Zweyter Theil. Erster Brief.
Herz an Rothen, der in Geschäften nach Braunsberg gereist war.
Da bin ich wieder mein Wohlthäter! in allem Rosenschimmer des Glücks und der Freude. Rothe! Rothe! was bist du für ein Mensch. Wie hoch über den Gesichtskreis meines Danks hinaus! Ich habe auch nicht Zeit, das alles durchzudenken, wie du mich geschraubt und geschraubt hast, mich wieder herzukriegen, mich über alle Hofnung glücklich zu machen – ich kanns nur fühlen und schaudern indem ich dir in Gedanken deine Hände drücke. Ja ich habe sie gesehen, ich habe sie gesprochen – Dieser Augenblick war der erste, da ich fühlte daß das Leben ein Gut sey. Ja ich habe ihr vorgestammelt, was zu sagen ich Ewigkeiten gebraucht haben würde und sie hat mein unzusammenhängendes Gewäsch verstanden. Die Wittwe Hohl, du kennst die Plauderinn, glaubte allein zu sprechen, und doch waren wir es, wir allein, die, obgleich stumm, uns allein sprechen hörten. Das läßt sich nicht ausdrücken. Alles was sie sagte war an die Wittwe Hohl gerichtet, alles was ich sagte gleichfalls und doch verstand die Wittwe Hohl kein Wort davon. Ich bekam nur Seitenblicke von ihr, und sie sah meine Augen immer auf den Boden geheftet und doch begegneten unsere blicke einander und sprachen in’s innerste unsers Herzens was keine menschliche Sprache wird ausdrücken können. Ach als sie so auf einmal das Gesicht gegen das Fenster wandte, und in dem sie den Himmel ansah, alle Wünsche ihrer Seele auf ihrem Gesicht erschienen – laß mich Rothe, ich entweyhe alles dies durch meine Umschreibungen.
Zweyter Brief.
Nun ist es wunderbar welch einen hohen Platz die Wittwe Hohl in meinem Herzen einnimmt. Du weißt, welch eine Megäre von Angesicht sie ist, und doch kann ich mich in keiner einzigen Frauenzimmergesellschaft so wohl befinden als in ihrer. Ich verschwende Liebkosungen auf Liebkosungen an sie, und das nicht aus Politik sondern aus wahrer herzlicher Ergebenheit, denn es scheint mir daß sie wie Moses von dem Gesicht meiner Göttin einen gewissen Schimmer erhalten hat, der sie um und um zur Heiligen macht. Alle ihre Handlungen scheinen mir Abschattungen von den Handlungen meiner Gräfinn, alle ihre Worte Nachhälle von den ihrigen. Wenn sie von ihr redt bekommt auch in der That ihr Medusenkopf gefälligere Mienen, eine gewisse himmlische Heiterkeit blitzt aus ihren Augen und ihre Reden erhalten alle eine gewisse Melodie in ihrem Munde, über die sie sich selbst zu wundern scheint. Sie redt deswegen gern von ihr. Und wer ist glücklicher dabey als ich? Zugleich habe ich an ihr gemerkt, daß sie keine gemeine Gabe des Vortrages hat. Besonders kann sie einen Karakter mit wahrer poetischer Kraft darstellen. Es scheint mir daß Frauenzimmer ihrer Art immer dadurch vor den schönen und artigen gewinnen, daß sie in einer gewissen Entfernung von den Leuten abstehen, die ihren Gesichtspunkt: aus dem sie sie auffassen, immer unendlich richtiger macht. Sie sehen alles ganz was andere nur halb sehen. Kurzum, ich liebe sie, diese Olinde.
Dritter Brief.
O Rothe! hundertmal fällt mir die Frau ein, die in einer katholischen Kirche gesessen wo sie von der lateinischen Predigt kein Wort verstand, ausser einem gewissen Namen, der ihre Andacht erhielt, und dem zu Gefallen sie allein in die Kirche kam.
Du weißt, daß ich, um mich hier zu erhalten, weil ich meinen Dienst niedergelegt, den ganzen Tag informiren muß. Es mattet mich ein wenig ab, allen den verschiedenen Köpfen auf so verschiedene Art faßlich zu werden. Den Abend geh ich zur Erholung zur Wittwe Hohl hinauf und wenn ich auch weiter nichts als den Namen einer gewissen Person aussprechen höre, so ist mir doch gleich wieder so wohl und kann mich so vergnügt zu Bette legen.
Vierter Brief.
Ich sehe, ich sehe, daß sich die Wittwe Hohl an mir betrügt. Aber laß sie, es ist ihr doch auch wohl dabey, und da es in meinem Vermögen nicht steht, einen Menschen auf der Welt durch Handlungen glücklich zu machen, so soll es mich wenigstens freuen, eine Person die auf diese Art der Glückseeligkeit in der Welt schon Verzicht gethan hatte, wenigstens durch ihre eigene Phantaseyen glücklich gemacht zu haben. Unter uns, sie glaubt in der That, ich liebe sie. Noch mehr, auch andere Leute glaubens, weil ich ihr so standhaft den Hof mache. Ich liebe sie auch wirklich, aber nicht wie sie geliebt seyn will.
Es wird mir fast zu lange, daß ich die Gräfin nicht sehe. Nirgends, nirgends ist sie anzutreffen. Und die ewige SysiphusArbeit meiner täglichen Arbeiten ohne die mindeste Freude und Erholung ermattet sehr. Wenn ich nur durch alle meine Mühe noch was ausrichtete. Ich zerarbeite mich an Leuten die träger als Steine sind und die, was das schlimmste ist, mich mit den bittersten Vorwürfen kränken, daß sie bey mir nicht weiter kommen können. Wittwe Hohl spricht auch kein Wort von der Gräfinn mehr.
Fünfter Brief.
Fräulein Schatouilleuse an Rothen.
