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Friedrich Schiller »Das verschleierte Bild zu Sais« – Text, Inhaltsangabe, Interpretation

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Entstehung und Quelle

Das Gedicht sandte Schiller schon am 21. August 1795 mit einigen anderen Beiträgen zum Musenalmanach, der in Berlin gedruckt werden sollte, an Humboldt, der es als Heliopolis bezeichnet. Am 24. August teilte er es dem in Jena weilenden Goethe mit, der dadurch sehr gerührt wurde. Körner hatte der Stoff trotz seiner guten Darstellung etwas Dunkles und Unbefriedigendes. Herder, mit dem Schiller damals in freundlicher Verbindung stand, bemerkte, er verstehe den Sinn nicht. Humboldt erkannte darin eine große und richtige Wahrheit, wozu die Erfindung recht gut passe. Auch sei die Darstellung sehr poetisch. Am 7. September meldete Schiller Humboldt, er habe das verschleierte Bild und andere Gedichte für das neunte Stück der Horen abgesandt, wo es denn auch erschien. In den ersten Teil seiner Gedichte nahm er es, wohl aus Versehen, nicht auf. Im zweiten Teil wurde es ohne irgendeine Änderung aufgenommen.

Schillers Quelle und seine Bearbeitung

Das Motiv der verschleierten Isis, das sich Schiller hier verwendet, findet sich in zahlreichen naturkundlichen Werken der Aufklärung, so auch in den Ideen zu einer Geographie der Pflanzen (1807) von Alexander von Humboldt. Es thematisiert die Unfassbarkeit der Natur und ihre Entschleierung durch die Wissenschaft.

Der Stoff wurde von Plutarch und Pausanias überliefert. Als Quelle Schillers gilt die Schrift von Karl Leonhard Reinhold (1758–1823) „Über die ältesten hebräischen Mysterien von Bruder Decius“. Schiller hatte hierauf am Ende der Abhandlung „Die Sendung Moses“ im Jahr 1790 verwiesen. Dieser Aufsatz handelt auch über die ägyptischen Mysterien in den Tempeln der Isis und des Serapis. Unter anderem bemerkt Schiller hierin: „Unter einer alten Bildsäule der Isis las man die Worte: ‚Ich bin, was da ist‘. Und auf einer Pyramide zu Sais fand man die uralte merkwürdige Inschrift: ‚Ich bin alles, was ist, was war und was sein wird. Kein sterblicher Mensch hat meinen Schleier aufgehoben.‘“ Drei Jahre später gedachte er in dem Aufsatz „Von dem Erhabenen“ der letzteren Inschrift, die man zu Sais über dem Tempel der Isis gelesen habe. Auch der Heiligen Lade im Inneren des Tempels, des so genannten Sarges des Serapis, erwähnte er in dem angeführten Aufsatz von 1790. „Diese Lade herumzutragen war ein Vorrecht der Priester oder einer eigenen Klasse von Dienern des Heiligtums, die man deshalb auch Hierophanten nannte. Keinem als dem Hierophanten war es erlaubt, diesen Kasten aufzudecken oder ihn auch nur zu berühren. Von einem, der die Verwegenheit gehabt hatte, ihn zu eröffnen, wird erzählt, dass er plötzlich wahnsinnig geworden sei.“ Beides hat Schiller übernommen, der aber die Legende von jenem bestraften Verwegenen genauer mit Angabe seiner Quelle und unverändertem Ausdruck erzählte. „Pausanias erwähnt eines gewissen Euripilus, der die Verwegenheit hatte, einen solchen Kasten zu öffnen, und auf der Stelle von Sinnen kam.“

Schiller bildete aus der Inschrift zu Sais und der Bestrafung jenes Verwegenen seine Erzählung vom Jüngling zu Sais. An die Stelle des überlieferten rätselhaften Spruches setzt er einen anderen ähnlichen ein. Er lässt die Gottheit sagen: Kein Sterblicher rückt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe. Und wer mit ungeweihter, schuldger Hand den heiligen, verbotnen früher hebt, der sieht die Wahrheit (V. 28–32).

Hier ist ein offenbarer Widerspruch in der äußeren Fassung beabsichtigt, der sich nur löst, wenn man die auffallende Zweideutigkeit des Ausdrucks genauer beleuchtet. Wenn es zunächst heißt, kein Sterblicher hebt diesen Schleier, so soll dies besagen, kein Sterblicher könne die Wahrheit schauen, weil die Gottheit sich dies vorbehalten hat. Das als möglich zugegebene frühere Heben des Schleiers bezieht sich auf den wirklichen, die Bildsäule bedeckenden Schleier. Die Wahrheit, die dieser sieht, ist die ihn bitter quälende Erkenntnis seiner eben begangenen großen Schuld, dass er gegen die Gottheit sich aufgelehnt hat, die diesen Schleier zu heben verboten hat. So liegt also der Sinn darin, dass der Mensch die von der Gottheit ihm gesetzten Schranken der Erkenntnis nicht verrücken, nicht gewaltsam die ihm verwehrte Erkenntnis derselben sich zu verschaffen suchen dürfe, dass er geduldig warten müsse, bis die Wahrheit sich ihm selbst offenbart.

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