HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 26. Januar 1789

Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 26. Januar 1789

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Weimar d. 26 Januar [Montag] 89.

Endlich habe ich mich doch wieder mit der Natur zusammen gefühlt, und nach einem lebendigen Begräbniß auf meinem Zimmer von fast 14 Tagen wieder im Freyen geathmet. Mein Herz war leer und mein Kopf zusammen gedrückt – ich hatte diese Stärkung höchst nöthig.

Die liebliche Luft und der geöfnete Boden haben mir die Scenen des vorigen Sommers wieder lebhaft ins Gedächtniß gebracht. Der gewöhnliche Weg von Volksstädt um die schöne Ecke herum bey der Brücke, die Berge jenseits der Saale vom Abendroth so schön beleuchtet, Rudolstadt vor mir und von weitem der grüne Pavillon, den mein perspectiv just noch erreichte – alles das stand wieder so lebendig vor mir. Ich glaubte mich auf dem Wege zu Ihnen, und in der That war ichs auch – Denn seitdem ich von Rudolstadt zurück bin, ist der Weg nach dem Belvedere mein Lieblingsspaziergang. Aber ich habe Sie nicht gefunden – das war der große Unterschied!

Wäre die Sachen noch wie vorigen Herbst, so hätte ich jezt die Hälfte unsrer Trennung zurückgelegt, und die noch übrige würde um so schneller vergehen, weil es die zweyte ist. Ich sehe täglich mehr ein, dass ich diesen Schritt nicht anders, als unter den entschiedensten oekonomischen Vortheilen hätte thun sollen; eine sehr ansehnliche und solide Verbeßerung von dieser Seite wäre vielleicht diese Aufopferung von Zeit und von Freyheit werth gewesen; aber so wie die Sachen stehen, habe ich bloß Aussichten, und für den Augenblick positiven Verlust. Dieß sind keine angenehme Betrachtungen, und – was thun sie in diesem Briefe? Von was anderm. Ich habe in dieser Zeit die Histoire de mon temps, zwey Bände, gelesen. So glaubwürdig und zuverläßig diese Quelle ist, so muß ich dennoch gestehen, dass ihr noch manches zur befriedigenden Vollkommenheit fehlt. Die voltairische Manier zu beschrieben, und mit einem witzigen Einfall über erhebliche Details hinweg zu glitschen, ist nicht das Nachahmungswürdigste im historischen Stil. Im Ganzen ist die Ansicht doch nur individuell, freilich in einem großen Kopfe und in einem Kopfe der sehr wohl unterrichtet ist; aber die Capricen, die den großen Fridrich in seinem handelnden Leben regiert haben, haben auch seine Feder redlich geleitet. Die Rolle, die er seine Maria Theresia spielen läßt, ist fein angelegt, aber nicht ohne Bosheit. Sie werden sich vielleicht erinnern, daß er bey aller Mäßigung die er sich gegen sie aufgelegt zu haben scheint, nie unterläßt „sie im Glück übermüthig zu zeigen.“ Ich glaube nicht, dass ein feinerer Kunstgriff hätte gewählt werden können, das Interesse für sie zu unterdrücken. Dieser Kunstgriff wird so häufig und mit soviel Ausführlichkeit angewandt, daß die Absicht nicht zu verkennen ist.

Dieß ist aber auch das einzige stärkende Buch, das ich unterdeßen gelesen habe! Ich bin dazu verdammt, mich durch die geschmacklosesten Pedanten durchzuschlagen, um Dinge daraus zu lernen, die ich morgen wieder vergesse. Ich habe noch nie eine so große Versuchung gefühlt, ein neues Schauspiel anzufangen, als diesen Winter – gerade, weil die Umstände es verbieten.

