HomeText: Wilhelm Tell4. AktWilhelm Tell – Text: 4. Aufzug, 2. Szene

Wilhelm Tell – Text: 4. Aufzug, 2. Szene

Seite 4 von 5
Bewertung:
(Stimmen: 23 Durchschnitt: 3.5)

Rudenz rasch eintretend:
Lebt er? O saget, kann er mich noch hören?

Walther Fürst deutet hin mit weggewandtem Gesicht:
Ihr seid jetzt unser Lehensherr und Schirmer,
Und dieses Schloss hat einen andern Namen.

Rudenz erblickt den Leichnam und steht von heftigem Schmerz ergriffen:
O güt’ger Gott – Kommt meine Reu zu spät?
Konnt er nicht wen’ge Pulse länger leben,
Um mein geändert Herz zu sehn?
Verachtet hab ich seine treue Stimme,
Da er noch wandelte im Licht – Er ist
Dahin, ist fort auf immerdar, und lässt mir
Die schwere unbezahlte Schuld! – O saget!
Schied er dahin im Unmut gegen mich?

Stauffacher:
Er hörte sterbend noch was Ihr getan,
Und segnete den Mut, mit dem Ihr spracht!

Rudenz kniet an dem Toten nieder:
Ja heil’ge Reste eines teuren Mannes!
Entseelter Leichnam! Hier gelob ich dir’s
In deine kalte Totenhand – Zerrissen
Hab ich auf ewig alle fremden Bande,
Zurückgegeben bin ich meinem Volk,
Ein Schweizer bin ich und ich will es sein
Von ganzer Seele – (Aufstehend.) Trauert um den Freund,
Den Vater aller, doch verzaget nicht!
Nicht bloß sein Erbe ist mir zugefallen,
Es steigt sein Herz, sein Geist auf mich herab,
Und leisten soll euch meine frische Jugend,
Was euch sein greises Alter schuldig blieb.
– Ehrwürd’ger Vater, gebt mir Eure Hand!
Gebt mir die Eurige! Melchtal auch Ihr!
Bedenkt Euch nicht! O wendet Euch nicht weg!
Empfanget meinen Schwur und mein Gelübde.

Walther Fürst:
Gebt ihm die Hand. Sein wiederkehrend Herz
Verdient Vertraun.

Melchtal:
Ihr habt den Landmann nichts geachtet.
Sprecht, wessen soll man sich zu Euch versehn?

Rudenz:
O denket nicht des Irrtums meiner Jugend!

Stauffacher zu Melchtal:
Seid einig! war das letzte Wort des Vaters,
Gedenket dessen!

Melchtal:
Hier ist meine Hand!
Des Bauern Handschlag, edler Herr, ist auch
Ein Manneswort! Was ist der Ritter ohne uns?
Und unser Stand ist älter als der Eure.

Rudenz:
Ich ehr ihn, und mein Schwert soll ihn beschützen.

Melchtal:
Der Arm, Herr Freiherr, der die harte Erde
Sich unterwirft und ihren Schoß befruchtet,
Kann auch des Mannes Brust beschützen.

Rudenz:
Ihr
Sollt meine Brust, ich will die eure schützen,
So sind wir einer durch den andern stark.
– Doch wozu reden, da das Vaterland
Ein Raub noch ist der fremden Tyrannei?
Wenn erst der Boden rein ist von dem Feind,
Dann wollen wir’s in Frieden schon vergleichen.

Nachdem er einen Augenblick innegehalten.

Ihr schweigt? Ihr habt mir nichts zu sagen? Wie!
Verdien ich’s noch nicht, dass ihr mir vertraut?
So muss ich wider euren Willen mich
In das Geheimnis eures Bundes drängen.
– Ihr habt getagt – geschworen auf dem Rütli –
Ich weiß – weiß alles, was ihr dort verhandelt,
Und was mir nicht von euch vertrauet ward,
Ich hab’s bewahrt gleich wie ein heilig Pfand.
Nie war ich meines Landes Feind, glaubt mir,
Und niemals hätt‘ ich gegen euch gehandelt.
– Doch übel tatet ihr, es zu verschieben,
Die Stunde dringt und rascher Tat bedarf’s –
Der Tell ward schon Opfer eures Säumens –

Dieser Beitrag besteht aus 5 Seiten: