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Schiller an den Oberst von Seeger, 23. Juli 1780

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Stutgart. d. 23. Julij. [Sonntag] 1780.

Hochwohlgebohrener Herr
Hochgebietender Herr Obrist.

Gewiße Vorfälle bei der Krankengeschichte des Eleven Grammont, welche mich etwas näher, als ich wünschte, anzugehen scheinten, haben mich so dreust gemacht, Euer Hochwohlgebohren mit einer schriftlichen Erklärung zu beschweren, welche Kühnheit nichts als meine vollkommenste Überzeugung von euer Hochwohlgebohren billiger Gesinnung entschuldigen kann.

Ich bemerkte seit einigen Wochen, daß mein Umgang mit dem Patienten, mehr als vorhin, eingeschränkt, und sorgfältig dahin gesehen wurde, daß ich ihn nicht leicht allein sprechen konnte. Es ist mir diß um so befremdender aufgefallen, da ich den von Euer Hochwohlgebohren mir selbst ertheilten gnädigsten Befehl, beständig um ihn zu seyn, noch nicht vergessen hatte, und es führte mich auf die Besorgniß irgend eines zu Grunde liegenden Verdachts auf meine Handlungs-Arten, der mir nichts weniger als gleichgültig seyn konnte. Es würde mir unendlich gefehlt seyn, wenn ich dazu schweigen müßte, da es für mich von Folgen seyn könnte, und meinem Karakter gänzlich zuwiderläuft, ich nehme mir daher die Freyheit, zur Rechtfertigung meines bisherigen Betragens einige noch geheim gehaltene Fakta Denenselben zu entdecken, welche über die Reinheit meiner Absicht einigen Aufschluß geben können.

Am XIten Junius, zwei Tage vorher, ehe die Krankheit unsers Hypochondristen zuerst bekannt wurde, kam er zu mir, und wollte, daß ich ihm einen Schlaftrunk verschaffen, sollte. Mich schrökten seine fürchterlich-ruhige Mine, seine veränderte Stimme, seine ungewohnten Gebehrden, daß ich Unrath merkte. Ich fragte ihn lächelnd: Wozu? Danach hätte ich nicht zu fragen, war die Antwort, ich soll es ihm nur anschaffen falls ich jemals sein Freund gewesen. Endlich forschte ich das unglükliche Geheimniß aus ihm heraus, und er gestand mir, daß er nach reifer Überlegung nunmehr entschloßen sey, diese Welt zu verlaßen wo er nicht glüklich seyn könnte. Mit Gründen einer vernünftigen Philosophie war nun nichts mehr auszurichten, den ich hatte schon in seinen gesunden Tagen über diesen Punkt oftmals vergebens mit ihm gestritten, ich bat ihn also, doch wenigstens nur so lang ruhig zu seyn, bis er mit H. Prof. Abel gesprochen hätte. Zugleich drang ich in ihn, daß er auf das Krankenzimmer gehen möchte, weil ich diese schrökliche Melancholie einem verschlimmerten Zustand seines Unterleibs zuschrieb, und mir dort seine Gründe schriftlich entwikelte, weil ich hoffte, daß er dardurch Zeit gewinnen würde, seinen paradoxen Entschluß mit desto mehr Kälte zu prüfen. Er ließ sich bereden, nur bat er mich auf das innständigste, bei unserer Freundschaft, von dem allen niemand kein Wort zu sagen, welches ich um so gerner halten konnte, da ich ihn privatim zurecht zu bringen hoffte, und kein Aufsehen in der Academie machen wollte, welches vielleicht hätte von Folgen seyn können. Das aber that ich, wie Euer Hochwohlgebohren sich zu erinnern gnädig belieben werden, daß ich Denenselben durch den Lieutenant Walter einen Wink davon geben ließ, worauf ich auch die gnädige Antwort erhielt, ein wachsames Auge fortan auf ihn zu haben, und besonders auf seinen Unterleib Rüksicht zu nehmen, weil ich ohnehin viel daraus herzuleiten gewohnt wäre. Euer Hochwohlgebohren hatten auch die Gnade mich öfters über sein Befinden zu befragen, und empfahlen mir ihn auf das nachdrüklichste zu verschiedenen mahlen, und verordneten daß die medicinischen Veteranen Tag vor Tag seine Ordonancen seyn sollten. Meine Bemühungen waren anfangs nicht ohne guten Erfolg – ich berufe mich auf meinen ersten Rapport – allein das Übel nahm im Ganzen zu, und spottete unserer Kräfte.

Bis dahin war ich der vollkommenen Meynung, daß ich mich vielleicht einiges Verdiensts um das Wohl des Patienten rühmen könnte, wenn es Verdienst ist, einen Menschen vom Abgrund zurükzuziehen, und einen Selbstmord zu verhindern, der nach seinem eignen Geständniß noch denselben Abend auch ohne Schlaftrunk geschehen wäre, bis dahin war ich der Meinung die Vorteile der Academie nach allen meinen Kräften betrieben zu haben, aber ich war es bald nicht mehr, und die nachfolgenden Äußerungen Euer Hochwohlgebohren brachten mich beinahe dahin, daß es mich hätte reuen können, jemals meinen redlichen Eifer in dieser Sache bewiesen zu haben, wenn mich nicht das belohnende Bewußtseyn, die Pflichten eines Academisten, und die Pflichten eines Freundes ohne Anstos erfüllt zu haben, wegen aller unverdienten Begegnung schadlos halten könnte.