Mein Geisterseher hat mich dieser Tage etlichemal sehr angenehm beschäftigt; er hätte aber fast mein Christentum wankend gemacht, das, wie Sie wissen, alle Kräfte der Hölle nicht haben bewegen können. Der Zufall gab mir Gelegenheit, ein philosophisches Gespräch herbeyzuführen, welches ich ohnehin nöthig hatte, um die freygeisterische Epoche, die ich den Prinzen durchwandern laße, dem Leser vor Augen zu stellen. Bey dieser Gelegenheit habe ich nun selbst einige Ideen bey mir entwickelt, die Sie darinn wohl errathen werden (denn Gott bewahre mich, dass ich ganz so denken sollte wie der Prinz in der Verfinsterung seines Gemüthes) auch glaube ich wird Ihenn die Darstellung durch ihre Klarheit gefallen. Jezt bin ich eben bey der schönen Griechinn; und um mir ein Ideal zu hohlen, werde ich die nächste Redoute nicht versäumen. Ich möchte gern ein recht romantisches Ideal von einer leibenswürdigen Schönheit schildern, aber dieß muß zugleich so beschaffen seyn, daß es – eine eingelernte Rolle ist, denn meine liebenswürdige Griechinn ist eine abgefeimte Betrügerinn. Schicken Sie mir doch in Ihrem nächsten Briefe ein Portrait, wie Sie wünschen daß sie seyn soll, wie sie Ihnen recht wohl gefiele, und auch Sie betrügen könnte. Auch Lottchen bitte ich darum! Ich erfahre dann bey dieser Gelegenheit Ihre Ideale von weiblicher Vortreflichkeit (nicht von der stillen nehmlich sondern von der erobernden). Haben Sie mir diese Gemählde eingeschickt, so werde ich Sie alsdann bald um noch eines von anderer Art ersuchen. Sie sehen, dass ich Alles anwende, um mir meine gegenwärtige Beschäftigung lieb zu machen.

Ich höre mit Bedauerniß dass Ihnen Ihre Pflanzen erfroren sind, aber andern Theils ist mirs lieb, denn nun kann ich doch mit dem Geständniß heraus gehen, daß mirs eben so gegangen ist. Ich wollte es recht gut machen, und bewahrte das arme kleine Geschöpfchen sorgfältig vor der kalten Luft – aber hin wars! Ich schämte mich aber biss jezt, Ihnen mein Unglück zu entdecken. Wenn ich in Jena bin, so werde ich mir ein neues ausbitten.

Für die Bücher, die Sie wünschten, habe ich biß jezt nicht Sorge tragen können, weil ich nicht aus dem Hause gekommen war und auch niemand sah. Ich schicke Ihnen ein kleines artiges Ding vom Dichter Jakobi, das ganz das Bild seiner Seele – niedlich und sanft – ist. Ich lese alles gern, was Jakobi schreibt, denn er ist ein edler Mensch, und dieser Karakter fließt in alles ein, was er hervorbringt. Vielleicht schicke ich Ihnen durch die Botenfrau noch mehr.

Körner läßt michs jezt entgelten, daß er Interesse an schriftstellerischen Arbeiten findet, er wird nachläßig im Schreiben; weil er immer etwas mitzuschicken wünscht, so wird nichts geschrieben und nichts mitgeschickt. Eine Lücke, die er in der Correspondenz läßt und ein Posttag, den er übergeht, sind für mich empfindliche Fehlschlagungen der Erwartung; und das schlimmste ist, ich darf es ihm nicht einmal vorrücken, denn mein Gewissen spricht mich auch nicht ganz frey. Lassen auch Sie, meine liebsten Freundinnen, sich dieses Beispiel zur Warnung dienen, und lassen Sie ja keine Lücke in unserm Briefwechsel aufkommen. Wenn es mir jemals gegen Sie begegnete, so müßten entweder unüberwindliche Abhaltungen von außen, oder eine Laune daran schuld seyn, in der ich nicht gerne vor Ihnen erscheinen möchte. Leben Sie recht wohl! – und glücklich. Viele schöne Grüße, wo Sie schon wissen.

Schiller.