Was T-, machen Sie denn solange auf dem Lande, das ist ja nicht auszuhalten. Ihr Herz, den kriegt ja kein Mensch zu sehen, noch zu geniessen, den hat die Wittwe Hohl vermuthlich an ihrem Bettstollen angebunden. Es ist doch schändlich, daß der Mensch ihr so hündisch getreu ist, da sie ihn offenbarlich hintergeht.
Wissen Sie auch was Neues Rothe, recht was Neues, daß die Gräfin Stella Braut ist und das mit einem garstigen alten Mann, der aber viel Geld hat. Diese Nachricht, versichert, wird Herrn Herzen übel schmecken. Wenn er sie nur nicht gar zu plump erfährt, ich glaube er erschießt sich.
Wissen Sie mir nicht zu sagen, ob man in Braunsberg gute weiche Flokseide bekommt? Und was dort die chinesischen Blumen gelten. Bringen Sie mir welche mit, die Leute sind hier Judenmässig theuer.
Sechster Brief.
Herz an Rothen.
Bruder! es ist etwas auf dem Tapet, ich bin der glücklichste unter allen Sterblichen. Die Gräfinn – kaum kann ich es meinen Ohren und Augen glauben – sie will sich mir mahlen lassen. O unbegreiflicher Himmel! wie väterlich sorgst du für ein verlassnes verlornes Geschöpf. Meine letzten harrenden und strebenden Kräfte waren schon ermattet, ich erlag – ich richte mich wieder auf, ich stehe, ich eile ich fliege – fliege meinen grosen Hofnungen entgegen.
Siebenter Brief.
Wittwe Hohl an die Gräfin Stella.
Ich habe endlich ein Mittel ausfindig gemacht, liebe Gräfin, das Bild, das Sie Herrn Rothen in seine Sammlung von Gemählden versprochen haben, ihm ohne daß es ein Mensch auf der Welt merkt für wen, zu verschaffen. Mein Freund Herz ist in genauer Verbindung mit einem hiesigen Maler, dieser soll, als ob ich ihn heimlich durch Herzen hätte bestellen lassen. Sie unvermuthet auf meinem Zimmer überraschen, Sie müssen sich ein wenig erschrocken stellen, ich bitte Sie sodann um Verzeyhung und sage, weil Sie bald weg von hier zu reisen gedächten, hätt’ ich mir die Gelegenheit zu Nutz machen wollen, bey Ihrem letzten Besuch wenigstens Ihr Bild auf der Stube zu behalten. Herz hat mir alles dies selbst so angegeben, und sie können sich auf ihn verlassen daß er alles so beym Maler einrichten wird, daß sie auf keine Weise dadurch kompromittirt werden.
Achter Brief.
Herz an Rothen.
Eben erhalte ich einen wunderbaren Brief von einem Obristen in Hessischen Diensten, der ehmals mit mir in Leipzig zusammen studiert hat, und mir die Stelle als Adjutant bey ihm anträgt, wenn ich ihn nach Amerika begleiten will. Wie Rothe! dieser Sprung aus dem Schulmeisterleben auf die erste Staffel der Leiter der Ehre und des Glücks, der Himmelsleiter auf der ich alle meine Wünsche zu ersteigen hoffe. Was sagst du dazu? Und ihr Bild nehme ich mit. Mit diesem Talisman in tausend blosse Bajonetter zu stürzen – Ha Rothe, daß du fühlen könntest, wie mir das Herz schlägt! Künftige Woche läßt sie sich mahlen. O die grosen Akkorde des Schicksals, des göttlichgütigen Schicksals, dem wir in den umwölkten Stunden durch unsere Verwünschungen soviel Unrechth tun. Hörst du sie nicht auch? seegnest du sie nicht auch? Wie sich alles alles vereinigt, alles vereinigen muß – Warum antwortest du mir denn nicht?
Neunter Brief.
Rothe an den Obristen von Plettenberg.
Hier überschick ich Ihnen, mein Gönner! einen mir auf mein Gewissen anvertrauten Brief Ihrer Gräfin Nichte. Es däucht mir, er enthalte eine nochmalige Vorbitte für den armen Herz, für dessen Schicksal in Amerika ihr bange ist. Er ist in der That nicht zum Soldaten gemacht, so sehr er sichs zu seyn einbildet. Wäre es nicht möglich, daß Sie ihn dem Kurfürsten zu ** empfehlen könnten, zu der erledigten Hofjunkerstelle. Ich werde ihn Ihnen selber nach Zelle bringen und über verschiedene Umstände seines Herkommens und seiner bisherigen Schicksale Ihnen mündlich nähere Aufschlüsse geben.
Zehnter Brief.
Herz an Rothe.
Ewige Wonne ruhe auf diesem Tage und unter dem Schimmer des rosenlächelnden Himmels müssen sich an demselben zwo grosse Seelen, die das unerbittliche Schicksal lang von einander trennte, im höchsten Taumel der Liebe küssen.
Laß mich zu mir selber kommen Rothe, ich kann nicht reden – kann die Gefühle nicht ausdrücken – aber wem es je Entzücken auf Erden giebt, so war es das. Sie wiederzusehn – siehst du, alle die Wonne schneidet mir ins Herz, ich sitze da, halb ohne Athem, alle meine Pulse hüpfen, zittern für Freude und eine wollüstige Thräne über die andere stürzt sich aus meinen Augen herab.
Die Geschichte dieses Tages – daß du doch das alles nicht gesehen hast? Wie kann ichs erzählen? Ich kam mit dem Maler. Nein, ich schickte den Maler voraus und nach einem Weilchen kam ich nach. Sie saß ihm schon – saß da in aller ihrer Herrlichkeit – und ich konnte mich ihr gegenüberstellen und mit nimmersatten Blicken Reitz für Reitz, Bewegung für Bewegung einsaugen. Das war ein Spiel der Farben und Mienen? Wenn der Himmel mir in dem Augenblick aufgethan würde, könnt’ er mir nichts schöners weisen. Das Vergnügen funkelte aus ihren Augen, o welch eine elysische Jugend blühend und düftend auf ihren Wangen, ihr Lächeln zauberte mir die Seele aus dem Körper in das weite Land gränzenloser Schimären. Und ihr Busen, auf dem sich mein ehrfurchtsvoller Blick nicht zu verweilen getraute, den Güte und Mitleid mir entgegenhob – Bruder ich möchte den ganzen Tag auf meinem Angesicht liegen, und danken, danken, danken –
Eilfter Brief.
