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Phädra (Racine) – Vierter Aufzug. Sechster Auftritt.

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Phädra. Oenone.

Phädra.
O weißt du, was ich jetzt vernahm, Oenone?

Oenone.
Nein, aber zitternd komm’ ich her; ich will’s,
Nicht leugnen. Mich erschreckte der Entschluss,
Der dich herausgeführt. Ich fürchtete,
Du möchtest dich in blindem Eifer selbst
Verraten.

Phädra.
Ach, wer hätt’s geglaubt, Oenone!
Man liebte eine andre!

Oenone.
Wie? Was sagst du?

Phädra.
Hippolyt liebt! Ich kann nicht daran zweifeln.
Ja, dieser scheue Wilde, den die Ehrfurcht
Beleidigte, der Liebe zärtlich Flehn
Verscheuchte, dem ich niemals ohne Furcht
Genaht, der wilde Tiger ist gebändigt,
Aricia fand den Weg zu seinem Herzen.

Oenone.
Aricia!

Phädra.
O nie gefühlter Schmerz!
Zu welcher neuen Qual spart’ ich mich auf!
Was ich erlitten bis auf diesen Tag,
Die Furcht, die Angst, die Rasereien alle
Der Leidenschaft, der Wahnsinn meiner Liebe,
Des innern Vorwurfs grauenvolle Pein,
Die Kränkung selbst, die unerträgliche,
Verschmäht zu sein, es war ein Anfang nur
Der Folterqualen, die mich jetzt zerreißen.
Sie lieben sich! Durch welches Zaubers Macht
Vermochten sie’s, mein Auge so zu täuschen?
Wie sahn sie sich? Seit wann? An welchem Ort?
Du wusstest drum; wie ließest du’s geschehn,
Und gabst mir keinen Wink von ihrer Liebe?
Sah man sie oft sich sprechen und sich suchen?
Der dunkle Wald verbarg sie? – Wehe mir!
Sie konnte sich in voller Freiheit sehn;
Der Himmel billigte ihr schuldlos Lieben;
Sie folgten ohne Vorwurf, ohne Furcht
Dem sanften Zug der Herzen. Hell und heiter
Ging jedes Tages Sonne für sie auf!
Und ich, der traur’ge Auswurf der Natur,
Verbarg mich vor dem Licht; der einz’ge Gott,
Dem ich zu rufen wagte, war der Tod.
Ihn sah ich schon mit schnellen Schritten nahn;
Mit Tränen nährt’ ich mich, mit bitterm Gram,
Und selbst in meinen Tränen durft’ ich nicht
Nach Herzenswunsche mich ersättigen!
Vom Blick der Neugier allzu scharf bewacht,
Genoss ich zitternd diese traur’ge Lust;
Ja, oft musst’ ich sie gänzlich mir versagen,
Und unter heitrer Stirn den Gram verbergen.

Oenone.
Was hoffen sie für Frucht von ihrer Liebe?
Sie werden nie sich wieder sehn!

Phädra.
Sie werden
Sich ewig lieben! Jetzt, indem ich rede,
Verlachen sie, o tötender Gedanke!
Den ganzen Wahnsinn meiner Liebesmut!
Umsonst verbannt man ihn; sie schwören sich’s
Mit tausend Schwüren, nie sich zu verlassen.
Nein, ich ertrag’s nicht, dieses Glück zu sehn,
Oenone, das mir Hohn spricht – Habe Mitleid
Mit meiner eifersücht’gen Mut! Aricia
Muss fallen! Man muss den alten Hass des Königs
Erregen wider dies verhasste Blut!
Nicht leicht soll ihre Strafe sein; die Schwester
Hat schwerer sich vergangen als die Brüder.
In meiner Eifersucht, in meiner Wut
Erfleh’ ich’s von dem König!

(Wie sie gehen will, hält sie plötzlich an und besinnst sich.)

Was will ich tun?
Wo reißt die Wut mich hin? Ich eifersüchtig!
Und Theseus ist’s, den ich erflehen will!
Mein Gatte lebt und mich durchras’t noch Liebe!
Für wen? Um welches Herz wag’ ich zu buhlen?
Es sträubt mir grausend jedes Haar empor;
Das Maß des Grässlichen hab’ ich vollendet.
Blutschande atm’ ich und Betrug zugleich;
Ins Blut der Unschuld will ich, racheglühend,
Die Mörderhände tauchen – Und ich lebe!
Ich Elende! Und ich ertrag’ es noch,
Zu dieser heil’gen Sonne aufzublicken,
Von der ich meinen reinen Ursprung zog.
Den Vater und den Oberherrn der Götter
Hab’ ich zum Ahnherrn*; der Olympus ist,
Der ganze Weltkreis voll von meinen Ahnen.
Wo mich verbergen? Flieh’ ich in die Nacht
Des Totenreichs hinunter? Wehe mir!
Dort hält mein Vater des Geschickes Urne,
Das Los gab sie in seine strenge Hand,
Der Toten bleiche Scharen richtet Minos.
Wie wird sein ernster Schatte sich entsetzen,
Wenn seine Tochter vor ihn tritt, gezwungen,
Zu Freveln sich, zu Gräueln zu bekennen,
Davon man selbst im Abgrund nie vernahm!
Was wirst du, Vater, zu der grässlichen
Begegnung sagen? Ach, ich sehe schon
Die Schreckensurne deiner Hand entfallen;
Ich sehe dich, auf neue Qualen sinnend,
Ein Henker werden deines eignen Bluts.
Vergib mir! Ein erzürnter Gott verderbte
Dein ganzes Haus; der Wahnsinn deiner Tochter
Ist seiner Rache fürchterliches Werk!
Ach, von der schweren Schuld, die mich befleckt,
Hat dieses traur’ge Herz nie Frucht geerntet!
Ein Raub des Unglücks bis zum letzten Hauch,
End’ ich in Martern ein gequältes Leben.

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