns ihre Umstände und ihr Verhältniß hier auf diesem öden Fleke zu erzählen anfing. Wir haben, sagt er, kein Hospitium wie die Patres auf dem Gotthardt, wir sind hier Pfarrherrn und unserer drei, ich habe das Predigtamt auf mir, der zweite Pater die Schullehre und der Bruder die Haushaltung. Er fuhr fort zu erzählen, wie beschwerlich ihre Geschäffte seyen, am Ende eines einsamen von aller Welt abgesonderten Thales zu liegen und für sehr geringe Einkünfte viele Arbeit zu thun. Es sey sonst diese, wie die übrigen dergleichen Stellen, von einem Weltgeistlichen versehen worden, der aber als einstens eine Schneelawinne einen Theil des Dorfes bedeckt, sich mit der Monstranz geflüchtet, da man ihn denn abgesetzt und sie, denen man mehr Resignation zutraue, an dessen Stelle eingeführet habe. Ich habe mich um dieses zu schreiben in eine obere Stube begeben, die durch ein Loch von unten auf geheitzt wird. Es kommt die Nachricht, daß das Essen fertig ist, die, ob wir gleich schon einiges vorgearbeitet haben, sehr willkommen klingt.

Nach Neun.

Die Patres, Herrn, Knechte und Träger haben alle zusammen an Einem Tisch gesessen, nur der Frater, der die Küche besorgte, war ganz erst gegen Ende der Tafel sichtbar. Er hatte aus Eyern, Milch und Mehl gar mannichfaltige Speisen zusammengebracht, die wir uns eine nach der andern recht wohl schmecken ließen. Die Träger, die eine große Freude hatten, von unserer glücklich vollbrachten Expedition zu reden, lobten unsre seltene Geschicklichkeit im Gehen, und versicherten, daß sie es nicht mit einem jeden unternehmen würden. Sie gestanden uns nun, daß heute früh als sie gefodert wurden, erst einer gegangen sey, uns zu recognosciren, um zu sehen, ob wir wohl die Mine hätten, mit ihnen fortzukommen; denn sie hüteten sich alte oder schwache Leute in dieser Jahrszeit zu begleiten, weil es ihre Pflicht sey, denjenigen, dem sie einmal zugesagt ihn hinüber zu bringen, im Fall er matt oder krank würde, zu tragen und selbst wenn er stürbe, nicht liegen zu lassen, außer wenn sie in augenscheinliche Gefahr ihres eigenen Lebens kämen. Es war nunmehr durch dieses Geständniß die Schleuße der Erzählung aufgezogen und nun brachte einer nach dem andern Geschichten von beschwerlichen oder verunglückten Bergwanderungen hervor, worinn die Leute hier gleichsam wie in einem Elemente leben und mit der größten Gelassenheit Unglücksfälle erzählen, denen sie täglich selbst unterworfen sind. Der eine brachte eine Geschichte vor, wie er auf dem Kandersteg über den Gemmi zu gehen mit noch einem Kameraden, der denn auch immer mit Vor- und Zunahmen genennt wird, in tiefem Schnee eine arme Familie angetroffen, die Mutter sterbend, den Knaben halb todt und den Vaten in einer Gleichgültigkeit, die dem Wahnsinn ähnlich gewesen sey. Er habe die Frau aufgehokt, sein Kamerade den Sohn und so haben sie den Vater, der nicht vom Fleke gewollt, vor sich hergetrieben. Beim Absteigen des Gemmi, sey die Frau ihm auf dem Rücken gestorben und er habe sie noch todt biß hinunter ins Leukerbad gebracht. Auf befragen, was es vor Leute gewesen seyen, und wie sie in dieser Jahrszeit auf die Gebürge gekommen, sagt’ er, es seyen arme Leute aus dem Canton Bern gewesen, die von Mangel getrieben, sich in unschicklicher Jahrszeit auf den Weg gemacht, um Verwandte im Wallis oder den italienischen Provinzen aufzusuchen, und seyen von der Witterung übereilt worden. Sie erzählten ferner Geschichten die ihnen begegneten, wenn sie Winters Ziegenfelle über die Furka tragen, wo sie aber immer Gesellschaftsweise zusammen gingen. Der Pater machte dazwischen viele Entschuldigungen wegen seines Essens, und wir verdoppelten unsere Versicherungen, daß wir nicht mehr wünschten und erfuhren, da er das Gespräch auf sich und seinen Zustand lenkte, daß er noch nicht sehr lange an diesem Platze sey. Er fing an vom Predigtamte zu sprechen und von dem Geschick das ein Prediger haben müsse, er verglich ihn mit einem Kaufmann der seine Waaren wohl herauszustreichen und durch einen gefälligen Vortrag den Leuten angenehm zu machen habe. Er setzte nach Tisch