Vorbemerkungen zum Charakter des Wallensteins
Wallenstein darf nicht losgerissen von seiner Zeit betrachtet werden. Die blutigen Härten an ihm haften eben an ihr. Er war Feldherr in einem alles erschütternden, alle Leidenschaften entfesselnden, von Mord und Elend durchzogenen Kriege. Allein von diesem dunklen Grund hebt sich gerade seine Heldengestalt in einer jetzt erst deutlich erkannten, wohltuenden Begrenzung ab. Des echten Heerführers Genius trug ihm die Leuchte vor. Er war oft streng gegen seine Untergebenen im Feld, furchtbar streng. Nach der Schlacht von Lützen hat er ein grausames Blutgericht über die feldflüchtigen Offiziere gehalten. Aber die Begeisterung des Heeres für ihn konnte ihren Grund nicht in der Furcht haben, sondern nur in dem gerechten, mild ernsten Wesen, das der Herzog daheim, der Feldherr draußen durch all sein Tun blicken ließ. Für alle Bedürfnisse seines Heeres war er bis aufs Einzelne besorgt. Seine eigene Kasse gab oft die Mittel dazu her. Die Mannszucht seiner aus allen möglichen zusammengeworbenen Bestandteilen gemischten Armee findet sich in keiner aus jener Zeit wieder. Bei der Erhebung der Eintreibungen, die mit großer Willkür nach Millionen von den unglücklichen Untertanen, gleichviel ob freund- oder feindlich, erpresst wurden, erscheint unter allen Generälen des dreißigjährigen Krieges, den protestantischen sowohl als den katholischen, der Herzog allein als der einzig gewissenhafte. Zu wiederholten Malen wies er Anträge, wodurch er sich hätte bereichern können, zurück und blieb mit strengem Ehrgefühl auf seinen guten Ruf bedacht. Er hat wohl manchen schrecklichen Befehl gegeben, allein ein Magdeburg hat nie auf seiner Seele gebrannt.
So kannte Schiller den geschichtlichen Wallenstein nicht, konnte er ihn nicht kennen. Als Kaiser Ferdinands II. Befürchtungen durch das Blutbad von Eger beseitigt waren, kam es ihm darauf an, seine Hände in Unschuld zu waschen. Durch 3000 Seelenmessen, die er für die Gemordeten lesen ließ, um ihre Seelen aus dem Fegefeuer zu erretten, suchte er sich vor Gott zu rechtfertigen. Die Rechtfertigung vor der Welt erfolgte durch eine „auf sonderbaren Befehl des Kaisers herausgegebene“ Schrift: „Alberti Friedlandi perduellionis Chaos, ingrati animi Abyssus“, nach Richters Ausspruch ein Chaos von Lügen, Erdichtungen, falschen Aussagen gedungener Zeugen, unter denen die eines Sesyma Raschin obenan standen. Diese Schrift war die trübe Quelle, aus der die Schriftsteller zwei Jahrhunderte lang geschöpft hatten. Leider stand auch Schiller keine andere Quelle zur Verfügung. Wir dürfen uns daher nicht wundern, wenn das Bild, das er von Wallenstein entwirft, diesen als finster, kalt, grausam, hochmütig, verschlossen und vor Allem von Ehrgeiz und Rachsucht erfüllt erscheinen lässt. Wenn er sein Unternehmen in keiner Weise zu rechtfertigen wagt und den Untergang dessen, der seinen Freunden wie seinen Feinden gleich verdächtig erschien, als selbstverschuldet betrachtete. Wenngleich nun Schiller an Wilhelm von Humboldt schreibt: „Vordem habe ich, wie im Posa und Carlos die fehlende Wahrheit durch schöne Idealität zu ersetzen gesucht; hier im Wallenstein will ich es probiren und durch die bloße Wahrheit für die fehlende Idealität entschädigen“ – so musste ihm doch bald klar werden, dass ein Charakter, wie er ihn aus seinen geschichtlichen Studien kennengelernt hatte, zum tragischen Helden wenig geeignet sei. Es kam ihm also darauf an, das Raue und Barbarische in seinem Auftreten zu mildern und edlere Züge wie Familiensinn, Freundschaft, Wohlwollen und Vaterlandsliebe in wohltuender Weise hervorzuheben, mit einem Wort: seinen Helden doch zu idealisieren, um ihn dem menschlichen Herzen (Prolog V. 105) näher zu bringen. Was aber seine Schuld betrifft, so versuchte er ihn in einer Art von Verblendung darzustellen, die ihn mit unbedingter Zuversicht zu sich selbst sowie zu seiner Macht und zu seinem Glück erfüllte, während er in seiner Umgebung eine Verkettung von Ereignissen herbeizuführen bemüht war, die als Folgen seines Vergehens ihn umstrickten und somit seinen Untergang herbeiführten. So konnte die Tragödie allerdings „den Menschen in des Lebens Drang“ zeigen und „die größere Hälfte seiner Schuld den unglücklichen Gestirnen zuwälzen“.