Herz an Rothen.
Welch ein schreckliches Ungewitter hat diesen himmlischen Sonnenschein abgelöst! Rothe, ich weiß nicht, ob ich noch lebe, ob ich noch da bin oder ob alles dies nur ein beängstigender Traum ist. Auch du ein Verräther – nein, es kann nicht seyn. Mein Herz weigert sich, die schrecklichen Vorspiegelungen meiner Einbildungskraft zu glauben und doch kann ich mich deren nicht erwehren. Auch du Rothe – nimmermehr!
Schick mir das Bild zurück, oder ich endige schrecklich. Du mußt es nun haben dieses Bild und mit blutiger Faust werde ich’s zurückzufodern wissen, wenn du mirs nicht in gutem giebst.
Dein Stillschweigen, dein geheimnißvolles Wesen gegen mich – gegen mich, Rothe – bedenke, was das sagen will – nein doch, ich kann es, kann es nicht glauben. Du kannst dich eines so schwarzen Complots nicht schuldig gemacht haben.
Ich will dir alles erzehlen, aber ich fodere von dir, daß du mir Aufrichtigkeit mit Aufrichtigkeit belohnst.
Ich flog den Nachmittag, sobald meine Informationen vorbey waren, zur Wittwe Hohl hinauf – kannst du dir vorstellen, mit welchen Empfindungen? Ich wollte ihre beyde Hände unbeweglich an meine Lippen drücken, mich auf die Knie vor ihr werfen, und ihr mit Blicken und Thränen für alle das Vergnügen danken, das sie mir den Vormittag verschaft hatte. Aber Gott! wie ward mir das versalzen? Ich fand sie – zu Bette. Mit der wahren Stimme einer Verzweifelnden redte sie mich an: Unglücklicher fort von mir! was wollt ihr bey mir – Was ist Ihnen beste Wittwe Hohl – Seht da euer Werk Verräther – Ich schuld an Ihrer Krankheit – Ja schuld an meinem Tode – Wodurch – Fragt euer Herz Bösewicht!
Ich war für Wuth ausser mir, ich fieng an zu bitten, ich fieng an zu schmeicheln, zu weinen, zu schwören – Welche grausame Verwirrungen hatte unser Missverstand angerichtet, oder vielmehr meine Nachlässigkeit, sie eher aus ihrem Irrthum zu reissen. Sie war über mein Betragen den Vormittag eifersüchtig geworden – sie eifersüchtig – nie hatte ich mir das träumen lassen. Hätte sie doch nur einmal während der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft in den Spiegel gesehen, wie viel Leiden hätte sie sich ersparen können! Indessen, der Mensch sucht seine ganze Glückseligkeit im Selbstbetrug. Vielleicht betrüge ich mich auch. Sey es was es wolle, ich will das Bild wieder haben, oder ich bringe mich um. – Nun kommt das Schlimmste erst. Ich hatte ihr gesagt, ich würde dir das Bild zuschicken, weil ich wirklich glaubte, die Gräfin hätte vielleicht gewünscht daß du es auch vorher sehen solltest, eh ichs nach Amerika mitnähme. Jetzt sagte sie mir, daß ich die Gräfin aufs grausamste und unverzeihlichste beleidigen würde, wenn ich ihr nicht mit einem Eide verspräche, dir das Bild zuzuschicken und es nimmer wiederzufodern – Es nimmer wiederzufodern, sagte ich, wie können Sie das verlangen – Ja das verlange ich, sagte sie, und zwar auf Ordre der Gräfinn, denn das erste ist schon geschehen.
Nun stelle dir vor, sie hatte während meiner Abwesenheit mein Zimmer vom Hausherrn aufmachen lassen, und das Bild herausgenommen. Ich hatte mir vorgesetzt, davon eine Kopey nehmen zu lassen und sie dir zuzusenden, das Original aber für mich zu behalten, weil des Malers Hand dabey sichtbarlich von einer unsichtbaren Macht geleitet ward und ich das was die Künstler die göttliche Begeisterung nenne, wirklich da arbeiten gesehen habe – und nun – ich hätte sie mit Zähnen zerreissen mögen – alles fort – – Rothe das Bild wieder, oder den Tod!
Dazu kommt noch, daß ich Übermorgen reisen soll. Ich wünschte ich könnte dich abwarten. Schick nur, wenn du selbst nicht kommen kannst, das Bild an Fernand, der weiß meine Adresse. O mein Herz ist in einem Aufruhr, der sich nicht beschreiben läßt.
Was für Ursachen konnte die Gräfin haben, das bild dir mahlen zu lassen? – Nein es ist ein Einfall der Wittwe Hohl. Antworte mir doch.
Herz.
Dritter Theil. Erster Brief.
Honesta an den Pfarrer Claudius.
Sie wollen das Schicksal des armen Herz wissen und was ihn zu einem so schleunigen und seltsamen Entschluß als der ist nach Amerika zu gehen, hat bewegen können. Lieber Pfarrer, um das zu beantworten muß ich wieder zurückgehn und eine ziemlich weitläuftige Erzählung anfangen die mir, da ich so gern Briefe schreibe, ein sehr angenehmer Zeitvertreib ist.