die Unterredung fort, und indem er aufgestanden die linke Hand auf den Tisch stemmte, mit der rechten seine Worte begleitete und von der Rede selbst rednerisch redete, so schien er uns in dem Augenblick überzeugen zu wollen, daß er selbst der geschickte Kaufmann sey. Wir gaben ihm Beifall und er kam von dem Vortrage auf die Sache selbst. Er lobte die katholische Religion. Eine Regel des Glaubens müssen wir haben, sagt er, und daß diese so fest und unveränderlich als möglich sey, ist ihr gröster Vorzug. Die Schrift haben wir zum Fundamente unsers Glaubens, allein dies ist nicht hinreichend, dem gemeinen Manne dürfen wir sie nicht in die Hände geben, denn so heilig sie ist und von dem Geiste Gottes auf allen Blättern zeugt, so kann doch der irrdisch gesinnte Mensch dieses nicht begreifen, sondern findet überal leicht Verwirrung und Anstoß. Was soll ein Laie gutes aus den schändlichen Geschichten die darinn vorkommen und die doch zur Stärkung des Glaubens für geprüfte und erfahrne Kinder Gottes von dem heil. Geiste aufgezeichnet worden, was soll ein gemeiner Mann daraus Gutes ziehen, der die Sachen nicht in ihrem Zusammenhange betrachtet? Wie soll er sich aus denen hier und da anscheinenden Widersprüchen, aus der Unordnung der Bücher aus der mannichfaltigen Schreibart herauswickeln, da es den Gelehrten selbst so schwer wird und die Glaubigen über so viele Stellen ihre Vernunft gefangen nehmen müssen. Was sollen wir also lehren? eine auf die Schrift gegründete mit der besten SchriftAuslegung bewiesene Regel; und wer soll die Schrift auslegen? wer soll diese Regel festsetzen? etwa ich oder ein anderer einzelner Mensch? mit nichten! Jeder hängt die Sache auf eine andere Art zusammen, stellt sie sich nach seinem Concepte vor; das würden eben so viele Lehren als Köpfe geben, und unsägliche Verwirrung hervorbringen, wie es auch schon gethan hat. Nein, es bleibt der allerheiligsten Kirche allein, die Schrift auszulegen und die Regel zu bestimmen, wornach wir unsere Seelenführung einzurichten haben. Und wer ist diese Kirche? Es ist nicht etwa ein oder das andere Oberhaupt, ein oder das andere Glied derselben, nein! es sind die heiligsten, gelehrtesten, erfahrensten Männer aller Zeiten, die sich zusammen vereiniget haben, nach und nach unter dem Beistand des heil. Geistes dieses übereinstimmende große und allgemeine Gebäude aufzuführen, die auf grossen Versammlungen ihre Gedanken einander mitgetheilet, sich wechselseitig erbaut, die Irrthümer verbannt und eine Sicherheit, eine Gewißheit unserer allerheiligsten Religion gegeben, der sich keine andre rühmen kann, ihr einen Grund gegraben und eine Brustwehr aufgeführet, die die Hölle selbst nicht überwältigen kann. Eben so ist es auch mit dem Texte der heil. Schrift. Wir haben die Vulgata, wir haben eine approbirte Übersetzung der Vulgata und zu jedem Spruche eine Auslegung, welche von der Kirche gebilliget ist. Daher kommt diese Übereinstimmung, die einen jeden erstaunen muß. Ob Sie mich hier reden hören an diesem entfernten Winkel der Welt oder in der grösten Hauptstadt in einem entferntesten Lande, den ungeschicktesten oder den fähigsten, alle werden Eine Sprache führen, ein katholischer Christ wird immer dasselbige hören, überal auf dieselbe Weise unterrichtet und erbauet werden; und das ists, was die Gewißheit unsers Glaubens macht, was uns die süße Zufriedenheit und Versichrung giebt, in der wir einer mit dem andern fest verbunden leben, und mit der Gewißheit, uns glücklicher wieder zu finden, von einander scheiden können. Er hatte diese Rede wie einen Diskurs eins auf das andre folgen lassen, mehr in dem innern behaglichen Gefühl, daß er sich uns von einer vortheilhaften Seite zeige, als mit dem Ton einer bigotten Belehrungssucht. Er wechselte theils mit den Händen dabei ab, schob sie einmahl in die Kuttenermel zusammen, ließ sie über dem Bauch ruhen, bald hohlte er mit guten Anstand seine Dose aus der Kapuze, und warf sie nach dem Gebrauch wieder hinein. Wir hörten ihm aufmerksam zu, und er schien mit unsrer Art, seine Sachen aufzunehmen, vergnügt zu seyn.