Die Figur des Wallenstein, Herzog von Friedland
Wichtige Züge aus seiner Jugend teilt uns Gordon (T. IV, 2) mit. Was das Heer von ihm hält, sagt uns (L. 6) der Jäger. Was die Welt von ihm urteilt, erfahren wir (P. I, 2) von Questenberg. Und wie die ihm ergebenen Generäle über ihn denken, schildert uns (P. I, 4) der junge Piccolomini. So versuchte Schiller die hervorragendsten Züge aus dem Leben des geschichtlichen Helden seiner Dichtung einzuverleiben, um den Leser für ihn als Menschen zu interessieren und gleichzeitig seine Handlungsweise psychologisch zu begründen.
Die edlen Motive Wallensteins
Außerdem aber schiebt er der letzteren edle Motive unter, indem er ihn als Reichsfürsten höhere Zwecke verfolgen lässt. In dieser letzten Eigenschaft hat Wallenstein nicht nur (P. II, 5) das Beste des deutschen Reiches im Auge, dem er gern (P. V, 1 und T. III, 15) den Frieden schenken möchte. Selbst die Ruhe Europas liegt ihm (P. I, 4) am Herzen. Auf diese Weise eilte der Dichter dem Urteil seiner Zeit voraus, mit richtigem Blick ahnend, dass der Held seines Dramas auch als geschichtliche Person der Nachwelt in milderem Licht erscheinen würde. Wenn Richter in der oben zitierten Schrift sagt: „Was Wallenstein in seiner friedlichen Zurückgezogenheit so segnend und beglückend kennengelernt hatte, wollte er seinem ganzen deutschen Vaterland geben. Die Fremden, die nur noch mehr die Drachensaat der Uneinigkeit säten, wollte er in ihre Grenzen zurücktreiben, den Frieden von ihnen erringen und, wenn es sein müsste, von den deutschen Fürsten erzwingen, um der unseligen Zerspaltung Deutschlands ein Ende zu machen“.
Der Familienvater Wallenstein
In Wallensteins vertraulichen Gesprächen und Monologen lässt uns Schiller tiefe Blicke in dessen Inneres und in die geheimnisvolle Werkstatt seiner Pläne tun. Wenn die Geschichte den tiefernsten und verschlossenen Wallenstein doch in seinem Familienleben als den treuesten Gatten, den zärtlichsten Vater und den gütigsten Herren darstellt, so hat der Dichter es nicht vergessen, auch dieser Seite seines Wesens einen Ausdruck zu geben. Er kennt (T. III, 4) das Bedürfnis, im Kreis der Familie von den Sorgen der Geschäfte auszuruhen, verlangt (P. II, 2), dass seiner Gemahlin selbst am Kaiserhof mit Achtung begegnet werde, und freut sich seiner Tochter, die er gern glücklich sehen, und der er deshalb ein glänzendes Geschick bereiten möchte. Und als er Max, seinen Liebling, verloren hat, da klagt er (T. V, 3), dass die Blume aus seinem Leben hinweg sei, dass er den verloren hat, der seinem Dasein einen poetischen Reiz verliehen hatte. So erblicken wir mitten in den Zeiten der Rohheit die sittlich edle Natur, die auch die spätere Geschichtsforschung dem großen Feldherrn nicht hat absprechen können.