Ich habe seitdem vollständigere Nachrichten eingezogen von Herzens erster Bekanntschaft mit der Wittwe Hohl, von der unglücklichen Leidenschaft die er für die Gräfin Stella faßte, von den Ursachen die alle zusammen trafen, diese Leidenschaft zu unterhalten, welches bey jedem vernünftigen Menschen sonst unbegreiflich seyn würde, da die Gräfin nicht allein so weit über seinen Stand erhaben, sondern auch seit fünf Jahren schon eine Braut mit einem gewissen Obersten Plettenberg ist, der schon eine Campagne wider die Colonisten in Amerika mitgemacht hat, bloß damit er Gelegenheit habe, sich bis zum General oder Generallieutnant zu bringen, weil er sonst nicht wagen darf, bey dem Vater der Gräfin um sie anzuhalten. Heimlich ist aber unter ihr und ihren Verwandten alles mit ihm schon ausgemacht. – Alle diese Nachrichten sollen Ihnen den Schlüssel zu Herzens wunderbarem Charakter und Handlungen geben.
Die Geschichte ist aber so wie das ganze Leben Herzens ein solch unerträgliches Gemisch von Helldunkel daß ich sie Ihnen ohne innige Ärgerniß nicht schreiben kann. Kein Zustand der Seele ist mir fataler als wenn ich lachen und weinen zugleich muß, Sie wissen ich will alles ganz haben, entweder erhabene Melancholey oder ausgelassene Lustigkeit – indessen es ist nun einmal so und ich kann mir nicht helfen.
Die Wittwe Hohl – Sie kennen die Wittwe Hohl und ich brauche Ihnen ihre Hässlichkeit nicht zu beschreiben, doch wenn sie sich nicht mehr auf ihr Gesicht erinnern sollten, sie hat eingefallene Augen, den Mund auf die Seite verzogen, der ein wahres Grab ist das wenn sie ihn öfnet, Todtenbeine weist, eine eingefallene Nase kurz alles was hässlich und schrecklich in der Natur ist – hier lassen Sie mich aufstehn und abbrechen, die Beschreibung hat mich angegriffen, besonders wenn ich bedenke, daß der delikate, der fein organisirte Herz in sie verliebt war –
Zweyter Brief.
Die Wittwe Hohl ist eine Person von vielem Vermögen, und was Sie mir nicht glauben werden, von einem ausserordentlichen Verstande.
Sie können dies nur daraus sehen, daß sie wirklich den Plan gemacht, dem jungen feinen scharfsichtigen Herz sein Herz zu entführen, und daß sie diesen Plan – welches mir das unbegreiflichste ist, ausgeführt hat. Ich weiß nicht durch welche Zaubermittel sie ihn in ihr Haus zu locken gewußt hat. Ich stelle mir’s so vor, sie war in der ganzen Stadt bekannt daß sie eine grosse weitläuftige Corresondenz mit Vornehmen und Gelehrten hat, die sie sich alle durch ihren Verstand verbindlich zu machen wußte. Herz, der immer ein Narr auf Charaktere war und in der wirklichen Welt sie aufzusuchen zuviel Eckel und Launen hatte, dachte hier einen reichen fund zu thun, und – da sie für alle diese Correspondenten zugleich immer Geschäfte machte – bey allen diesen Personen ihre Art sich zu benehmen, die verschiedenen Massen von Licht und Schatten, von Selbstliebe und Großmuth, oder auch wohl, bey Leuten von geringerm Ton, von Geitz und Hochmuth in ihrem Charakter hier gleichsam aus der ersten Hand zu haben. Nun kommt noch dazu, daß sie selbst eine ungemein grosse Gabe zu erzehlen hat, sie weiß alle Gegenstände die sie einmal sieht, gleich so zu fassen und vorzutragen daß man sie auch zu sehen glaubt, kurz als Herz das erstenmal mit ihr in Gesellschaft war, wo sie denn gleich einige ihrer Briefe hervorgezogen, und von ihr hörte, daß sie ein Zimmer in ihrem Hause um einen sehr wohlfeilen Preiß zu vermiethen habe, zog er sogleich des folgenden Tages bey ihr ein, und nun war es für alle unsere Gesellschaften verloren.
Er kam alle drey Tage nur in unser Haus und that dabey so frostig, daß wir ihn immer nur das Terzianfieber nannten. Zuletzt blieb er gar weg und wer dabey am wenigsten verlor, das waren wir. Jetzo erst, da ich von dem Herrn Rothe den wahren Zusammenhang seiner Verirrungen erfahren, fange ich an, ihn zu bedauern.
Stellen Sie sich vor, sie kramte die Briefe der Gräfin aus, die schon seit ihrer Kindheit mit ihr in grosser Bekanntschaft steht und seit dieser Zeit her in ** alle Geschäfte durch sie hat machen lassen. Nun habe ich Ihnen die Gräfin Stella schon beschrieben, noch müssen sie das wissen, sie schreibt wie ein Engel. Ich habe Briefe von ihr gesehen, sie weiß den allergeringsten Sachen so etwas anzügliches zu geben, daß man so gar ihre kleinsten Commissionen mit eben dem Interesse liest, als den wohlgeschriebensten Roman. Mein Herz war hin, als er immer weiter in dieses Heiligthum trat, Brief für Brief dieser Charakter sich immer herrlicher ihm entwickelte, denn es waren hier Briefe von den ersten Jahren ihres Lebens an und sie hatte nie geglaubt, gegen die Wittwe Hohl im geringsten sich verstellen oder, was heut zu tage so allgemein ist, representiren zu dürfen.