Den 13 Nov. oben auf dem Gipfel des Gotthardts bei den Kapuzinern. Morgens um 10 Uhr.

Endlich sind wir auf dem Gipfel unsrer Reise glücklich angelangt, hier, ists beschlossen, wollen wir stille stehen und uns wieder nach dem Vaterlande zu wenden. Ich komme mir sehr wunderbar hier oben vor, wo ich mich vor vier Jahren mit ganz andern Sorgen, Gesinnungen, Planen und Hofnungen zubrachte. Ich erkannte das Haus nicht wieder. Vor einiger Zeit ist es durch eine Schneelavinne stark beschädigt worden, die Patres haben diese Gelegenheit ergriffen, eine Beisteuer im Lande einzusammeln, um ihre Wohnung weiter und bequemer zu machen. Pater Seraphim der schon dreizehn Jahre auf diesem Posten aushält, ist gegenwärtig in Mailand, den andern erwarten sie noch heute von Airolo herauf. In dieser reinen Luft ist eine ganz grimmige Kälte, man mag gar nicht von dem Ofen weg; ja es ist die gröste Lust sich oben drauf zu setzen, welches in diesen Gegenden, wo die Öfen von steinernen Platten zusammengesetzt sind, gar wohl angeht. Noch gestern Abend ehe wir in Realp zu Bette gingen, führte uns der Pater in sein Schlafzimmer, wo alles auf einen sehr kleinen Platz zusammengestellt war. Sein Bett das aus einem Strohsack und einer wollenen Decke bestund, schien uns, die wir uns an ein gleichen Lager gewöhnt, gerade nichts verdienstliches zu haben. Er zeigte uns alles mit einem großen vergnügen und innern Zufriedenheit, seinen Bücherschrank und andere Dinge. Wir lobten ihm alles und schieden sehr zufrieden von einander, um zu Bette zu gehen. Erst heute früh bei hellem Tage erwachten wir wieder und gingen hinunter, da wir denn durchaus vergnügte und freundliche Gesichter antrafen. Unsere Führer, im Begriff den lieblichen gestrigen Weg wieder zurück zu machen, schienen es als Epoche anzusehen und als Geschichte, mit der sie sich in der Folge der Zeit gegen andere Fremde was zu gute thun könnten, und da sie gut bezahlt wurden, schien bei ihnen der Begriff von Abentheuer vollkommen zu werden. Wir nahmen noch ein starkes Frühstück zu uns und schieden. Unser Weg ging nunmehr durchs Ursner Thal, das merkwürdig ist, weil es in so grosser Höhe schöne Matten und Viehzucht hat. Hier wachsen keine Bäume; Büsche von Saalweiden fassen den Bach ein und an den Gebürgen flechten sich kleine Sträuche durch einander; mir ist’s unter allen Gegenden, die ich kenne, die liebste und interessanteste, es sey nun, daß alte Erinnerungen sie werth machen, oder daß mir das Gefühl von so viel zusammengeketteten Wundern der Natur ein heimliches und unnennbares Vergnügen erregt. Ich setze zum voraus, die ganze Gegend, durch die ich sie führe, ist mit Schnee bedeckt, Fels und Matte und Weg sind alle überein verschneit. Der Himmel war ganz klar ohne irgend eine Wolke, das Blau viel tiefer, als man’s in dem platten Lande gewohnt ist, die Rücken der Berge, die sich weiß davon abschnitten, theils hell im Sonnenlicht, theils blaulich im Schatten. In anderthalb Stunden waren wir im Hospital, ein Örtgen das noch im Ursner Thal am Weg auf dem Gotthardt liegt. Wir kehrten ein, bestellten uns auf Morgen ein Mittagessen und stiegen den Berg hinauf, ein grosser Zug von Mauleseln mit seinen Glocken machte die ganze Gegend lebendig. Es ist ein Ton, der alle Bergerinnerungen rege macht. Der gröste Theil war schon vor uns aufgestiegen und hatte den platten Weg mit den scharfen Eisen schon ziemlich aufgehauen. Wir fanden auch einige Wegeknechte, die bestellt sind, das Glatteis mit Erde zu überfahren und den Weg praktikabel zu erhalten. Der Wunsch, den ich in vorigen Zeiten gethan hatte, diese Gegend einmal im Schnee zu sehen, ist mir nun auch gewährt. Der Weg geht, an der, über Felsen sich immer hinabstürzenden, Reus hinauf und die Wasserfälle bilden hier die schönsten Erscheinungen. Wir verweilten lange bei der Schönheit des einen, der über schwarze Felsen in ziemlicher Breite herunterkam. Hier und da hatten