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Charakterisierung Karl Moor aus Schillers „Die Räuber“

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Den ältesten Sohn von Graf Maximilian Moor, den Erben der väterlichen Herrschaft, hat Schiller Karl genannt. Dies ist auch der Name des Helden in Schubart‘s Erzählung, die Schiller als Quelle diente. Den Namen Moor hat Schiller einem Zögling der Karlsschule entlehnt.

Karl Moor war schon in der Jugend der Liebling des Hauses. Dies nicht nur bei seinem Vater, sondern auch (IV, 3) von der Dienerschaft wurde Karl gehätschelt und wuchs zu einem begabten Jüngling heran. Er versprach ein Held zu werden, der seinen Ahnen stolz machen würde. So ging er zur Vollendung seiner Ausbildung nach Leipzig. Er ist eine stattliche Erscheinung, nicht nur mit hervorragenden Geistesgaben bestückt, sondern auch mit Vermögen ist er ausgerüstet. Er kommt in das damalige Zentrum deutscher Bildung, das Goethe „ein klein Paris“ nannte. Aber ohne Erfahrung, ohne Erziehung, ohne Aufsicht lässt er sich von den verlockenden Reizen des Lebens verführen. Von dem Gedanken beseelt, dass nur „die Freiheit Kolosse und Extremitäten ausbilde“, stürzt er sich in den Strudel der Vergnügungen. Da ihm nirgends ein Ideal geboten wird, an dem er sich messen und begeistern könnte, erschöpft er seine Kraft in dreisten Studentenstreichen.

Bald aber gibt ihm dieses Treiben keine Befriedigung mehr. Mit lebhaftem Sinn für die Schönheiten der Natur begabt, möchte er sich selbst in Harmonie mit der Schöpfung fühlen. Das aber will ihm nicht gelingen, denn er kann die Rätsel des Lebens nicht lösen. So wird er von der allgemeinen „Krankheit“ der Jugend, vom Weltschmerz ergriffen. Statt der Helden des Altertums und der Ideale seiner Jugendjahre, sieht er sich nun rings von Menschen umgeben, deren niederer Gesinnung ihn anekelt. Statt der Gelegenheit zu tatkräftigem Handeln sieht er sich überall gedrückt und beengt. Die Torheiten, die Karl in Leipzig begangen hat, haben nicht nur seine Mittel erschöpft, sondern auch seine sittliche Kraft gelähmt.

Nunmehr erwacht sein besseres Selbst, Karl wendet sich reuevoll an seinen Vater. Er wird den verlorenen Sohn nicht zu Grunde gehen lassen, weiß er. Doch was er hofft, trifft nicht ein. Durch die Intrige seines Bruders Franz verstößt ihn der Vater. Karl trifft das in Mark und Bein. Die väterliche Tür bleibt ihm verschlossen. Sein Hass erwacht: Doch nicht allein gegen seinen Vater, sondern gegen die Menschheit überhaupt.

Bisher war Karl nur der Repräsentant eines auf Abwegen befindlichen jungen Mannes. Nun wird er der Repräsentant des um seine Rechte betrogenen Volkes. Die ihn von sich gestoßen haben, will er jetzt zerschmettern. Darum beschließt er Räuber und Mörder zu werden. Aber er wird noch mehr.

Seine Gefährten haben ebenso wie Franz (IV, 2) bemerkt, dass etwas Großes in seinen Zügen liegt. Kosinsky (III, 2) vergleicht ihn mit Scipio, „den Mann mit dem vernichtenden Blick“. Karl Moor erwählen die Räuber daher zu ihrem Hauptmann. Jetzt wird seinen Tatendurst Befriedigung finden. Wie Schiller in seiner Selbstreflexion der Räuber sagt, ist er wie „ein Geist, den das Verbrechen nur reizt der Größe wegen, die ihm anhängt, um der Kraft willen, die es erheischt, um der Gefahrenquellen, die es begleiten.“ So ist er im Augenblick ein ganzer Mann, ein Führer mit Scharfblick. Doch wie treibt er sein Handwerk?

Dies erfahren wir (II, 3) von Razmann: Er nimmt leichtfertigen Schurken das Geld ab, um es auf würdige Weise zu verwenden, um arme Waisen erziehen und unbemittelten, aber hoffnungsvolle Jünglinge studieren zu lassen. Karl Moor schafft die Beamtenseelen aus der Welt, die ihre Stellung missbrauchen. Er will die Menschheit von ihren Peinigern befreien. Das Rauben und Plündern überlässt er den Mitgliedern seiner Bande, die keine höheren Absichten verfolgen. Karl hält sie in strenger Zucht und Ordnung. Seine Absicht ist keine andere, als „das Racheschwert obersten Tribunals zu regieren.“

Aber bald bemerkt er zu seinem Schmerz, dass nur wenige seiner Genossen im Stande sind, seine eigentlichen Absichten zu begreifen. Es werden unter seiner Führung Unmenschlichkeit und Gräueltaten verübt, die „seine schönsten Werke vergiften.“ Nun ist er auch des Räuberlebens satt und möchte seiner Bande entkommen. Obwohl mit sich selbst und mit der Welt zerfallen, ist doch ein Rest aus jenen besseren Tagen ihm geblieben. Er sehnt sich zurück nach der Unschuld seiner Kinderjahre. Bei der Erinnerung an seine Amalia hofft er, das Glück der Liebe hat ihn noch nicht verlassen.

So beschließt Karl, was er früher nur halb tat, jetzt ganz zu tun: Er kehrt in sein Vaterhaus zurück. Aber den Vater selbst findet der verlorene Sohn nicht wieder. Nur von einem alten Diener wird er erkannt. Da er sich nicht berechtigt fühlt, an seinem Bruder Franz Rache zu nehmen, und ebenso wenig es wagt, sich seiner Amalia zu erkennen zu geben, kehrt er zu seinen Räubern zurück. Hier wird er aufs Neue von Gewissensbissen heimgesucht. Das Verlangen nach Glückseligkeit kann er in seinem Inneren nicht zerstören. So bleibt dem Unglücklichen nichts weiter übrig, als sich selbst zu vernichten.

Jetzt treten die Schauer der Ewigkeit vor seine Seele. Darf er es wagen, sich selbst zu töten? Nein, sein Stolz verbietet ihm den Selbstmord. Er beschließt zu leben und das Schicksal zu tragen, das er sich selbst bereitet hat. Mit seinen Räubern schließt er einen unauflöslichen Bund. Und Karl Moor hat noch eine Mission zu erfüllen: Seinen misshandelten und verschleppten Vater will er aus dem Gefängnis befreien und ihn rächen. Das ist die Tat, womit er seine Werke krönt.

Da er seinem Vater aber weder den Sohn, noch seiner Amalia den Bräutigam wiedergeben kann, und Karl ebenso wenig der Bande noch ein Führer zu sein vermag, kehrt er nun in die Schranken der gesetzlichen Ordnung zurück, der er sich selbst zum Opfer anbietet. Es ist dies ein Ausgang, mit dem Schiller auch gleich sein Urteil über das Stück ausgesprochen hat.