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Schiller an Andreas Streicher, 9. Oktober 1795

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Jena, den 9. October [Freitag] 1795.

Mein theurer und hochgeschätzter Freund!

Gestern erhielt ich durch Herrn v. Bühler Ihren Brief, der mich auf eine sehr angenehme Weise überraschte. Daß Sie mich nach einer zehnjährigen Trennung, und in einer so weiten Entfernung noch nicht vergessen haben, daß Sie meiner mit Liebe gedenken, und mir ein gleiches gegen Sie zutrauen, rührt mich innig, lieber Freund, und ich kann Ihnen auch von meiner Seite mit Wahrheit gestehen, daß mir die Zeit unseres Zusammenseyns, und Ihre freundschaftliche Theilnahme an mir, Ihre gefällige Duldung gegen mich und Ihre auf jeder Probe ausharrende Treue in ewig theurem Andenken bleiben wird.

Wie erfreuen Sie mich, lieber Freund, mit der Nachricht, daß es Ihnen wohl geht, daß Sie mit Ihrem Schicksal zufrieden sind, und nun auch die Freuden des häuslichen Lebens genießen. Diese sind mir schon seit 6 Jahren zu Theil geworden, und ich könnte, im Besitz eines liebevollen Weibes und eines hoffnungsvollen Knaben, so wie in meiner unabhängigen äußeren Lage ein ganz glücklicher Mensch seyn, wenn ich aus dem Sturme, der mich so lange herumgetrieben, meine Gesundheit gerettet hätte. Indessen macht ein heiteres Gemüth, und der angenehme Wechsel der Beschäftigung mich diesen Verlust noch ziemlich vergessen, und ich finde mich in mein Schicksal.

Eben dieser Zustand meiner Gesundheit läßt mich nicht daran denken, eine Reise zu unternehmen, und raubt mir also die Freude, Ihre freundschaftliche Einladung anzunehmen. Aber was mir unmöglich ist, können Sie vielleicht ausführen, und um so eher, da ein Tonkünstler überall zu Hause ist, und selbst auf Reisen die Zeit nicht verliert. Daß mir Ihre Erscheinung in Jena unbeschreiblich viele Freude machen würde, bedarf keiner Versicherung, und daß auch Sie nicht unzufireden damit seyn sollen, dafür glaube ich gut sagen zu können. Ich könnte Ihnen wenigstens dafür stehen, daß Sie in Weimar, wo man Musik zu schätzen weiß, eine sehr erwünschte Aufnahme finden sollten.

Leben Sie wohl, mein theurer Freund, und erhalten Sie mir wie bisher Ihre Liebe.

Ihr aufrichtig ergebener

Schiller.