Dienstag Abends. 1
Die Mama hat mir heute geantwortet und verspricht in einigen Wochen nach Jena zu kommen, um da das heilige Geschäft verrichten zu sehen. Es ist mir gar lieb, dass wir uns in Jena trauen lassen, und dass die Mamma doch Deine äußere Lage im Hause bey dieser Gelegenheit sehen wird, meine liebe Lotte. Wir lassen uns in meinem Zimmer so ganz in der Stille trauen, dass wir, wenn die Mamma und Caroline dabey sind, keine fremde Zeugen nöthig haben. Von hier kann ich niemand dazu nehmen, wenn ich Grießbachs nicht beleidigen will, und Grießbachs will ich nicht nehmen. Brauchten wir aber nothwendig noch jemand Fremdes, so müssen wir auf jemand aus Weimar oder auf die Erfurter Caroline denken.
Ich fürchte, meine liebe Line, daß ich Dir vor Ostern kein bequemes Logis bey mir werde geben können, weil ein Zimmer, auf das ich Rechnung gemacht habe, noch von Studenten besetzt ist, die ich jetzt nicht sogleich heraustreiben kann. Auf Besuche geht es wohl an, aber ich weiß, daß, wenn Du Dir irgendwo gefallen willst, Du ein Zimmer ungestört für Dich haben mußt – und eins, wo Du ganz ungestört wärst, könnte ich dir jetzt nicht geben.
Solange Du mit der chere Mere hier seyn wirst, wird schwerlich viel einsam von Dir gelebt werden, also da geht es recht gut an.
Ich kann euch heute nichts schreiben als Einrichtungssachen meine liebsten. Durch die Gespräche mit meinem Hausjungfern sind alle Saiten meiner Seele abgespannt worden. Aber das wollte ich euch schreiben: Können wir einander diese Woche nicht halb Wegs Jena sehen? oder soll ich lieber ganz nach W. kommen? Ich habe euch solange nicht gesehen, ich bedarf eures lieben Anblicks so sehr. Auch haben wir noch verschiedene Dinge miteinander abzumachen, ehe die Mamma kommt. Lieber wäre mirs, euch halb Wegs Jena zu sehen. Ich ersparte 3 Stunden verlorene Zeit, auf der Hin und herreise. Sonst aber will ich gerne ganz zu euch kommen, oder soll ich diese Woche gar nicht kommen? Schreibt mir doch gleich Antwort deßwegen.
Meine theuergeliebten, lebt wohl! an meinem Herzen, wie ich an dem eurigen. Ich umschließe euch mit Armen der Liebe. Adieu.
S.
- Januar 1790. ↩