HomeBriefeBriefwechsel mit Wilhelm v. HumboldtSchiller an Wilhelm v. Humboldt, 9. November 1795

Schiller an Wilhelm v. Humboldt, 9. November 1795

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Den 9. Nov. [Montag] 95.

Ich kam vorigen Posttag nicht dazu, Ihnen liebster Freund zu schreiben und das InnhaltsVerzeichniß des Almanachs zurück zu senden. Mit dem letztern würde es heute doch zu spät seyn, auch habe ich nichts dabey zu erinnern, als daß, sowohl hier als vorn im Text Elwieens Schwanenlied anstatt Elwinens etc. steht. Die Sache selbst ist aber zu unbedeutend, als daß dieser Schreibfehler auffallen könnte.

Göthe ist seit dem 5ten hier und bleibt diese Tage noch hier, um meinen Geburtstag mit zu begehen. Wir sitzen von Abend um 5 Uhr biß Nachts 12 auch 1 Uhr beysammen und schwatzen. Ueber Baukunst die er jetzt als Vorbereitung auf seine italienische Reise treibt hat er manches Interessante gesagt, was ich mir habe zueignen können. Sie kennen seine solide Manier, immer von dem Objekt das Gesetz zu empfangen und aus der Natur der Sache heraus ihre Regeln abzuleiten. So versucht er es auch hier, und aus den drey ursprünglichen Begriffen, der Base, der Säule (Wand, Mauer und dg.) und dem Dach, nimmt er alle Bestimmungen her, die hier vorkommen. Die Absurditäten in der Baukunst sind ihm nichts als Widersprüche mit diesen ursprünglichen Bestimmungen der Theile. Von der schönen Architektur nimmt er an, daß sie nur Idee sey, mit der jedes einzelne Architecturwerk mehr oder weniger streite. Der schöne Architect arbeitet, wie der Dichter, für den Ideal-Menschen, der in keinem bestimmten, folglich auch keinem bedürftigen Zustand sich befindet, also sind alle architectonischen Werke nur Annäherung zu diesem Zweck, und in der Wirklichkeit läßt sich höchstens nur bey öffentlichen Gebäuden etwas ähnliches erreichen, weil hier auch jede einschränkende Determination wegfällt und von den besondern Bedürfnissen der Einzelnen abstrahiert wird. Sie können wohl denken, daß ich ihn bey dieser Idee, die so sehr mit unseren aesthetischen Begriffen zusammen stimmt, fest gehalten und weiter damit zu kommen gesucht habe. Ich glaube, man kann den Zweck der Baukunst, als schöner Kunst, objektiv ganz füglich so angeben, daß sie in jedem besondern Gebäude den Gattungsbegriff des Gebäudes überhaupt gegen den Artbegriff zu behaupten sucht, wodurch sie dann subjektiv den Menschen aus einem beschränkten Zustand zu einem unbeschränkten (der doch wieder durchaus auf Gesetze gegründet ist) führt und ihn folglich ästhetisch rührt.

Göthe verlangt von einem schönen Gebäude, daß es nicht bloß auf das Auge berechnet sey, sondern auch einem Menschen, der mit verbundenen Augen hindurch geführt würde, noch empfindbar seyn und ihm gefallen müsse.

Daß von seiner Optik und seinen Naturhistorischen Sachen auch viel die Rede sey, können Sie leicht denken. Da er die letztere gerne vor seiner Italienischen Reise (die er im August 96 anzutreten wünscht) von der Hand schlagen möchte, so habe ich ihm gerathen, sie in einzelnen Aufsätzen, in seiner darstellenden Manier zu d Horen zu geben. Ohnehin ist sonst nicht viel von ihm für das folgende Jahr zu hoffen.

