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Schiller an Gottfried Herder, 12. Juni 1795

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Jena den 12. Juni [Freitag] 95.

Kaum als ich neulich Ihr schönes Geschenk erhalten, wurde ich von einem häßlichen Katarrhfieber befallen, welches mich nicht nur hinderte Ihnen meinen herzlichen Dank dafür zu sagen, sondern auch das Buch selbst, wie ich es wünschte, zu genießen. Nachdem ich wieder anfing, mich zu erholen, fiel die Last der „Horen“ mit solchem Druck auf mich, daß ich kaum Athem schöpfen konnte. Meinen ersten freien Moment widme ich Ihnen, um Ihnen meine Freude über den reichhaltigen Stoff und das schöne Leben in dieser Schrift mitzutheilen, welches mich in eine sehr angenehme Bewegung versetzt hat. das eben ist das so sehr Auszeichnende darin (und was auch das Prädicat der Humanität eigentlich ausdrückt), daß Sie Ihren Gegenstand nicht mit isolirten Gemüthskräften anfassen, nicht bloß denken, nicht bloß anschauen, nicht bloß fühlen, sondern zugleich fühlen, denken und anschauen, d. h. mit der ganzen Menschheit aufnehmen und ergreifen.

Beinahe möchte ich mich darüber ärgern, daß alle diese interessanten Aufsätze für unsre „Horen“ verloren gehen mußten. Möchten Sie doch veranlaßt werden, alles, was Ihnen von jetzt an in die Feder kommt, unserm Journale zu bestimmen. Machen Sie Herrn Cotta Ihre Bedingungen, er wird alles, was Sie wünschen, mit Freuden eingehen, und ich bitte Sie darum so inständig, als man nur bitten kann, Ihren Antheil an unserm Journale so weit als möglich auszudehnen.

Darf ich zugleich meine Bitte wegen des Almanachs bei Ihnen erneuern? In 6 Wochen soll mit dem Druck der Anfang gemacht werden.

Mit der herzlichsten Hochachtung und Liebe der Ihrige

Schiller.