HomeText: Wilhelm Tell4. AktWilhelm Tell – Text: 4. Aufzug, 3. Szene

Wilhelm Tell – Text: 4. Aufzug, 3. Szene

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Sie wollen vorüber. Die Frau wirft sich vor dem Landvogt nieder.

Armgard:
Barmherzigkeit, Herr Landvogt! Gnade! Gnade!

Gessler:
Was dringt Ihr Euch auf offner Straße mir
In Weg – Zurück!

Armgard:
Mein Mann liegt im Gefängnis,
Die armen Waisen schrein nach Brot – Habt Mitleid
Gestrenger Herr, mit unserm grossen Elend.

Rudolf der Harras:
Wer seid Ihr? Wer ist Euer Mann?

Armgard:
Ein armer
Wildheuer, guter Herr, vom Rigiberge,
Der überm Abgrund weg das freie Gras
Abmähet von den schroffen Felsenwänden,
Wohin das Vieh sich nicht getraut zu steigen –

Rudolf der Harras zum Landvogt:
Bei Gott, ein elend und erbärmlich Leben!
Ich bitt‘ Euch, gebt ihn los den armen Mann,
Was er auch Schweres mag verschuldet haben,
Strafe genug ist sein entsetzlich Handwerk.

Zu der Frau:

Euch soll Recht werden – Drinnen auf der Burg
Nennt Eure Bitte – Hier ist nicht der Ort.

Armgard:
Nein, nein, ich weiche nicht von diesem Platz,
Bis mir der Vogt den Mann zurückgegeben!
Schon in den sechsten Mond liegt er im Turm,
Und harret auf den Richterspruch vergebens.

Gessler:
Weib, wollt Ihr mir Gewalt antun, hinweg.

Armgard:
Gerechtigkeit, Landvogt! Du bist der Richter
Im Lande an des Kaisers Statt und Gottes.
Tu deine Pflicht! So du Gerechtigkeit
Vom Himmel hoffest, so erzeig sie uns.

Gessler:
Fort, schafft das freche Volk mir aus den Augen.

Armgard greift in die Zügel des Pferdes:
Nein, nein, ich habe nichts mehr zu verlieren.
– Du kommst nicht von der Stelle, Vogt, bis du
Mir Recht gesprochen – Falte deine Stirne,
Rolle die Augen wie du willst – Wir sind
So grenzenlos unglücklich, dass wir nichts
Nach deinem Zorn mehr fragen –

Gessler:
Weib, mach Platz,
Oder mein Ross geht über dich hinweg.

Armgard:
Lass es über mich dahingehn – da –

Sie reißt ihre Kinder zu Boden und wirft sich mit ihnen ihm in den Weg.

Hier lieg ich
Mit meinen Kindern – Lass die armen Waisen
Von deines Pferdes Huf zertreten werden,
Es ist das Ärgste nicht, was du getan –

Rudolf der Harras:
Weib, seid Ihr rasend?

Armgard heftiger fortfahrend:
Tratest du doch längst
Das Land des Kaisers unter deine Füße!
– O ich bin nur ein Weib! Wär‘ ich ein Mann,
Ich wüsste wohl was Besseres, als hier
Im Staub zu liegen –

Man hört die vorige Musik wieder auf der Höhe des Wegs, aber gedämpft.

Gessler:
Wo sind meine Knechte?
Man reiße sie von hinnen oder ich
Vergesse mich und tue was mich reuet.

Rudolf der Harras:
Die Knechte können nicht hindurch, o Herr,
Der Hohlweg ist gesperrt durch eine Hochzeit.

Gessler:
Ein allzu milder Herrscher bin ich noch
Gegen dies Volk – die Zungen sind noch frei,
Es ist noch nicht ganz wie es soll gebändigt –
Doch es soll anders werden, ich gelob‘ es,
Ich will ihn brechen diesen starren Sinn,
Den kecken Geist der Freiheit will ich beugen.
Ein neu Gesetz will ich in diesen Landen
Verkünden – Ich will –

Ein Pfeil durchbohrt ihn, er fährt mit der Hand ans Herz und will sinken. Mit matter Stimme:

Gott sei mir gnädig!

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