Idee und Umsetzung Schillers
Schon in der Vorrede zum Niethammer Bearbeitung des Vertotschen Werkes bezeichnet Schiller den Johanniterorden als einen mönchisch-ritterlichen Staat, in dem sich ein feuriger Rittergeist mit festen Ordensregeln, Kriegszucht mit Mönchsdisziplin, strenge christliche Selbstverleugnung mit kühnem Soldatenstolz verbunden hat, um gegen den äußeren Feind der Religion einen undurchdringlichen Panzer zu bilden, und mit gleichem Heroismus ihren mächtigen Gegner von innen, dem Stolz und der Üppigkeit, ewigen Krieg zu schwören. Diese Vereinigung von ritterlicher und christlicher Demut wollte er in dieser Ballade zur Anschauung bringen. Schiller ging es weniger um die Schilderung der Tat, sondern um die Verherrlichung der Idee christlicher Selbstverleugnung und ihres Sieges über jedes noch so mächtige Gefühl: „Der Demut, die sich selbst bezwungen“, wie Schiller den Großmeister sagen lässt.
Eine solche Selbstverleugnung spricht sich aber bei Vertot nicht aus. Gozon fügt sich bei Vertot nur der Gewalt, die Beraubung seines Ordenskleides dünkt ihm eine Schmach, der er selbst den Tod vorzieht. Hier musste der Dichter eine wesentliche Veränderung vornehmen. Bei Schiller unterwirft sich Gozon demütig dem Urteil des Großmeisters und erkennt Gehorsam als die erste Pflicht des christlichen Ritters an. Gozons Einkerkerung, die Versammlung des Rates, der Antrag auf Bestrafung mit dem Tod und das mühevolle Erlangen der Milderung des Urteils, wie sie Vertot erzählt, konnte Schiller nicht gebrauchen. Im Großmeister musste dem Ritter das einfache Gesetz des Ordens bestimmt entgegentreten, dem er sich willig fügt, wodurch auch die Erzählung sich enger zusammenschloss und einen ununterbrochenen, lebhaften Fortschritt gewann. Im Gegensatz zur strengen Stimme des Gesetzes treten das Murren des Volkes und das Flehen der Brüder hervor, die die ritterliche und hochherzige Absicht des Ritters für diesen gewonnen hat. Aber die Tat des Ritters durfte auch nicht als entschiedene Verletzung des Verbotes erscheinen. Der Ritter musste glauben, ganz im Sinne des Gesetzes gehandelt zu haben und das gemieden zu haben, wogegen das Verbot eigentlich gerichtet war: Die Vorgänger des Ritters waren zu Grunde gegangen, weil sie sich allein auf ihre Tapferkeit verließen, wodurch sie nichts gegen das Untier vermochten. Er selbst wendet auch List an, wodurch die Möglichkeit eines glücklichen Erfolges gegeben ist. Nur die vorausgesetzte Unmöglichkeit hatte das Verbot hervorgerufen. So glaubte Gozon denn das Verbot eigentlich gegen sein Unternehmen nicht gerichtet zu sehen, und war überzeugt, ein glücklicher Ausgang werde ihn rechtfertigen.
Damit sich diese Absicht Gozons klar ausspricht, musste er diese vor dem Großmeister entwickeln. So bildet Schiller aus dem triumphalen Einzug Gozons als Drachentöter in der Stadt, dem Urteil des Großmeisters und der demütigen Annahme desselben durch den Ritter eine Rahmenhandlung, in die er Gozons Erzählung von seiner Tat als Binnenerzählung eingebettet hat. Hierdurch hält er über die gesamte Erzählung hinweg die Spannung, die aber abgefallen wäre, hätte die Ballade mit der Darstellung des Kampfes begonnen. Auch wenn Gozons Erzählung fast zwei Drittel des Gedichtes ausmacht, glaubte Schiller hier nicht daran – wie er auch selbst äußerte, das von ihm sonst glücklich verwendete Mittel einer Zwischenrede anwenden zu müssen.