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Schiller an Sophie Mereau, Juni 1796

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[Juni 1796 (?)]

Meine Geschäfte und häußliche Unruhe haben sich seit einiger Zeit so gehäuft, daß ich Ihre Manuscripte so wie vieles andre, das ich nicht gern übereilen wollte, habe zurücklegen müssen. Verzeihen Sie diese Verzögerung, an der mein eigener freier Wille keinen Antheil hat.

In Ihren Gedichten finde ich sehr viel Schönes in Absicht auf den Inhalt sowohl als auf den Ausdruck. Einige darunter will ich mir für den Almanach ausbitten, und andere wünschte ich nach einigen Monaten in die Horen zu setzen. Die nächsten 3, 4 Hefte sind, was Gedichte betrifft, schon besetzt, weil noch große Vorräthe da liegen und auf den Abdruck warten. Werden Sie mir aber, wie im vorigen Jahre, erlauben, einige Abkürzungen und sonst kleine Veränderungen darin vorzunehmen, die mein poetisches und kritisches Gewissen mir zur Pflicht macht?

Gegen die Erzählungen in Prosa habe ich erhebliche Einwendungen, und ich wollte Ihnen nicht dazu rathen, vor der Hand einen Gebrauch davon zu machen. Lassen Sie das Manuscript noch einige Monate liegen, es wird Ihnen fremder werden, und Sie werden sich dann gewiß selber sagen, was ich oder ein anderer Ihnen jetzt darüber sagen würde. Die Charaktere sind zu wenig bestimmt, die Maximen, nach denen gehandelt wird, wollen sich nicht ganz billigen lassen, die Erzählung geht einen zu schleppenden Gang, an einzelnen Schönheiten fehlt es nicht und kann bei einer Arbeit Ihres Geistes auch niemals fehlen.

Zu der Geschichte des Ringes im Boccaz würde ich Ihnen deswegen nicht gern rathen, weil sie eine der bekanntesten ist, und die Neuheit hier doch einigermaßen in Betrachtung kommt. Wählen Sie lieber eine andere, oder versuchen Sie es lieber gleich mit dem Anfang des ganzen Werkes.

Wenn Sie Gelegenheit haben, so erkundigen Sie sich doch, ob ein gewisser Roman Calef William aus dem Englischen schon ins Deutsche übersetzt ist; ins Französische ist er es, so viel ich weiß. Viele loben ihn sehr, und auf jeden Fall würde eine gute deutsche Übersetzung, wenn noch keine da ist, willkommen seyn. Mit der aufrichtigsten Ergebenheit

Der Ihrige

Schiller.