Schillers Gedicht Das Eleusische Fest ist ein Lobgesang zu Ehren der Göttin Ceres, der Göttin des Ackerbaus. Es erschien im Jahre 1798 im Musenalmanach auf das Jahr 1799 unter dem Titel: Bürgerlied, weil es die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft thematisiert. Seinen jetzigen Namen erhielt das Gedicht erst später.
Was dich hier über das Gedicht »Das Eleusische Fest« erwartet
- Text des Gedichtes mit Worterklärungen und Verszählung
- Entstehung und Einordnung
- Idee und Inhaltsangabe
- Aufbau und sprachliche Mittel
Bei den Kommentaren kannst du auch Fragen stellen.
Text des Gedichts
Das Eleusische1 Fest
Windet zum Kranze die goldenen Ähren,
Flechtet auch blaue Cyanen2 hinein!
Freude soll jedes Auge verklären,
Denn die Königin3 ziehet ein,
5Die Bezähmerin wilder Sitten,
Die den Menschen zum Menschen gesellt
Und in friedliche feste Hütten
Wandelte das bewegliche Zelt.
Scheu in des Gebirges Klüften
10Barg der Troglodyte4 sich,
Der Nomade ließ die Triften
Wüste liegen, wo er strich,
Mit dem Wurfspieß, mit dem Bogen
Schritt der Jäger durch das Land,
15Weh dem Fremdling, den die Wogen
Warfen an den Unglücksstrand5!
Und auf ihrem Pfad begrüßte,
Irrend nach des Kindes Spur,
Ceres die verlaßne Küste,
20Ach, da grünte keine Flur!
Daß sie hier vertraulich weile,
Ist kein Obdach ihr gewährt,
Keines Tempels heitre Säule
Zeuget, daß man Götter ehrt.
25Keine Frucht der süßen Ähren
Lädt zum reinen Mahl sie ein,
Nur auf gräßlichen Altären
Dorret menschliches Gebein.
Ja, so weit sie wandernd kreiste,
30Fand sie Elend überall,
Und in ihrem großen Geiste
Jammert sie des Menschen Fall.
»Find ich so den Menschen wieder,
Dem wir unser Bild geliehn6,
35Dessen schöngestalte Glieder
Droben im Olympus blühn?
Gaben wir ihm zum Besitze
Nicht der Erde Götterschoß,
Und auf seinem Königsitze
40Schweift er elend, heimatlos?
Fühlt kein Gott mit ihm Erbarmen,
Keiner aus der Selgen Chor7
Hebet ihn mit Wunderarmen
Aus der tiefen Schmach empor?
45In des Himmels selgen Höhen
Rühret sie nicht fremder Schmerz,
Doch der Menschheit Angst und Wehen
Fühlet mein gequältes Herz.
Daß der Mensch zum Menschen werde,
50Stift er einen ewgen Bund
Gläubig mit der frommen Erde,
Seinem mütterlichen Grund,
Ehre das Gesetz der Zeiten
Und der Monde heilgen Gang,
55Welche still gemessen schreiten
Im melodischen Gesang8.«
Und den Nebel teilt sie leise,
Der den Blicken sie verhüllt,
Plötzlich in der Wilden Kreise
60Steht sie da, ein Götterbild.
Schwelgend bei dem Siegesmahle
Findet sie die rohe Schar,
Und die blutgefüllte Schale
Bringt man ihr zum Opfer dar.
65Aber schaudernd, mit Entsetzen
Wendet sie sich weg und spricht:
»Blutge Tigermahle netzen
Eines Gottes Lippen nicht.
Reine Opfer will er haben,
70Früchte, die der Herbst beschert,
Mit des Feldes frommen Gaben
Wird der Heilige verehrt.«
Und sie nimmt die Wucht des Speeres
Aus des Jägers rauher Hand,
75Mit dem Schaft des Mordgewehres
Furchet sie den leichten Sand,
Nimmt von ihres Kranzes Spitze
Einen Kern, mit Kraft gefüllt,
Senkt ihn in die zarte Ritze,
80Und der Trieb des Keimes schwillt.
Und mit grünen Halmen schmücket
Sich der Boden alsobald,
Und so weit das Auge blicket,
Wogt es wie ein goldner Wald.
85Lächelnd segnet sie die Erde,
Flicht der ersten Garbe Bund,
Wählt den Feldstein sich zum Herde,
Und es spricht der Göttin Mund:
»Vater Zeus, der über alle
90Götter herrscht in Äthers Höhn9!
