HomeDie Horen1796 - Stück 8IV. Gemil und Zoe. [G. A. von Halem]

IV. Gemil und Zoe. [G. A. von Halem]

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Neugriechisches Sittengemälde.

Amme.
Ey, schon so früh an der Arbeit, – und gar am Rahmen: Bewahre!
Greife die Äuglein nicht an, und harre der höheren Sonne,
Liebe Zoe! – Verworren noch wallt dien liebliches Haar dir
Über die Schultern herab. Ich will es in Locken dir ordnen.

Zoe.
Amme, laß mich in Ruh’, und setze dich nieder, zu spinnen.

Amme.
So ungnädig! – Ich schweige; doch klag’ ich’s dir, o mein Rädchen.
Wundern soll man sich nicht, daß trotz dem gestrigen Tanze
Sie schon so früh ihr Bettchen –

Zoe.
O still! Du stöhrst mich im Denken.

Amme.
So? – Im Denken? – Ey, ey! – Ein junges Mädchen im Denken!
– Hurre, schurre mein Rad! – Doch ja, sie sorgt um den Vater!
Gerstern war es doch erst, daß dieser nach Cerigo schiffte.
Ist nicht die Fahrt so sicher, und kehrt er morgen nicht wieder?
Aber mein Fräulein – denkt –

Zoe.
O über das ewige Schwätzen!
Mußt du schwatzen, o Alte! wohlan, so erzähl mir ein Mährchen;
Denn das stöhrt mich nicht mehr, als das Schnurren des Rades. Erzähle!

Amme.
Seht doch! Erzählen! – Erzählen für die, so nicht hören! das wäre!
Dafür hab’ ich die Mährchen zu lieb. Ich kenne wohl Männer,
Die an den Lippen mir hingen, und denen ich doch nicht erzählte.
Ich soll jetzt die Erzählerin seyn! Wohl könnte die Schöne
Mir erzählen, denn sie, sie war beym gestrigen Tanze.
Eilet man hin zum Fest, ja dann gebraucht man die Amme.
Welche Bewegung ward’s, als athemlos Lucia gestern
Eintrat: „Zoe!“ so rief sie, „du weilest träg’ in dem Zimmer,
„Und man tanzt. Man tanzt! Wir haben Musik auf der Wiese!
„Stamati rühret die Leyer, es führet den Reihen Sapphire!
„Und es schaun auf sie entzükt die Mütter, gelagert
„Unter der Pappel am Bach; und Gemil“ – hier schwieg sie und lachte.
„Eile,“ so fuhr sie fort, „damit nicht allein Sapphire
„Erndte die Ehre des Tanzes. Geschwind! ich helfe beym Kleiden.“
Und nun gab’s ein Getreib’; ich war die Beste der Ammen:
„Amme! Den rosenfarbenen Rock! und Amme, den Gürtel! –
„Alte, nicht den; den gestikten! – geschwind! – mit geperleter Schnalle! –
„Ammchen, den Schleyer mit Golde gefaßt; und Ammchen, die Mitra!
„Sey doch vernünftig und gieb den Pfaugefiederten Fächer!
„Stecke die Ros’ in’s Haar!“ Doch die Freundin entriß mir die Rose:
„Mein sey dieses Geschäft!“ so sprach sie, und: „Höre die Leyer!“
Rief sie dann, und bebte vor Lust. Das Band Ariadnens
Stekt’ ich Zoen noch zu. Sie schied. Ich hatte das Nachsehn. –
Das ist der Jugend Art: dafür auch soll sie mir haarklein
Was sich begab erzählen. So dacht’ ich; aber ich irrte.
Gestern, wie stumm: Und heute, noch schlimmer als stumm; denn sie zürnet! –
Hurre, schnurre mein Rad! – Ich soll ja schweigen: ich schweige.
Kommt da nicht Lucia schon? – Sie ist’s!

Zoe.
O theuerstes Ammchen!
Redlich hast du geschwatzt: Ich ließ dich schwatzen. Nun Amme!
Laß mich ein wenig allein mit Lucia! – Sey mir gegrüsset,
Liebe Lucia! Sprich, wie so früh?

