Freitag Abends. 1
Der heutige Tag war gar glücklich für mich. Briefe von euch meine liebsten, von Carolinen, und von Körnern, der sich endlich wieder in den vorigen herzlichen Ton mit mir findet. Wie froh mich diese Wendung macht, kann ich euch nicht verbergen. Unser aufblühendes Verhältniß liess mich voriges Jahr seinen Besitz nicht so nahe und lebhaft wie ehmals empfinden, und das schöne Glück, das seitdem vor meiner Seele schwebte, verbarg mir den Verlust, der mir in ihm drohte. Konnte ein Wunsch noch Raum haben in meinem Herzen, da ihr mein geworden seid? Dass ich ihn nun auch wieder habe, ist mir ein überraschender Gewinn, und ich kann meine schönen Besitzungen jetzt kaum mehr übersehen. Wieviel Edles und Trefliches schließe ich an mein Wesen und nenne es mein! Mein Herz fließt auseinander in einem reichen und herrlichen Gefühl!
Caroline ist also doch wieder beßer, da sie mir schreiben konnte. Findet sie recht gesund und sagt ihr, daß ihr Brief mir eine liebe Erscheinung gewesen sey. Mit ihrem lichtvollen Blicke beleuchtet sie mir meine eigne Seele. Sie ist mir ein lieblicher Genius, der selbst glücklich um den glücklichen schwebt. Daß ich von heut in 7 Tagen in eurer Mitte bin – dann unzertrennlich von euch seyn werde! Ach, dieß ist mir ein unaussprechlich seliges Gefühl. Donnerstag Abends, gleich nach meiner Vorlesung werde ich von hier wegfahren, und in derselben Nacht zwischen 11 und 12 hoffe ich in Erfurt zu seyn. Vielleicht finde ich euch noch wach, ich werde wenigstens unter einem Dache mit euch schlafen. Vergeßt nicht, mir sogleich nach eurer Ankunft den Gasthof zu bezeichnen, wo ihr absteigen werdet. Caroline wird es ja wohl einrichten können, daß sie den Freitag und Sonnabendmorgen zeitig im Gasthof ist. Mit ihr möchte ich so vielerley sprechen. So lange Wilhelm da war, konnte ich sie ihm nicht nehmen.
Wie beneid ich euch um die schöne Woche, die ihr in E. mit einander verleben werdet. Mir wird diese kurze Trennungszeit schwer genug werden. Ich bin jetzt nichts mehr für die Gegenwart. Was den schlaffen Seelen ihr ganzes Leben lang begegnet begegnet mir jetzt. Ich kann keinen Eindruck von aussen mehr recht auffassen, keine Gestalt will an meiner Seele haften.
Schreibt mir aber doch fleißig von E., wenn es auch wenig ist, daß ich mich doch auf etwas zu freuen habe, wenn der Posttag kommt. 2 oder 3 Briefe könnte ich immer noch von euch erhalten. Es sind auf lange Zeit die letzten, die Du mir schreiben wirst Lotte.
Wahrscheinlich war es eine Wirkung meines letzten Briefs, was *** bey eurer letzten Zusammenkunft mit ihr ein so sonderbares Betragen gegeben hat. Ich begreife nicht, mit welcher Stirne sie mir schreiben konnte, daß ich „die giftigen Zungen nicht die Wahrheit soll geredet haben lassen.“ Daß sie sich in unser Betragen gegen einander gemischt hat, ist doch ziemlich entschieden, sie hat also wirklich gegen sich selbst gesprochen. Sie empfahl mir bey meiner Antwort Genauigkeit in der Aufschrift des Briefs, weil sie fürchtete, daß er in ihrer Schwester Hände kommen könnte. Dieses gab mir Gelegenheit ihr zu sagen, daß die Vorsicht nicht überflüssig sey, denn mir wäre es wirklich begegnet, daß von den Briefen, die ich nach Weimar geschrieben, einige durch fremde Hände gegangen. Sie drang in mich in ihren letzten Briefen, sie nur auf einen Augenblick zu besuchen, weil sie mir etwas sehr wichtiges zu sagen habe. Da ich es neulich endlich ganz abschlug, so eröfnete sie mir in ihrem letzten Brief die Sache, um derentwillen sie so nöthig fand mich zu sprechen. Dieß war nun offenbar nicht die Wahrheit, denn ihr Anliegen ist durch einen Brief fast noch leichter abzuthun gewesen. Sie war nie wahr gegen mich, als etwa in einer leidenschaftlichen Stunde, mit Klugheit und List wollte sie mich umstricken. Sie ist jetzt nicht edel und nicht einmal höflich genug, um mir Achtung einzuflößen. Da ich ihr neulich schrieb „ich zweifle, ob sie jetzt die Stimmung schon gefunden hätte, worinn unsre Zusammenkunft für uns beide erfreulich seyn könnte, und dass ich dieses aus einigen Vorfällen schlöße“ so antwortet sie mir nun: Ich irre mich sehr, wenn ich ihr jetziges Betragen mit jener Tollheit, mit jenem ungeschickten Traum, der lange schon nicht mehr in ihrer Erinnerung sey, in Zusammenhang brächte, und dergleichen mehr. Darauf schrieb ich ihr: Die Versicherung, die sie mir gebe, daß das Vergangene in ihrer Erinnerung ausgelöscht sey, erlaube mir endlich, freimüthig über das Glück mit ihr zu sprechen, das meine nahe Verbindung mir gewähre. Ich sprach nun mit vollem Herzen von unserer Zukunft, und dieß hat sie nicht ertragen. Hat sie es nicht durch die Plattitüde verdient, womit sie ihre eigene Empfindung herabsetzt? Warum schreibe ich von ihr soviel? Ich hätte etwas beßeres thun können. Lebt wohl meine theuersten. lebt wohl.
- Februar 1790. ↩