Euer Hochwohlgebohren hatten vorigen Sonntag die Gnade mir den Unterfeldscheer Mauchardt als Zeugen nachzuschicken, welcher auch nachher durch den Eleven Plieninger abgelößt wurde. Diß machte mich freilich nicht wenig stuzen, da ich immer, wie auch der Eleve von Hoven, zum besondern Gesellschafter des Kranken ausersehen worden war. Dazu kam noch, daß Euer Hochwohlgebohren Montag abends, in den Verweis, den Dieselbe dem Kranken zugeben gnädig beliebten, die Worte einflochten, „Er traue vielen, denen er gar nicht trauen sollte.“ Er klagte dieses nachher dem Eleven Plieninger und supplirte die verschwiegenen Nahmen mit dem des Prof. Abels des Chirurgien-Majors Klein, des Eleven von Hovens, und dem meinigen, denn nur diesen, sagte er, könne er trauen, diese also müßten nothwendig verstanden seyn. Was für eine Wirkung dieser Seitenblik auf den Patienten gemacht hat, indem ihm dardurch seine Freunde, das einzige was ihn noch manchmal erheiterte, verdächtig gemacht wurden, das zu sagen ist Verwegenheit, aber von da an traute er niemanden, und sagte selbst, er sey mit lauter Creaturen eines höhern Winks umgeben. Wir hatten viel Noth damit, unsere Niedergeschlagenheit unter die Maske der Heiterkeit zu versteken.

Sollten Euer Hochwohlgebohren vielleicht vermuthen, daß ich neulich den Eleven Plieninger bei dem Patienten verrathen und verdächtig gemacht hätte? Dieser Vorwurff ist mir so empfindlich, daß ich wider Willen gezwungen bin dem wahren Urheber dieser Verläumdung nachzuforschen. Aber nein, ich will es nicht thun, ich will Euer Hochwohlgebohren nur die Gnade haben zu versichern, daß ich bald acht Jahre in der Academie zu leben das Glük habe, und in dieser Zeit noch keinem Menschen unter dem schändlichen Karakter eines Ohrenbläsers bekannt worden bin.

Oder sollte wohl die besondere Anhänglichkeit des Eleven Gramonts an den Eleven von Hoven und mich, Euer Hochwohlgebohren den Argwohn eingeflößt haben, daß wir den Absichten Seiner Herzoglichen Durchlaucht entgegengearbeitet, und den Grillen des Patienten geschmeichelt hätten? Ganz befremdet mich dieser Argwohn nicht, denn ich muß selbst gestehen, daß er fast nothwendig aufsteigen muß, wenn man bedenkt wie sehr der Patient sonst jeden Umgang floh; ich habe es ihm auch vorhergesagt, und ihn um alles gebeten, mich nicht zu seiner Gesellschaft nach Hohenheim auszubitten; allein ich habe doch vielmehr gehofft, daß dieses Vertrauen des Patienten zu uns beiden vielmehr ein vortreffliches Mittel seyn werde, jene gnädigste und weiseste Absichten unseres Duchlauchtigsten Vaters um so leichter erreichen zu können, da wir beide nur allzuwohl einsahen wie sehr die Wünsche des Kranken von seinem wahren besten abwichen.

Endlich rechtfertigt uns die jezige Zufriedenheit und wahrhaftige Besserung des Patienten ganz. Freilich ging der Weeg den wir einschlugen in etwas von dem gewöhnlichen ab, wir durften es ihn am wenigsten merken laßen, daß wir auf befehl reden, nur die Künste der Freundschaft waren uns erlaubt, die mehr nachgiebt als forçirt, und jener Tolle, der sich einbildete er habe zwei Köpffe, war nicht durch ein dictatorisches Nein überwiesen, sondern man sezte ihm einen künstlichen auf, und diesen schlug man ihm ab. Das Vertrauen eines Kranken kann nur dardurch erschlichen werden, wenn man seine eigene Sprache gebraucht, und diese General-Regel war auch die Richtschnur unserer Behandlung. Widerspruch und Gewalt kann vielleicht dergleichen Kranke darniederschlagen, aber sie wird sie gewiß niemals kuriren. Aus diesem Grunde hatte die Gelindigkeit und nachgebende Methode Seiner Herzoglichen Durchlaucht einen so heilsamen Einfluß auf den Kranken, sobald ihm seine Krankheit ruhe ließ darüber zu denken; er hatte es uns nachher öfters gestanden.

So hoff ich, und kann es von euer Hochwohlgebohren edler Gesinnung mit Recht hoffen, daß Dieselbe in diesem Stük günstiger von mir urtheilen werden, und habe die Ehre in unterthänigem Respekt zu verharren

Hochwohlgebohrener Herr
Hochgebietender Herr Obrist
Dero unterthaniger Diener
Schiller Eleve.