Theseus. Theramen.
Theseus.
Bist du es, Theramen? Wo bleibt mein Sohn?
Dir hab’ ich ihn als zartes Kind vertraut!
Doch was bedeuten diese Tränen, sprich,
Die ich dich weinen seh’? – Was macht mein Sohn?
Theramen.
O allzu späte, überflüss’ge Sorgfalt!
Fruchtlose Vaterliebe! Hippolyt
– Ist nicht mehr!
Theseus.
Götter!
Theramen.
Sterben sah ich ihn,
Den Holdesten der Sterblichen und auch
Den minder Schuldigsten, ich darf es sagen.
Theseus.
Mein Sohn ist tot! Weh mir! Jetzt, da ich ihm
Die Arme öffnen will, beschleunigen
Die Götter ungeduldig sein Verderben!
Welch Unglück hat ihn, welcher Blitz entrafft?
Theramen.
Kaum sahen wir Trözene hinter uns,
Er war auf seinem Wagen, um ihn her
Still, wie er selbst, die trauernden Begleiter.
Tief in sich selbst gekehrt folgt’ er der Straße,
Die nach Mycenä führt, die schlaffen Zügel
Nachlässig seinen Pferden überlassend.
Die stolzen Tiere, die man seinem Rufe
Mit edler Hitze sonst gehorchen sah,
Sie schienen jetzt, starr blickend und das Haupt
Gesenkt, in seine Schwermut einzustimmen.
Plötzlich zerriss ein schreckenvoller Schrei,
Der aus dem Meer aufstieg, der Lüfte Stille,
Und schwer aufseufzend aus der Erde Schoß
Antwortet eine fürchterliche Stimme
Dem grausenvollen Schrei. Es trat uns allen
Eiskalt bis an das Herz hinan; aufhorchten
Die Rosse, und es sträubt’ sich ihre Mähne.
Indem erhebt sich aus der flüss’gen Ebne
Mit großem wallen hoch ein Wasserberg,
Die woge naht sich, öffnet sich, und speit
Vor unsern Augen, unter Fluten Schaums,
Ein wütend Untier aus. Furchtbare Hörner
Bewaffnen seine breite Stirne; ganz
Bedeckt mit gelben Schuppen ist sein Leib!
Ein grimm’ger Stier, ein wilder Drache ist’s;
In Schlangenwindungen krümmst sich sein Rücken.
Sein hohles Brüllen macht das Ufer zittern,
Das Scheusal sieht der Himmel mit Entsetzen,
Auf bebt die Erde, weit verpestet ist
Von seinem hauch die Luft, die Woge selbst,
Die es heran trug, springt zurück mit Grausen.
Alles entflieht, und sucht, weil Gegenwehr
Umsonst, im nächsten Tempel sich zu retten.
Nur Hippolyt, ein würd’ger Heldensohn,
Hält seine Pferde an, fasst sein Geschoss,
Zielt auf das Untier, und, aus sichrer Hand
Den mächt’gen Wurfspieß schleudernd, schlägt er ihm
Tief in den Weichen eine weite Wunde.
Auf springt das Ungetüm vor Wut und Schmerz,
Stürzt vor den Pferden brüllend hin, wälzt sich,
Und gähnt sie an mit weitem flammenden Rachen,
Der Rauch und Blut und Feuer auf sie speit.
Sei rennen scheu davon, nicht mehr dem Ruf
Der Stimme, nicht dem Zügel mehr gehorchend.
Umsonst strengt sich der Führer an; sie röten
Mit blut’gem Geifer das Gebiss; man will
Sogar in dieser schrecklichen Verwirrung
Einen Gott gesehen haben, der den Stachel
In ihre Staub bedeckten Lenden schlug.
Quer durch die Felsen reißt die Furcht sie hin,
Die Achse kracht, sie bricht; dein kühner Sohn
Sieht seinen wagen morsch in Stücken fliegen,
Er selbst stürzt und verwirrt sich in den Zügeln.
– O Herr, verzeihe meinen Schmerz! Was ich
Jetzt sah, wird ew’ge Tränen mir entlocken.
Ich sah deinen heldenmüt’gen Sohn,
Sah ihn geschleift, o Herr, von diesen Rossen,
Die er gefüttert mit der eignen Hand.
Er will sie stehen machen; seine Stimme
Erschreckt sie nur; sie rennen umso mehr.
Bald ist sein ganzer Leib nur eine Wunde.
Die Ebne hallt von unserm Klaggeschrei;
Ihr wütend Ungstüm lässt endlich nach,
Sie halten still, unfern den alten Gräbern,
Wo seine königlichen Ahnen ruhn.
Ich eile seufzend hin, die andern folgen,
Der Spur nachgehend seines edeln Bluts;
Die Felsen sind davon gefärbt; es tragen
Die Dornen seiner Haare blut’gen Raub.
Ich lange bei ihm an, ruf’ ihn mit Namen;
Er streckt mir seine Hand entgegen, öffnet
Ein sterbend Aug’, und schließt es alsbald wieder;
„Der Himmel,“ spricht er, „entreißt mir mit Gewalt
Ein schuldlos Leben. O, wenn ich dahin,
Nimm, teurer Freund, der ganz verlassenen
Aricia dich an! – Und kommt dereinst
Mein Vater zur Erkenntnis, jammert er
Um seinen fälschlich angeklagten Sohn,
Sag’ ihm, um meinen Schatten zu versöhnen,
Mög’ er an der Gefangnen gütig handeln,
Ihr wiedergeben, was –“ Hier hauchte er
Die Heldenseele aus, in meinen Armen
Blieb ein entstellter Leichnam nur zurück,
Ein traurig Denkmal von der Götter Zorn,
Unkenntlich selbst für eines Vaters Auge!