Religiöse Anschauungen von Wallenstein
Da der dreißigjährige Krieg seiner ersten Veranlassung nach um des Glaubens willen geführt wurde, erscheint es wichtig, auch über Wallensteins religiöse Anschauung ins Klare zu kommen. Die Geschichte berichtet, dass er um des Glaubens willen niemand hasste, ja dass ihm die damals so wichtige Verschiedenheit des Glaubensbekenntnisses nicht nur gleichgültig war, sondern dass er seine tolerante Gesinnung auch offen an den Tag legte, indem er (vergl. T. IV, 3) zu Glogau eine protestantische Kirche bauen ließ und einen Protestanten zu seinem Kanzler machte. Eben so zeigte er eine entschiedene Vorliebe für seine tapferen protestantischen Generäle Arnim, Julius von Sachsen, den Herzog von Lüneburg, Schafgotsch, Sparr und andere. Und der italienische Graf Gualdo Priorato berichtet: Er bemühte sich sehr oft, die Herzen derjenigen zu versöhnen, die sich wegen abweichender Ansichten in Glaubenssachen hassten. Krieg führen, um einen fremden Glauben aufzudringen, war ihm nicht gegeben. Dieser Gesinnung entsprach auch der nach Gustav Adolphs Fall dem Kaiser erteilte, aber freilich vergebliche Rat, „eine uneingeschränkte Amnestie zu verkündigen und den protestantischen Ständen mit günstigen Bedingungen entgegenzukommen.“ Auch diese Seite seines Charakters findet in der Dichtung ihren Ausdruck in der humanen Behandlung des Grafen Thurn (P. II, 7) und in den Gesprächen mit Wrangel (T. I, 5) und dem Bürgermeister (T. IV, 3).
War Wallenstein nun auch freisinnig genug, um sich gegen die so scharf ausgeprägten konfessionellen Verschiedenheiten seiner Zeit indifferent zu verhalten, so hatte doch das Gefühl seiner Abhängigkeit von einer höheren Macht ihm eine feierlich ernste Richtung gegeben, die sich vor allem in seinem Glauben an die Sterne offenbarte. Als nach dem Regensburger Fürstentag die kaiserlichen Gesandten zu ihm nach Memmingen kamen, um ihn nur Niederlegung seines Feldherrnamtes zu bewegen, nahm er eine lateinische Schrift vom Tisch, die des Kaisers, des Kurfürsten von Bayern und seine eigene Nativität enthielt, las sie ihnen vor und sagte: „Ihr Herren, aus den Astris könnt Ihr selbst sehen, daß ich Eure Commission gewußt, und daß des Kurfürsten von Baiern Spiritus des Kaisers seine dominirt; daher kann ich dem Kaiser keine Schuld geben; wehe thut es mir nur, daß sich Ihro Majestät meiner so wenig angenommen; ich will aber Gehorsam leisten.“ Mit Beziehung hierauf lässt der Dichter (T. III, 3) Wallensteins Gemahlin sagen, dass sich seit dem Unglückstag zu Regensburg sein Herz den dunklen Künsten zugewandt habe.
