HomeText: Wilhelm Tell4. AktWilhelm Tell – Text: 4. Aufzug, 1. Szene

Wilhelm Tell – Text: 4. Aufzug, 1. Szene

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Östliches Ufer des Vierwaldstättersees.

Die seltsam gestalteten schroffen Felsen im Westen schliessen den Prospekt. Der See ist bewegt, heftiges Rauschen und Tosen, dazwischen Blitze und Donnerschläge.

Kunz von Gersau, Fischer und Fischerknabe.

Kunz:
Ich sah’s mit Augen an, Ihr könnt mir’s glauben,
’s ist alles so geschehn, wie ich Euch sagte.

Fischer:
Der Tell gefangen abgeführt nach Küssnacht,
Der beste Mann im Land, der bravste Arm,
Wenn’s einmal gelten sollte für die Freiheit.

Kunz:
Der Landvogt führt ihn selbst den See herauf,
Sie waren eben dran sich einzuschiffen,
Als ich von Flüelen abfuhr, doch der Sturm,
Der eben jetzt im Anzug ist, und der
Auch mich gezwungen, eilends hier zu landen,
Mag ihre Abfahrt wohl verhindert haben.

Empfehlungen Lektüreschlüssel

Fischer:
Der Tell in Fesseln, in des Vogts Gewalt!
O glaubt, er wird ihn tief genug vergraben,
Dass er des Tages Licht nicht wiedersieht!
Denn fürchten muss er die gerechte Rache
Des freien Mannes, den er schwer gereizt!

Kunz:
Der Altlandammann auch, der edle Herr
Von Attinghausen, sagt man, lieg am Tode.

Fischer:
So bricht der letzte Anker unsrer Hoffnung!
Der war es noch allein, der seine Stimme
Erheben durfte für des Volkes Rechte!

Kunz:
Der Sturm nimmt überhand. Gehabt Euch wohl,
Ich nehme Herberg in dem Dorf, denn heut
Ist doch an keine Abfahrt mehr zu denken. Geht ab.

Fischer:
Der Tell gefangen und der Freiherr tot!
Erheb die freche Stirne, Tyrannei,
Wirf alle Scham hinweg, der Mund der Wahrheit
Ist stumm, das seh’nde Auge ist geblendet,
Der Arm, der retten sollte, ist gefesselt!

Knabe:
Es hagelt schwer, kommt in die Hütte, Vater,
Es ist nicht kommlich, hier im Freien hausen.

Fischer:
Raset ihr Winde, flammt herab ihr Blitze,
Ihr Wolken berstet, giesst herunter, Ströme
Des Himmels und ersäuft das Land! Zerstört
Im Keim die ungeborenen Geschlechter
Ihr wilden Elemente werdet Herr,
Ihr Bären kommt, ihr alten Wölfe wieder
Der grossen Wüste, euch gehört das Land,
Wer wird hier leben wollen ohne Freiheit!

Knabe:
Hört, wie der Abgrund tost, der Wirbel brüllt,
So hat’s noch nie gerast in diesem Schlunde!

Fischer:
Zu zielen auf des eignen Kindes Haupt,
Solches ward keinem Vater noch geboten!
Und die Natur soll nicht in wildem Grimm
Sich drob empören – O mich soll’s nicht wundern,
Wenn sich die Felsen bücken in den See,
Wenn jene Zacken, jene Eisestürme,
Die nie auftauten seit dem Schöpfungstag,
Von ihren hohen Kulmen niederschmelzen,
Wenn die Berge brechen, wenn die alten Klüfte
Einstürzen, eine zweite Sündflut alle
Wohnstätten der Lebendigen verschlingt!

Man hört läuten.

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