HomeText: Kabale und Liebe3. AktKabale und Liebe – 3. Akt, 6. Szene

Kabale und Liebe – 3. Akt, 6. Szene

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Luise und Sekretär Wurm.

WURM kommt näher. Guten Abend, Jungfer.

LUISE. Gott! Wer spricht da? Sie dreht sich um, wird den Sekretär gewahr und tritt erschrocken zurück. Schrecklich! Schrecklich! Meiner ängstlichen Ahndung eilt schon die unglückseligste Erfüllung nach! Zum Sekretär mit einem Blick voll Verachtung. Suchen Sie etwa den Präsidenten? Er ist nicht mehr da.

WURM. Jungfer, ich suche Sie.

LUISE. So muß ich mich wundern, daß Sie nicht nach dem Marktplatz gingen.

WURM. Warum eben dahin?

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LUISE. Ihre Braut von der Schandbühne abzuholen.

WURM. Mamsell Millerin, Sie haben einen falschen Verdacht –

LUISE unterdrückt eine Antwort. Was steht Ihnen zu Diensten?

WURM. Ich komme? geschickt von Ihrem Vater.

LUISE bestürzt. Von meinem Vater? – Wo ist mein Vater?

WURM. Wo er nicht gern ist.

LUISE. Um Gottes willen! Geschwind! Mich befällt eine üble Ahndung – Wo ist mein Vater?

WURM. Im Turm, wenn Sie es ja wissen wollen.

LUISE mit einem Blick zum Himmel. Das noch! das auch noch! – – Im Turm? Und warum im Turm?

WURM. Auf Befehl des Herzogs.

LUISE. Des Herzogs?

WURM. Der die Verletzung der Majestät in der Person seines Stellvertreters

LUISE. Was? Was? O ewige Allmacht!

WURM. Auffallend zu ahnden beschlossen hat.

LUISE. Das war noch übrig! Das! – freilich, freilich, mein Herz hatte noch außer dem Major etwas Teures – Das durfte nicht übergangen werden – Verletzung der Majestät – Himmlische Vorsicht! Rette, o, rette meinen sinkenden Glauben! – Und Ferdinand?

WURM. Wählt Lady Milford oder Fluch und Enterbung.

LUISE. Entsetzliche Freiheit! – und doch – doch ist er glücklicher. Er hat keinen Vater zu verlieren. Zwar keinen haben ist Verdammnis genug! – Mein Vater auf Verletzung der Majestät – mein Geliebter die Lady oder Fluch und Enterbung – Wahrlich bewundernswert! Eine vollkommene Büberei ist auch eine Vollkommenheit – Vollkommenheit? Nein! dazu fehlte noch etwas – – Wo ist meine Mutter?

WURM. Im Spinnhaus.

LUISE mit schmerzvollem Lächeln. Jetzt ist es völlig! – völlig, und jetzt wär ich ja frei – Abgeschält von allen Pflichten – und Tränen – und Freuden. Abgeschält von der Vorsicht. Ich brauch sie ja nicht mehr – Schreckliches Stillschweigen. Haben Sie vielleicht noch eine Zeitung? Reden Sie immerhin. Jetzt kann ich alles hören.

WURM. Was geschehen ist, wissen Sie.

LUISE. Also nicht, was noch kommen wird? Wiederum Pause, worin sie den Sekretär von oben bis unten ansieht. Armer Mensch! Du treibst ein trauriges Handwerk, wobei du ohnmöglich selig werden kannst. Unglückliche machen ist schon schrecklich genug, aber gräßlich ists, es ihnen verkündigen – ihn vorzusingen, den Eulengesang, dabeizustehn, wenn das blutende Herz am eisernen Schaft der Notwendigkeit zittert, und Christen an Gott zweifeln. – Der Himmel bewahre mich! und würde dir jeder Angsttropfe, den du fallen siehst, mit einer Tonne Golds aufgewogen – ich möchte nicht du sein – – Was kann noch geschehen?

WURM. Ich weiß nicht.

LUISE. Sie wollen nicht wissen? – Diese lichtscheue Botschaft fürchtet das Geräusch der Worte, aber in der Grabstille Ihres Gesichts zeigt sich mir das Gespenst – Was ist noch übrig – Sie sagten vorhin, der Herzog wolle es auffallend ahnden? Was nennen Sie auffallend?

WURM. Fragen Sie nichts mehr.

LUISE. Höre, Mensch! Du gingst beim Henker zur Schule. Wie verstündest du sonst, das Eisen erst langsam-bedächtlich an den knirschenden Gelenken hinaufzuführen, und das zuckende Herz mit dem Streich der Erbarmung zu necken? – Welches Schicksal wartet auf meinen Vater? – Es ist Tod in dem, was du lachend sagst, wie mag das aussehen, was du an dich hältst? Sprich es aus. Laß mich sie auf einmal haben, die ganze zermalmende Ladung. Was wartet auf meinen Vater?

WURM. Ein Kriminalprozeß.

LUISE. Was ist aber das? – Ich bin ein unwissendes unschuldiges Ding, verstehe mich wenig auf eure fürchterliche lateinische Wörter. Was heißt Kriminalprozeß?

WURM. Gericht um Leben und Tod.

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