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Jungfrau von Orleans – Charakterisierung der Figuren aus Schillers Tragödie

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Die Engländer

Talbot

Unter den englischen Heerführern ist Talbot die herausragende Gestalt. Sein unbedingter Unglaube ist sein hervorstechendster Charakterzug. Johanna hält er weder für ein Werkzeug des Himmels noch der Hölle. Er glaubt an beides nicht. Für Talbot ist Johanna eine listige „Gauklerin, die die gelernte Rolle der Heldin spielt.“ Seine materialistische Weltanschauung wird besonders in seinem Tod (Sterbeszene III, 6) deutlich. Die Tod ist ihm die Auflösung ins Nichts. Der Mensch gibt der Erde und der ewigen Sonne die Atome wieder, „die sich zu Schmerz und Lust in ihm gefügt“ hatten. Schiller hat den Talbot mit einem starken Zug männlicher Größe ausgezeichnet. Auch im Tod bleibt er unbeugsam. Doch er ist blind für die höhere Macht des Geistes. Für ihn siege der „Unsinn“ und die „Dummheit“, während die Vernunft „dem tollen Roß des Aberwitzes an den Schweif gebunden“ wird. Die Verachtung alles Erhabenen, mit der er stirbt, kann niemanden berühren. Sein Fluch gegen den, der „sein Leben an das Große und Würdige wendet“, ist nichtig. Johanna, die dies in höchster und erhebender Weise tut, erringt den herrlichsten Sieg. Auch Talbot dient also nur dem Zweck des Ganzen.

Lionel

Lionel tritt bis zu seiner Hauptszene nicht besonders in Erscheinung.  Verschiedene individuelle Züge heben ihn dennoch aus seiner Umgebung heraus. Er ist kühn, heldenhaft und begierig nach Ruhm. Dabei zeichnet ihn eine gewisse freie Überlegenheit des Geistes aus, die er ebenso dem Herzog von Burgund als auch der Königin Isabeau gegenüber bewährt. Auf die Bitte der Königin, zwischen Burgund und Talbot Versöhnung zu stiften, erwidert er ablehnend: „Ich nicht. Mylady! Mir ist alles gleich. Ich denke so: was nicht zusammen kann bestehen, thut am besten sich zu lösen.“ Nach der Umarmung der Versöhnten bemerkt er beißend: „Glück zu dem Frieden, den die Furie stiftet!“ Auch das Liebenswürdige und Gefällige seines ritterlichen Wesens und seiner äußeren Erscheinung bringt Schiller nahe, indem sogar Königin Isabeau ein Auge auf Lionel wirft. Edel und männlich ist sein Schmerz um den sterbenden Talbot (III, 6). Dabei weist er den zornigen Gott- und Weltverächter Talbot auf den Ernst des Todes hin: „Mylord, ihr habt nur noch für wenig Augenblicke Leben – denkt an euern Schöpfer!“ So ist er von Schiller für die Empfänglichkeit von Zauber, Schönheit und Jugend der Johanna gut vorbereitet. Dass er auf Johanna einen zu mächtigen Eindruck macht, ist vollauf begreiflich.

Weibliche Charaktere

Mit Agnes Sorel und Königin Isabeau stellt Schiller zwei weibliche Charaktere auf die Bühne, die im scharfen  Gegensatz zu Johanna stehen.

Königin Isabeau

Königin Isabeau ist ein Mannweib. Zur idealisierten Johanna ist sie eine Karikatur, die – durch derbe Striche gezeichnet – zum Lächerlichen hinneigt. Ist Johanna bei aller Erhöhung der menschlichen Natur doch das echt Weibliche lebendig geblieben, sind bei Isabeau alle Züge der Weiblichkeit getilgt.

Agnes Sorel

Agnes Sorel zeichnet Schiller als das rein natürliche Weib. Sie ist weder himmlisch wie Johanna, noch männlich wie Isabeau, sie ist irdisch und schwach. Sie gibt sich ganz dem Geliebten hin und opfert sich für ihn auf – „befleißt sie sich nur, Weib zu sein.“

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