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Die Räuber – Text: 5. Akt, 1. Szene

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FRANZ. Weil ich Langeweile hab, und eben am Schachbrett keinen Geschmack finde. Ich will mir einen Spaß machen, mich mit Pfaffen herumzubeißen. Mit dem leeren Schrecken wirst du meinen Mut nicht entmannen. Ich weiß wohl, daß derjenige auf Ewigkeit hofft, der hier zu kurz gekommen ist: aber er wird garstig betrogen. Ich habs immer gelesen, daß unser Wesen nichts ist als Sprung des Geblüts, und mit dem letzten Blutstropfen zerrinnt auch Geist und Gedanke. Er macht alle Schwachheiten des Körpers mit, wird er nicht auch aufhören bei seiner Zerstörung? nicht bei seiner Fäulung verdampfen? Laß einen Wassertropfen in deinem Gehirne verirren, und dein Leben macht eine plötzliche Pause, die zunächst an das Nichtsein grenzt, und ihre Fortdauer ist der Tod. Empfindung ist Schwingung einiger Saiten, und das zerschlagene Klavier tönet nicht mehr. Wenn ich meine sieben Schlösser schleifen lasse, wenn ich diese Venus zerschlage, so ists Symmetrie und Schönheit gewesen. Siehe da! das ist eure unsterbliche Seele!

MOSER. Das ist die Philosophie Eurer Verzweiflung. Aber Euer eigenes Herz, das bei diesen Beweisen ängstlich bebend wider Eure Rippen schlägt, straft Euch Lügen. Diese Spinnweben von Systemen zerreißt das einzige Wort: Du mußt sterben! – ich fordere Euch auf, das soll die Probe sein, wenn Ihr im Tode annoch feste steht, wenn Euch Eure Grundsätze auch da nicht im Stiche lassen, so sollt Ihr gewonnen haben; wenn Euch im Tode nur der mindeste Schauer anwandelt, weh Euch dann! Ihr habt Euch betrogen.

FRANZ verwirrt. Wenn mich im Tode ein Schauer anwandelt?

MOSER. Ich habe wohl mehr solche Elende gesehen, die bis hieher der Wahrheit Riesentrotz boten, aber im Tode selbst flattert die Täuschung dahin. Ich will an Eurem Bette stehn, wenn Ihr sterbet – ich möchte so gar gern einen Tyrannen sehen dahinfahren – ich will dabeistehn und Euch starr ins Auge fassen, wenn der Arzt Eure kalte, nasse Hand ergreift und den verloren schleichenden Puls kaum mehr finden kann, und aufschaut, und mit jenem schröcklichen Achselzucken zu Euch spricht: menschliche Hilfe ist umsonst! Hütet Euch dann, o hütet Euch ja, daß Ihr da nicht ausseht wie Richard und Nero!

FRANZ. Nein, nein!

MOSER. Auch dieses Nein wird dann zu einem heulenden Ja – ein innerer Tribunal, den Ihr nimmermehr durch skeptische Grübeleien bestechen könnt, wird itzo erwachen, und Gericht über Euch halten. Aber es wird ein Erwachen sein, wie des lebendig Begrabenen im Bauche des Kirchhofs, es wird ein Unwille sein wie des Selbstmörders, wenn er den tödlichen Streich schon getan hat und bereut, es wird ein Blitz sein, der die Mitternacht Eures Lebens zumal überflammt, es wird ein Blick sein, und wenn Ihr da noch feste steht, so sollt Ihr gewonnen haben!

FRANZ unruhig im Zimmer auf und ab gehend. Pfaffengewäsche, Pfaffengewäsche!

MOSER. Itzt zum ersten Mal werden die Schwerter einer Ewigkeit durch Eure Seele schneiden, und itzt zum ersten Mal zu spät. – Der Gedanke Gott weckt einen fürchterlichen Nachbar auf, sein Name heißt Richter. Sehet, Moor, Ihr habt das Leben von Tausenden an der Spitze Eures Fingers, und von diesen Tausenden habt Ihr neunhundertneunundneunzig elend gemacht. Euch fehlt zu einem Nero nur das Römische Reich und nur Peru zu einem Pizarro. Nun, glaubt Ihr wohl, Gott werde es zugeben, daß ein einziger Mensch in seiner Welt wie ein Wütrich hause, und das Oberste zu unterst kehre? Glaubt Ihr wohl, diese neunhundertundneunundneunzig seien nur zum Verderben, nur zu Puppen Eures satanischen Spieles da? Oh glaubt das nicht! Er wird jede Minute, die Ihr ihnen getötet, jede Freude, die Ihr ihnen vergiftet, jede Vollkommenheit, die Ihr ihnen versperret habt, von Euch fodern dereinst, und wenn Ihr darauf antwortet, Moor, so sollt Ihr gewonnen haben.

