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Phädra (Racine) – Vierter Aufzug. Sechster Auftritt.

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Oenone.
Verbanne endlich doch den leeren Schrecken,
Gebieterin! Sieh ein verzeihliches
Vergehn mit andern Augen an! Du liebst!
Nun ja! Man kann nicht wider sein Geschick.
Du warst durch eines Zaubers Macht verführt;
Ist dies denn ein so nie erhörtes Wunder?
Bist du die Erste, die der Liebe Macht
Empfindet? Schwache Menschen sind wir alle;
Sterblich geboren, darfst du sterblich fehlen.
Ein altes Joch ist’s, unter dem du leidest!
Die Götter selbst, die himmlischen dort oben,
Die auf die Frevler ihren Donner schleudern,
Sie brannten manchmal von verbotner Glut.

Phädra.
Was hör’ ich? Welchen Rat darfst du mir geben?
So willst du mich denn ganz im Grund vergiften,
Unsel’ge! Sieh, so hast du mich verderbt!
Dem Leben, das ich floh, gabst du mich wieder;
Dein Flehen ließ mich meine Pflicht vergessen:
Ich floh Hippolyt; du triebst mich, ihn zu sehn.
Wer trug dir auf, die Unschuld seines Lebens
Mit schändlicher Beschuldigung zu schwärzen?
Sie wird vielleicht sein Tod, und in Erfüllung
Geht seines Vaters mörderischer Fluch.
– Ich will dich nicht mehr hören. Fahre hin,
Fluchwürdige Verführerin! Mich selbst
Lass sorgen für mein jammervolles Los!
Mög’ dir’s der Himmel lohnen nach Verdienst,
Und deine Strafe ein Entsetzen sein
Für alle, die mit schändlicher Geschäftigkeit,
Wie du, den Schwächen ihrer Fürsten dienen,
Uns noch hinstoßen, wo das Herz schon treibt,
Und uns den Weg des Frevels eben machen!
Verworfne Schmeichler, die der Himmel uns
In seinem Zorn zu Freunden hat gegeben!

(Sie geht ab.)

Oenone (allein).
Geopfert hab’ ich alles, alles hab’ ich
Getan, um ihr zu dienen! Große Götter!
Das ist mein Lohn! Mir wird, was ich verdiene.

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