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Schiller an Christophine Schiller, 19. Juni 1780

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Stutgardt, d. 19. Junij [Montag] 1780.

Liebste Schwester,

Ich verdiente Deine Vorwürffe, warum ich Dir nicht schrieb, schon sehr offt; aber diesen leztern verdien ich nicht, meine liebe. Du wußtest wol damals noch nicht, daß mir ein theurer werther Freund durch einen frühen Tod entrißen wurde, der junge Sohn des Hauptmanns v. Hoven, und nun begreifst Du leicht wie wenig ich Raum zu schreiben haben konnte, da ich immer um des Sterbenden Bette als Mediciner sowohl als auch und noch mehr als ein theilnehmender Freund beschäftigt war und selbst eine Nacht durch mit seinem Bruder und seiner angefochtenen Mutter bei ihm wachte. – begreifst auch wie wenig ich zu dieser Zeit zum Briefschreiben gestimmt seyn konnte.

O meine Liebe mit Mühe, mit schwerer Mühe hab ich mich aus Betrachtungen des Todes und menschlichen Elends heraus gearbeitet, denn es ist etwas sehr Trauriges, theure Schwester, einen Jüngling voll Geist und Güte und Hoffnung dahinsterben sehen – denn der verstorbene theure und edle Jüngling war mir äuserst interessant. Du kanntest ihn zu Ludwigsburg als wild und leichtsinnig und roh – aber er bildete sich in den 9 Jahren, die er in der Academie zubrachte, besonders in den zwei leztern auf die vortheilhaffteste Weise zu einem feinen, empfindungsvollen zärtlichen und geistvollen Jüngling, wie wenig sind – Und ich darf Dir sagen, mit Freuden wär ich für ihn gestorben. Denn er war mir so lieb, und das Leben war, und ist mir eine Last worden.

O meine gute Schwester was Dein empfindungsvolles Herz – was die zärtliche Mutter – was ach was mein ehrwürdiger mein bester Vater, der so viel auf mich rechnet, ehr als ich ihm jemals leisten werde, – gelitten haben würden, wenn ich der einzige Sohn und Bruder an dieses Stelle gewesen wäre, und doch, doch hätte es ja seyn können; kann es vielleicht noch seyn, daß ihr die Freude nicht mehr erlebt mich aus der academie treten zu sehen, daß ich – Siehst Du ich mag Dirs nicht aussprechen, aber es kann ja seyn – Wer hier in die geheimen Bücher des Schiksals schauen könnte – Mir wärs erwünscht, zehntausendmal erwünscht. Ich freue mich nicht mehr auf die Welt, und ich gewinne alles, wenn ich sie vor der Zeit verlaßen darf. Ich bitte Dich, Schwester, wenn es geschehen sollte, so sey klug und tröste dich, und Deine Eltern.

Ich habe dem Vater des Verlorenen Edeln selbst geschrieben, und die Antwort darauf war mir sehr schmeichelhafft; er wolle mich für seinen zweyten Sohn halten, mein Freund, mein Vater seyn. Schwester Du begreifsts, diß hat mich sehr gerührt. Ich habe das Glük vor vielen Tausenden (das unverdiente Glük) den besten Vater zu haben, und hier findet sich ein anderer auch vortrefflicher Mann, der mich Sohn nennet. Ich habe viele Freunde in der academie die mich sehr lieben. Ich habe Dich meine Theure, und doch kann dis alles keine Heiterkeit von einiger Dauer in meine Seele rufen. Du weist nicht wie ich so sehr im innern verändert, zerstört bin. Auch sollst Dus gewiß niemals erfahren, was die Kräfte meines Geists untergräbt.

Hier folgen Zeichnungen. Verzeih daß sie nicht bälder kommen. Der Freund der sie mir gab kam nicht lange vorher von Hohenheim und mußte sie dann erst zusammenbringen. Hier folgt auch ein Buch, wenn Dirs gefällt, so magst Du’s behalten. Es ist vom verstorbenen Casernenprediger Gauß.

Die Wäsche besorge bald. Auch die Schuhe.

Bitte den lieben Papa, daß er mir ein Buch Papier schike, und einige Kiele.

Mahne die liebe Mama an Strümpffe, und bitte Sie sie möchte mir ein Hemd ohne Manschetten zum Nachthemd zurecht machen. Es darf von grober Leinwand seyn.

Leb wohl, meine Liebe, und mach Dich recht lustig als ein Landmädchen. Es ist Dir gesund und heitert Dich auf.

Diesen Brief läßt Du die liebe Eltern nicht lesen, Du weist warum – Ich hätte Sie nicht gern traurig gemacht. – Noch einmal lebe wol und fahre fort zu lieben Deinen Bruder der sich glüklich schäzt, sich den Deinigen zu nennen.

J. C. F. Schiller.