HomeBriefeBriefwechsel mit Wilhelm v. HumboldtSchiller an Wilhelm v. Humboldt, 1. Februar 1796

Schiller an Wilhelm v. Humboldt, 1. Februar 1796

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Jena den 1. Febr. [Montag] 96.

Ich bin, was den Innhalt unserer Briefe betrifft, in einem so großen Rückstand gegen Sie, mein lieber Freund, daß ich über die Zahlung ordentlich erschrecke. Alle meine Verlegenheit wäre gehoben, wenn ich diese Zahlung nur mündlich leisten könnte, aber es geht mir mit der Feder oft sonderbar. Bin ich einmal im Gange, wie ich es in diesem Sommer und Herbst war, so kann ich unter lastenden Geschäften große Briefe schreiben, ohne an den Mechanismus zu denken. Bin ich aber, so wie jetzt, aus diesem Mechanismus heraus, so erschrickt der Gedanke vor dem weiten Weg, den er hat, um zu dem andern zu gelangen.

O schlimm, daß der Gedanke
Erst in der Sprache todte Elemente
Zerfallen muß, die Seele zum Gerippe
Absterben muß, der Seele zu erscheinen;
Den treuen Spiegel gieb mir Freund, der ganz
Mein Herz empfängt und Ganz es wiederscheint.

Diese in meinem Don Carlos einst befindliche, aber reducierte Stelle drückt einigermaßen aus, was ich jetzt in gewissen Momenten fühle, wenn ich Ihnen, oder auch Körnern schreiben will. Der zufällige Umstand, daß ich noch immer in keiner bestimmten Arbeit begriffen bin, sondern spielend von Bild zu Bild und von einem epigrammatischen Gedanken zu einem andern überspringe, trägt vollends dazu bey, mir für jetzt alle Suite und Beharrlichkeit zu nehmen.

Nach dem, was Sie mir in Ansehung des Realistischen und idealistischen Characters schreiben, wird meine Abhandlung Sie weniger überraschen, aber auch desto gewisser befriedigen. Ich zweifle keinen Augenblick, daß wir über dieses Symbolum in allen seinen Zweigen einig seyn werden. Aber ich läugne nicht, daß ich bey diesem letzten Aufsatz den Wunsch und die Absicht nicht ganz unterdrücken konnte, auch auf andere zu wirken und gewißen Leuten (ich will Ihnen hier nur Gros nennen) zu zeigen, daß ich mich, wenn es darauf ankommt, auch aus meiner eignen Species heraus in einen höhern Standpunkt versetzen kann. Es lag mir daran, diesen Leuten zu zeigen, daß, wenn ihre Art mir auch untersagt, sie doch nicht fremd für mich ist, und daß ich einen nothwendigen und unwillkührlichen Effect meiner Natur durch die Reflexion die ich darüber angestellt, gewißermaßen in meine Wahl verwandelt habe. Und zwar ist dieses ein Vortheil, den nur der Idealist hat, denn der Realist kann gegen den Idealisten schlechterdings niemals gerecht seyn, denn er kann ihn niemals begreifen.

Daß Sie Sich in Beurtheilung des CharakterWerthes so ernstlich und nachdrücklich gegen das einförmige allgemeine erklären und für die Individualität und das charakteristische streiten, erfreut mich ungemein. Auch halten Sie diese Idee, in jeder Anwendung so fest, daß man überzeugt wird, wie sehr Sie sich derselben bemächtiget haben. Sie ist von einer unabsehlichen Consequenz für alles moralische und aesthetische, und, um nur eine einzige Anwendung davon zu berühren, so läßt sich das Ideal einer (sentimentalischen) Idylle ohne eine Voraussetzung derselben gar nicht fassen. Denn hier gerade ist der Fall, wo die Discrepanz der Charaktere ihrer innern Unendlichkeit keinen Eintrag thun darf; und wo Götter (in Plural) neben einander stehen müssen, da es nach der entgegengesetzten Meinung nur eine Gottheit, aber keine Götter giebt. Sie sollten Ihrer Idee in einer ausführlicheren Charakteristik der Griechischen Götter Ideale, wozu Sie in Ihren Aufsätzen schon den Anfang gemacht, weiter nachgehen. Ich glaube, daß das aesthetische Ideal sich eben darinn von dem moralischen Ideal unterscheidet, daß jenes in einer Mannichfaltigkeit von Exemplarien, dieses hingegen nur in einem einzigen kann realisiert werden. Daß ich das aesthetische Ideal hier in einem weiteren Umfang nehme, versteht sich.

