Jena am 10. October [Mittwoch] 92.
Mit größter Freude erfahre ich von meiner Mutter, dass ich von Dir und den Deinigen noch nicht ganz vergessen bin. Auch Dein und Ihr Andenken ist noch lebhaft in mir, und keine Zeit wird die glücklichen Jahre, die wir – im Schatten des Helikon – mit einander verlebten, in meinem Herzen auslöschen können. Das waren die Zeiten der Hofnung, und keiner von uns, denke ich, hat Ursache, sich der Erfüllung zu schämen.
Das lange Stillschweigen Deines so reichen, so schön gebildeten Geistes, ist mir, ich gestehe es, lang unerklärbar gewesen. Aber Du reiftest im Stillen, und tratst auf die Laufbahn mit vollendeter Kraft. Mit Begierde hab ich Dein Werk verschlungen, und in jeder Zeile erkannte ich Deinen Geist. Der denkende Theil unsrer thüringischen Aerzte nennt es mit Achtung, und die medicinische Welt erwartet noch große Dinge von Dir.
Leider kann ich Dich nicht auf ähnliche Art bewirthen. Du machst die Lahmen gehen, die Blinden sehen, die Todten auferstehen – ich mache Verse und philosophiere. Schwer hat mich die Hippokratische Kunst für meine Apostasie bestraft. Da ich nicht mehr ihr Jünger seyn wollte, so hat sie mich unterdessen zu – ihrem Opfer gemacht. Sie hat mich gezwungen zu ihr zurückzukehren, aber leider nur, um ihre schwere Hand zu empfinden. Wenn mir hier nicht bald geholfen wird, so mache Dich darauf gefaßt, daß ich zu Dir komme, und mir Genesung hohle.
Da ich Dich gern zuweilen an mich erinnern möchte, so lege ich diese Kleinigkeit bey. Nimm damit vorlieb, biß ich Dir etwas besseres geben kann. Eine neue Bekleidung des Alten ist alles, was ich jetzt mit meinem kranken Kopfe vermag.
Deinem verehrungswerthen Vater versichre meine aufrichtigste Achtung und Liebe. Mit dankbarem Herzen erkenne ich die Freundschaft, die er den meinigen erzeigt. Deiner Mutter, Deiner Gemahlin, Deinen Schwestern küße ich hochachtungsvoll die Hand. Lebewohl mein unvergeßlicher Freund.
Auf immer
Der Deinige
Fridrich Schiller.