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Schiller an Jens Baggesen, 16. Dezember 1791

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Jena den 16. Dec. [Freitag] 91.

Wie werd ich es anfangen, mein theurer und hochgeschätzter Freund, Ihnen die Empfindungen zu beschreiben, die seit dem Empfang jener Briefe in mir lebendig geworden sind? So überrascht und betäubt, als ich durch ihren Inhalt geworden bin, erwarten Sie nicht viel zusammenhängendes von mir. Mein Herz allein kann jetzt noch reden, und auch dieses wird von einem so kranken Kopf, als der meinige noch immer ist, nur schlecht unterstützt werden. Ein Herz, wie das Ihrige, kann ich für den liebevollen Antheil, den es an dem Schicksale meines Geistes nimmt, nicht schöner belohnen, als wenn ich das stolze Vergnügen, das Ihnen die edle und einzige Handlungsart Ihrer vortreflichen Freunde an sich selbst schon gewähren muß, durch die fröliche Ueberzeugung von einem vollkommen erfüllten wohlwollenden Zweck zu der süßesten Freude erhöhe.

Ja, mein theurer Freund, ich nehme das Anerbieten des Prinzen von H. und des Grafen S. mit dankbarem Herzen an – nicht, weil die schöne Art, womit es gethan wird, alle Nebenrücksichten bei mir überwindet, sondern darum, weil eine Verbindlichkeit, die über jede mögliche Rücksicht erhaben ist, es mir gebietet. Dasjenige zu leisten und zu seyn, was ich nach dem mir gefallenen Maaß von Kräften leisten und seyn kann, ist mir die höchste und unerläßlichste aller Pflichten. Aber meine bisherige äußere Lage machte mir dieß schlechterdings unmöglich, und nur eine ferne, noch unsichre, Zukunft macht mir beßre Hoffnungen. Der großmüthige Beistand Ihrer erhabenen Freunde setzt mich auf einmal in die Lage, so viel aus mir zu entwickeln als in mir liegt, mich zu dem zu machen, was aus mir werden kann – wo bliebe mir also noch eine Wahl übrig? Daß der vortrefliche Prinz, der sich von freyen Stücken entschließt, dasjenige bey mir zu verbessern, was mir das Schicksal zu wünschen übrig gelassen hat, durch die edle Art, womit er diese Sache behandelt, zugleich alle Empfindlichkeiten schont, die mir meinen Entschluß hätten schwer machen können, daß er diese wichtige Verbesserung meiner Umstände durch keinen Kampf mit mir selbst erkaufen läßt, erhöht meine Dankbarkeit unendlich, und läßt mich die Freude über das Herz ihres Urhebers vereinigt empfinden.

Eine sittlich schöne Handlung aus der Klasse derjenigen, welche diesen Brief veranlaßt, empfängt ihren Werth nicht erst von ihrem Erfolge; auch wenn sie ganz ihres Zwecks verfehlte, bleibt sie was sie war. Aber wenn diese Handlung eines großdenkenden Herzens zugleich das nothwendige Glied einer Kette von Schicksalen ist, wenn sie allein noch fehlte, um etwas Gutes möglich zu machen, wenn sie, die schöne Geburt der Freiheit, als wäre sie von der Vorsehung schon längst zu dieser Absicht berechnet worden, ein verworrenes Schicksal entscheidet, dann gehört sie zu den schönsten Erscheinungen, die sich einem fühlenden Herzen darstellen können. Wie sehr dieses hier der Fall ist, werd ich und muß ich Ihnen sagen.