Körner schreibt mir heute, daß er ganz bestimmt entschlossen sey, mich auf den May zu besuchen. Vielleicht trift es sich, daß Sie zu der Zeit auch hier seyn können, weil Sie doch vor Ihrer eigentlichen Ankunft einen Besuch hier ablegen wollen. 8 Tage bleibt Körner gewiß. Ich soll ihm ein Logis ausfindig machen; da er aber mit zwey Kindern kommt, so wage ich es nicht, Sie um Abtretung Ihres Logis für ihn zu bitten. Sollten Sie indeß nichts dagegen haben, so würde es mir lieb seyn, es ihm verschaffen zu können. Es versteht sich, daß Sie hierinn der Freundschaft für ihn oder mich durchaus kein Opfer bringen dürfen; denn ein Logis findet sich ja doch auf jeden Fall.

Ich habe jetzt das erste Stück von dem Journal Deutschland gelesen, und nicht ohne Unwillen über den falschen Charakter Reichardts, der mich und auch Göthen, der ihn als Freund behandelt, sans rime und sans raison beleidigt; daß es übrigens von einer unendlichen Dummheit ist, werden Sie ohne mich gesehen haben. Reichardten aber wird es nicht zum beßten gehen, denn sowohl von Göthe als von mir ist ihm Unheil bereitet. Da ich gestern von Hufeland hier gehört, daß Reichardt der Herausgeber sey, so bin ich der Menagements entledigt, die ich Ihrentwegen für ihn gehabt haben würde.

Die Xenien, von denen ich Ihnen einmal schrieb, haben sich nunmehr zu einem wirklich interessanten Produkt, das in seiner Art einzig werden dürfte, erweitert. Göthe und ich werden uns darinn absichtlich so ineinander verschränken, daß uns niemand ganz auseinander scheiden und absondern soll. Bey einem solchen gemeinschaftlichen Werk ist natürlicher Weise keine strenge Form möglich; alles, was sich erreichen läßt, ist eine gewiße Allheit, oder lieber Unermeßlichkeit, und diese soll das Werk auch an sich tragen. Eine angenehme und zum Theil genialische Impudenz und Gottlosigkeit, eine nichts verschonende Satyre, in welcher jedoch ein lebhaftes Streben nach einem festen Punkt zu erkennen seyn wird, wird der Character davon seyn. Unter 600 Monodistichen thun wir es nicht, aber wo möglich steigen wir auf die runde Zahl 1000. Von der Möglichkeit werden Sie Sich überzeugen, wenn ich Ihnen sage, daß wir jetzt schon in dem dritten Hundert sind, obgleich die Idee nicht viel über einen Monat alt ist. Bey aller ungeheueren Verschiedenheit zwischen G. und mir wird es selbst Ihnen öfters schwer und manchmal gewiß unmöglich seyn, unsern Antheil an dem Werke zu sortieren. Denn da das Ganze einen laxen Plan hat, das Einzelne aber ein Minimum ist, so ist zu wenig Fläche gegeben, um das verschiedene Spiel der beyden Naturen zu zeigen. Es ist auch zwischen G. und mir förmlich beschloßen, unsere Eigenthumsrechte an den einzelnen Epigrammen niemals auseinander zu setzen, sondern es in Ewigkeit auf sich beruhen zu laßen, welches uns auch, wegen der Freyheit der Satyre, zuträglich ist. Sammeln wir unsere Gedichte, so läßt jeder die Xenien ganz abdrucken. Daß ich für eine große Correctheit auch in der Prosodie sorgen werde, verspreche ich Ihnen sowohl in meiner als Göthens Portion. – Uebrigens bitte ich Sie, von dieser Eröfnung vor der Hand auch Göthen selbst nichts zu sagen.

Der guten Li Kränklichkeit thut uns beyden sehr leid. Nach dem was Sie mir schrieben hätte ich einige wichtige Gründe, die Chinarinde vorzuschlagen. Auch käme darauf an, ob nicht für eine Zeitlang eine Suppuration durch Blasenpflaster oder Seidenbast zu unterhalten wäre?

Adieu lieber Freund. Li grüßen Sie herzlich von uns beyden. In 8 Tagen bekommen Sie die Horen gewiß. Ihr

Sch.