Wallensteins Hang zur Atrologie
Wallenstein folgte hierin zunächst der Sitte seiner Zeit, in der die Astrologen von Fürsten und vornehmen Herren hochgeehrt waren. So sehen wir in dem Itlaiener Seni, dem unentbehrlichen Begleiter Wallensteins, das ganze Wesen jenes mystischen Elements in höchst anschaulicher und wirksamer Weise verkörpert. Schon in Wallensteins Lager (Sc. 6) wird auf diese seltsame Figur hingedeutet, die, wenn sie auch in die Handlung nirgend wirksam eingreift, doch viel Fesselndes hat, und bei der es dem Dichter entschieden gelungen ist, dem astrologischen Motiv die von ihm erstrebte „poetische Dignität“ zu geben. Seni steht unter der Herrschaft erträumter Mächte, eines Aberglaubens, in dem allerdings manches Sinnige liegt, der indessen vor dem Licht der Wissenschaft in Nichts zerronnen ist. Zugleich ist er von religiösen Anschauungen erfüllt, denen ein unbefangenes Gemüt seine Zustimmung nicht versagen kann, aber seine eigenmächtigen, beschränkten Deutungen gewisser Erscheinungen machen einen wunderlichen Eindruck. „Nichts in der Welt ist unbedeutend“, mit diesen Worten führt er sich (P. II, 1) ein. Deshalb gibt es für ihn heilige und böse Zahlen, auf welche seine Umgebung achten soll. Selbst die Linien in Theklas Hand (P. III, 4) werden ein Gegenstand seiner Untersuchung und veranlassen ihn zu prophetischen Deutungen. Von einer Kunst eingenommen, ist ihm jeder freie Blick versagt, überall sehen wir ihn von unheimlichen Mächten umgarnt, er ist die Personifikation des finsteren Geistes, der nach Theklas Ausspruch durch Wallensteins Haus geht.
Wie Seni dem Herzog innig ergeben ist, so erscheint dieser von dem Glauben an die Sterne fest umstrickt. Goethe hatte Schiller darauf aufmerksam gemacht, dass der astrologische Wahn sein Aberglaube sei, der sich aus dem dunkeln Gefühle eines ungeheuren Weltganzen herleiten lasse und wohl im Stande sei, eine mächtige Einwirkung auf die menschliche Natur, selbst auf ihr sittliches Verhalten auszuüben. Schiller musste ihm beistimmen und konnte dies umso leichter, als hochstrebende Naturen fast immer an einen Stern glauben, der ihnen leuchtet, von einer Mission träumen, die sie zu erfüllen haben. Auf diese Weise erhielt die Verarbeitung des astrologischen Motivs in die Charakterzeichnung seines Helden das Gepräge einer tieferen psychologischen Wahrheit.
Bekanntlich hat Kepler, der eine Zeit lang in Wallensteins Diensten stand, diesem das Horoskop gestellt, wonach für unseren Helden neben Jupiter auch Saturn im Hause des Lebens gestanden. Wallenstein fand in dem Astronomen nicht, was er suchte, und gab ihm, vermutlich um ihn los zu werden, eine Professur an der Universität Rostock. Bei Schiller ist Jupiter des Herzogs Stern, der ihm bei der Geburt aufgegangen war. Ebenso ist Venus ein ihm günstiger Planet, während Mars und Saturn (T. I, 1) als unheilvolle und schadenbringende Gestirne erscheinen. Wie Wallenstein selbst ganz in astrologischen Anschauungen lebt, so wirkt er auch auf einen Teil seiner Umgebung. Nicht nur dem Max erscheint er (T. II, 2) wie der feste Stern des Pols, sondern auch seine Truppen folgen (T. II, 3) seinen Sternen, die er in der Bedrängnis (T. I, 7) als hilfreiche Mächte anruft. Seinen Liebling Max vergleicht er (P. II, 4) mit der Venus, dem glücklichen Gestirn des Morgens, das der aufsteigenden Sonne vorangeht. Wenn er auch (T. V, 3) von dem im Kampf Gefallenen sagt: „Er gehört nicht mehr den trüglich wankenden Planeten“ – so soll dies für ihn doch nichts anderes heißen, als: Er ist nicht mehr von den uns täuschenden Konstellationen abhängig. Den sich auflösenden Nebenmonden, einer Erscheinung, die die Physik als eine Wirkung der in der Atmosphäre schwebenden feinen