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Charakterisierung Präsident von Walter aus Schillers »Kabale und Liebe«

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Der Präsident von Walter hat in seiner Jugend studiert, aber der Wahrscheinlichkeit nach Staatswissenschaften und etwas Rechtskunde. Seine Studien hat er aber nur widerstrebend ausgeführt. Eine ideale Ausbeute hat er von der Hochschule jedenfalls nicht mitgebracht. Was ihn an seiner Bildung fehlte, der äußere Schliff und die feine Politur, das hat er sich in Paris erworben. Wir merken es an seiner Ausdrucksweise. So ist der in den Fünfzigern stehende Staatsminister ein vollendeter Hofmann geworden. Stolz auf seinen Adel, blickt er mit Verachtung auf den Bürgerstand. Dieser Charakterzug bildet zugleich die Grundlage für seine Politik.

Als die rechte Hand seines Fürsten, erscheint er auch als der Repräsentant der fürstlichen Macht und des Adels seines Zeitalters. Wie er zu dieser Höhe emporgestiegen ist, darüber ist ein Schleier ausgebreitet. Aber wir erfahren, dass er seinen Vorgänger aus dem Wege geräumt hat und dadurch mit dem Himmel und seinem Gewissen in Konflikt geraten ist. Jetzt muss er „um den Thron herumkriechen“.

Dem Volk gegenüber ist er ein Tyrann, denn, wenn er „auftritt, zittert ein Herzogtum“. Gleichzeitig wird durch ihn das Treiben in dem herzoglichen Kabinett repräsentiert. Der Präsident ist entzückt, dass Wurm „einen so herrlichen Anlass zum Schelmen hat“. Missbrauch der in seine Hände gelegten Gewalt, das ist seine Regierungskunst. Dafür aber hat er auch seine innere Ruhe eingebüßt. Ein solcher Zustand ist schwer zu ertragen, wenn man nicht gewohnt ist, die edelsten Dinge mit Leichtfertigkeit zu behandeln. Seine innere Unruhe versucht er mit den frivolsten Ausdrücken hinweg zu scherzen.

Sein Gewissen ist längst verstummt. Er hat kaum eine Ahnung davon, dass es Leute gibt, für welche ein Eid noch eine bindende Kraft hat. Unsäglich, wie er selbst ist, dient er auch der Unsittlichkeit seines fürstlichen Gebieters und spricht es offen aus, dass er sein ganzes Ansehen auf den Einfluss der Mätresse – Lady Milford – desselben stützt. Vermutlich hat er in seiner Jugend ein wildes Leben geführt, was ihn noch in reiferem Alter kitzelt, denn er weiß nicht nur genau Bescheid, wie die Reihen in seinem Stande geschlossen werden, er ist auch erfreut, dass sein Sohn „der Bürgercanaille den Hof macht“.

In solchem Punkt flößt ihm der Standesunterschied kein Bedenken ein. Aber dass es Ferdinand mit seiner Liebe ernst meint, das empört ihn. Was sollte jetzt aus seinem Stammbaum werden? Mag sein Sohn Ferdinand leben, wo und wie viel er will. Die Sitte seines Sohnes ist ihm egal, wenn er sich in ihm nur einen Mann von Einfluss erhält. Sich diesen Einfluss am Hof zu erhalten, nur darum soll Ferdinand Lady Milford heiraten. Wenn der Stammbaum gesichert ist, macht ihm alles weitere keine Sorge mehr. So ist der Präsident von Walter ein durch und durch verächtlicher Charakter, dessen unumschränkte Macht uns von vornherein Furcht einflößt.