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Schiller an Caroline von Beulwitz, 10. Dezember 1788

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Weimar d. 10. Dec. [Mittwoch] 1788.

(an Caroline)

Was Sie von der Geschichte sagen ist gewiß ganz richtig, und der Vorzug der Wahrheit, den die Geschichte vor dem Roman voraushat, könnte sie schon allein über ihn erheben. Es fragt sich nur ob die innere Wahrheit, die ich die philosophische und Kunstwahrheit nennen will, und welche in ihrer ganzen Fülle im Roman oder in einer andern poëtischen Darstellung herrschen muß, nicht eben soviel Werth hat als die historische.

Dass ein Mensch in solchen Lagen so empfindet, handelt, und sich ausdrückt ist ein großes wichtiges Factum für den Menschen; und das muß der Dramatische oder Romandichter leisten. Die innre Uebereinstimmung, die Wahrheit wird gefühlt und eingestanden, ohne dass die Begebenheit wirklich vorgefallen seyn muß. Der Nutzen ist unverkennbar. Man lernt auf diesem Weg den Menschen und nicht den Menschen kennen, die Gattung und nicht das sich so leicht verlierende Individuum. In diesem großen Felde ist der Dichter Herr und Meister. Aber gerade der Geschichtschreiber ist oft in den Fall gesetzt diese wichtigere Art von Wahrheit seiner historischen Richtigkeit nachzusetzen, oder mit einer gewissen Unbehilflichkeit anzupassen, welches noch schlimmer ist. Ihm fehlt die Freiheit, mit der sich der Künstler mit schöner Leichtigkeit und Grazie bewegt. Und am Ende hat er weder die Eine noch die Andre befriedigt.

Was Körner aus seinen Vordersätzen auf meinen Beruf zur Geschichte anwendet mag immer richtig seyn. Ich werde immer eine schlechte Quelle für einen künftigen Geschichtsforscher seyn, der das Unglück hat, sich an mich zu wenden. Aber ich werde vielleicht auf Unkosten der historischen Wahrheit Leser und Hörer finden und hie und da mit jener ersten philosophischen zusammentreffen. Die Geschichte ist überhaupt nur ein Magazin für meine Phantasie, und die Gegenstände müssen sich gefallen lassen, was sie unter meinen Händen werden.

Diese Woche hat mich Moriz besucht, und mir eine sehr angenehme Unterhaltung verschafft, weil wir auf meine Lieblingsideen gerathen sind. Von Göthen ist er nun ganz durchdrungen und enthousiasmirt. Dieser hat ihm auch seinen Geist mächtig aufgedrückt, wie er überhaupt allen zu thun pflegt, die ihm nahe kommen. Aber ich finde, dass er auf Moriz gut gewirkt hat. Moriz hat viel Tiefe des Geists und Tiefe der Empfindung, er arbeitet stark in sich, wie schon sein Reiser beweist, der einen Menschen voraussetzt, der sich gut zu ergründen weiß. Seine Ideen bringt er zu einer anschaulichen Klarheit. Was ihn interessirt ist ernsthaft und von Gehalt. Er scheint sehr an sich selbst zu verbeßern.

Ich fürchte nur, er wählt sich Muster, nach denen er sich bildet, und so vortrefflich auch seine Wahl seyn wird und schon ist, so ist doch Nachahmung ein niedrer Grad von Vollkommenheit. Von Göthen spricht er mir zu panegyrisch. Das schadet Göthen nichts, aber ihm.

Jezt gefällt er mir durchgängig besser als vor seiner italien: Reise; da schien er mir zu sehr den starken Geist zu affectiren. Jetzt hat eine moderate und wohlthätige Philosophie von ihm Besitz genommen. Ich würde viel Vergnügen von seinem Umgang haben, wenn er hier wohnte.

In Rom fand er meine Thalia, und einige ähnliche Empfindungsarten, die im Sonnenwirth (in meinem Verbrecher aus Infamie) ausgestreut sind und mit seinem Reiser übereintreffen überraschten ihn sehr. Er hat eine kleine Schrift drucken lassen, die er selbst für das höchste erklärt, was er leisten könne. Sie handelt von bildenden Künsten. Ich werde sie in Mscrpt. von ihm zu lesen bekommen, und ihnen dann mehr davon schreiben.

Verzeihen Sie, dass ich Ihnen heut noch keinen Brief an Wolzogen mit schicke, und damit Sie nicht ohne mich schreiben, so will ich in Gottesnahmen seinen Brief an Sie, worinn seine adresse ist noch einen Botentag hier behalten.

Leben Sie recht wohl! Heut Abend erhalte ich Ihre Briefe.

S.