sich in den Ritzen und auf den Flächen Eismassen angesetzt, und das Wasser schien über schwarz und weiß gesprengten Marmor herzulaufen, das Eis blinkte wie Krystalladern und Stralen in der Sonne, das Wasser lief rein und frisch dazwischen hinunter. Auf den Gebürgen ist keine beschwerlichere Reisegesellschaft als Maulthiere. Sie halten einen ungleichen Schritt, indem sie durch einen sonderlichen Instinkt unten an einem steilen Orte erst stehen bleiben, dann denselben schnell hinaufschreiten und oben wieder ausruhen. Sie halten auch auf graden Flächen, die hier und da vorkommen, manchmal inne, bis sie durch den Treiber, oder durch die nachfolgenden Thiere vom Platze bewegt werden. Und so, indem man einen gleichen Schritt hält, drängt man sich an ihnen an dem schmalen Weg vorbei und gewinnt über solche ganze Reihen den Vortheil. Steht man still, um etwas zu betrachten, so kommen sie einem wieder vor und man ist von dem betäubenden Laut ihrer Klingeln und von ihrer breit auf die Seite stehenden Bürde beschweret. So langten wir endlich auf dem Gipfel des Berges an, den Sie sich wie einen kahlen Scheitel mit einer Krone umgeben denken müssen. Man ist hier auf einer Fläche, die ringsum wieder von Gipfeln umgebne ist und die Aussicht ist in der Nähe und Ferne von kahlen und meistens mit Schnee bedeckten Rippen und Klippen eingeschränkt.

Man kann sich kaum erwärmen, besonders da sie nur mit Reissig heitzen können und auch dieses sparen müssen, weil sie es fast drei Stunden herauf zu schleppen haben, und oberwärts, wie gesagt, fast gar kein Holz wächst. Der Pater ist von Airolo heraufgekommen, so erfroren, daß er bei seiner Ankunft kein Wort hervorbringen konnte. Ob sie gleich hier oben sich bequemer als die übrigen vom Orden tragen dürfen, so ist es doch immer ein Anzug, der für dieses Klima nicht gemacht ist. Er war von Airolo herauf den sehr glatten Weg gegen den Wind gestiegen, der Bart war ihm eingefroren und es währte eine ganze Weile, bis er sich besinnen konnte. Wir sprachen von der Beschwerlichkeit dieses Aufenthalts, er erzählte uns, wie es ihnen das Jahr über zu gehen pflegte, ihre Bemühungen und häuslichen Umstände. Gegen Abend traten wir einen Augenblick vor die Hausthüre heraus, um uns von dem Pater den Gipfel zeigen zu lassen, den man für den höchsten des Gotthardts hält, wir konnten aber kaum einige Minuten dauern, so durchringend und angreifend kalt ist es. Wir bleiben also wohl für diesmal in dem Hause eingeschlossen, bis wir Morgen fortgehen, und haben Zeit genug, das Merkwürdige dieser Gegend in Gedanken zu durchreisen. Aus einer kleinen geographischen Beschreibung werden Sie sehen, wie merkwürdig der Punkt ist, auf dem wir uns jetzt befinden. Der Gotthardt ist nicht allein das höchste Gebürg der Schweiz, (denn in Savoyen kommt ihm der Mont blanc an Höhe gleich, wenn er ihn nicht übertrift) sondern er behauptet auch den Rang eines königlichen Gebürges über alle andre, weil die größten Gebürgketten bei ihm zusammenlaufen und sich an ihn lehnen, ja wie einige bemerkt haben wollen, sich alle gleichsam gegen ihn neigen. Die Gebürge von Schweiz und Unterwalden, gekettet an die von Uri, stiegen von Mitternacht, von Morgen die Gebürge des Graubündter Landes, von Mittag die der italienischen Vogteien herauf, und von Morgen drängt sich durch die Furka das doppelte Gebürg, welches Wallis umgiebt, an ihn heran. Nicht weit vom Hause hier sind zwei kleine Seen, davon der eine von Thessin durch Schluchte und Thäler nach Italien, der andre gleicherweise die Reuß nach dem VierWaldstädtersee ausgießt. Nicht fern von hier entspringt der Rhein und läuft gegen Morgen, und wenn man die Rhone dazu nimmt, die am Fuß der Furka entspringt, und nach Abend durch das Wallis läuft, so befindet man sich hier auf einem Kreuzpunkte, von wo aus Gebürge und Flüsse in alle vier Himmels-Gegenden auslaufen.

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