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Die Jungfrau von Orleans – Prolog, 3. Auftritt

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Thibaut (zu Bertrand).
Sprecht!
Welch neues Kriegesunglück ist geschehn?
Was brachten jene Flüchtigen?

Bertrand.
Gott helfe
Dem König und erbarme sich des Landes!
Geschlagen sind wir in zwei großen Schlachten,
Mitten in Frankreich steht der Feind, verloren
Sind alle Länder bis an die Loire –
Jetzt hat er seine ganze Macht zusammen
Geführt, womit er Orleans belagert.

Thibaut.
Gott schütze den König!

Bertrand.
Unermeßliches
Geschütz ist aufgebracht von allen Enden,
Und wie der Bienen dunkelnde Geschwader
Den Korb umschwärmen in des Sommers Tagen,
Wie aus geschwärzter Luft die Heuschreckwolke
Herunterfällt und meilenlang die Felder
Bedeckt in unabsehbarem Gewimmel,
So goß sich eine Kriegeswolke aus
Von Völkern über Orleans Gefilde,
Und von der Sprachen unverständlichem
Gemisch verworren dumpf erbraust das Lager.
Denn auch der mächtige Burgund, der Länder-
Gewaltige hat seine Mannen alle
Herbeigeführt, die Lütticher, Luxemburger,
Die Hennegauer, die vom Lande Namur,
Und die das glückliche Brabant bewohnen,
Die üppgen Genter, die in Samt und Seide
Stolzieren, die von Seeland, deren Städte
Sich reinlich aus dem Meereswasser heben,
Die herdenmelkenden Holländer, die
Von Utrecht, ja vom äußersten Westfriesland,
Die nach dem Eispol schaun – Sie folgen alle
Dem Heerbann des gewaltig herrschenden
Burgund und wollen Orleans bezwingen.

Thibaut.
O des unselig jammervollen Zwists,
Der Frankreichs Waffen wider Frankreich wendet!

Bertrand.
Auch sie, die alte Königin, sieht man,
Die stolze Isabeau, die Bayerfürstin,
In Stahl gekleidet durch das Lager reiten,
Mit giftgen Stachelworten alle Völker
Zur Wut aufregen wider ihren Sohn,
Den sie in ihrem Mutterschoß getragen!

Thibaut.
Fluch treffe sie! Und möge Gott sie einst
Wie jene stolze Jesabel verderben!

Bertrand.
Der fürchterliche Salisbury, der Mauren-
Zertrümmerer, führt die Belagrung an,
Mit ihm des Löwen Bruder Lionel,
Und Talbot, der mit mörderischem Schwert
Die Völker niedermähet in den Schlachten.
In frechem Mute haben sie geschworen,
Der Schmach zu weihen alle Jungfrauen,
Und was das Schwert geführt, dem Schwert zu opfern.
Vier hohe Warten haben sie erbaut,
Die Stadt zu überragen; oben späht
Graf Salisbury mit mordbegiergem Blick,
Und zählt den schnellen Wandrer auf den Gassen.
Viel tausend Kugeln schon von Zentners Last
Sind in die Stadt geschleudert, Kirchen liegen
Zertrümmert, und der königliche Turm
Von Notre Dame beugt sein erhabnes Haupt.
Auch Pulvergänge haben sie gegraben
Und über einem Höllenreiche steht
Die bange Stadt, gewärtig jede Stunde,
Daß es mit Donners Krachen sich entzünde.

(Johanna horcht mit gespannter Aufmerksamkeit und setzt sich den Helm auf)

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