Von der Wiege meines Geistes an bis jetzt da ich dieses schreibe, habe ich mit dem Schicksal gekämpft, und seitdem ich die Freiheit des Geistes zu schätzen weiß, war ich dazu verurtheilt, sie zu entbehren. Ein rascher Schritt vor 10 Jahren schnitt mir auf immer die Mittel ab, durch etwas anders als schriftstellerische Wirksamkeit zu existiren. Ich hatte mir diesen Beruf gegeben, eh ich seine Forderungen geprüft, seine Schwierigkeiten übersehen hatte. Die Nothwendigkeit ihn zu treiben, überfiel mich, ehe ich ihm durch Kenntnisse und Reife des Geistes gewachsen war. Daß ich dieses fühlte, daß ich meinem Ideale von schriftstellerischen Pflichten nicht diejenigen engen Grenzen setzte, in welche ich selbst eingeschlossen war, erkenne ich für eine Gunst des Himmels, der mir dadurch die Möglichkeit des höhern Fortschritts offen hält, aber in meinen Umständen vermehrte sie nur mein Unglück. Unreif und tief unter dem Ideale, das in mir lebendig war, sah ich jetzt alles, was ich zur Welt brachte; bey aller geahndeten möglichen Vollkommenheit mußte ich mit der unzeitigen Frucht vor die Augen des Publikums eilen, der Lehre selbst so bedürftig, mich wider meinen Willen zum Lehrer der Menschen aufwerfen. Jedes, unter so ungünstigen Umständen nur leidlich gelungene Produkt ließ mich nur desto empfindlicher fühlen, wie viele Keime das Schicksal in mir unterdrückte. Traurig machten mich die Meisterstücke anderer Schriftsteller, weil ich die Hofnung aufgab, ihrer glücklichen Muße theilhaftig zu werden, an der allein die Werke des Genius reifen. Was hätte ich nicht um zwey oder drey stille Jahre gegeben, die ich frey von schriftstellerischer Arbeit bloß allein dem Studiren, bloß der Ausbildung meiner Begriffe, der Zeitigung meiner Ideale hätte widmen können! Zugleich die strengen Forderungen der Kunst zu befriedigen, und seinem schriftstellerischen Fleiß auch nur die nothwendige Unterstützung zu verschaffen, ist in unsrer deutschen literarischen Welt, wie ich endlich weiß, unvereinbar. Zehen Jahre habe ich mich angestrengt, beides zu vereinigen, aber es nur einigermaßen möglich zu machen, kostete mir meine Gesundheit. Das Interesse an meiner Wirksamkeit, einige schöne Blüthen des Lebens, die das Schicksal mir in den Weg streute, verbargen mir diesen Verlust, bis ich zu Anfang dieses Jahres – Sie wissen wie? – aus meinem Traume geweckt wurde. Zu einer Zeit, wo das Leben anfieng, mir seinen ganzen Werth zu zeigen, wo ich nahe dabey war, zwischen Vernunft und Phantasie in mir ein zartes und ewiges Band zu knüpfen, wo ich mich zu einem neuen Unternehmen im Gebiete der Kunst gürtete, nahte sich mir der Tod. Diese Gefahr ging zwar vorüber, aber ich erwachte nur zum neuen Leben, um mit geschwächten Kräften und verminderten Hofnungen den Kampf mit dem Schicksal zu wiederhohlen. So fanden mich die Briefe, die ich aus Dänemark erhielt.

Verzeihen Sie mir, theurer Freund, diese Ausführlichkeit über mich selbst; ich will Sie dadurch nur in den Stand setzen, sich selbst den Eindruck zu denken, den der edelmüthige Antrag des Prinzen und des Grafen S. auf mich gehabt hat. Ich sehe mich dadurch auf einmal fähig gemacht, den Plan mit mir selbst zu realisiren, den sich meine Phantasie in ihren glücklichen Stunden vorgezeichnet hat. Ich erhalte endlich die so lange und so heiß gewünschte Freiheit des Geistes, die vollkommen freye Wahl meiner Wirksamkeit. Ich gewinne Muße, und durch sie werde ich meine verlohrene Gesundheit vielleicht wieder gewinnen; wenn auch nicht, so wird künftig Trübsinn des Geistes meiner Krankheit nicht mehr neue Nahrung geben. Ich sehe heiter in die Zukunft – und gesetzt es zeigte sich auch, daß meine Erwartungen von mir selbst nur liebliche Täuschungen waren, wodurch sich mein gedrückter Stolz an dem Schicksal rächte, so soll es wenigstens an meiner Beharrlichkeit nicht fehlen, die Hofnungen zu rechtfertigen, die zwey vortreffliche Bürger unsers Jahrhunderts auf mich gegründet haben. Da mein Loos mir nicht verstattet, auf ihre Art wohlthätig zu wirken, so will ich es doch auf die einzige Art wohlthätig zu wirken, so will ich es doch auf die einzige Art versuchen, die mir verliehen ist – und möchte der Keim, den sie ausstreuten, sich in mir zu einer schönen Blüte für die Menschheit entfalten!

