HomeBriefeAn Caroline von BeulwitzSchiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 12. September 1789

Schiller an Lotte v. Lengefeld und Caroline v. Beulwitz, 12. September 1789

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Donnerstag Abends 12. Septbr. [1789].

Wieder ein Tag überstanden, um den ich euch näher bin – Wie langsam schleicht jezt die Zeit, und wie unerbittlich schnell wird sie mir bey euch vorübereilen? Wäre indeßen die Periode nur da, wo wir uns bloß über die Flüchtigkeit des Lebens zu beklagen hätten!

O meine theure Caroline! meine theure Lotte! Wie so anders ist jezt alles um mich her, seitdem mir auf jedem Schritt meines Lebens nur euer Bild begegnet. Wie eine Glorie schwebt eure Liebe um mich, wie ein schöner Duft hat sie mir die ganze Natur überkleidet. Ich komme von einem Spaziergang zurück. In dem grossen freien Raume der Natur, wie in meinem einsamen Zimmer – es ist immer derselbe Ether, in dem ich mich bewege, und die schönste Landschaft ist ein schönerer Spiegel der immer bleibenden Gestalt. Nie hab ich es noch so sehr empfunden, wie frey unsre Seele mit der ganzen Schöpfung schaltet – wie wenig sie doch für sich selbst zu geben im Stande ist, und alles alles von der Seele empfängt. Nur durch das, was wir ihr leyhen, reizt und entzückt uns die Natur. Die Anmuth, in die sie sich kleidet, ist nur der Wiederschein der innern Anmuth in der Seele ihres Beschauers, und großmüthig küssen wir den Spiegel, der uns mit unserm eigenen Bilde überrascht. Wer würde auch sonst das ewige Einerlei ihrer Erscheinungen ertragen, die ewige Nachahmung ihrer selbst. Nur durch den Menschen wird sie mannigfaltig, nur darum, weil wir uns verneuen, wird sie neu. Wie oft gieng mir die Sonne unter, und wie oft hat meine Phantasie ihr Sprache und Seele geliehen, aber nie nie, als jezt, hab ich in ihr meine Liebe gelesen. Bewundernswerth ist mir doch immer die erhabene Einfachheit und dann wieder die reiche Fülle der Natur. Ein einziger und immer derselbe Feuerball hängt über uns – und er wird millionenfach verschieden gesehen von Millionen Geschöpfen, und von demselben Geschöpf wieder tausendfach anders. Er darf ruhen, weil der Menschliche Geist sich statt seiner bewegt – und so ligt alles in todter Ruhe um uns herum, und nichts lebt als unsere Seele.

Und wie wohlthätig ist uns doch wieder diese Identität dieses gleichförmige Beharren der Natur. Wenn uns Leidenschaft, innrer und äussrer Tumult lang genug hin und her geworfen, wenn wir uns selbst verloren haben, so finden wir sie immer als die nehmliche wieder, und uns in ihr. Auf unserer Flucht durch das Leben legen wir jede genossene Lust, jede Gestalt unsers wandelbaren Wesens in ihre treue Hand nieder, und wohlbehalten gibt sie uns die anvertrauten Güter zurück, wenn wir kommen und sie wieder fodern. Wie unglücklich wären wir, wir, die es so nöthig haben, auch die Freuden der Vergangenheit haushälterisch zu unserm Eigenthum zu schlagen, wenn wir diese fliehenden Schätze nicht bey dieser unveränderlichen Freundinn in Sicherheit bringen könnten. Unsre ganze Persönlichkeit haben wir ihr zu danken, denn würde sie morgen umgeschaffen vor uns stehn, so würden wir umsonst unser gestriges Selbst wieder suchen.

Aber ich lasse mich von meinen Träumereyen fortreissen, da ich euch doch weit beßre Dinge sagen könnte. Die Erinnerung an euch führt mich auf alles, weil alles wieder ich an euch erinnert. Auch hab ich nie so frey und kühn die Gedankenwelt durchschwärmen können als jezt, da meine Seele ein Eigenthum hat, und nicht mehr Gefahr laufen kann, sich aus sich selbst zu verlieren. Ich weiß, wo ich mich immer wieder finde.

Meine Seele ist jezt gar oft mit den Scenen der Zukunft beschäftigt; unser Leben hat angefangen; ich schreibe vielleicht auch, wie jezt; aber ich weiss euch in meinem Zimmer, du Karoline, bist am Klavier und Lottchen arbeitet neben dir, und aus dem Spiegel, der mir gegenüber hängt, seh ich euch beide. Ich lege die Feder weg, um mich an eurem schlagenden Herzen lebendig zu überzeugen, daß ich euch habe, daß nichts nichts euch mir wieder entreissen kann. Ich erwache mit dem Bewußtseyn, daß ich euch finde, und mit dem Bewußtseyn, dass ich euch morgen wieder finde, schlummre ich ein. Der Genuß wird nur durch die Hofnung unterbrochen, und die süße Hofnung nur durch die Erfüllung, und getragen von diesem himmlischen Paar verfliegt unser goldenes Leben!

Nachts.

