Was dich hier über die Ballade »Hero und Leander« erwartet
- Zur Einführung
- Text der Ballade mit Worterklärungen und Verszählung
- Entstehung der Ballade
- Quellen zur Ballade
- Inhalt der Ballade
- Schillers Idee für die Ballade
- Aufbau und sprachliche Mittel
Bei den Kommentaren kannst du auch Fragen stellen.
Zur Einführung
Die Ballade Hero und Leander entstand im Juni 1801. Schiller schildert in der Ballade die starke Kraft der Liebe. Die 26-strophige Ballade geht auf eine Erzählung Musäus zurück. Hero und Leander lieben sich trotz allen Hasses unter ihren Vätern. Allabendlich schwimmt Leander zu seiner Geliebten, die in einem Turm lebt und ihn zu sich leuchtet. Doch eines Tages wird Leander von der stürmischen See verschlungen. Hero stürzt sich voller Verzweiflung von ihrem Turm auf seine angeschwemmte Leiche.
Der Text der Ballade mit Worterklärungen
Hero und Leander
Seht ihr dort die altergrauen
Schlösser sich entgegen schauen,
Leuchtend in der Sonne Gold,
Wo der Hellespont1 die Wellen
5Brausend durch der Dardanellen
Hohe Felsenpforte rollt?
Hört ihr jene Brandung stürmen,
Die sich an den Felsen bricht?
Asien riß sie von Europen,
10Doch die Liebe schreckt sie nicht.
Heros und Leanders Herzen
Rührte mit dem Pfeil der Schmerzen
Amors2 heilge Göttermacht.
Hero, schön wie Hebe blühend,
15Er, durch die Gebirge ziehend
Rüstig, im Geräusch der Jagd.
Doch der Väter feindlich Zürnen
Trennte das verbundne Paar,
Und die süße Frucht der Liebe
20Hing am Abgrund der Gefahr.
Dort auf Sestos‘3 Felsenturme,
Den mit ewgem Wogensturme
Schäumend schlägt der Hellespont,
Saß die Jungfrau, einsam grauend,
25Nach Abydos‘4 Küste schauend,
Wo der Heißgeliebte wohnt.
Ach, zu dem entfernten Strande
Baut sich keiner Brücke Steg,
Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer,
30Doch die Liebe fand den Weg.
Aus des Labyrinthes Pfaden
Leitet sie mit sicherm Faden,
Auch den Blöden macht sie klug,
Beugt ins Joch die wilden Tiere,
35Spannt die feuersprühnden Stiere
An den diamantnen Pflug.
Selbst der Styx5, der neunfach fließet,
Schließt die wagende nicht aus,
Mächtig raubt sie das Geliebte
40Aus des Pluto6 finsterm Haus.
Auch durch des Gewässers Fluten
Mit der Sehnsucht feurgen Gluten
Stachelt sie Leanders Mut.
Wenn des Tages heller Schimmer
45Bleichet, stürzt der kühne Schwimmer
In des Pontus7 finstre Flut,
Teilt mit starkem Arm die Woge,
Strebend nach dem teuren Strand,
Wo auf hohem Söller8 leuchtend
50Winkt der Fackel heller Brand.
Und in weichen Liebesarmen
Darf der Glückliche erwarmen
Von der schwer bestandnen Fahrt,
Und den Götterlohn empfangen,
55Den in seligem Umfangen
Ihm die Liebe aufgespart,
Bis den Säumenden Aurora9
Aus der Wonne Träumen weckt,
Und ins kalte Bett des Meeres
60Aus dem Schoß der Liebe schreckt.
Und so flohen dreißig Sonnen
Schnell, im Raub verstohlner Wonnen,
Dem beglückten Paar dahin,
Wie der Brautnacht süße Freuden,
65Die die Götter selbst beneiden,
Ewig jung und ewig grün.
Der hat nie das Glück gekostet,
Der die Frucht des Himmels nicht
Raubend an des Höllenflusses
70Schauervollem Rande bricht.