Lucia.
Ich konnte nicht schlafen
Bey dem Sturme; da macht’ ich mich auf; und: Gehe zu Zoe!
Dacht’ ich; gewiss, du trifst sie im Bette; da plaudert sich’s traulich.
Aber da sizt sie am Rahmen, und sieht kaum auf von der Arbeit! – –
Allerliebst ist das Blümchen Vergissmeinnicht. Irr’ ich mich, oder
War es gestern schon da? Gar gut ist die Stelle gewählet,
Nahe dem Herzen –

Zoe.
O schweig! was du nicht alles bemerkest!
Sing’ ein Morgenlied zur Harfe. Doch must du erst stimmen.

Lucia.
Wüßt’ ich nur dich zu stimmen! Die Augenblicke sind kostbar.
Klimpern können wir sonst. Zu plaudern bin ich gekommen.
Zoe! Beichte geschwind! Was hattest du gestern mit Gemil?

Zoe.
Mädchen, du träumst. Was hast du gesehn? Was hatt’ ich mit Gemil?

Lucia.
Geht doch, wie keck! Welch Mädchen vermag ihr Geheimniß zu bergen
Vor der Jugend Gespielin, vertraut mit jeglicher Miene?
Zoe, ich bin dir gram. Nie hatt’ ich vor dir ein Geheimniß.
Lebe denn wohl. Ich verlasse dich.

Zoe.
Halt! Du empfindliches Mädchen!
Willst du wohl bleiben? – Nun geh! Dein Schleyer ist mein. – O geh doch! –

Lucia.
Tückisches Ding, das du bist! – Geschwind dann! Sage mir alles!

Zoe.
Bist du so eilig? Nun ja: er bat um das Band, ich entfloh ihm,
Und nun zürnt er vielleicht.

Lucia.
Da hascht’ ich den Schleyer. Ich laufe.

Zoe.
Beste Lucia, bleibe! Gern will ich es besser erzählen.

Lucia.
Neckst du mich wieder, so –

Zoe.
Komm, du sollst mich noch bitten, zu schweigen.
Ja, du sahst es wohl selbst, Geliebteste: ohne zu suchen
Fanden wir uns, mein Gemil und ich. Doch sollten (du weißt es)
Sollten wir uns nicht finden: denn eh noch mein Vater verreis’te
Wiederholt er auf’s neu, mit freundlichem Blicke, die Warnung:
„Gemil wirbet um dich: doch Zamors Tochter, das weiß ich, –
„Reizet nicht Schönheit, noch Stand des Thatenlosen, noch Reichthum.
„Ward er deiner schon werth?“ So sprach er und schied. Ich verstummte. –
Warum entrissest du mich, du böse Lucia, gestern
Meiner Einsamkeit? – Doch, was folgt’ ich der fährlichen Lockung?
Spröde that ich mit ihm. Man zog mich zum Tanz Ariadne’s.
Ach! wie lieb’ ich den Tanz! und Mädchen und Jünglinge Schaaren
Wallten lange gesondert, mit gleichen Schritten bald nahend,
Bald sich fernend, umher. Belebter wurden die Töne
Stamati’s nun; nun scholl der ersehnte Ton der Vereinung.
Schnell durchströmte der Jünglinge Schaar die Reihen der Mädchen.
Gemil umschwebte mich lang’, und erröthete. Aber nun stand er
Vor mir, dem Thesus gleich, als dieser mit zärtlichen Blicken
Stand vor der Tochter des Minos, und Lieb’ und Leben erflehte.
Schon erfaßt’ er mein Band – gegeben, oder genommen,
Weiß ich das selbst? – Wir wallten voran. Es schwand mir die Erde.

Lucia.
Zoe! ich neide dich: euch neidete Jüngling und Mädchen.
Herrschlich schwanget ihr euch nach Stamati’s rascherem Tacte,
Oft das seidene Band verlängernd, öfter es kürzend.
Schlau ersahn sich die günstige Zeit die folgenden Paare,
Und durchschlüpften in Reihen das Band. In lieblicher Windung
Schlangen sie sich um euch her. Geschürzt war der reizende Knoten.
Aber ihn lösete leicht die Umschlungene. Schnell dich entwirrend,
Zeigtest du dich im Triumph voran mit dem flatternden Bande.
Laut frohlokten die Mütter am Bach. Besiegt war Sapphire, –

Zoe.
Und besiegt doch die Siegerin selbst; – Es folgte mir traurig
Gemil, und bat um das Band. Wie konnt’ ich es, durft’ ich es geben?
Ungern floh ich; es fiel – wohl durch die Eile gelöset, –
Mir die Ros’ aus dem Haar. O weißt du es, ob er sie haschte?

