Paulet.
Es ist ein Schreiben,
Das dir die Königin von Schottland sendet.
Burleigh (hastig darnach greifend).
Gebt mir den Brief.
Paulet (gibt das Papier der Königin).
Verzeiht, Lord Großschatzmeister!
In meiner Königin selbsteigne Hand
Befahl sie mir den Brief zu übergeben.
Sie sagt mir stets, ich sei ihr Feind. Ich bin
Nur ihres Lasters Feind; was sich verträgt
Mit meiner Pflicht, mag ich gern erweisen.
(Die Königin hat den Brief genommen. Während sie ihn liest, sprechen Mortimer und Leicester einige Worte heimlich miteinander.)
Burleigh (Zu Paulet).
Was kann der Brief enthalten? Eitle Klagen,
Mit denen man das mitleidsvolle Herz
Der Königin verschonen soll.
Paulet.
Was er
Enthält, hat sie mir nicht verhehlt. Sie bittet
Um die Vergünstigung, das Angesicht
Der Königin zu sehen.
Burleigh (schnell).
Nimmermehr!
Talbot.
Warum nicht? Sie erfleht nichts Ungerechtes.
Burleigh.
Die Gunst des königlichen Angesichts
Hat sie verwirkt, die Mordanstifterin,
Die nach dem Blut der Königin gedürstet.
Wer’s treu mit seiner Fürstin meint, der kann
Den falsch verräterischen Rat nicht geben.
Talbot.
Wenn die Monarchin sie beglücken will,
Wollt Ihr der Gnade sanfte Regung hindern?
Burleigh.
Sie ist verurteilt! Unterm Beile liegt
Ihr Haupt. Unwürdig ist’s der Majestät,
Das Haupt zu sehen, das dem Tod geweiht ist.
Das Urteil kann nicht mehr vollzogen werden,
Wenn sich die Königin ihr genahet hat,
Denn Gnade bringt die königliche Nähe –
Elisabeth (nachdem sie den Brief gelesen, ihre Tränen trocknend).
Was ist der Mensch! Was ist das Glück der Erde!
Wie weit ist diese Königin gebracht,
Die mit so stolzen Hoffnungen begann,
Die auf den ältsten Thron der Christenheit
Berufen worden, die in ihrem Sinn
Drei Kronen schon aufs Haupt zu setzen meinte!
Welch andre Sprache führt sie jetzt als damals,
Da sie das Wappen Englands angenommen
Und von den Schmeichlern ihres Hofs sich Königin
Der zwei britann’schen Inseln nennen ließ!
– Verzeiht, Mylords, es schneidet mir ins Herz,
Wehmut ergreift mich, und die Seele blutet,
Daß Irdisches nicht fester steht, das Schicksal
Der Menschheit, das entsetzliche, so nahe
An meinem eignen Haupt vorüberzieht.
Talbot.
O Königin! Dein Herz hat Gott gerührt,
Gehorche dieser himmlischen Bewegung!
Schwer büßte sie fürwahr die schwere Schuld,
Und Zeit ist’s, daß die harte Prüfung ende!
Reich ihr die Hand, der Tiefgefallenen;
Wie eines Engels Lichterscheinung steige
In ihres Kerkers Gräbernacht hinab –
Burleigh.
Sei standhaft, große Königin. Laßt nicht
Ein lobenswürdig menschliches Gefühl
Dich irreführen. Raube dir nicht selbst
Die Freiheit, das Notwendige zu tun.
Du kannst sie nicht begnadigen, nicht retten,
So lade nicht auf dich verhaßten Tadel,
Daß du mit grausam höhnendem Triump
Am Anblick deines Opfers dich geweidet.
Leicester.
Laßt uns in unsern Schranken bleiben, Lords.
Die Königin ist weise, sie bedarf
Nicht unsers Rats, das Würdigste zu wählen.
Die Unterredung beider Königinnen
Hat nichts gemein mit des Gerichtes Gang.
Englands Gesetz, nicht der Monarchin Wille
Verurteilt die Maria. Würdig ist’s
Der großen Seele der Elisabeth,
Daß sie des Herzens schönem Triebe folge,
Wenn das Gesetz den strengen Lauf behält.
Elisabeth.
Geht, meine Lords. Wir werden Mittel finden,
Was Gnade fordert, was Notwendigkeit
Uns auferlegt, geziemend zu vereinen.
Jetzt – tretet ab!
(Die Lords gehen. An der Türe ruft sie den Mortimer zurück.)
Sir Mortimer! Ein Wort!