Es war euch von der Frau von Kalb dieser Tage ein Besuch zugedacht; sie wollte nach Kochberg zu der Stein, und wahrscheinlich wäre sie auch nach Rudolstadt gekommen. Jezt hat es sich zerschlagen, und sie wird zu Anfang der kommenden Woche nach Kalbsrieth gehen. Mir ist es lieb, daß sie nun nicht mehr kommen kann, wenn ich schon bei euch bin. Es hätte uns einen ganzen Tag Zwang angethan, und ich bin jezt in einem recht guten Verhältniß mit ihr, so wie ich wünschte, daß es bleiben möchte. Sie hat auf meine Freundschaft die gerechtesten Ansprüche und ich muß sie bewundern, wie rein und treu sie die ersten Empfindungen unserer Freundschaft, in so sonderbaren Labyrinthen die wir miteinander durchirrten, bewahrt hat. Sie ahndet nichts von unserm Verhältniß; auch hat sie, mich zu beurtheilen, nichts als die Vergangenheit und darinn ligt kein Schlüssel zu der jetzigen Stellung meines Gemüths – aber sie ist mistrauisch und auch die Freundschaft kann empfindlich seyn. Ihr begreift also wohl, wie wenig ich wünschen kann, sie in unsrem Kreise zu sehen, und insofern müssen wir uns auch vor der Stein verwahren, die dem Beobachtungsgeist der Kalb nachhelfen könnte – Denn so richtig die Kalb sonst immer sieht, so irrt sie gerade ihr Verstand in Ansehung meiner. Die Kalb macht mich indessen doch jezt etwas verlegen. Das Verhältniß worinn sie mit ihrem Mann sich versetzen will (ich hab euch, denk ich, schon davon gesagt) hat mich ihr in gewissem Betracht jezt unentbehrlich gemacht, weil ich es allein ganz weiß und sie nicht ohne Rath ohne fremde Augen dabey zu Werke gehen kann. Sie hat ihm darüber schon geschrieben und Auch Antwort erhalten, die nun ihre ferneren Schritte bestimmen muß. Sie verlangte, und konnte es auch mit allem Recht von mir verlangen, dass ich nach Weimar zu ihr kommen und über diese neue Lage der Dinge mit ihr berathschlagen solle – aber sie wollte es entweder heut oder Morgen, und weder heute noch Morgen noch Uebermorgen wäre mirs möglich gewesen. Hört sie aber nun, daß ich 4 Wochen in Volksstädt gewesen und ihr einen einzigen Tag in Weimar abschlug, so muß es ihr, da sie von einem genauern Verhältniß zwischen uns nichts weiß, sehr empfindlich auffallen. Und bei Gott! ich konnte diese Woche nicht weg. Nun hab ich ihr durch einen Expressen geschrieben, und die Proposition gemacht, auch mit allen Gründen unterstüzt, daß sie hieher kommen soll, und um es schicklicher zu können, in Gesellschaft der Schrötern, mit der sie gut steht, die discret ist, und der sie außerdem ein Vergnügen dadurch macht. Sie soll gerade bei mir anfahren, und sonst keinen Besuch geben; dieß kann sei auch wirklich ohne alle Gefahr, sich zu kompromittieren, da es ganz verschwiegen bleiben kann. Ich bin nun in Erwartung, was der weibliche Senat beschliessen wird – ist sie rücksichtvoll, so wasche ich meine Hände, denn ich werde durch die Nothwendigkeit und sie bloß durch ein Vorurtheil verhindert.

Freitag Abend. [den 11. September.]

Die Kalb ist nicht gekommen und kommt auch nicht. Zum Theil haben mich die Gründe die sie mir anführt überzeugt. Ihre Lage ist jetzt doppelt delikat, und sie glaubt nicht, daß die Sache unbeobachtet bleiben würde. Ich habe nun das meinige gethan.

Diesen Nachmittag habe ich sehr langweilig im Schützischen Hause zugebracht, wo ich 14 Tage nicht gewesen bin. Gottlob. Die Leute sind mit wenigem zufrieden gestellt. Morgen habe ich einen ebenso langweiligen Abend im Griessbachischen Hause zu hoffen, aber morgen bekomme ich Briefe von euch, und das macht mich sanft wie ein Lamm gegen alle Menschen.

Körner hat mir heute wieder geschrieben, und auch unsrer Verstimmung erwähnt; mir scheint aber, er ist auf einer unrechten Spur, sie zu erklären, und ich werde mich hüten, ihm einen Aufschluß zu geben, der ihm so wenig nützlich als angenehm seyn würde. Mein Brief an ihn enthielt meine Seele nicht, ich gab mir eine Mine von Zufriedenheit die ich nicht hatte, und wozu er sich, nach dem Vorgefallenen, selbst nicht bei mir versah. Es ist mir jezt auf eine Zeit lang viel Freude entzogen, dass ich mein Herz nicht gegen ihn reden lassen kann – aber wie vieles macht Ihr mich vergessen!

Gute Nacht Ihr Lieben, gute Nacht. Ich blieb gestern biß Nachts gegen 2 Uhr wach und muß heute das Versäumte hereinbringen. Möchte ich euch im Traum wieder antreffen. Adieu meine theuersten.

S.