HomeText: Maria Stuart5. AktMaria Stuart – 5. Aufzug, 1. Auftritt

Maria Stuart – 5. Aufzug, 1. Auftritt

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Kennedy.
Das war sie nicht. Ganz andre Schrecken waren’s,
Die meine Lady ängstigten. Nicht vor dem Tod,
Vor dem Befreier zitterte Maria.
– Freiheit war uns verheißen. Diese Nacht
Versprach uns Mortimer von hier wegzuführen,
Und zwischen Furcht und Hoffnung, zweifelhaft,
Ob sie dem kecken Jüngling ihre Ehre
Und fürstliche Person vertrauen dürfe,
Erwartete die Königin den Morgen.
– Da wird ein Auflauf in dem Schloß, ein Pochen
Schreckt unser Ohr und vieler Hämmer Schlag:
Wir glauben, die Befreier zu vernehmen,
Die Hoffnung winkt, der süße Trieb des Lebens
Wacht unwillkürlich, allgewaltig auf –
Da öffnet sich die Tür – Sir Paulet ist’s,
Der uns verkündigt – daß – die Zimmerer
Zu unsern Füßen das Gerüst aufschlagen!
(Sie wendet sich ab, von heftigem Schmerz ergriffen.)

Melvil.
Gerechter Gott! O sagt mir! Wie ertrug
Maria diesen fürchterlichen Wechsel?

Kennedy. (nach einer Pause, worin sie sich wieder etwas gefaßt hat.)
Man löst sich nicht allmählich von dem Leben!
Mit einem Mal, schnell, augenblicklich muß
Der Tausch geschehen zwischen Zeitlichem
Und Ewigem, und Gott gewährte meiner Lady
In diesem Augenblick, der Erde Hoffnung
Zurückzustoßen mit entschloßner Seele
Und glaubenvoll den Himmel zu ergreifen.
Kein Merkmal bleicher Furcht, kein Wort der Klage
Entehrte meine Königin – Dann erst,
Als sie Lord Leicesters schändlichen Verrat
Vernahm, das unglückselige Geschick
Des werten Jünglings, der sich ihr geopfert,
Des alten Ritters tiefen Jammer sah,
Dem seine letzte Hoffnung starb durch sie –
Da flossen ihre Tränen: nicht das eigne Schicksal,
Der fremde Jammer preßte sei ihr ab.

Melvil.
Wo ist sie jetzt? Könnt Ihr mich zu ihr bringen?

Kennedy.
Den Rest der Nacht durchwachte sie mit Beten,
Nahm von den teuern Freunden schriftlich Abschied
Und schrieb ihr Testament mit eigner Hand.
Jetzt pflegt sie einen Augenblick der Ruh‘,
Der letzte Schlaf erquickt sie.

Melvil.
Wer ist bei ihr?

Kennedy.
Ihr Leibarzt Burgoyn und ihre Frauen.

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