Eisnadeln betrachtet und teils aus der Reflexion, teils aus der Beugung der Lichtstrahlen an der Oberfläche dieser Nadeln zu erklären sucht, legt er (T. IV, 3) nach der abergläubischen Gewohnheit seiner Zeit eine politische Bedeutung bei. Die Astrologie muss ihm auch helfen, über die Zuverlässigkeit seiner Generäle zur Gewissheit zu kommen, auch ihnen hat er das Horoskop gestellt. Er traut daher dem Illo, dem der Jupiter bei der Geburt hinabstieg (P. II, 6), keine höhere Einsicht zu, obwohl er dessen praktischer Richtung seine Anerkennung nicht versagen kann. Dagegen vertraut er dem Octavio, der (P. II, 6) mit ihm unter gleichen Sternen geboren ist (T. II, 3), mit unbedingter Zuversicht. Ja so gewaltig ist die Macht seines Glaubens, dass, als er an dem schändlichen Verrat nicht mehr zweifeln kann, er (T. III, 9) in die völlig widersinnig klingenden Worte ausbricht:
Die Sterne lügen nicht, das aber ist
Geschehen wider Sternenlauf und Schicksal.
Die Kunst ist redlich, doch dies falsche Herz
Bringt Lug und Trug in den wahrhaftigen Himmel“.
Wenn Gustav Adolph einst sagte: „Der Kaiser hat drei Generale, einen Pfaffen, das ist Tilly; einen Narren, das ist Wallenstein; und einen braven Soldaten, das ist Pappenheim“, so bezieht sich das dem Wallenstein beigelegte Prädikat vielleicht weniger auf seine astrologischen Phantasieen, denen ja selbst ein Melanchthon nicht abhold war, als auf seinen Aber- und Wunderglauben, der sich an das Wirken und Walten der sogenannten Elementargeister anschloß. Welche Macht die Salamander, Undinen, Sylphen und Gnomen selbst in den Augen strebsamer Denker auf den Menschen auszuüben vermochten, das ist uns dort zu lebendiger Anschauung gebracht. Auch Schillers Wallenstein ist diesem Glauben zugetan. Von Max, dem Idealisten, kann er (T. II, 2) sagen, „er wohnt im leichten Feuer mit dem Salamander“, der unter den Elementargeistern eben seines vermeintlichen Aufenthalts wegen als einer der reinsten betrachtet wurde. Wallenstein selbst dagegen ist Realist. Er strebt nach Macht und Reichtum, Gütern, die er nur „den falschen Machten“, den von Saturn beherrschten bösen Geistern (vergl. T. I) unter der Erde abgewinnen kann. Im Zusammenhang mit diesem Wahn steht sein Glaube an die Träume. Nach seiner eigenen Mitteilung (T. II, 3) hat er das Schicksal herausgefordert, ihm ein Zeichen zu geben, wer ihm der Treueste sei, und in einem Traume ist ihm ein Pfand zu Teil geworden, daß er sich auf Octavio unbedingt verlassen könne. Wenn er bei dieser Gelegenheit (T. II, 3) sagt: „Es giebt keinen Zufall“, ist dies nur auf bedeutsame Ereignisse zu beziehen, wie die wunderbare Erfüllung des Traumes. Denn anderwärts spricht er von Zufall, wie (T. I, 3): „Es ist ein böser Zufall“, nämlich daß der Sesin gefangen ist. Auch später sagt er: „Ich bin es nicht gewohnt, daß mich der Zufall blind waltend, finster herrschend mit sich führe“. Und (T. II, 3): „Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln.“ Sein Vertrauen zu den Sternen, sein Glaube an das Walten und Wirken der Elementargeister und seine Zuversicht zu den Träumen, sie zusammen bilden an „Weltgeist“ (T. II, 3), eine eigene mystische Philosophie, die ihm ein Leitstern auf seinem Lebenswege ist. Die innere Welt, der „Mikroskosmus“ ist ihm das Weben des Weltgeistes in der Seele Octavios, so dass derselbe nicht nach seiner Willkür oder dem Willen eines anderen handeln kann, sondern diesem Geiste folgen muss. Dagegen ist ihm der „Lügengeist“ (T. III, 4) der ihm feindliche böse Dämon, d. h. bald die „falschen Mächte, die unterm Tage schlimm geartet hausen“, bald die Maléfici am Himmel, die feindlichen Planeten Mars und Saturn, die ihn zu berücken und schließlich zu verderben suchen.
