HomeText: Wilhelm Tell1. AktWilhelm Tell – Text: 1. Aufzug, 4. Szene

Wilhelm Tell – Text: 1. Aufzug, 4. Szene

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Walther Fürst in höchster Spannung:
Der Vater aber – Sagt, wie steht’s um den?

Stauffacher:
Den Vater lässt der Landenberger fordern,
Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn,
Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört,
Er habe von dem Flüchtling keine Kunde,
Da lässt der Vogt die Folterknechte kommen –

Walther Fürst springt auf und will ihn auf die andre Seite führen:
O still, nichts mehr!

Stauffacher mit steigendem Ton:
»Ist mir der Sohn entgangen,
So hab ich dich« – Lässt ihn zu Boden werfen,
Den spitz’gen Stahl ihm in die Augen bohren –

Walther Fürst:
Barmherz’ger Himmel!

Melchtal stürzt heraus:
In die Augen, sagt Ihr?

Stauffacher erstaunt zum Walther Fürst:
Wer ist der Jüngling?

Melchtal fasst ihn mit krampfhafter Heftigkeit:
In die Augen? Redet.

Walther Fürst:
O der Bejammernswürdige!

Stauffacher:
Wer ist’s?

(Da Walther Fürst ihm ein Zeichen gibt)

Der Sohn ist’s? Allgerechter Gott!

Melchtal:
Und ich
Muss ferne sein! – In seine beiden Augen?

Walther Fürst:
Bezwinget Euch, ertragt es wie ein Mann!

Melchtal:
Um meiner Schuld, um meines Frevels willen!
– Blind also? Wirklich blind, und ganz geblendet?

Stauffacher:
Ich sagt’s. Der Quell des Sehns ist ausgeflossen
Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder.

Walther Fürst:
Schont seines Schmerzens!

Melchtal:
Niemals! Niemals wieder!

Er drückt die Hand vor die Augen, und schweigt einige Momente, dann wendet er sich von dem einen zu dem andern, und spricht mit sanfter, von Tränen erstickter Stimme:

O eine edle Himmelsgabe ist
Das Licht des Auges – Alle Wesen leben
Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf –
Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte.
Und er muss sitzen, fühlend, in der Nacht,
Im ewig Finstern – ihn erquickt nicht mehr
Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz,
Die roten Firnen kann er nicht mehr schauen –
Sterben ist nichts – doch leben und nicht sehen,
Das ist ein Unglück – Warum seht ihr mich
So jammernd an? Ich hab zwei frische Augen,
Und kann dem blinden Vater keines geben,
Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts,
Das glanzvoll, blendend, mir ins Auge dringt.

Stauffacher:
Ach, ich muss Euren Jammer noch vergrössern,
Statt ihn zu heilen – Er bedarf noch mehr!
Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt,
Nichts hat er ihm gelassen als den Stab,
Um nackt und blind von Tür zu Tür zu wandern.

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