HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 10. November 1789

Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 10. November 1789

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Jena d. 10. Nov. [Dienstag] 89.

Daß mein Geburtstag heute ist, habe ich erst von euch erfahren; denn ich bin ganz unrichtig in der Zeit. Voriges Jahr hab ich ihn mit euch durchlebt – aber nein, ihr seid mir, unsrer Entfernung ungeachtet, heute viel näher, als im vorigen Jahr, da ich in eurer Mitte lebte. Meine Seele besitzt euch, und das ist etwas ganz anders als wenn eure Gestalt in meinen Augen lebten. Der Tag in Lauchstädt, jener Morgen, wo du, Caroline, ein so langes schmerzhaftes Stillschweigen brachst – wo das entscheidende Wort gesprochen wurde, das mein ganzes Wesen umkehrte – jener Morgen ist mir ein weit lieberer schönerer Tag als der zehente November. Was läge mir an meiner Geburt, wenn ich nicht zur Freude geboren wäre?

Es freut mich, daß ihr heute doch auch etwas von mir empfangen werdet. Der Bote versprach mir gegen 8 in R. zu seyn. Eure Gründe, warum ich der ch. M. noch nicht schreiben soll, sind mir ganz einleuchtend; überhaupt ist die Sache nur in so fern dringend, als sie ihr nicht länger verschwiegen bleiben würde. Den Brief habe ich noch zu schreiben.

Was ich durch den Boten schrieb, ist mir sehr ernst. Ich wünschte sehnlichst, daß wir es überhoben seyn könnten, bloss von Briefen zu leben, und ich würde es mir nicht und niemals verzeyhen, wenn ich die Entdeckung machte, daß dieser Zwang, diese Resignation wirklich nicht nöthig gewesen wäre. Welcher böse Genius gab mir ein, hier in Jena mich zu binden. Ich habe nichts gar nichts dadurch gewonnen, aber unendlich viel verloren. Wäre ich nicht hier, so könnte ich leben wo ich wollte, könnte noch weit besser als jezt einen Plan zu einem Etablissement verfolgen, weil meine ganze Zeit mein wäre. Im äussern habe ich mich ganz und gar nicht verbeßert; im Gegentheil, ich habe Verlust erlitten, und mir heillose Bekanntschaften aufgebürdet, Verhältnisse, die mir zuwider sind. Meine einzige Hofnung ist auf den Coadjutor gesetzt. Versichert er mich bestimmt und nachdrücklich, dass er für mich handeln will, so lege ich bey dem nächsten Anlaß meine jenaische Professur nieder. Ich will aber auch im Preussischen etwas anzuspinnen suchen, und könnte ich nur Wien mit euch gut vereinigen, so wäre mirs nicht leid, in einem halben Jahre es durchzusetzen, daß ich dort wäre. Aber wie traurig, dass man von Dingen ausser sich abhängt! Wenn ich mir denke, daß wir drey zusammen, an mehr als Einem auserlesenen Platz mit 1000 Thalern vortreflich leben könnten und daß wir diese so gut als schon haben, denn wenn ich meine ganze Zeit in der Gewalt habe, und mein Geist frey ist, so sind mir 600 Thaler leicht, bloss durch Arbeiten der Schriftstellerey zu verdienen, denn ich habe sie in manchem Jahre wirklich mir erworben. Dann wäre jede Abhängigkeit, jedes lästige Verhältniß erspart, und wenn es ja seyn müßte, so würde ich mit Jedem Jahre fähiger seyn, und vorbereiteter, ein Amt zu übernehmen, und vielleicht hätte ich alsdann die Wahl! Wenn ihr meynt, so will ich noch einen Versuch machen, der vielleicht durchzusetzen ist. Der Coadjutor kann mir vielleicht in der Pfalz, in Mannheim selbst, ein Etablissement verschaffen, entweder bey der dortigen Academie oder in Heidelberg. Sein Bruder muß alles thun, was er will – aber ich fürchte nur, dieser Bruder kann wenig. In Mannheim würde ich euch auch recht gern sehen, es ist ein lieblicher Himmel und eine freundlichere Erde – die ich alsdann erst mit Freude betreten würde. Aber bei diesem Mannheim fällt mir ein, dass Sie mir doch manche Thorheit zu verzeyhen habt, die ich zwar vor der Zeit, eh wir uns kannten, begieng, aber doch begieng! Nicht ohne Beschämung würde ich euch auf dem Schauplatz herum wandeln sehen, wo ich als ein armer Thor, mit einer miserablen Leidenschaft im Busen, herumgewandelt bin.

Warum fallen mir diese Armseligkeiten wieder ein? Ich durchsuche alle Winkel der Erde, um den Platz zu finden, den das Schicksal unsrer Liebe bereitet haben könnte. Jena bleibt mir immer gewiß, und wenn mir der Herzog 200 Thaler Pension bezahlt, wie Reinholden, so würden wir uns ganz bequem auf 1000 stehen. Diese 200 müssten sich schon finden.

Heute an meinem Geburtstag habe ich mein erstes Collegiengeld eingenommen, von einem Bernburger Studenten; was mir doch lächerlich vorkam. Zum Glück war der Mensch noch neu, und noch verlegener als ich. Er retirierte sich auch gleich wieder. Mit dem hiesigen academischen Senat kann ich Händel bekommen, und ich werde sie nicht vermeiden. Was für Erbärmlichkeiten! Weil ich auf dem Titel meiner gedruckten Vorlesung mich einen Professor der Geschichte nannte, so hat sich der Prof. Heinrich beklagt, daß ich ihm zu nahe getreten sey, weil ihm die Professur der Geschichte namentlich übertragen wäre. Ich bin, (das ist wahr aber ich hab es jezt erst erfahren) ich bin nicht als Professor der Geschichte sondern der Philosophie berufen, aber das lächerliche ist dass die Geschichte nur ein Theil aus der Philosophie ist und dass ich also, wenn ich das Eine bin, das andre nothwendig seyn muß. Es ist soweit gegangen, daß sich der Academiediener erlaubt hat, den Titel meiner Rede, von dem Buchladen, wo er angeschlagen war, wegzureissen. Ich lasse es jezt untersuchen, ob ers für sich und auf seine Gefahr gethan hat; und je nachdem das ausfällt, werde ich meine Maßregeln nehmen; denn so lächerlich mir dieses Verhältniß ist, so wenig lasse ich mir etwas zuviel geschehen.

Diese elende Zänkerey hat mir aber doch heute Laune und Freude verdorben; denn sie hat mich lebhafter daran erinnert, dass ich hier bin und ohne allen Zweck und Nutzen – ach und dass ich so schön in Weimar seyn könnte, wo ich euch zu erwarten hätte. O meine lieben, theuerste meiner Seele! Prüft alle Möglichkeiten! – untersucht alle Fälle – und denkt ein Mittel aus, wie wir die Zeit unserer Trennung verkürzen können. Das ist kein Leben, das ist nicht gelebt, wie wir jezt unsre Stunden hinharren müssen. Adieu. Ich kann und mag eure lieben Briefe heute nicht beantworten. Meine Seele ist zu trübe. Der erste helle Augenblick, den ich habe, soll euer seyn. Lebtwol, meine Liebsten!