Nun begieng die Wittwe die grausame List, Herzen ganz und gar zu verhehlen daß die Gräfin mit irgend einer Mannsperson auf der Welt in Verbindungen des Herzens stehe. Alle die neueren Briefe in denen etwas von Plettenberg vorkam, versteckte sie ihm sorgfältig, Herz der von jeher wie Sie wissen, vielleicht durch die Schicksale seiner Jugend, die sonderbar genug seyn sollen, äusserst romantisch gestimmt war, glaubte es vielleicht möglich daß er dies Herz wenigstens zur Freundschaft gegen ihn durch Zeit Geduld und Sorgfalt stimmen könnte. Er faßte also den gigantischen Vorsatz, nicht abzulassen bis er es durch die Wittwe Hohl, die wohl einsah daß Herz nur durch Reitze der Seele gefesselt werden könnte und sich für die gewöhnlichen schönen und artigen Gesichte der Stadt zu gut hielt, gleichfalls den festen Vorsatz, nicht abzulassen bis sie es durch die Briefe der Gräfin dahin gebracht daß er sich ganz und gar an unsichtbare Vorzüge gewöhnte und wenn er sähe daß seine Leidenschaft für die Gräfin eine blosse Schimäre sey, sie als ihre vertrauteste Freundin an ihre Stelle setzte. Sie behielt also die Nachricht von ihrer geheimen Verbindung mit Plettenberg als den Theaterstreich zurück, der die ganze Katastrophe entscheiden sollte. Ich fürchte sehr, das Stück könne eher tragisch als komisch endigen.
Nun gieng das Drama von beyden Seiten an und die Rollen wurden meisterhaft abgespielt. Wittwe Hohl redete immer von der Gräfin und zog dadurch Herzen immer fester an sich. Sie lies sogar bey der Erzehlung von den Jugendjahren derselben ihren ganzen Witz und ihr ganzes Herz mit all seinen Hofnungen Theil nehmen, welches ihren Augen so wie ihren Ausdrücken ein Feuer gab, das Herzen oft ganz bezauberte. Er trank das süsse Gift begierig in sich, doch brauchte er die Vorsicht, bey alledem eine gewisse Kälte und Gleichgültigkeit zu affektiren und das was die wütendste Leidenschaft in seinem Herzen war als frostige Bewunderung einzukleiden, welches auf der andern Seite die Wittwe Hohl an ihm bezauberte, die denn dadurch immer besser humorisirt, immer, daß ich so sagen mag, begeisterter wurde, so daß beyden nie besser zu Muth war als wenn sie auf diese Materie kamen und sie von allen Diskursen des gemeinen Lebens immer Gelegenheit zu finden wußten, dahin einzulenken. Dazu kam noch, daß diese Materie ein unvergleichlicher Probierstein ihres Witzes war, bey alledem ihren Zweck immer vor Augen zu behalten und mit unmerklichen aber ihrer Meynung nach sehr festen und zuverlässigen Schritten ihren grossen Staatsgefangenen demselben entgegen zu führen. Zu dem Ende ließ sie von Zeit zu Zeit einige nicht gar zu vortheilhafte Beschreibungen von dem Gesicht der Gräfin mit unterlauffen, sagte aber alle diese kleinen Fehler würden von den Eigenschaften ihres Gemüths so verdunkelt – ich kann nicht schreiben lieber Pfarrer, ich muß laut lachen wenn ich mir das Gesicht der Wittwe bey diesen Reden denke und die erstaunte und verlegene Meine, mit der Herz ihr muß zugehört haben.
Dritter Brief.
Sie trieb es so weit, daß sie in ihren Briefen an die Gräfin von ihrer neuen Bekanntschaft mit Herzen redte oder vielmehr mit dieser neuen und seltenen Eroberung prahlte, da sie denn wie natürlich auf die Beschreibungen die sie von seinem Charakter gemacht und die ausschweiffend vortheilhaft waren, von der Gräfin auch für ihn sehr vortheilhafte Ausdrücke zur Antwort erhalten mußte. Sie hielt diese Kriegslist für nothwendig, um das Feuer das sie einmal in seinem Herzen angeblasen und das er aus Politik auf seinem Gesicht oft sehr trüb und dunkle brennen ließ, nicht auslöschen zu lassen. Wer war glücklicher als Herz? Er suchte in allen diesen Ausdrücken der ganz und gar unschuldigen Gräfin wahre Spuren dessen was er für sie fühlte, und nun giengs mit seinem Verstande Genie und Talenten Galopp berghinunter. Er hörte, sie sey zu den Winterlustbarkeiten in ** angekommen. Er lief überall wie ein Wahnwitziger herum, sie zu suchen, sie zu sehen, das Bild zu dieser unsichtbaren Gottheit zu finden, die er anbethete. Sei könne sich vorstellen, daß er sich alles hat kosten lassen, und so mußte er bey seinem schmalzugeschnittenen Vermögen nothwendiger weise in Schulden gerathen. Endlich als ihm das Geld ausgieng und ihm niemand mehr borgen wollte, denn soviel Vernunft war ihm immer noch übrig geblieben, daß er sich, auch wenn’s ihm das Leben gekostet hätte, nie um Geld an die Wittwe Hohl wenden wollte, um ich kein Recht über ihn zu geben, worauf sie nur lauerte – marschierte er aus der Stadt und in eine Einsiedeley, wo kein Mensch weiter von ihm hörte oder sah.
Rothe war hinter alles das gekommen. Er hat seit langer Zeit Zutritt in dem Hause der Gräfin, so wie er überhaupt hier in den besten Häusern hat, weil er von den Grossen in wichtigen Geschäften mit Erfolg gebraucht wird und seine persönlichen Gaben seine Gesellschaft zu der angenehmsten von der Welt machen. Er versuchte alles, Herzen wieder in die Stadt zu bringen, da alles vergeblich war, wandte er sich an die Gräfin und erzählte ihr aufrichtig den Verlauf der Sache und die komplizirte Rolle, die die Wittwe Hohl bey derselben gespielt. Die Gräfin, wie Sie sich leicht vorstellen können, war ganz innigstes tiefstes Bedauern für die Verirrung eines Menschen von so vielen Talenten, wie Rothe ihr den Herz beschrieb, und bat ihn ihr ein Mittel an die Hand zu geben, ihn vielleicht zu heilen. Rothe wußte ihr kein bessers vorzuschlagen, als daß sie sich etwa für ihn mahlen liesse, damit er doch einige Entschädigung für seine getäuschten Hofnungen hätte, und alsdenn wollten sie dafür sorgen, ihn zu entfernen und darüber mit Plettenberg selber korrespondiren, der von der ganzen Sache unterrichtet werden mußte, weil sie schon eine Fabel in der Stadt geworden war. Das geschah, Plettenberg schlug vor, ihn nach Amerika mitzunehmen, um gegen die Kolonisten zu dienen. Das wunderbarste war, daß Plettenberg ihn schon ehmals auf der Akademie gekannt und daselbst viel Freundschaft für ihn gefaßt hatte. Er trug ihm also die stelle als Adjutant bey seinem Regiment an, die denn auch Herz mit beyden Händen annahm, weil er glaubte, dies sey die Laufbahn an deren Ziel Stella mit Rosen umkränzt ihm den Lorbeer um seine Schläffe winden würde.