Daß dies Opfer dir gefalle,
Laß ein Zeichen jetzt geschehn!
Und dem unglückselgen Volke,
Das dich, Hoher, noch nicht nennt,
95Nimm hinweg des Auges Wolke,
Daß es seinen Gott erkennt!«
Und es hört der Schwester Flehen
Zeus auf seinem hohen Sitz,
Donnernd aus den blauen Höhen
100Wirft er den gezackten Blitz.
Prasselnd fängt es an zu lohen,
Hebt sich wirbelnd vom Altar,
Und darüber schwebt in hohen
Kreisen sein geschwinder Aar10.
105Und gerührt zu der Herrscherin Füßen
Stürzt sich der Menge freudig Gewühl,
Und die rohen Seelen zerfließen
In der Menschlichkeit erstem Gefühl,
Werfen von sich die blutige Wehre,
110Öffnen den düstergebundenen Sinn
Und empfangen die göttliche Lehre
Aus dem Munde der Königin.
Und von ihren Thronen steigen
Alle Himmlischen herab,
115Themis11 selber führt den Reigen,
Und mit dem gerechten Stab
Mißt sie jedem seine Rechte,
Setzet selbst der Grenze Stein,
Und des Styx verborgne Mächte12
120Ladet sie zu Zeugen ein.
Und es kommt der Gott der Esse13,
Zeus‘ erfindungsreicher Sohn,
Bildner künstlicher Gefäße,
Hochgelehrt in Erzt und Ton.
125Und er lehrt die Kunst der Zange
Und der Blasebälge Zug,
Unter seines Hammers Zwange
Bildet sich zuerst der Pflug.
Und Minerva14, hoch vor allen
130Ragend mit gewichtgem Speer,
Läßt die Stimme mächtig schallen
Und gebeut dem Götterheer.
Feste Mauren will sie gründen,
Jedem Schutz und Schirm zu sein,
135Die zerstreute Welt zu binden
In vertraulichem Verein.
Und sie lenkt die Herrscherschritte
Durch des Feldes weiten Plan15,
Und an ihres Fußes Tritte
140Heftet sich der Grenzgott16 an,
Messend führet sie die Kette
Um des Hügels grünen Saum,
Auch des wilden Stromes Bette
Schließt sie in den heilgen Raum.
145Alle Nymphen, Oreaden17,
Die der schnellen Artemis18
Folgen auf des Berges Pfaden,
Schwingend ihren Jägerspieß,
Alle kommen, alle legen
150Hände an, der Jubel schallt,
Und von ihrer Äxte Schlägen
Krachend stürzt der Fichtenwald.
Auch aus seiner grünen Welle
Steigt der schilfbekränzte Gott,
155Wälzt den schweren Floß zur Stelle
Auf der Göttin Machtgebot,
Und die leichtgeschürzten Stunden19
Fliegen ans Geschäft, gewandt,
Und die rauhen Stämme runden
160Zierlich sich in ihrer Hand.
Auch den Meergott20 sieht man eilen,
Rasch mit des Tridentes21 Stoß
Bricht er die granitnen Säulen
Aus dem Erdgerippe los,
165Schwingt sie in gewaltgen Händen
Hoch wie einen leichten Ball,
Und mit Hermes22, dem behenden,
Türmet er der Mauren Wall.
Aber aus den goldnen Saiten
170Lockt Apoll23 die Harmonie
Und das holde Maß der Zeiten
Und die Macht der Melodie.
Mit neunstimmigem Gesange
Fallen die Kamönen24 ein,
175Leise nach des Liedes Klange
Füget sich der Stein zum Stein25.
Und der Tore weite Flügel
Setzet mit erfahrner Hand
Cybele26 und fügt die Riegel
180Und der Schlösser festes Band.
Schnell durch rasche Götterhände
Ist der Wunderbau vollbracht,
Und der Tempel heitre Wände
Glänzen schon in Festespracht.
185Und mit einem Kranz von Myrten
Naht die Götterkönigin27,
Und sie führt den schönsten Hirten
Zu der schönsten Hirtin hin.
Venus28 mit dem holden Knaben29
190Schmücket selbst das erste Paar,
Alle Götter bringen Gaben
Segnend den Vermählten dar.