FRANZ. Nichts mehr, kein Wort mehr! Willst du, daß ich deinen schwarzlebrigen Grillen zu Gebot steh?

MOSER. Sehet zu, das Schicksal der Menschen stehet unter sich in fürchterlich schönem Gleichgewicht. Die Waagschale dieses Lebens sinkend wird hochsteigen in jenem, steigend in diesem wird in jenem zu Boden fallen. Aber was hier zeitliches Leiden war, wird dort ewiger Triumph, was hier endlicher Triumph war, wird dort ewige unendliche Verzweiflung.

FRANZ wild auf ihn losgehend. Daß dich der Donner stumm mache, Lügengeist du! Ich will dir die verfluchte Zunge aus dem Munde reißen!

MOSER. Fühlt Ihr die Last der Wahrheit so früh? Ich habe ja noch nichts von Beweisen gesagt. Laßt mich nur erst zu den Beweisen –

FRANZ. Schweig, geh in die Hölle mit deinen Beweisen! zernichtet wird die Seele, sag ich dir, und sollst mir nicht darauf antworten!

MOSER. Darum winseln auch die Geister des Abgrunds, aber der im Himmel schüttelt das Haupt. Meint Ihr, dem Arm des Vergelters im öden Reich des Nichts zu entlaufen? und führet Ihr gen Himmel, so ist er da! und bettetet Ihr Euch in der Hölle, so ist er wieder da! und sprächet Ihr zu der Nacht: verhülle mich! und zu der Finsternis: birg mich!, so muß die Finsternis leuchten um Euch, und um den Verdammten die Mitternacht tagen – aber Euer unsterblicher Geist sträubt sich unter dem Wort, und siegt über den blinden Gedanken.

FRANZ. Ich will aber nicht unsterblich sein – sei es, wer da will, ich wills nicht hindern. Ich will ihn zwingen, daß er mich zernichte, ich will ihn zur Wut reizen, daß er mich in der Wut zernichte. Sag mir, was ist die größte Sünde, und die ihn am grimmigsten auf bringt?

MOSER. Ich kenne nur zwo. Aber sie werden nicht von Menschen begangen, auch ahnden sie Menschen nicht.

FRANZ. Diese zwo! –

MOSER sehr bedeutend. Vatermord heißt die eine, Brudermord die andere – Was macht Euch auf einmal so bleich?

FRANZ. Was, Alter? Stehst du mit dem Himmel oder mit der Hölle im Bündnis? Wer hat dir das gesagt?

MOSER. Wehe dem, der sie beide auf dem Herzen hat! Ihm wäre besser, daß er nie geboren wäre! Aber seid ruhig, Ihr habt weder Vater noch Bruder mehr!

FRANZ. Ha! – was, du kennst keine drüber? Besinne dich nochmals – Tod, Himmel, Ewigkeit, Verdammnis schwebt auf dem Laut deines Mundes – keine einzige drüber?

MOSER. Keine einzige drüber.

FRANZ fällt in einen Stuhl. Zernichtung! Zernichtung!

MOSER. Freut Euch, freut Euch doch! preist Euch doch glücklich! – Bei allen Euren Greueln seid Ihr noch ein Heiliger gegen den Vatermörder. Der Fluch, der Euch trifft, ist gegen den, der auf diesen lauert, ein Gesang der Liebe – die Vergeltung –

FRANZ aufgesprungen. Geh in tausend Grüfte, du Eule! wer hieß dich hieher kommen? Geh, sag ich, oder ich stoß dich durch und durch!

MOSER. Kann das Pfaffengewäsche so einen Philosophen in Harnisch jagen? Blast es doch weg mit dem Hauch Eures Mundes! Geht ab.

FRANZ wirft sich in seinem Sessel herum in schröcklichen Bewegungen. Tiefe Pause.

Ein Bedienter eilig.

BEDIENTER. Amalia ist entsprungen, der Graf ist plötzlich verschwunden.

Daniel kommt ängstlich.

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