Sie hatten zugleich den Plan gemacht, dem armen Herz nichts von ihrer Verbindung mit Plettenberg merken zu lassen, bis Zeit und Entfernung ihn von selbst in den Stand setzten einen solchen Todesstreich auszuhalten. Denn jetzt war nichts anders als sein unvermeidlicher Untergang abzusehen, sobald er ihn erführe. Unterdessen sollte Plettenberg aus Amerika zurückkommen, und in Abwesenheit unsers Ritters die Hochzeit vollziehen, den er denn solange von Europa entfernt halten konnte als es ihm gelegen war.
Dieser Plan ist grausam genug, indessen ist er doch der einzig erträgliche für einen so gespannten Menschen als Herz ist. Sie haben auch wirklich den Anfang gemacht ihn auszuführen: wie er ausgehen wird weiß der Himmel, ich mache immer die Augen zu, wenn ich daran denke.
Nun stellen sie sich vor, was die arme liebenswürdige Gräfin dabey leidet. Einen Menschen unglücklich zu sehen bloß dadurch daß sie so vollkommen ist, mit dazu beygetragen zu haben, ohne daß sie im mindesten die Absicht dazu gehabt, die schröcklichsten Aussichten für diesen Menschen vor sich zu sehen den sie sich nicht entbrechen kann, hochzuschätzen, dessen Schwärmerey für sie selbst das schönste Colorit seines Charakters macht. Auf der andern Seite eines Liebhabers zu schonen, der schon fünf Jahre her die redendsten Proben seiner Treue gegeben hat und mit dem sie die glücklichsten Tage voraussieht. – Sie hat sich wirklich für Herzen mahlen lassen, wobey die Wittwe Hohl immer die Hand mit im Spiel gehabt, weil Plettenberg dies nicht erfahren sollte. Sie wissen, die Delikatesse eines Liebhabers kann durch nichts so sehr beleidigt werden, als auch nur das Bild von seiner Angebetheten in fremden Händen zu wissen.
So stehen die Sachen lieber Pfarrer! und so wie ich höre soll Herz wirklich gestern Abends zu den hessischen Truppen abgegangen seyn die nach Amerika eingeschifft werden. Er schwimmt jetzt in lauter seeligen Träumen von Liebe und Ehre, ich fürchte, das Aufwachen wird schrecklich seyn.
Ich kenne Plettenberg von Person, er ist nicht schön und schon bey Jahren hat aber vielen Verstand und ein ungemein empfindliches Herz, Geld genug hat er und könnte die äussern Glücksumstände des armen Herz sehr leicht in guten Stand setzen. Aber welche Entschädigung für einen solchen Verlust und bey einem Menschen wie Herz ist! dessen ganzes Glück in Träumen besteht und der das, was man solid nennt, mit Füssen tritt.
Leben Sie wohl und verzeyhen Sie daß ich soviel geplaudert habe. Nicht wahr ich habe eine gute Anlage zur Romanenschreiberinn?
Vierter Theil. Erster Brief.
Rothe an Plettenberg.
Herz ist weggereißt, bester Plettenberg, ohne mich abzuwarten. Sie sehen, er ist wie ein wilder muthiger Hengst, den man gespornt hat, der Zaum und Zügel verachtet. Auch machen mirs meine Geschäfte unmöglich, ihm gleich nachzureisen oder ihn noch einzuholen, ehe er zu Ihnen kommt. Ich will ihm also diese kleine Empfehlung als einen Vorreiter vorausschicken, damit sie wissen, wie Sie ihn zu empfangen haben. Denn ich zweifle, obschon Sie in Leipzig mit ihm studiert, daß Sie mir diesen seltsamen Menschen ganz kennen.
Er ist – daß ichs Ihnen kurz sage – der unächte Sohn einer verstorbenen grosen Dame, die vor einigen zwanzig Jahren noch die halbe Welt regierte. Er war die Frucht ihrer letzten Liebe und als eine solche einem gewissen Grossen zur Erziehung anvertraut worden, der ihn bey ihrem Hintritt sehr scharf hielt. Endlich ließ er ihn mit seinen Kindern unter der Aufsicht eines Hofmeisters reisen, der nun freylich dem wunderbaren Charakter unsers Herz auf keine Weise zu begegnen wußte und das Ansehen das er von dem Grafen ** über ihn erhalten, auf das niederträchtigste mißbrauchte. Herz, der überall zu Hause zu seyn glaubte, setzte sich im zwölften Jahr mit einigen dreyssig Dukaten, die er von ihm hatte ausholen können, auf die Post, und reißte heimlich a l’aventure nach Frankreich.
Hier kam er in die elendesten Umstände. Sein Geld gieng zu Ende, er verstund wenig oder nichts von der Sprache, mit dem allen, so wie das ein Hauptzug in seinem Charakter ist den er vielleicht mit mehrern seiner Nation gemein hat, alle seine Vorsätze nur einmal zu fassen und durch nichts in der Welt sich davon abbringen zu lassen, war er auch jetzt durch keine Umstände mehr zu bewegen, den Schritt zu seinem Hofmeister oder zum Grafen ** zurück zu thun. Er beharrte also unveränderlich darauf, in Frankreich zu bleiben und da er den grosen Abstand der französischen von den Sitten seines Vaterlandes sah, sich mit seinen eigenen Fähigkeiten und Fleiß durch alle Klassen selber hindurchzutreiben, um das Eigenthümliche dieser Nation die er an Kultur so weit über der seinigen glaubte sich dadurch ganz zu eigen zu machen. Dieser abentheuerliche Vorsatz gelung ihm. Er wuste sich durch seine Gelehrigkeit und durch die guten Eigenschaften seines Geistes und Herzens in dem Hause eines reichen Banquiers so zu empfehlen, daß er ihn alles lernen ließ was er verlangte, und mit seinem Gelde und Ansehen untersützte. Bey diesem hat er den Namen Herz angenommen, den er auch nachher immer beybehalten hat und keinem Menschen als mir von seinen Schicksalen was hat merken lassen.