Hesper10 und Aurora zogen
Wechselnd auf am Himmelsbogen,
Doch die Glücklichen, sie sahn
Nicht den Schmuck der Blätter fallen,
75Nicht aus Nords beeisten Hallen
Den ergrimmten Winter nahn.
Freudig sahen sie des Tages
Immer kürzern, kürzern Kreis,
Für das längre Glück der Nächte
80Dankten sie betört dem Zeus.
Und es gleichte schon die Waage
An dem Himmel Nächt und Tage,
Und die holde Jungfrau stand
Harrend auf dem Felsenschlosse,
85Sah hinab die Sonnenrosse
Fliehen an des Himmels Rand.
Und das Meer lag still und eben,
Einem reinen Spiegel gleich,
Keines Windes leises Weben
90Regte das kristallne Reich.
Lustige Delphinenscharen
Scherzten in dem silberklaren
Reinen Element umher,
Und in schwärzlicht grauen Zügen
95Aus dem Meergrund aufgestiegen
Kam der Tethys11 buntes Heer.
Sie, die einzigen, bezeugten
Den verstohlnen Liebesbund,
Aber ihnen schloß auf ewig
100Hekate12 den stummen Mund.
Und sie freute sich des schönen
Meeres, und mit Schmeicheltönen
Sprach sie zu dem Element:
»Schöner Gott! du solltest trügen?
105Nein, den Frevler straf ich Lügen,
Der dich falsch und treulos nennt.
Falsch ist das Geschlecht der Menschen,
Grausam ist des Vaters Herz,
Aber du bist mild und gütig,
110Und dich rührt der Liebe Schmerz.
In den öden Felsenmauern
Müßt ich freudlos einsam trauern
Und verblühn in ewgem Harm,
Doch du trägst auf deinem Rücken
115Ohne Nachen, ohne Brücken,
Mir den Freund in meinen Arm.
Grauenvoll ist deine Tiefe,
Furchtbar deiner Wogen Flut,
Aber dich erfleht die Liebe,
120Dich bezwingt der Heldenmut.
Denn auch dich, den Gott der Wogen,
Rührte Eros‘13 mächtger Bogen,
Als des goldnen Widders14 Flug
Helle, mit dem Bruder fliehend,
125Schön in Jugendfülle blühend,
Über deine Tiefe trug.
Schnell von ihrem Reiz besieget
Griffst du aus dem finstern Schlund,
Zogst sie von des Widders Rücken
130Nieder in den Meeresgrund.
Eine Göttin mit dem Gotte,
In der tiefen Wassergrotte
Lebt sie jetzt unsterblich fort,
Hilfreich der verfolgten Liebe
135Zähmt sie deine wilden Triebe,
Führt den Schiffer in den Port.
Schöne Helle! Holde Göttin!
Selige, dich fleh ich an:
Bring auch heute den Geliebten
140Mir auf der gewohnten Bahn.«
Und schon dunkelten die Fluten,
Und sie ließ der Fackel Gluten
Von dem hohen Söller wehn.
Leitend in den öden Reichen
145Sollte das vertraute Zeichen
Der geliebte Wandrer sehn.
Und es saust und dröhnt von ferne,
Finster kräuselt sich das Meer,
Und es löscht das Licht der Sterne,
150Und es naht gewitterschwer.
Auf des Pontus weite Fläche
Legt sich Nacht, und Wetterbäche
Stürzen aus der Wolken Schoß,
Blitze zucken in den Lüften,
155Und aus ihren Felsengrüften
Werden alle Stürme los,
Wühlen ungeheure Schlünde
In den weiten Wasserschlund,
Gähnend wie ein Höllenrachen
160Öffnet sich des Meeres Grund.
»Wehe! Weh mir!« ruft die Arme
Jammernd, »Großer Zeus15, erbarme!
Ach! Was wagt‘ ich zu erflehn!
Wenn die Götter mich erhören,
165Wenn er sich den falschen Meeren
Preisgab in des Sturmes Wehn!
