HomeText: Die Räuber4. AktDie Räuber – Text: 4. Akt, 2. Szene

Die Räuber – Text: 4. Akt, 2. Szene

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DANIEL. Hilf, heiliger Gott! Weswegen?

FRANZ. Bei deinem blinden Gehorsam! – und an dich werd ich mich halten.

DANIEL. An mich? Hilf selige Mutter Gottes! An mich? Was hab ich alter Mann denn Böses getan?

FRANZ. Hier ist nicht lang Besinnszeit, dein Schicksal steht in meiner Hand. Willst du dein Leben im tiefsten meiner Türme vollends ausschmachten, wo der Hunger dich zwingen wird, deine eigene Knochen abzunagen, und der brennende Durst, dein eigenes Wasser wieder zu saufen? – Oder willst du lieber dein Brot essen in Frieden, und Ruhe haben in deinem Alter?

DANIEL. Was, Herr? Fried und Ruhe im Alter, und ein Totschläger?

FRANZ. Antwort auf meine Frage!

DANIEL. Meine grauen Haare! meine grauen Haare!

FRANZ. Ja oder nein!

DANIEL. Nein! – Gott erbarme sich meiner!

FRANZ im Begriff zu gehen. Gut, du sollsts nötig haben. Daniel hält ihn auf und fällt vor ihm nieder.

DANIEL. Erbarmen Herr! Erbarmen!

FRANZ. Ja oder nein!

DANIEL. Gnädiger Herr! ich bin heute einundsiebenzig Jahr alt, und hab Vater und Mutter geehret, und niemand meines Wissens um des Hellers Wert im Leben vervorteilt, und hab an meinem Glauben gehalten, treu und redlich, und hab in Eurem Hause gedienet vierundvierzig Jahr, und erwarte itzt ein ruhig seliges Ende, ach Herr, Herr! Umfaßt seine Knie heftig. und Ihr wollt mir den letzten Trost rauben im Sterben, daß der Wurm des Gewissens mich um mein letztes Gebet bringe, daß ich ein Greuel vor Gott und Menschen schlafen gehen soll? Nein, nein, mein liebster, bester, liebster gnädiger Herr! Das wollt Ihr nicht, das könnt Ihr nicht wollen von einem einundsiebenzigjährigen Manne.

FRANZ. Ja oder nein! was soll das Geplapper?

DANIEL. Ich will Euch von nun an noch eifriger dienen. Will meine dürren Sehnen in Eurem Dienst wie ein Taglöhner abarbeiten, will früher aufstehen, will später mich niederlegen – ach, und will Euch einschließen in mein Abend- und Morgengebet, und Gott wird das Gebet eines alten Mannes nicht wegwerfen.

FRANZ. Gehorsam ist besser, denn Opfer. Hast du je gehört, daß sich der Henker zierte, wenn er ein Urteil vollstrecken sollte?

DANIEL. Ach ja wohl! Aber eine Unschuld erwürgen – einen –

FRANZ. Bin ich dir etwa Rechenschaft schuldig? darf das Beil den Henker fragen, warum dahin und nicht dorthin? – aber sieh, wie langmütig ich bin – ich biete dir eine Belohnung für das, was du mir huldigtest.

DANIEL. Aber ich hoffte, ein Christ bleiben zu dörfen, da ich Euch huldigte.

FRANZ. Keine Widerrede! siehe ich gebe dir einen ganzen Tag noch Bedenkzeit! Überlege es nochmals. Glück und Unglück – hörst du, verstehst du? das höchste Glück, und das äußerste Unglück! Ich will Wunder tun im Peinigen.

DANIEL nach einigem Nachdenken. Ich wills tun, morgen will ichs tun. Ab.

FRANZ. Die Versuchung ist stark, und der war wohl nicht zum Märtyrer seines Glaubens geboren – Wohl bekomms dann, Herr Graf! Allem Ansehen nach werden Sie morgen Abend ihr Henkermahl halten! – Es kommt alles nur darauf an, wie man davon denkt, und der ist ein Narr, der wider seine Vorteile denkt! Den Vater, der vielleicht eine Bouteille Wein weiter getrunken hat, kommt der Kitzel an – und draus wird ein Mensch, und der Mensch war gewiß das letzte, woran bei der ganzen Herkulesarbeit gedacht wird. Nun kommt mich eben auch der Kitzel an – und dran krepiert ein Mensch, und gewiß ist hier mehr Verstand und Absichten, als dort bei seinem Entstehen war – Hängt nicht das Dasein der meisten Menschen mehrenteils an der Hitze eines Juliusmittags, oder am anziehenden Anblick eines Bettuchs, oder an der waagrechten Lage einer schlafenden Küchengrazie, oder an einem ausgelöschten Licht? – Ist die Geburt des Menschen das Werk einer viehischen Anwandlung, eines Ungefährs, wer sollte wegen der Verneinung seiner Geburt sich einkommen lassen, an ein bedeutendes Etwas zu denken? Verflucht sei die Torheit unserer Ammen und Wärterinnen, die unsere Phantasie mit schröcklichen Märchen verderben, und gräßliche Bilder von Strafgerichten in unser weiches Gehirnmark drücken, daß unwillkürliche Schauder die Glieder des Mannes noch in frostige Angst rütteln, unsere kühnste Entschlossenheit sperren, unsere erwachende Vernunft an Ketten abergläubischer Finsternis legen – Mord! wie eine ganze Hölle von Furien um das Wort flattert – die Natur vergaß, einen Mann mehr zu machen – die Nabelschnur ist nicht unterbunden worden – der Vater hat in der Hochzeitnacht glatten Leib bekommen – und die ganze Schattenspielerei ist verschwunden. Es war etwas und wird nichts – Heißt es nicht ebenso viel als: es war nichts und wird nichts und um nichts wird kein Wort mehr gewechselt – der Mensch entstehet aus Morast, und watet eine Weile im Morast, und macht Morast, und gärt wieder zusammen in Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unflätig anklebt. Das ist das Ende vom Lied – der morastige Zirkel der menschlichen Bestimmung, und somit – glückliche Reise, Herr Bruder! Der milzsüchtige, podagrische Moralist von einem Gewissen mag runzligte Weiber aus Bordellen jagen, und alte Wucherer auf dem Todesbett foltern – bei mir wird er nimmermehr Audienz bekommen! Er geht ab.

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