Dieser war es auch der ihn nach Leipzig schickte um deutsch zu lernen, wo sie ihn denn müssen gekannt haben. Als er zurückkam, brauchte er ihn hauptsächlich zu seiner Correspondenz und hat ihm, so wie man auch nicht anders konnte, wenn man näher mit ihm umgieng, sein ganzes Herz geschenkt. Endlich verschickte er ihn, um dem Bankerut eines der größten Häuser vorzubeugen, nach der Hauptstadt wo er sich auch mit so vieler Ehre dieses Geschäfts entledigte, daß er von beyden eine jährliche Pension erhielt, die er verzehren konnte, wo er wollte. Er gieng nach Holland damit, weil er von jeher das Land zu sehen gewünscht hatte wo Peter der Grosse Schiffszimmermann gewesen, weil er aber zu nachlässig war die Gewohnheit seiner Wolthäter durch öftere Briefe zu unterhalten, so verlor er die Pension, kam darauf ins Clevische, von da er endlich hieher gekommen ist.
Sehen Sie hier die wunderbare Landkarte seiner Schicksale. Sollte ich Ihnen aber die Geschichte seines Herzens erzehlen und wie viel Antheil die an seinen äussern Umständen und Begebenheiten gehabt hat, so würde Ihre Verwunderung und vielleicht Ihr Mitleid noch höher steigen.
Zweyter Brief.
Herz an Rothen
einige Meilen vor Zelle.
Das Bild Rothe! oder ich bin des Todes – Ich eile ihm immer näher, dem Ort meiner Bestimmung und ohne sie – Ist mirs doch, als ob ich zum Hochgericht gienge. – Rothe wärest du etwa ein Bösewicht? Was für Ursachen kannst du haben, mir das Bild vorzuenthalten. Es ist so schrecklich, so unmenschlich grausam. Bedenke wo ich hin soll – und ohne sie!
Dritter Brief.
Rothe an Plettenberg.
Ich kann nichts anders, ich muß meinem vorigen noch einen Brief nachschicken. Sie sollten nicht glauben, was alle dieses Schicksale, mit dem Abstechenden und Befremdlichen das er an allen Charakteren und Sitten seines Vaterlandes gefunden, seiner Seele für eine wunderbarromantische Stimmung gegeben haben. Er lebt und webt in lauter Phantasieen und kann nichts, auch manchmal nicht die unerheblichste Kleinigkeit aus der wirklichen Welt an ihren rechten Ort legen. Daher ist das Leben dieses Menschen ein Zusammenhang von dem empfindlichsten Leiden und Plagen, die dadurch nur noch empfindlicher werden, daß er sie keinem Menschen begreiflich machen kann. Er hat sich nun einmal eine gewisse Fertigkeit gegeben, die seine andere Natur ist, alle Menschen und Handlungen in einem Idealistischen Lichte anzusehen. Alle Charaktere und Meynungen die von den seinigen abgehen, schienen ihm so groß, er sucht soviel dahinter, daß er mit lauter ausserordentlichen Menschen, gigantischen Tugendhelden oder Bösewichtern umgeben zu seyn glaubt, und ihm gar nicht begreiflich gemacht werden kann, daß der größte Theil der Menschen mittelmässig ist, und weder grosse Tugenden noch grosse Laster anders, als dem Hörensagen nach kennet.
Nun nehmen Sie diesen Menschen, wenn er verliebt ward, was der in seine Schönen hineinlegte. Dreymahl ist er so angelauffen, endlich verzweiffelte er an dem ganzen weiblichen Geschlecht und was er ihnen vorhin zu viel beylegte, traute er ihnen jetzt zu wenig zu.
Nun stellen Sie sich vor, was die Entdeckung eines solchen Charakters wie der Ihrer Braut war, auf ihn für einen Eindruck muß gemacht haben. Er sah, dachte, hörte, fühlte jetzt nun nichts als die Erscheinung einer Gottheit die in weiblicher Gestalt auf die Erde gekommen wäre, ihn von seinem lästerlichen Irrthum zurückzubringen. Desto mehr aber haben wir jetzt von ihm zu befürchten, da sein Verstand mit seiner wilden taumelnden Einbildungskraft nun gemeine Sache macht.