Alle meergewohnten Vögel
Ziehen heim in eilger Flucht,
Alle sturmerprobten Schiffe
170Bergen sich in sichrer Bucht.
Ach gewiß, der Unverzagte
Unternahm das oft Gewagte,
Denn ihn trieb ein mächtger Gott.
Er gelobte mirs beim Scheiden
175Mit der Liebe heilgen Eiden,
Ihn entbindet nur der Tod.
Ach! in diesem Augenblicke
Ringt er mit des Sturmes Wut,
Und hinab in ihre Schlünde
180Reißt ihn die empörte Flut.
Falscher Pontus, deine Stille
War nur des Verrates Hülle,
Einem Spiegel warst du gleich,
Tückisch ruhten deine Wogen,
185Bis du ihn heraus betrogen
In dein falsches Lügenreich.
Jetzt in deines Stromes Mitte,
Da die Rückkehr sich verschloß,
Lässest du auf den Verratnen
190Alle deine Schrecken los.«
Und es wächst des Sturmes Toben,
Hoch zu Bergen aufgehoben
Schwillt das Meer, die Brandung bricht
Schäumend sich am Fuß der Klippen,
195Selbst das Schiff mit Eichenrippen
Nahte unzerschmettert nicht.
Und im Wind erlischt die Fackel
Die des Pfades Leuchte war,
Schrecken bietet das Gewässer,
200Schrecken auch die Landung dar.
Und sie fleht zur Aphrodite16,
Daß sie dem Orkan gebiete,
Sänftige der Wellen Zorn,
Und gelobt, den strengen Winden
205Reiche Opfer anzuzünden,
Einen Stier mit goldnem Horn.
Alle Göttinnen der Tiefe,
Alle Götter in der Höh
Fleht sie, lindernd Öl zu gießen
210In die sturmbewegte See.
»Höre meinen Ruf erschallen,
Steig aus deinen grünen Hallen,
Selige Leukothea17!
Die der Schiffer in dem öden
215Wellenreich, in Sturmesnöten
Rettend oft erscheinen sah.
Reich ihm deinen heilgen Schleier,
Der, geheimnisvoll gewebt,
Die ihn tragen, unverletzlich
220Aus dem Grab der Fluten hebt.«
Und die wilden Winde schweigen,
Hell an Himmels Rande steigen
Eos‘18 Pferde in die Höh.
Friedlich in dem alten Bette
225Fließt das Meer in Spiegelsglätte,
Heiter lächeln Luft und See.
Sanfter brechen sich die Wellen
An des Ufers Felsenwand,
Und sie schwemmen, ruhig spielend,
230Einen Leichnam an den Strand.
Ja, er ists, der, auch entseelet,
Seinem heilgen Schwur nicht fehlet!
Schnellen Blicks erkennt sie ihn,
Keine Klage läßt sie schallen,
235Keine Träne sieht man fallen,
Kalt, verzweifelnd starrt sie hin.
Trostlos in die öde Tiefe
Blickt sie, in des Äthers Licht,
Und ein edles Feuer rötet
240Das erbleichte Angesicht.
»Ich erkenn euch, ernste Mächte,
Strenge treibt ihr eure Rechte,
Furchtbar, unerbittlich ein.
Früh schon ist mein Lauf beschlossen,
245Doch das Glück hab ich genossen,
Und das schönste Los war mein.
Lebend hab ich deinem Tempel
Mich geweiht als Priesterin,
Dir ein freudig Opfer sterb ich,
250Venus, große Königin!«
Und mit fliegendem Gewande
Schwingt sie von des Turmes Rande
In die Meerflut sich hinab.
Hoch in seinen Flutenreichen
255Wälzt der Gott die heilgen Leichen,
Und er selber ist ihr Grab.
Und mit seinem Raub zufrieden
Zieht er freudig fort und gießt
Aus der unerschöpften Urne
260Seinen Strom, der ewig fließt.