Das Verhalten von Wallenstein
Wie wird sich ein so angelegter Charakter, bei dem Verstand und Aberglaube, Vorsicht und Uebermut, Ehrgeiz und Eigennutz, Bedachtsein auf seinen guten Ruf und Neigung zu kühnem Frevel in stetem Konflikt mit einander sind, sich nun verhalten, wenn es darauf ankommt, unter verwickelten Verhältnissen zu handeln? Schiller sagt vom historischen Wallenstein: „In seinem Betragen war er schwankend und unentschlossen, in seinen Planen phantastisch und excentrisch, und in der letzten Handlung seines Lebens, der Verschwörung gegen den Kaiser, schwach und unbestimmt, ja sogar ungeschickt.“ Hierin ist uns ein Wink für die Beurtheilung des dramatischen Helden gegeben, wie ihn der Dichter gezeichnet.
Von stolzem Selbstbewusstsein erfüllt, traut sich der unter der Herrschaft erträumter Mächte stehende, also eigentlich innerlich unfreie Mann die Kraft zu, sich in jedem Moment frei entschließen zu können. Abhängigkeitsgefühl und Selbstvertrauen, das sind also die beiden schlechthin unvereinbaren Gegensätze, die in diesem merkwürdigen Charakter sich mischen. Kein Wunder also, dass der, der dauernd mit sich selber spielt, auch (P. II, 5) seinem eigenen Schwager, dem Terzky, sagen kann, dass er sein Spiel mit ihm getrieben hat, seine Generäle möglicherweise alle zum Besten haben könne. Und tut er das nicht? Obwohl er ihnen (T. II, 3) sagen kann, er „lasse jedem seinen Sinn und Neigung“, so hat er doch von ihnen (P. II, 6) eidlich und schriftlich Parole verlangt, sich seinem Dienst unbedingt zu widmen. Als er hört, Max habe die Unterschrift verweigert, stimmt er (T. I, 3) dessen Äußerungen ruhig bei: „Es braucht das nicht, er hat ganz Recht.“ Wallenstein fühlt also, dass er zu seinen Generälen in eine zweideutige Stellung geraten ist, dass er in der verlangten Unterzeichnung der Eidesformel ein Mittel gewählt hat, das sich nicht rechtfertigen lässt. Wenn er sich in schwierigen Momenten (T. III, 6 u. 7) auch augenscheinlich bemüht, seine ganze Fassung zu bewahren, verliert er doch innerlich alle Haltung und mit ihr das Vertrauen seiner Offiziere. Ja selbst sein Liebling Max muss an ihm verzweifeln, wenn er (T. III, 18) hört, wie er von seiner Macht Gebrauch machen, für den Verrat des Vaters Rache an ihm nehmen will und doch gleich darauf in den bewegtesten Ausdrücken von seiner Liebe zu ihm reden kann.