Ich komme auf die zweyte Hälfte Ihres Wunsches – theurer vortreflicher Freund, warum kann ich diese nicht eben so schnell erfüllen als die erste? Unter der Unmöglichkeit, die Reise zu Ihnen sobald als Sie wünschen auszuführen, kann gewiß niemand mehr leiden als ich selbst. Urtheilen Sie aus dem Bedürfniß meines Herzens nach einer schönen veredelten Humanität, das hier so wenig befriedigt wird, mit welcher Ungeduld ich in den Kreis solcher Menschen eilen würde, als mich in Kopenhagen erwarten – wenn es hier nur auf meinen Entschluß ankäme. Aber außerdem, daß meine jetzige noch so ganz unentschiedene Gesundheit mich nicht einmal entfernt den Zeitpunkt bestimmen läßt, wo ich eine so wichtige Veränderung mit mir vornehmen könnte, und daß ich wahrscheinlich kommenden Sommer den Gebrauch des Karlsbads werde wiederholen müssen, so stehe ich noch mit dem Herzog von Weimar, an dessen Willen es wenigstens nicht liegt, daß ich nicht einer bessern Muße genieße, in Verhältnissen, die mir auflegen, mich wenigstens noch ein Jahr als ein thätiges Mitglied der Academie zu bezeigen, so gewiß ich auch bin, daß ich nie ein nützliches seyn kann. Alsdann wird er aber gewiß meinem Wunsch nicht entgegen seyn, die Universität auf einige Zeit zu verlassen. Bin ich erst bey Ihnen, so wird der Genius, der alles Gute in Schutz nimmt, gewiß für das weitere sorgen.

Bis dahin, theurer Freund, lassen Sie uns einander so nahe seyn, als das Schicksal den Entfernten vergönnt. Mich mit Ihnen schriftlich zu unterhalten, und meinen halberstorbenen Geist an Ihrem frischen feurigen Genius zu wärmen wird stets ein Bedürfniß meines Herzens seyn. Nie so lang ich bin, vergesse ich Ihnen den freundlichen, den wichtigen Dienst, den Sie mir, wiewohl ohne diese Absicht, bei meinem Wiedereintritt ins Leben geleistet haben. Kaum fing ich an, mich wieder in etwas zu erhohlen, so erfuhr ich den Vorgang zu Hellebeck und bald darauf zeigte mir Reinhold Ihre Briefe. Es waren frische nektarische Blumen, die ein himmlischer Genius dem kaum erstandenen vorhielt – o ich werde es Ihnen nie beschrieben, was Sie mir waren – und jenen Vorgang selbst! Er war für den Abgeschiedenen bestimmt und der Lebende wird sich nie mehr erlauben, ihn zu berühren.

Verzeihen Sie diesen langen Brief, mein vortreflicher Freund, der leider noch dazu fast nur von mir selbst handelt. Aber zu Eröfnung unserer Correspondenz mag es hingehen, damit Sie mit Einem mal mit mir bekannt werden und das ich dann auf immer abgethan sei! Verzeihen Sie auch, daß ich, ganz ohne alle Präliminarien, von allen Rechten der Freundschaft gegen Sie Besitz nehme, die ich erst durch eine Reihe von Proben verdienen lernen sollte. In einer Welt, wie diejenige ist, aus der ich jene Briefe erhielt, gelten andre Gesetze als die Vorschriften einer kleinlichen Prudenz, welche die wirkliche regieren. Ihrer theuren Sophie sagen Sie von meiner Lotte und mir alles herzliche, und daß sie sich bereit halten möge, eine Correspondentin gütig anzuhören, die sich ihr nächstens darstellen wird. Wie zwey glänzende Erscheinungen schwebten Sie beyde, schnell doch unvergeßlich an uns vorüber. Die Gestalten sind lang verschwunden, aber noch immer folgt ihnen der Blick.

Ewig der Ihrige

Schiller.