- Der Hellespont ist eine Meerenge im Mittelmeer, zwischen der Ägäis und dem Marmarameer. Heute bekannt als die Dardanellen. Die Dardanellen trennen Europa und Kleinasien. ↩
- Amor ist der römische Gott der Liebe. ↩
- Sestos war eine antike Stadt auf der Halbinsel Gallipoli, gelegen am nördlichen Ufer des Hellesponts (Dardanellen). Die Halbinsel gehört zum europäischen Teil der Türkei. ↩
- Abydos war in der Antike eine bedeutende Hafenstadt in Kleinasien an der engsten Stelle der Dardanellen auf der asiatischen Seite. ↩
- Der Styx ist in der griech. Mythologie ein Fluss der Unterwelt, den man auf dem Weg ins Totenreich überqueren muss. ↩
- In der griech. und röm. Mythologie ist Pluton der Gott der Unterwelt. ↩
- In der griech. Mythologie ist Pontos ein Gott des Meeres. ↩
- Söller sind offene, auf Stützen oder Mauern ruhende Plattformen. ↩
- Aurora ist die röm. Göttin der Morgenröte. ↩
- Gemeint ist mit Hesper wohl das Sternbild des Kleinen Wagens, das in der frühen griech. Antike die Hesperiden darstellte. Die Hesperiden sind Nymphen, die die Äpfel des goldenen Baumes behüten. Den Göttern verleihen die Äpfel ewige Jugend. ↩
- Tethys war eine griechische Titanin und Meeresgöttin. ↩
- In der griech. Mythologie ist Hekate eine Göttin der Magie und eine Freundin der Menschen. Neben Zeus ist sie die einzige Gottheit, die den Menschen jeden Wunsch erfüllen oder verweigern kann. ↩
- Eros ist in der griech. Mythologie der Gott der Liebe und entspricht in der röm. Myth. Amor. Eros wird oft als Kleinkind mit Pfeil und Bogen dargestellt. Eine auf das Herz gezielte goldene Pfeilspitze von Eros soll die Leidenschaft entfachen, eine bleierne dagegen die Leidenschaft abtöten. ↩
- Gemeint ist das Goldene Vlies, in der griech. Mythologie das Fell des Widders Chrysomeles, der fliegen und sprechen konnte. Er rettete die Kinder der Nephele, Phrixos und Helle, über die Meerenge der Dardanellen (Hellespontes). Über der Meerenge fiel Helle von seinem Rücken ins Meer. Die Meerenge erhielt so ihren Namen. Aus Dankbarkeit, dass die Götter Phrixos retten konnten, wurde der Widder im Tempel des Zeus geopfert. In der griech. Mythologie ist es einer der wichtigen heiligen Gegenstände. Es wird auch als allgemeines Zeichen von Macht und Reichtum angesehen. ↩
- Zeus ist in der griech. Mythologie der oberste und mächtigste Gott. Er ist ein Allgott und Vater der Götter und Menschen. ↩
- Aphrodite ist in der griech. Mythologie die Göttin der Liebe, der Schönheit und sinnlichen Begierde. ↩
- Leukothea ist in der griech. Mythologie eine Meergöttin, auch bekannt als Ino. Ino verfolgte Phrixus und Helle und trachtete nach ihrem Leben. Als dieser Mordanschlag vereitelt wurde, verfolgte der verrückt gemachte Athamas die Ino. Diese stürzte sich von einem Felsen ins Meer, wo sie sie Neptun als Leukothea aufnahm. ↩
- Eos ist in der griech. Mythologie die Göttin der Morgenröte (vgl. oben Aurora). ↩
Unglückliche Formulierung: „In den Heroiden des Ovid findet sich ein Brief von Leander, worin dieser verspricht, sobald der Winter es gestatte, zu Hero herüber zu schwimmen.“ Jemand der die Heroides nicht kennt, könnte glauben, dass es sich um „echte Briefe“ und nicht um die poetische Fiktion von Briefen handelt.