Ich muß Ihnen doch, um Ihnen seine Art zu lieben ein wenig ins Licht zu setzen, von den drey Liebesgeschichten seiner Jugend, soviel ich davon weiß, eine Idee geben. Seine erste Liebe war in Rußland, als er erst 11 Jahr alt war, und dazu in die Mätresse des alten Grafen ** selbst, bey dem er im Hause war. Stellen Sie sich vor, wie aufbrausend schon die kindische Einbildungskraft dieses Menschen gewesen seyn muß, da er in dieser wirklich liederlichen Weibsperson das Gegenbild zu dem Ideal zu finden glaubte, das er sich von der Nymphe des Telemachs, den sein Hofmeister mit ihm exponirte, gemacht. Dieses Ideal wurde nun aber schändlich über den Hauffen geworfen, als er sie mit dem alten Grafen einmal im Bette antraf – Seine zweyte Liebe war die Nichte des Kaufmanns in Lion, deren lebhafter Witz ihn steif und fest glauben machte, er habe an ihr eine zweyte Ninon gefunden. Endlich aber fand er daß sie nur kokett gegen ihn gewesen war und da sehnte er sich herzlich nach Deutschland, um aus Göthens oder Wielands Romanen und aus Klopstoks Cidli sich ein Ideal zusammen zu schmelzen, das seines gleichen noch nicht gehabt. So gut wards ihm denn auch, als er nach Leipzig kam, und die Tochter eines Landpredigers, die sich eine Zeitlang daselbst bey einer Verwandtin aufgehalten, versprach ihm die Erfüllung aller seiner Wünsche. Aber wie jämmerlich wurden seine Entzükkungen mit schreyenden und schnarrenden Dissonanzen unterbrochen, als er auf einmal auch diese seine Messiasheldin, nachdem die ersten Wochen ihrer Maskerade vorbey waren, nur als eine künstliche Agnese erschienen sah, die unter ihrem Nonnenschleyer Liebesbriefchen ohne Zahl und tausend verstohlne Küßchen entgegennahm, ja die er endlich sogar bei einer starken Vertraulichkeit mit einem dicken runden Studenten überraschte. Da lagen nun alle seine Ideale umgestürzt, und er hätte nun mit eben dem kalten Blut als jene Belagerten sich mit griechischen Bildsäulen vertheidigten, sie alle über die Stadtmauer werfen können. Das Leben ward ihm zur Last, er zog in der Welt herum von einem Ort zum andern immer ruhig und hätte seine Existenz gar zu gern mit eigner Hand verkürzt, wenn er nicht den Selbstmord, ohne dringende Noth, nach seinem Glaubenssystem für Sünde gehalten hatte.
Jetzt, mein theuerester Plettenberg, können Sie sich eine Vorstellung machen was wir von einem Menschen dieser Art in einem solchen Fall zu erwarten haben, wenn er nicht behutsam behandelt wird. Er hat Vernunft genug einzusehen, daß in seinem jetzigen Stande es Thorheit wäre, Ansprüche oder Hofnungen auf den Besitz der Gräfin zu machen, aber auch wilde Einbildungskraft genug sich alles möglich vorzustellen was ihn zur Gleichheit mit ihr erheben kann, besonders da die Ideen seiner Jugendjahre und seiner Geburt bey allen seinen Unglücksfällen ihn nie verlassen haben. Am allermeisten da seine Jahre sich immer mehr der männlichen Reise nähern und er in ihr die Erfüllung aller seiner Ideen gefunden zu haben glaubt.
Haben Sie also die Gütigkeit, ihn so zu empfangen, wie ein weiser Arzt einen höchst gefährlichen Kranken empfangen würde, der durch alles was wirkliche Achtung Mitleid und Freundschaft verdient, alle Ihre edleren Empfindungen in Anspruch nimmt.
Vierter Brief.
Herz an Fernand.
Rothe ist ein Verräther – er schickt mir das Bild nicht – sag ihm, er wird meinen Händen nicht entrinnen.
Fünfter Brief.
Plettenberg an Rothe.
Eben habe ich Ihren irrenden Ritter nebst Ihren Vorreutern und blasenden Postillionen erhalten, lieber Rothe. Ich muß sagen, diese Erscheinung wirkt sonderbar auf mich, der Mensch ist so ganz was er seyn will, und da er eine der schwersten Rollen auf Gottes Erdboden spielt, so repräsentirt er doch nicht im mindesten.
Er war bleich und blaß, als er hereintrat. Es ist lustig, wie wir mit einander umgehen. Gleich als ob ich der verliebte Ritter und er der Bräutigam sey, hat er mit einer Zuversicht mir von seiner Liebe zu meiner Braut eine Vertraulichkeit gemacht, die mich so ziemlich aus meiner Fassung setzte, aus der ich doch, wie Sie wissen, sonst so leicht nicht zu bringen bin. Er sagte mir zugleich, Sie wären ein schwarzer Karakter; als ich ihn um die Ursache frage, gestand er mir, Sie hätten ihm das Porträt meiner Braut zuschicken sollen, und hätten es nun nicht gethan. Wirklich hatte ich von jemand ander sein Paket für ihn erhalten, als ich es ihm weiß, schlug er beyde Hände gegen die Stirn, fiel auf die Knie und schrie: o Rothe! Rothe! wie oft muß ich mich an dir versündigen! Ich fragte ihn um die Ursache, er sagte, er habe selbst alles so angeordnet, daß das Paket durch seinen Commissionär in ** unter meiner Adresse an ihn geschickt werden sollte, und nun habe ers unterwegens vergessen, und Sie im Verdacht gehabt, daß Sie es ihm hätten vorenthalten wollen.
In der That, mein lieber Rothe, habe ich Ursache von diesem Ihrem Verfahren gegen mich ein wenig beleidigt zu seyn, besonders aber von der Gewissenhaftigkeit, mit der Sie alles das vor mir verschwiegen gehalten. Ich hatte das Herz nicht, dieses seynsollende Porträt meiner Braut Herzen zu entziehen, weil ich fürchtete seine Gemüthskrankheit dadurch in Wuth zu verwandeln, aber es kränkt mich doch daß ein Bild von ihr in fremden und noch dazu so unzuverlässigen Händen bleiben soll. Wenn Sie mirs nur vorher gesagt hätten, aber wozu sollen die Verheimlichungen?
Unsere Truppen marschieren erst den zwanzigsten, wir haben heute den ersten, ich dächte es wäre nicht unmöglich, Sie vor unserm Abmarsch noch einige Tage zu sehen. Ich habe Ihnen viel viel an meine Braut zu sagen, und brauche in der That einen Mann wie Sie, mir bey meiner Abreise ein wenig Muth einzusprechen.
Freund, ich merke an meinen Haaren, daß ich alt werde. Sollte Stella, wenn ich wiederkomme und von den Beschwerden des Feldzugs nun noch älter bin – Kommen Sie, Sie werden mein Engel seyn. Es giebt Augenblicke wo mirs so dunkel in der Seele wird daß ich wünschte –