So schwankend wie Wallenstein in seinem Benehmen, so „phantastisch und excentrisch“ ist er auch in seinen Plänen. Obwohl er dem Kaiser (T. I, 7) das Gute, das er von ihm erfahren hat, nicht vergessen kann, macht es ihm doch Freude, ihn seine Macht fühlen zu lassen, ihn abhängig von sich zu wissen. Nur ein Feldherr ersten Ranges kann sich so wie er (P. II, 7) dem Questenberg gegenüber verteidigen, ihm zu verstehen geben, dass der Krieg vom grünen Tisch aus sich ganz anders ansehe als im Feldlager. Er kann mit einer so unerschütterlichen Standhaftigkeit die Eingriffe zurückweisen, die der Kaiser sich in die Kriegführung erlaubt. Nur ein seinem Gebieter geistig ebenbürtiger Machthaber kann dem Kriegsrat offen erklären, dass er das in Wien gesponnene Gewebe wohl durchschaue, dass ihm aber des Reiches Wohlfahrt mehr am Herzen liege, als der persönliche Vorteil seines Kaisers. Es ist eine wahrhaft dämonische Freude an der in seine Hände gegebenen Gewalt, mit der er dem Questenberg zu imponieren versteht, ihm zeigt, dass er sehr wohl dem Kaiser schaden könnte, wenn er nur wolle. Und will er das nicht? Nicht nur die Sucht nach Ruhm, auch das Verlangen nach Größe hat sein Herz ergriffen. Er weiß, dass das böhmische Volk dem Kaiserhaus wenig zugetan ist. Was es heißt, ein Land zu regieren, das hat er bei der Verwaltung seiner umfangreichen Güter erfahren. Sollte er nicht das Geschick haben, ganz Böhmen zu regieren, nicht berechtigt sein, nach dessen Königskrone zu streben? Und was der Kaiser aus freiem Antrieb ihm nimmermehr wird geben wollen, wird er das nicht von ihm erzwingen können? Die Versuchung ist groß und geeignet, ihn mit seinem besseren Selbst in Konflikt zu bringen. Obwohl er weiß, dass er sich strengem Tadel aussetzt, kann er doch nicht widerstehen. Eine Verbindung mit den Schweden wäre ein geeignetes Mittel, das ersehnte Ziel zu erreichen, und er ist unvorsichtig genug, diesen Plan dem Octavio mitzuteilen. Anfangs ist es nur der Gedanke an die böse Tat, sein böser Wille ist seine eigentliche Schuld. Aber er geht weiter. Um sich nach allen Seiten sicher zu stellen, gibt er selbst nichts Schriftliches von sich. Aber seine Generäle müssen ihm eine schriftliche Erklärung aufsetzen, mit der er dem misstrauischen Wrangel imponieren kann. Denn diesem gegenüber, das sieht er selbst voraus, kann die schlaue Bemerkung (T. I, 5): „ich war stets im Herzen auch gut schwedisch“, keine sichere Bürgschaft sein. Weiß er doch, dass er im Herzen so denkt, wie er später (T. III, 15) den Pappenheimer Kürassieren sagen wird: „Was geht der Schwed’ mich an? Ich haß’ ihn, wie den Pfuhl der Hölle.“ Die Verhandlung kommt daher vorläufig auch nicht zum völligen Abschluss, denn wie Wallenstein in Schillers geschichtlicher Darstellung ein wahrer Fabius Kunktator ist, der, nachdem er alles zum Abfall vorbereitet, doch so lange zögert, bis Gallas ihn vollständig mit den von Wien aus gesponnenen Netzen umstellt hat, so will auch der dramatische Held den letzten Schritt noch einmal wohl bedenken. Obgleich nach seiner eigenen Charakterschilderung (T. I, 7) kein Wortheld, sondern zum Handeln geboren, bleibt er doch im Schwanken und will sich nicht eher zu dem verhängnisvollen Schritt entschließen, als bis die Sterne ihn dazu auffordern, so dass die Gräfin Terzky (T. I, 7) ihre ganze Beredsamkeit aufwenden muss, um ihn zur Entscheidung zu drängen. Es liegt etwas wahrhaft Gespenstisches in diesem sonderbaren Charakter, der, ernst und finster grübelnd, wie von einer unsichtbaren Macht gehalten und getragen, zu seiner Umgebung fast nur in Rätseln spricht und wie in einem großartigen Wahnsinn die tragische Situation durchschreitet, in der seine wunderlichen Widersprüche ihn verstrickt haben.