Wir haben dieser Tage auch viel über Griechische Litteratur und Kunst gesprochen und ich mich bey dieser Gelegenheit ernstlich zu etwas entschlossen, was mir längst schon im Sinne lag, nehmlich das Griechische zu treiben. Da Sie selbst so sehr damit vertraut sind u: auch mein Individuum kennen, so kann mir niemand so gut rathen, als Sie mein lieber. Auf das was ich allenfalls noch von dieser Sprache weiß, dürften Sie wenig Rücksicht nehmen; dieß besteht mehr in Kenntniß von Wörtern, als von Regeln, die ich ziemlich alle vergeßen habe. Ich wünschte vorzüglich, außer einer guten Grammatik und einem solchen Wörterbuch eine Schrift an der Hand zu haben, worinn auf die Methode bey diesem Studium und auf das Eigenthümliche bey dieser Sprache hingewiesen wird. In Absicht auf die zu lesenden Autoren würde ich den Homer gleich vornehmen und damit etwa den Xenophon verbinden. Langsam freilich wird diese Arbeit gehen, da ich nur wenige Zeit darauf verwenden kann, aber ich will sie so wenig als möglich unterbrechen, und dabey ausharren. Neben meinem Schauspiel ist sie mir leichter möglich, und sie hilft mir zugleich das Moderne vergessen. An dieses (das Schauspiel) habe ich freilich noch nicht kommen können, da mich der Aufsatz über das Naive und nun der Pendant zu demselben über die Sentimentalischen Dichter seitdem beschäftigte. Auch gehe ich nicht eher daran, biß erstlich noch einige kleine Aufsätze von mir wenigstens skitziert sind, um nöthigenfalls etwas für die Horen vorräthig zu haben, und biß ich zweytens auf Succurs für sechs Monate wahrscheinliche Hofnung habe. 42 Bogen auszufüllen, ist keine Kleinigkeit und unter allen Mitarbeitern ist jetzt fast der einzige Schlegel, von dem in Rücksicht auf Gehalt und Masse etwas Beträchtliches zu erwarten ist. Neben ihm sind Knebels Properzische Elegien und Herders etwanige Beyträge Ressourcen für mich; aber diese 3, wenn sie auch alle einschlagen, fournieren doch nur etwa die Hälfte dessen, was erfordert wird. Goethe, Körner, Sie, ich selbst, Engel etc. etc. sind theils problematisch, theils wenn sie auch etwas liefern, noch lange nicht zureichend. Zuwachs an philosophischen und (theoretisch) aesthetischen Aufsätzen hilft mir nichts, da dieses Fach schon mehr als billig besetzt ist.

Ueber den Eindruck des X Stücks habe ich der Zeit noch nichts Erbauliches gehört. Schütz, den ich vorgestern wieder sprach, erwähnt des Engelischen Aufsatzes mit Lob, aber des übrigen wurde gar nicht erwähnt. Es scheint, auch die Elegie ist diesen Herren zu hoch, da sie doch auch nicht zu platt für sie seyn kann. Woltmann habe ich seitdem nicht gesprochen, und Schreyvogel sehe ich schon lange nicht mehr.

Hier ein Brief von Körner, der Ihnen Fichtens wegen, ans Herz greifen wird. Von diesem höre ich nichts, da ich kaum Jemand sehe, der mit ihm umgeht. Doch ruhen jetzt die Studentischen Händel, und er scheint sich auf sein rechtmäßiges Geschäft einzuschränken. Ilgen hat mich seit einiger Zeit wieder etlichemal heimgesucht und mir vorgejammert, daß sich nur 6 Zuhörer zu seinem Homer gemeldet. Er hat mir mit einem Aufsatz über den Homer und die Rapsoden für die Horen gedroht. Ich wünschte seinetwegen, daß man ihn brauchen könnte und habe ihn deßhalb nicht geradezu abgewiesen.

Ihren Brief an Hellfeld habe ich noch nicht abgegeben. Göthe will sich erst noch besinnen, denn er hat einen neuen Bedienten, der ihn noch nicht recht zu besorgen weiß, und trennt sich deßwegen nicht gern von dem Schloß, wo ihn Trapizius, der SchloßVoigt, bedient. Die Ilgen die er neulich sah, gefiel ihm sehr wohl, wie es schien, und ich merkte wohl, daß er nachher mehr Lust zu Ihrem Logis hatte. Wie er aber hörte, daß sie in Ihren Namen und ihre Tugend verliebt sey, so wurde von d Logis nicht mehr gesprochen.

Meyer hat unterdessen Einmal von München aus geschrieben. In Nürnberg fand er viele interessante Dokumente für deutsche Kunst, und er will sich bey seiner Rückkehr länger dort verweilen. In München will er zwar einzelne gute Stücke, besonders von Julio Romano, aber erstaunlich viel Geschmacklosigkeit bey d Leuten gefunden haben.

Es geht die Rede der Churfürst von Mainz leide sehr am Schwindel. Sie haben wahrscheinlich schon gehört, daß die Emigrierten größtentheils Erfurt haben räumen müssen und vom Herzog v. Weimar in die Landstädtchen zum Theil sind aufgenommen worden, worüber man sehr böse ist.

Adieu, lieber Freund. Göthe grüßt freundlich. Der Li sagen Sie unsern herzlichen Gruß. Ihr

Sch.