Und die neuen Bürger ziehen,
Von der Götter selgem Chor
195Eingeführt, mit Harmonien
In das gastlich offne Tor,
Und das Priesteramt verwaltet
Ceres am Altar des Zeus,
Segnend ihre Hand gefaltet
200Spricht sie zu des Volkes Kreis:
»Freiheit liebt das Tier der Wüste,
Frei im Äther herrscht der Gott,
Ihrer Brust gewaltge Lüste
Zähmet das Naturgebot;
205Doch der Mensch, in ihrer Mitte,
Soll sich an den Menschen reihn,
Und allein durch seine Sitte
Kann er frei und mächtig sein.«
Windet zum Kranze die goldenen Ähren,
210Flechtet auch blaue Cyanen hinein!
Freude soll jedes Auge verklären,
Denn die Königin ziehet ein,
Die uns die süße Heimat gegeben,
Die den Menschen zum Menschen gesellt,
215Unser Gesang soll sie festlich erheben,
Die beglückende Mutter der Welt.
- Eleusias: Stadt an der Bucht des Saronischen Golfs in Attika. Die Stadt nahm Ceres (Demeter in der griech. Mythologie) auf der Suche nach ihrer Tochter Serapina (Persephone in der griech. Mythologie) herzlich auf. ↩
- Cyanen ↩
- Königin: Ceres bzw. Demeter ↩
- Troglodyte: Höhlenbewohner, Volk in Äthiopien ↩
- Unglücksstrand: Fremde, die an der Küste der Taurer landeten, opferten diese der Göttin Artemis. ↩
- unser Bild geliehn: Eine Anspielung auf Prometheus, der die Menschen nach dem Ebenbild der Götter formte. ↩
- selgen Chor: der Chor der Götter der Griechen ↩
- melodischen Gesang: die Sphärenmusik, die durch die Bewegung der Planeten hervorgerufen wird ↩
- Äthers Höhn: der Himmel als Sitz der Götter ↩
- Aar: Adler, Zeus zugeordneter Vogel, dessen Erscheinen das Wohlwollen von Zeus zum Ausdruck bringt ↩
- Themis: Tochter des Uranos und der Gaia und gehört zum Göttergeschlecht der Titanen. Sie gilt als Göttin der Gerechtigkeit und der Ordnung sowie der Philosophie. ↩
- des Styx verborgne Mächte: Styx ist ein Fluss der Unterwelt, seine verborgenen Mächte sind die Götter der Unterwelt: Hades, Persophe etc. – auch die Erinyen, die Rachegöttinnen ↩
- Gott der Esse: Hephaistos, der Gott des Feuers und der Schmiede ↩
- Minerva: römische Göttin der Weisheit, der taktischen Kriegsführung, der Kunst und des Schiffbaus sowie Hüterin des Wissens. Entspricht der Athene in der griech. Mythologie. ↩
- Plan: Ebene ↩
- Grenzgott: Terminus, in der röm. Mythologie der Gott der Grenzsteine. ↩
- Oreaden: Bergnymphen ↩
- Artemis: in der griech. Mythologie die Göttin der Jagd, des Waldes, des Mondes und die Hüterin der Frauen und Kinder. ↩
- die leichtgeschürzten Stunden: die Horen ↩
- Meergott: Poseidon, Gott des Meeres in der griech. Mythologie, Bruder von Zeus (Neptun bei den Römern) ↩
- Tridentes: der Dreizack von Poseidon ↩
- Hermes: in der griech. Mythologie Götterbote, aber auch Gott des Handels und der Kaufleute ↩
- Apoll: in der griech. Mythologie der Gott des Lichts, der Heilung, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung sowie der Weissagung und der Künste, der nach Homer an der Errichtung Trojas teilnahm. ↩
- Kamönen: röm. Göttinnen, singende und weissagende Quellnymphen ↩
- Stein zum Stein: Beim Klang der Lyra von Amphion sollen sich einer Sage nach die Steine selbst zur Mauer zusammengesetzt haben. ↩
- Cybele: röm. Göttin, die »große Mutter«, die besonders an Küstenplätzen auf orgiastische Weise verehrt wurde, Symbol des Mondes und der Fruchtbarkeit ↩
- Götterkönigin: Hera, die Gemahlin von Zeus, gleichzeitig seine Schwester. Hera ist Wächterin über die eheliche Sexualität. ↩
- Venus ist die römische Göttin der Liebe, des erotischen Verlangens und der Schönheit. ↩
- Knaben: Eros, in der griech. Mythologie der Gott der begehrlichen Liebe. ↩