Lucia.
Täuschst du mich wieder? Gewiss, du weißt es, daß er sie haschte.
Lange schon warst du heim, da fand ich Gemil am Bache,
Wie er die Rose zerpflükte. Die Wellen entführten die Blättchen.

Zoe.
Weh! er hat sie zerpflükt! Sprich, Lucia! zürnet mir Gemil?

Lucia.
O du kennest den Zorn. Wie schnell ist die Liebe gesühnet! –
Lebe nun wohl! Ich eile zurük an den Strand. Ein Schauspiel
Hielt mich, seit ich vom Sturm erwachte, gefesselt am Ufer.
Als der Morgen ergraute, da sah man an Malio’s Klippen
Mit Entsetzen ein Boot in Kampf mit den wüthenden Wogen.
Und der Nothruf scholl: Unmöglich schien mir die Hülfe;
Denn es trieb, vom Sturme gelös’t, der einzige Nachen
Fern am Ufer umher, ein Spiel der empöreten Wellen.
Plötzlich sprang (laut jauchzte das Volk) ein Jüngling, – ich kannt’ ihn
Nicht – in die Fluth. Wir beseufzten den Sinkenden. Sieh, da erhob er
Sich am Nachen empor, und schwang sich hinein und durchkämpfte.
Muthig das Meer, erreichte das Boot, das Volk war gerettet.

Zoe.
Lucia! ach! wie pocht mir das Herz!

Lucia.
Sie landeten glücklich,
Aber ferne vom Ort. Nun kehren sie heim auf dem Landweg.
Nahe müssen sie seyn. Ich gehe.

Zoe.
Glücklicher Retter!
Schon empfängst du den Dank der Geretteten. Aber du gabest
Ihren Gatten vielleicht der Gattin, gabest den Kindern
Ihren Vater zurück. Die Thränen des schöneren Dankes
Harren noch dein.

Amme.
Der Vater! der Vater! mir hat es geahnet.

Zamor.
Tochter! umarme mich – fest – noch fester. Ich sehe dich wieder.
Gott, wie fühl’ ich das Glück! – Ein Wunder hat mich gerettet.

Zoe.
Vater! dich traf der mächtige Sturm?

Zamor.
Der heitere Abend
Kündigte nicht ihn an. Mein Geschäft war früher beendet,
Als ich vermuthete. Dich, mein Töchterchen! dich zu erfreuen,
Miethet’ ich schnell ein Boot. Kaum war das Ufer verlassen,
Da erhob sich der Sturm. Uns drohten Malio’s Klippen,
Und das Boot ward leck.

Lucia.
Ich sah den Kampf mit den Wellen,
Und arbeitete mit. O, hätt’ ich geahnet, daß Zamor –

Zoe.
Vater! ich habe dich wieder. O Gott sey ewig gepriesen,
Der mir von neuem dich schenkt! – Was thu’ ich, dich zu erquicken?

Zamor.
Zoe! schon bin ich erquikt. Dich dacht’ ich, um Liebe zum Leben
Ward in mir reg’. Ich sehe dich nun, und bin schon genesen.

Lucia.
Zamor! Ich preise dein Glück. – Doch dreymal selige Zoe! –
Zoe! ich habe den Retter gekannt! –

Zoe.
Und du nanntest ihn nicht? – Mein Vater!
Wo ist der Mann, der Edle, der dich durch die offenen Gräber
Rettete? Ist es ein Gott, daß er sich entziehet dem Danke?
Und die kindliche Thräne – – was seh’ ich?

Gemil.
O Zoe! der Rettung
Werkzeug siehest du hier. Doch Zoe! Du bist des Vaters
Retterin! Warest nicht du der Preis der gewageten Mannthat?
Sieh! ich sprang in die Fluth: Dich sah ich, dich in dem Nachen,
Liebe gab mir die Kraft, mich führte Liebe zum Ziele.
Herrlicher führte sie nie. Um Unbekannte zu retten,
Trozt‘ ich dem Tod’, und es war – der Vater meiner Geliebten,
Der in die Arme mir sank!

Zamor.
Du säumest, den Retter zu lohnen;
Zoe?

Zoe.
Bin ich ihm Lohn? – O Gemil! Ich sink’ in die Arme,
Die den geretteten Vater umfingen.

Gemil.
O Zoe! – Mein Vater!

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